IV. Der Kuckuck.

[101] 1. Weißrussisch.


Ein Mädchen, das den lieben Gott erschrecken will, versteckt sich unter eine Brücke und ruft: »Kuckuck!« Gott sagt: »So sollst du auch bis ans Ende der Welt Kuckuck rufen!« und verwandelt sie.


  • Literatur: Federowski, Lud białorusski 1, Nr. 631.

2. Aus dem Uschitzer Kreis.


Der Kuckuck und die Möwe sind aus Mädchen entstanden. Zwei Mädchen dachten den Heiland zu erschrecken, der Heiland aber sagte, die eine solle Kuckuck rufen, die andere aber wie die Möwe schreien bis ans Ende der Welt.


  • Literatur: Čubinskij, Trudy 1, S. 60.

3. Aus Galizien (Rutenisch).


a) Es lebte ein Mädchen, wie es ihresgleichen nicht gab. Sie ging einmal in den Wald und kletterte auf einen Baum; da kam der liebe Gott durch den Wald.[101] Und als das Mädchen ihn erblickte, verbarg sie sich im Gebüsch und rief: »Guck! Guck!« Und Gott sagte: »Du sollst Kuckuck schreien bis ans Ende der Welt!«


  • Literatur: Zbirnyk 13, Nr. 305.

b) Ein junges Mädchen versteckte sich hinter den Rauchfang, lachte die Mutter aus und rief: »Guck! Guck! Mutter!« Die Mutter wurde böse und verwünschte es mit den Worten: »Du sollst Kuckuck schreien bis ans Ende der Welt.«


  • Literatur: Zbirnyk 13, Nr. 304 = Soria 1883, S. 200.

4. Polnisch.


a) Eines Tages traten Christus und Petrus in eine Hütte, um auszuruhen. Ein dreijähriges Mädchen erblickte die Reisenden, stieg auf den Ofen und begann zu rufen: »Kuckuck! Kuckuck!« Sogleich flog sie in den nahen Wald und rief Kuckuck. Von diesem Mädchen stammen alle Kuckucke ab, und zum Andenken daran, daß sie von einer reinen Magd stammen, brüten sie die Eier nicht selbst aus, sondern legen sie in die Nester anderer Vögel.


b) Eine Variante erzählt von einem erwachsenen Mädchen, das den vorbeigehenden Jesus erschrecken wollte und Kuckuck rief. Jesus sagte darauf: »In den Wald, Kuckuck, in den Wald!«


  • Literatur: Zbiór 7, Abt. 3, S. 112, Nr. 17.

5. Eine andere Handlung zeigt folgende schwe dische Sage:


Der Heiland und St. Peter auf der Wanderung, langten an einem Bauernhofe an. Der Bauer war zu Hause, doch keine Frau war zu sehen. »Wo hast du die Frau?« sagte der Heiland. Der Bauer antwortete störrisch: »Hon gick ut!« (sie ging aus). Er hatte sie totgeschlagen und den Leichnam unter einem Heuschober verborgen. Der Heiland sah die Bosheit und verwandelte ihn in einen Kuckuck, der noch immer sein mörderisches Wesen behält, er verwandelt sich nämlich in einen Sperber, der gleich die kleine Bachstelze, die seine Pflegemutter war und ihn erzog, erhascht. Auch sagt man, wenn jemand den Kuckuck nachahmt, wird er so böse, daß er sein eignes Herzensblut ausspeit, daher die roten Flecken auf Blättern und Blumen. Aber immer ruft er: »Hon gick ut!« bis die Heumaht anfängt; wenn er den ersten Heuschober sieht, schweigt er; er fürchtet, daß man seine Mordtat entdecke.


  • Literatur: Cavallius, Wärend 1, 345.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 101-102.
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