Hundertunddreiundsiebzigstes Capitel.
Von der Last und Bürde dieser Welt und den Freuden des Himmelreichs.

[114] Es begab sich einmal, daß ein König auf eine Messe zog und einen Meister mit seinem Schüler bei sich hatte.[114] Sie erblickten aber acht Päckte, die auf dem Markte zum Verkaufe ausgestellt waren. Der Schüler fragte nun seinen Meister über das erste, für wie viel die Armuth verkauft werde und wie viel Trübsale man um Gottes Willen leiden müsse? Jener aber erwiderte: für das Himmelreich. Der Schüler aber sprach: das ist ein großer Preis. Laß aber das zweite öffnen, damit wir sehen können, was darin ist. Der Meister aber sprach: Sanftmuth, denn selig sind die Sanftmüthigen. Der Schüler aber sprach: diese herrliche und Gottes würdige Sache, die Sanftmuth, wie viel kostet sie? Der Meister erwiderte: man zahlt zum Hohn der Welt kein Gold für sie, noch wird Silber gewogen sie einzutauschen, sondern Erde, denn nur Erde verlange ich für sie. Der Schüler aber sprach: von Indien bis Britannien liegt viel Land, das keine Bebauer hat, nimm Dir so viel Du willst. Der Meister entgegnete: keineswegs. Das ist das Land der Todten, welches seine Einwohner verschlingen, denn auf demselben sterben die Menschen, ich aber begehre Erde der Lebendigen. Der Schüler aber sprach: was kümmert mich, daß sie sterben, auch Du wirst, wenn Du es auch nicht willst, sterben: willst Du denn ewig leben? Siehe, selig sind die Sanftmüthigen, denn dort oben werden sie ein Land haben. Was enthält aber das dritte? Der Meister sprach: Hunger und Durst. Der Schüler fragte: wie theuer kann man sie haben? Der Meister sprach: der Preis heißt Gerechtigkeit. Selig sind die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden satt gemacht werden. Der Schüler versetzte: also wirst Du satt werden, wenn aber keine Gerechtigkeit in Dir ist, wird man Dich nicht achten. Was enthält aber das vierte? Der Meister sprach: Thränen, Weinen, Wehklagen pflegt man nicht zu kaufen, indessen kaufe ich es, weil dieser[115] Preis von dem Heiligen gefordert wird, denn selig sind die Traurigen, weil sie werden getröstet werden. Was enthält aber der fünfte Sack? Der Lehrer erwiderte: eine kostbare Sache, das Erbarmen, von welchem ich glaube, daß es Dir gefallen wird. Daß ich Dich aber nicht aufhalte, ich begehre Erbarmen für Erbarmen, Ewiges für Zeitliches. Der Schüler aber sprach: Du bist kein guter Kenner Deiner Waaren, denn nie wirst Du für Zeitliches Ewiges einhandeln, wenn nicht das Erbarmen für Dich handelt. Dieses wird Dir aber für Deinen Glauben werden, denn selig sind die Mitleidigen, denn auch sie werden Mitleid finden. Allein bereits haben wir Ueberfluß an Armuth, Elend und Drangsalen, packe also das sechste aus, ob es vielleicht etwas Besseres enthält. Der Meister entgegnete: der Sack ist ganz voll, aber diese Waare liebt nicht, wie der Purpur, die Augen der Welt, sondern will im geheimen Kämmerlein gesehen seyn, und da soll über ihren Preis gefeilscht werden. Der Schüler sprach: wir haben es geprüft, was ist aber das hier? Der Lehrer entgegnete: hierin sind enthalten Reinheit des Herzens, Frömmigkeit, Güte, Mitleid, Liebe und Freude im heiligen Geiste, lauter kostbare, goldne und silberne Gefäße. Hier werden kostbare Gewänder ausgelegt, als da sind Lesen, Nachdenken, Predigten, Betrachtungen, Gerichte des Herrn an sich selbst gerecht worden, weit wünschenswerther als Gold und Edelgestein. Der Schüler sprach: wenn man diese bewahrt, wird die Vergeltung groß seyn, fordere also was Du willst. Der Meister entgegnete: Gott zu schauen. Der Schüler versetzte: selig sind die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Packe jetzt auch das siebente aus. Der Meister sprach: Frieden ist darin, und der Schüler versetzte: willst Du mir Deinen Frieden verkaufen? Da[116] sagte der Meister: es kommt meiner Armuth nicht zu, noch paßt es sich für Deine Gerechtigkeit, noch schickt es sich für Deinen Reichthum, daß Du von mir etwas umsonst annimmst, allein durch Deine Gaben habe ich bereits an Allem Ueberfluß, was ist also noch übrig? Ich bin ein Landmann von niedriger Herkunft, aus Koth gemacht und aus einem Erdenklos geformt, ich bin meiner Niedrigkeit überdrüßig und will nicht, daß mir weiter noch gesagt werde: Du bist Erde und wirst wieder Erde seyn, sondern ich wünsche, daß man vielmehr zu mir spricht: Du bist Himmel und wirst in den Himmel eingehen. Ich begehre das Loos der Söhne Gottes zu theilen, ich wünsche ein Kind Gottes zu seyn. Der Schüler sprach: ich habe es gesagt, das gestehe ich und leugne es nicht, selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Kinder Gottes heißen. Wenn Du also die kindliche Liebe bewahrst, wirst Du das Erbe Deines Vaters erhalten. Nun ist aber noch ein Packt übrig, rolle daher auch dieses auf. Der Meister sprach: es ist nichts darin als Trübsal und Verfolgungen um der Gerechtigkeit Willen. Der Schüler: und was forderst Du dafür? Der Meister: das Himmelreich. Der Schüler: ich habe Dir ja schon als Bezahlung oder Preis der Armuth dasselbe zugestanden? Der Meister aber sprach: freilich, aber Monat für Monat, Sabbath für Sabbath vergeht, und Deine Wünsche gehen immer fort, ich will also warten, was Dir in dieser Woche oder Monat noch übrig ist. Der Schüler versetzte: ich bewunderte Deine Klugheit im Handel, höre aber jetzt: ei Du guter und getreuer Knecht, weil Du über Wenig treu gewesen bist, werde ich Dich über Viel setzen, gehe ein zu Deines Herrn Freude.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 114-117.
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