5. Verschiedene Sagen.

[256] a) Seit wann leben Hunde, Katzen und Mäuse bei den Menschen?


Als Kajin seinen Bruder Hebel erschlagen hatte, bekämpften die Söhne Hebels die des Kajin, und die einen erschlugen die andern. Die Söhne Kajins errangen jedoch den Sieg über die Hebels, demütigten sie, machten sie zu Gefangenen, führten neben andrer Beute ihre Herden hinweg, Schafe, Rinder, Kamele, Esel, Pferde und Maultiere, und bereicherten sich auf diese ungerechte Weise. Von ihrem Reichtum legten sie dadurch öffentliches Zeugnis ab, daß sie ein großes Gastmahl, einen üppigen Schmaus anrichteten, zu welchem sie viel Vieh schlachteten. Es schien ihnen jedoch verächtlich, auch das Eingeweide zu verwenden, sie warfen daher Köpfe, Kniestücke und Inneres auf die Straße, brachten da dies alles in fast zwei Ellen hohe Haufen. Als dies die Hunde, Katzen und Mäuse erblickten, fühlten sie sich durch ihre Gefräßigkeit bewogen, die Kinder ihrer Gattung zu verlassen und in Aussicht auf so reichliche Nahrung zu einer Gesellschaft zu ziehen, die sie nicht kannten. Sie neigten, bückten[256] sich vor ihnen und sprachen: Wir wollen eure Sklaven sein. Da sie darein willigten, die trockenen Knochen zu benagen und alles das zu verzehren, wovor Menschen Abscheu empfinden, bemächtigten sich diese ihrer und behandeln sie noch heutzutage als Knechte. Weil sie sich aber anfangs freiwillig und später nur gezwungen zu den Menschen gesellten, darum geht nur ein Teil von ihnen frei umher, während ein anderer Teil Banden trägt (angebunden ist).


  • Literatur: Kalonymos S. 72.

b) Entstehung der weißen Rasse.


Alle Weißen stammen von Kain ab. Die Menschen waren früher schwarz, aber als der Herr Kain fragte, wo Abel sei, wurde er weiß vor Schrecken und blieb so.


  • Literatur: Aus Chestertown. Bergen, Animal and Plant Lore S. 80 (1899). Vgl. Gr. A. Wislicenus, Die Bibel im Lichte der Bildung unserer Zeit S. 13 (1853).

Diese Negersage ist ein interessantes Gegenstück zu der Sage der Weißen, daß die schwarze Rasse von Harn abstamme (s. unten, S. 290).


c) Entstehung der Wespen.


Eine Urenkelin Kains hatte viele Kinder, mit denen sie in Zank lebte. Einst geriet sie in Streit mit ihrem jüngsten Sohn, der sie schließlich biß und ihr das Blut aussog, so daß die Alte sterben mußte. Sterbend verfluchte sie ihn und sein Geschlecht: sie sollten zu Wespen werden, unter den Menschen keine Stätte finden, sondern in Baumhöhlen leben und einen giftigen Stachel bekommen.


  • Literatur: Rumänisch. Marianu, Insectele S. 219. Vgl. hierzu die Sage, daß Judas seine Mutter biß [in meinen »Neutestamentl. Sagen«]. Ist beides etwa Verchristlichung einer heidnischen Mythe?
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 256-257.
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