Neunzehnte Erzählung.
† (55).
Von einem Weibe, einem Drachen und einem Löwen zu den Zeiten Antonii.

[204] Ein Kaiser hieß Antonius, derselbe regierte gewaltiglich. In dessen Reiche war ein Ritter, der wollte in eine Stadt reiten. Nun wiederfuhr es ihm, daß er sich verirrte in einer wilden Wüste, und es lag daselbst auf einer Seite ein fürchterlicher und gefährlicher Drache und auf der andern ein Löwe. Nun wollte sich aber der Ritter aus dieser Fahrniß und dieser Straße retten und seinen Weg wieder zurück reiten, da sah er ein großes breites Gewässer, gleich wie ein Meer, und er wußte nicht, wo er sich hinwenden sollte. Wie er aber also hin und her dachte, da sah er einen Engel stehen, der hatte in einer Hand ein bloßes Schwert, in der andern aber hielt er eine Krone und sprach: verschmähe und widerstehe, zertritt den Drachen, widerstehe den Löwen und verschmähe das Meer, dann machst Du ein Ende dem Zorne des Thieres, der Treulosigkeit des Wurmes und dem Strome des Meeres, und das geschieht erbärmiglich.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 204-205.
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