Siebenundzwanzigste Erzählung.
† (97).
Von Brunnen, die wunderbar waren.

[215] St. Ysidorus schreibt in seinem Buche von der Auslegung der Wahrheit, daß zwei Brunnen in Sicilia seyen der eine machte unfruchtbare Thiere fruchtbar und der andere fruchtbare Thiere unfruchtbar. Bei dem ersten Brunnen sollen wir uns unsern Herrn Christum denken, der einen unfruchtbaren Menschen, das ist den Sünder, fruchtbar macht mit den Werken der Barmherzigkeit. Der andere Brunnen ist der böse Geist, der einen guten Menschen zu einem bösen Ende bringt, daß er unfruchtbar ist an guten Werken. In Italia, das ist Welschland, da ist ein Brunnen, der das Gesicht der Augen bessert und die kranken Augen heilt zu besserem Sehen. Am Tage scheint er, in der Nacht brennet er. Also ist Christus unser Herr, der heilt die Wunden der Sünder, und am Tage scheint er, das heißt in diesem Leben wirkt er die Werke der Barmherzigkeit, in der Nacht[215] brennt er, das ist im Gewissen wider die Sünde. In Afrika ist ein Brunnen, die brennenden Fackeln auslöscht und die erloschenen anzündet. Also thut unser Herr Christus. Die brennenden Fackeln, das sind die Weisen dieser Welt und die Herren, die sich erleuchtet und witzig dünken, die verlöscht er. Und die erloschenen, das sind die Einfältigen und Armen, die erloschen sind gegen die Welt, die entzündet er. In Ydacia ist ein Brunnen, der seine Farben vier Stunden im Jahre verändert, drei Monate ist er blutfarbig, drei Monate grün, drei Monate klar. Also ist unser Herr Christus, der nicht nur mehr denn einmal gelitten hat um des menschlichen Heiles Willen und seine Farbe verwandelt hat, denn da er geboren ward, da war er klar, blutfarbig aber ward er, da er beschnitten ward und am Kreuze weinte. In Boecia sind zwei Brunnen, der eine macht dem Menschen Klugheit und Gedächtnis, der andere macht ihn vergessend. Der erste Brunnen bezeichnet unsern Herrn Christum, der dem Menschen Tugend giebt, der andere Brunnen aber macht den Menschen vergessend aller guten Werke, die er von Gott empfangen hat: das ist der böse Geist. In Campanien sind zwei Gewässer, eins ist ein Mann und vertreibt den Unsinn, das andere ist sein Weib und vertreibt Unehrbarkeit der Weiber. Das erste Wasser bezeichnet Christum, der da vertreibt Unsinn und Thorheit der Sünde, das andere ist die andächtige Andacht und andächtiges Gebet.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 215-216.
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