Zweiundzwanzigste Erzählung.
† (76).
Von dem König, der St. Peter und St. Paul mit Gewalt nehmen wollte.

[210] Es war einst ein hoffärtiger König, der war ein Heide und wollte die Leichname St. Peters und St. Pauls aus Rom wegtragen und stehlen oder mit Gewalt erobern. Wie der von Hause auszog und in einer Stadt übernachtete, da sprach er zu seinem Hofmeister: suche mir ein schönes Weib, die heute Nacht bei mir schlafe, was ich ihr geben soll, will ich herzlich gern geben. Das hörte der Marschall und ward gleich gar begierig das Geld zu gewinnen, führte also sein eigenes Weib wider ihren Willen in das Bett des Königs. Wie aber der[210] Morgen kam, da sprach der König zu dem Marschall: thue das Fester auf, damit ich sehe, wie schön die Frau ist, die heute bei mir gelegen hat, und gieb ihr dann tausend Gulden. Wie aber das Fenster aufgethan war und der König erkannt hatte, daß sie des Marschalls Hausfrau war, da sprach er zu ihm: o Du böser Mann, wie hast Du Deine Hausfrau dadurch beschimpft, daß Du sie für Geld zu mir gelegt hast. Jetzt packe Dich schnell aus meinem Reiche, denn wo Du länger darin bleibst, mußt Du eines bösen Todes sterben. Wie der das hörte, floh er aus dem Königreiche und ward nicht mehr darin gesehen, und alle Zeit, so lange der König lebte, hielt er die Frau in Ehren und in Lust. Darnach versammelte aber der König ein großes Heer und zog gen Rom und umstellte die Stadt mit seinem Heere, bis ihm die Römer die Leichname St. Petri und Pauli geben würden, auf daß er von der Stadt abzöge. Nun waren zu der Zeit sieben Meister in der Stadt, zu selbigen kamen die Bürger und sprachen zu ihnen: was thun wir, die Stadt ist in Gefahr, daß sie verloren und zerstöret werde. Es geht fast nicht anders, als daß wir ihm die Leichname St. Peters und St. Pauls geben. Da sprach der erste Meister: ich will die Heiligen und die Stadt einen Tag vor ihm bewahren. Der andere sprach: ich halte sie den andern Tag, und so wollten sie sie alle, jeder einen Tag fristen. Der König wollte aber die Stadt stürmen, der erste Meister Hub an mit dem Könige um einen Sohn zu dingen und zu reden, also daß der König diesen Tag der Stadt mit Sturm nichts anthun konnte. Also redeten sie alle, jeder einen Tag, bis auf den letzten Meister; zu dem kamen die Bürger und sprachen: o lieber Meister, der König hat geschworen, er wolle die Stadt morgen gewinnen, geschieht das, so müssen wir alle sterben. Nun[211] hilf uns, so wie Deine Gesellen gethan haben. Da antwortete er ihnen: fürchtet Euch nicht, am morgenden Tage mache ich, daß der König mit seinem ganzen Heere entflieht. Der Meister aber legte einen wunderlichen Rock an, daran waren Pfaufedern und Glöcklein und Farben von andern Vögeln. Damit ging er, versehen mit zwei bloßen Schwertern, auf einen hohen Thurm der Stadt, so daß ihn der König mit seinem ganzen Heere wohl sehen konnte, und auf dem Thurme bewegte er sich hin und her, gerade als wenn er fliegen wollte, und die Federn glänzten sehr und die zwei Schwerter hielt er in seinem Munde fest. Das sahen aber etliche im Heere, die sprachen: Herr, sehet Ihr nicht ein wunderlich Ding auf dem Thurme stehen? Er aber antwortete und sprach: ich sehe es wohl, was es aber ist, das weiß ich nicht. Da sprachen sie: es ist der Christen Gott, der vom Himmel herab gefahren ist, der wird uns alle mit den zwei Schwertern niederschlagen und tödten, so wir länger hier liegen. Wie das der Herr vernahm, da fing er an sich zu fürchten und sprach zu ihnen: es giebt nur einen Weg, daß er uns nicht schlage, so wir nehmlich die Stadt räumen. Damit machte sich der König mit allem seinem Volke auf und zog von dannen. Die Römer aber waffneten sich und folgten ihm nach und erschlugen den König und einen Theil seiner Schaaren, und also ward der König durch die Weisheit der klugen Meister überwunden.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 210-212.
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