Dreißigste Erzählung.
Von drei Sirenen, die viele Schiffer ertränkten.

[218] Man liest, daß drei Sirenen auf einer Insel waren oder auf einem Werder, die sangen die allersüßesten Weisen. Die eine sang mit menschlicher Stimme, die andere bließ auf einem Rohre und die dritte spielte auf einer Leier. Die Sirenen hatten aber ein weibliches Antlitz, Flügel und Krallen aber wie ein Vogel, und[218] alle Schiffer, die vor ihnen vorüberzogen, die versenkten sie, und die, so in den Schiffen schliefen, die ertränkten und zerrissen sie. Nun geschah es, daß ein Herzog aus Noch vor ihnen vorüberfahren mußte, da befahl er, daß man ihn an den Segelbaum binden sollte und seine Ohren ganz und gar verstopfen, und also kam er hin vor die Sirenen mit allen den Seinen, und die Sirenen ertränkte er im Meere.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 218-219.
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