Sechste Erzählung.
([228] Cap. XXXI. b. Û II. p. 370. sq.p. LXXVIII. sq.)

Einst wurde ein Gesetz in Rom gemacht, daß die Wächter der Stadt jede Nacht Acht geben sollten, was in andern Häusern vorgehe, auf daß nicht Mordthaten vorfallen oder andere Dinge geschehen könnten, durch welche die Stadt in Gefahr gebracht werden möchte. Nun begab es sich aber, daß ein alter Ritter, Namens Josias, eine junge und hübsche Frau geheirathet hatte, welche durch die Süßigkeit ihres Gesanges viele Leute in ihr Haus zog, besonders solche, welche kamen ihre Liebe zu gewinnen. Unter diesen waren aber drei junge Männer, die hoch in der Gunst des Kaisers standen. Die wurden nun gegenseitig mit der Frau über eine geheime Unterredung eins, für welche sie zwanzig Mark erhalten sollte. Sie aber theilte diese Sache ihrem Manne mit, beschloß aber das Geld nicht fahren zu lassen und[228] gewann es über ihn, daß er mit ihr übereinkam ihre Liebhaber zu ermorden und ihre Körper zu berauben. Das geschah auch also und die Leichname wurden in einen Keller versteckt. Die Frau aber, eingedenk des neuen Gesetzes, welches eben erst gemacht worden war, schickte nach einem der Wächter, der ihr Bruder war, und gab vor, ihr Mann habe einen Menschen in einem Streite erschlagen, und brachte jenen so weit, daß er für eine Belohnung über den todten Körper weiter verfügte. Um sich nun von dem ersten dieser jungen Leute zu befreien, steckte er ihn in einen Sack und warf ihn ins Meer. Als er aber wieder zu seiner Schwester kam, da that sie, als wolle sie in den Keller gehen um Wein zu holen, und schrie auf einmal nach Hilfe. Wie nun der Stadtwächter zu ihr kam, sagte sie ihm, der todte Mann sey wieder gekommen. Der aber drückte natürlich sein Erstaunen aus, steckte aber doch auch den zweiten Leichnam in einen Sack, band ihm einen Stein um den Hals und warf ihn in die See. Als er aber wieder zurückgekehrt war, so wiederholte die Frau mit einigen Kunstgriffen das nehmliche Spiel. Der ward aber wieder betrogen, nahm auch den dritten Leichnam mit fort, lief in den Wald, machte ein Feuer an und verbrannte ihn. Während dieses Geschäftes mußte er aber zufällig auf die Seite gehen, und in derselben Zeit kam ein Ritter zu Rosse, der auf ein Turnier zog, vorüber, und stieg ab, um sich an dem Feuer zu wärmen. Bei der Rückkehr des Andern aber wurde von diesem der Ritter fälschlich für den todten Mann genommen und unter manchem bittern Worte in das Feuer geschleudert, mit samt seinem Rosse und aller seiner Habe. Der Wächter aber kehrte wieder zu seiner Schwester zurück und empfing den versprochenen Lohn. Nun wurden aber die jungen Männer, welche[229] man vermißte, bald ausgerufen und zurückgeladen, da geriethen der Mann und seine Frau in einen Streit mit einander, und alsbald wurde der Mörder entdeckt.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 228-230.
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