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[225] 1. Aus Frankreich (?)
Als Jesus auf dem Kalvarienberge mit dem Tode rang, sah eine Spinne seine Glieder mit Fliegen bedeckt, erbarmte sich seiner Qualen und ging daran, ein Netz um seine schmerzenden Füße zu ziehen. Nach dieser guten Tat zieht sich die mitleidige Spinne an das Ende eines Fadens zurück. Aber wie sie sich entfernt, zeichnet sich plötzlich der Schatten des Kreuzes auf ihrem Körper ab, so weiß wie eine Lilie, und die Gartenspinne hat ein solches immer behalten.
2. Grusinische Legende.
Um die Leiden Christi zu erhöhen, raubte ihm die Spinne die Möglichkeit zu sprechen: sie kroch hin und spann ihm den Mund zu, so daß der Heiland während der Zeit, da er am Kreuze litt, nicht reden konnte und schwieg. Darum liebt das Volk die Spinne ebensowenig wie die anderen Insekten, und wo man sie erblickt, wird sie unbedingt getötet.
Aus Frankreich (Morbihan).
Die Bienen sind aus den Tränen des Heilandes entstanden, die er am Kreuze vergoß; nicht eine fiel zur Erde, sondern alle flogen davon, um im Namen des Herrn den Menschen Süßigkeit zu bringen.
Man sagt, daß eine besondere Art des Meloe (= Maiwurm, Ölkäfer) eine Art roter Flüssigkeit aussondert, wenn man auf ihn speit. Die Kinder richten dabei[225] an ihn eine große Anzahl von Verschen (formulettes). In Castelnaudary erklärt man diese Besonderheit, indem man sagt, er hätte sich mit den Blutstropfen, die vom Kreuze herunterflossen, vollgesoffen. Die Kinder dieser Provinz bedecken das Insekt mit Speichel, bis es seinen roten Tropfen hergibt, und sagen: »Gib das Blut unsres Heilands heraus, oder ich töte dich!« (Auch mit der Anrede »Johanniskäfer«:
Escarbat de Sant Jan
De nostre Segne rand le sang
Ou te tui, biell mayssant.)
Auf heidnische Grundlage dieses Brauches weist der Umstand, daß der Käfer auf der Insel Mors ›des Teufels Reitpferd‹ (fannens riiheijst) genannt wird; hier ist der Teufel doch wohl an Stelle eines heidnischen Wesens (Donar?) getreten. Vgl. Grimm, Myth.4 860. Im Tal von Rimella heißt ein schwarzes Käferchen ›des Bösen Mutter‹ (Albr. Schott S. 334). Siehe auch Natursagen 1, 199.
Als unser Herr am Kreuze hing, kam langsam der Kornwurm gekrochen, um auch sein Mitleid zu bezeigen. Und das harte Schicksal des armen Heilandes tat ihm wirklich leid, und er hielt lange aus unter dem Kreuze. Zuletzt sprach ihn der Herr an und sagte: »Du möchtest wohl eine Gnade erbitten für dich und deinesgleichen, lieber Wurm?« worauf dieser es bejahte, da ihm viel daran gelegen war. Der Herr aber sagte: »Ich kann das Korn der Menschen, das eine Gabe Gottes ist, nicht deiner Gefräßigkeit übergeben, aber wir machen es so: das Korn, das am Fest des hl. Kreuzes bearbeitet wird, soll dir zur Beute werden, und der Mensch soll kein Körnchen davon genießen.« – Seitdem kommen in das Korn, das am Kreuzesfeste geschnitten, umgewendet oder geerntet wird, stets die Würmer, damit die Drohung des Heilandes sich erfülle. – (Viele Malteser sehen streng darauf, daß am genannten Tage weder gekocht, gefegt, noch irgendeine Ar beit verrichtet wird. Die Frauen kämmen ihr Haar nicht, sondern besorgen es den vorhergehenden Abend. »Ein Mann wollte unbeachtet der Tradition am genannten Tage Artischoken säen, und sogleich kamen die Würmer und und fraßen die Saat.«)
Die Frösche haben die Schwänze, die sie früher hatten, deshalb verloren, weil sie beim Tode des Heilands fortfuhren zu quaken.
a) Die Fische haben deswegen kaltes Blut und werden auch von vielen Leuten lebendig aufgeschnitten, weil sie bei dem Tode des Herrn im Wasser lustig schnalzten.
b) Nahe bei Christi Kreuz war ein Teich. Als der Heiland starb, streckten die Fische alle ihre Köpfe heraus. Ein Fisch, der dem Kreuze am nächsten war, weinte blutige Tränen. Daher stammen die roten Augen des Fisches Rotauge.
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