E. Die Mandäer.

[22] Wenn wir nunmehr vermuten, daß diese Vereinigung gnostischer und indisch-iranischer Elemente als das wesentliche Merkmal unserer Schöpfungssagen überhaupt zu gelten habe, so dürfen wir erwarten, daß sich in einer Sekte, die jene beiden Elemente enthält, eine vollkommen zutreffende Parallelform jener Sagen auffinden werde. Eine solche Sekte sind die Mandäer, deren Wohnsitz auf altchaldäischem Gebiete liegt, jetzt seit Menschengedenken Monotheisten (Brandt 57), einst aber die Bekenner einer verworrenen Mischung von Polytheismus, Dualismus und Monotheismus. Ihre Kosmogonie ist ausgesprochen dualistisch und ozeanistisch. Sie enthält im wesentlichen dasselbe, was die europäisch-asiatische Tradition berichtet.

Ich zitiere folgende Stellen aus Brandts vortrefflicher Monographie:

Aus dem 6. Traktat des rechten Genzâ (300–600 n. Chr. entstanden):

»Und es stellte das Leben sich auf, ähnlich dem großen Mânâ, von welchem es entstanden war, und bat eine Bitte für sich.« Auf die erste[22] Bitte entstand der Utrâ Mkaimâ, (der aufstellende Utrâ, der Demiurg) den »das Leben« Zweites Leben nannte. Und auch entstanden Utrâs ohne Ende und Zahl (S. 25).

Der Traktat berichtet weiter, daß drei Utrâs des Zweiten Lebens diesem ihrem Vater vorschlagen, eine Welt zu schaffen: Gib uns, sprechen sie, von deinem Glanz und von deinem Licht und von allem, was in dir, daß wir gehen und hinabfahren unter die Wasserbäche und die Wohnsitze hervorrufen und dir eine Welt schaffen. Und die Welt soll uns gehören und dir und wir wollen uns in ihr aufstellen und in ihr sitzen und Utrâs in ihr schaffen. Uns und dir sollen sie gehören. Den Namen des Lebens wollen wir nicht nennen. Und es gefiel ihm, und er sprach, daß es ihnen geraten solle. Als er aber so sprach, gefiel es dem Großen, (d.i. dem ersten Leben) nicht ... Und es bat eine Bitte zu ihm und pries den großen Mânâ ... Und da stand Mânâ ... auf und rief hervor den großen Kbâr ... und sprach zu ihm: Du sei groß gemacht über die Utrâs und sieh, was die Utrâs machen und worüber sie denken und sagen: Wir wollen eine Welt hervorrufen und Wohnsitze schaffen (S. 26) ...

Mandâ d'Hajê schlägt dann die Weltschöpfung vor, das Leben ordnet an, wie es zu machen sei. Gabriêl, der Gesandte, soll mit der Ausführung betraut werden (S. 34).

»Der Zweite« gab seinen Utrâs von seinem Glanz und von seinem Licht und von allem, was das Leben ihm gegeben, und die Söhne des Zweiten stiegen hinab zum finstern Ort, riefen hervor den Ptahil-Utrâ.

Der gute Schöpfungsplan wird mit dem bösen nun dahin kombiniert, daß Ptahil nach dem Willen und mit Hilfe der höchsten Mächte das Werk unternimmt. Zunächst freilich will dem Ptahil gleich die erste Aufgabe, die er auf den Wunsch der Söhne des Zweiten unternimmt, nämlich die Verdichtnng des trüben Wassers1 zu einer festen Erde, nicht gelingen.

Sie gerät ihm erst, nachdem er gesprochen: Ich will mich zu dem Leben stellen und anbeten und mich dem Großen unterwerfen, daß ich nehme von dem Kleid lebenden Feuers und es schleudere in das trübe Wasser.

Sobald er dies geholt hat und damit in das trübe Wasser zurückgekehrt ist, steigt durch den Duft desselben Staub von Siniâvis empor und fällt als Verdichtungsmittel auf das Wasser (S. 35 und 50).

Es ist klar, daß diese Erzählung durchaus unseren Schöpfungssagen entspricht, insbesondere in einem Punkte, der uns bisher nirgends als Parallele begegnet war: der Demiurg Ptahil vermag die Erde nicht zu[23] schaffen, ohne sich zu Gott zu bekennen. Der vergebliche Versuch Satanaels und Erliks und die zuletzt doch nötige Anrufung des Namens Gottes besagen genau dasselbe. Indessen ist bei der Bedeutungslosigkeit der Mandäer die Annahme ausgeschlossen, daß ihre Kosmogonie den Anstoß zu einer kräftigen Sagenentwicklung gegeben habe und daß sie als Grundlage der europäisch-asiatischen Sagen anzusehen sei. Auch gibt es bei den Mandäern nicht jene Fülle von Einzelheiten, die wir anderswo finden und die wir als iranisch-indisch und zuletzt als armenisch-marcionitisch erkannten. Wir können nur so viel sagen:

Es liegt eine iranisch-gnostische Sage vor, die sowohl zu den Mandäern2 als auch zu asiatischen und europäischen Völkern gelangt ist. Wem also konnte die Verbreitung solcher Sagen zufallen?

Fußnoten

1 Vgl. oben den Milchschaum des kosmischen Meeres.


2 »Augenscheinlich ist die Verwandtschaft der gnostischen und mandäischen Vorstellungen in Ansehung der Weltschöpfung. Die Weltschöpfung durch Ptahil, eine Kreatur des von dem ersten abtrünnigen Zweiten Lebens, stimmt der Grundanschauung nach zu der Aufstellung, welche Irenaeus c. omn. haer. I, 29, 4 den Barbelognostikern zuschreibt:

Der erste Engel des Μονογένης habe die Σοφία oder Προύνεικος aus sich hervorgehen lassen und diese durch ihre Begierde sich von den obern zu den untern Regionen hinreißen lassen, wo sie den Weltschöpfer erzeugte, in quo erat ignorantia et audacia. (Brandt S. 88.)

Auf den Iran weist schon der Umstand, daß die mandäische Religion in der Grundanschauung des Gegensatzes von Licht und Finsternis, der identisch ist mit dem von Gut und Böse, mit der persischen übereinstimmt.« (Brandt S. 194.)


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 24.
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