B. Die babylonische Weltschöpfung.

[13] Der Priester Berossus berichtet in seinem Werke über die Geschichte Babylons eine altchaldäische Legende von der Entstehung der Welt:


Es habe eine Zeit gegeben, wo alles Finsternis und Wasser war und wunderbar geartete Lebewesen existierten. Über sie alle habe ein Weib geherrscht mit Namen Omorka, was auf chaldäisch tamat heiße und Meer bedeute. Dann sei Bel gekommen und habe das Weib in der Mitte gespalten und aus ihrer einen Hälfte die Erde, aus der anderen den Himmel gemacht usw.


  • Literatur: (Hugo Winckler, Die babylonische Weltschöpfung, S. 21. Lenormant I, 506–507.)

Mit Berossus stimmt im wesentlichen das babylonische Schöpfungsepos überein. Es beginnt:


Als droben nicht bestand der Himmel,

drunten die Erde noch nicht war;

als Apsu und zugleich ihr mitwaltender Sohn

Mummu (und) Tiamat, die Erzeugerin von ihnen allen,

ihre Wasser in eins vermischten, ... (da entstanden die Götter).


Am Anfang besteht das Chaos, es sind in ihm noch vereint in eins: Apsu und Tiamat, deren Namen Ozean und Meer bedeuten; sie sind vor ihrer Trennung in besondere Wesen das als Wasser vorzustellende Chaos. Beider Sohn ist Mummu, die mit Sinnen begreifbare Welt1, welche aus dem mit menschlichen Sinnen nicht vorstellbaren Chaos entstanden ist. (Winckler S. 23.)

Wenn dann in diesem Schöpfungsepos von vier Weltaltern berichtet wird, so ist bemerkenswert, daß jede der neuen Weltentwicklungsstufen [13] von unten, von dem Wasserreiche ausgeht (Winckler S. 25). Und wie die Urwelt durch die Götterdreiheit dargestellt wurde, so bilden später die drei Gottheiten Anu (Luftreich), Illil oder En-lil (Erdreich) und Ea (Wasserreich) die dritte Welt. Die Ordnung der vierten Welt, unserer Welt, geschieht durch Marduk, den Sohn der Ea.

Als solcher ist er eine dem Mummu parallele Erscheinung. Er ist aus dem Wasserreiche der vorhergehenden Welt geboren, wie jener aus Tiamat. Und wie Mummu eine dem Vater gleichartige Emanation ist, in der jener auch in der neuen Welt noch weiterwirkt, ein Sohn, der als des Vaters Bote gesandt wird, um seinen Willen zu vollziehen, so ist auch Marduk die neue Daseinsform Eas, zugleich der Ausführende dessen, wozu Ea nicht imstande ist. Er kämpft nämlich mit den Göttern des Urchaos, den feindlichen Wassermächten, und verhilft einer neuen Entwicklungsstufe zum Siege. Aus dem Leichnam der Tiamat, den er in zwei Teile spaltet, formt er die neue Welt (vgl. Berossus2 und als Herr (Bei) der Götter richtet er die neue Daseinsordnung ein.

Auch im babylonischen Lehrgedicht verleiht Marduk der aus dem Wasser entstandenen Welt ihre Gestalt und Ordnung, ist also »Demiurg«, Weltbildner. Er fügt ein Rohrgeflecht auf dem Wasser zusammen, Erde macht er, schüttet sie auf das Rohrgeflecht, damit er den Göttern einen Sitz der Behaglichkeit verschaffe. (Winckler S. 20.)

In diesen alten Zeugnissen kommt ein gewisser Dualismus zur Geltung. Das nasse Prinzip ist nichts anderes als das böse Prinzip, die Mächte des Meeres sind die Mächte des finsteren Abgrunds. Wir haben hier also eine Vereinigung jener beiden Motive, die in unseren Sagentypen vorherrschen. Der Demiurg Marduk zeigt sich indes, da er wirklich schöpferisch und gut gesinnt ist, durchaus anders geartet, als die Demiurgen Satanael und Erlik.

Wir wenden uns nach einem anderen Gebiete, das für die Geschichte unserer kosmogonischen Glaubenslehren außerordentlich wichtig ist, einem Lande von gleichfalls ozeanischem Charakter, nach Indien.

Fußnoten

1 Vgl. Damascius, de principiis: »Die Babylonier nehmen nicht einen Ursprung aller Dinge, sondern zwei an: Taute und Apason, indem sie Apason zum Manne der Taute machen, diese aber Mutter der Götter nennen. Ihr einziger Sohn sei Moymis, den ich für das geistig vorstellbare Weltall halte, wie er aus den beiden Elementen entstanden ist.« (Winckler, ebd.)


2 Ebenso schafft Assur, der in der assyr. Schöpfung dem babylon. Marduk entspricht, die Erde auf dem Meer: Lenormant I, 496 f.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 14.
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