II. Ursprung und Aussehen des Felles, der Stacheln, der Schale und der Schuppenhaut.

[7] A. Über den Ursprung des Felles des Hundes siehe Natursagen 1, 98 ff., der Katze 1, 157, des Wolfes 1, 151 f.

B. Die Sagen vom Ursprung des Stachelkleides haben alle das gemeinsam, daß spitze Gegenstände auf der Tierhaut zu Stacheln werden.

In Zentral-Australien heißt es, daß die Echidna (Totem-Tier) zur Strafe für einen Frevel von vielen Speeren getroffen wurde; und diese verwandelten sich in Stacheln, die sie noch jetzt hat.


  • Literatur: Strehlow, Die Aranda- und Loritja-Stämme 1, 4. 67.

Das Stachelschwein gilt in arabischen Sagen entweder als verwandelter Betrüger, der einen geborgten Kamm nicht zurückgab und dem die Zähne des Kammes durch die Haut drangen (Rev. des trad. pop. 4, 577), oder als verwandelte Frau, die am Feiertage Reisig sammelte und nun das Reisig als Stacheln mit sich herumschleppt (Stumme, Märchen der Schluh von Tázerwalt S. 194); auch sollen Davids Waffenschmiede, indem ihr Haar und Bart sich in Pfeile verwandelte, zu Stachelschweinen geworden sein (La Tradition 20, 177). Vom Igel heißt es in Estland, daß sein Stachelpelz aus Tannennadeln1 entstanden sei, mit denen Kalewi poeg ihn überschüttete[7] (Wiedemann, Leben der Esten S. 421 = Natursagen 1, 128). Zumeist erhält er dessen rauhen Pelz. Aus dem 12. Gesänge des estnischen Epos von Kalewi poeg (vgl. Naturs. 1, ebd.) stammen folgende mündliche Überlieferungen, die in dem handschriftlichen Nachlasse von J. Hurt aufbewahrt sind.


Aus Estland.


a) Es war einmal ein Hirte. Er faßte einmal zum Spaß einen Ochsen an den Hörnern und warf ihn über einen Fluß. Da sah er, daß er ein Athlet war, und suchte einen Gegner.

Mitten in einem großen Walde kam er zu einem Häuschen. Eine Frau trat heraus und sagte, sie habe einen Sohn, der mit ihm ringen würde. Er werde in der Nacht nach Hause kommen. Am Abend sah er, wie zwei Söhne nach Hause kamen und ein jeder einen Ochsen auf dem Rücken trug. Die beiden verzehrten einen ganzen Ochsen, und ein jeder aß dazu ein ganzes Brot. Dem Hirten wurde es bange vor diesen Männern. In der Nacht entfloh der Hirte. Einer von den Männern verfolgte ihn. Es waren Zauberer. Beim Peipussee begegnete dem Hirten Kalewi poeg, welchen er um Hilfe bat. Bald gelangte auch der Zauberer dahin, und es entbrannte ein heißer Kampf zwischen diesem und Kalewi poeg. Kalewi poeg nahm ein gesägtes Brett und schlug damit nach dem Zauberer. Das Brett zerbrach. Er schlug mit den Stücken des Brettes, bis nichts mehr übrig blieb. Da rief eine Stimme vom Ufer des Flusses: »Kalewi poeg, Kalewi poeg, nimm eine Schicht von einigen Latten und schlag mit der Kante.« Als Kalewi poeg das tat, blieb vom Zauberer nichts anderes übrig als ein gelbes Pulver. Als der Kampf vorüber war, fragte Kalewi poeg: »Wer war es, der mich so gut lehrte?« Eine Stimme rief unten vom Ufer: »Ich!« – »So komm doch her,« sagte Kalewi poeg. »Ich kann nicht,« war die Antwort, »denn ich bin nackt.« Kalewi poeg schnitt einen Zipfel von seinem Rockschoß (siil) ab und warf es dem Tiere hin. Da trat das Tier zu Kalewi poeg. Es war der Igel (siil), welcher früher nackt war, aber jetzt mit Kalewi poegs rauhem Rockschoß bekleidet blieb. Von diesem Rockschoß, der im Estnischen »siil« heißt, erhielt der Igel, der ebenfalls »siil« heißt, seinen Namen.


  • Literatur: (Aus. Fellin.)

b) Variante.


Unterschiede: Der Hirte warf ein Kalb über den Fluß. Die beiden Söhne der Zauberin trugen der eine einen lebendigen Ochsen an den Hörnern gefaßt auf dem Rücken, der andre eine Fichte am Wipfel gefaßt hinter sich ziehend.

Dem Hirten wird auch Essen angeboten. Er kann nur ein halbes Laib Brot essen. Die Zauberer wundern sich darüber. Ein Athlet würde mehr essen.

Dem Hirten begegnet Kalewi poeg am Peipussee mit einem Bretterfuder. Kalewi poeg steckt den Hirten in seine Hosentasche.

Kalewi poeg zerschlägt fast alle Bretter, weil er mit jedem mit der flachen Seite schlägt. Die Stimme kommt unter einem Rasenhügel hervor: »Sirweti! Sirweti!« = »mit der Kante! mit der Kante!«

Kalewi poeg reißt den Zipfel seines Mantels ab. Damit bekleidet kommt der Igel. Der Pelz wird auf dem Rücken des Igels stachelig, er dient zu seiner Wehr.


  • Literatur: (Aus Fellin.)

[8] c) Ein Mann hatte einmal ein Kalb am Schwänze erfaßt und über den Zaun geworfen. Seitdem hielt er sich für einen Athleten. Er ging in die Welt hinaus, um einen Gegner zu suchen, der mit ihm kämpfen könnte. In einem Häuschen hinterm Peipussee kehrte er bei einer alten Frau ein. Sie nötigte ihn zu bleiben, bis ihre beiden Söhne nach Hause kämen, um mit ihm zu kämpfen. Er streckte sich auf einer Bank aus. Bevor er einschlief, kamen die Söhne. Die Alte setzte ihnen 12 Laib Brot vor, holte aus dem Ofen eine Pferdehaut voll Grütze, – was alles von den beiden Söhnen verspeist wurde. Dann streckten sich die beiden auf dieselbe Bank aus, der eine am einen, der andere am anderen Ende der Bank, der Abenteurer in der Mitte. Wenn der eine atmete, wurde der Mann wie von einem heftigen Winde an das andere Ende der Bank gegen den dort Schlafenden geschleudert. Atmete dieser, so wurde er wieder zurückgeblasen. Endlich gelang es ihm, zu entfliehen. Sie verfolgten ihn. Am Peipussee holten sie ihn ein. Da begegnete dem Fliehenden Kalewi poeg mit 700 Brettern auf der Schulter. Kalewi poeg versteckte den Mann in seiner Hose und nahm den Kampf mit den beiden auf. Er schlug mit seinen Brettern, bis eins nach dem andern zersplitterte. Da rief der Igel aus dem Busch: »Schlag mit der Kante!« Jetzt waren die Gegner bald besiegt.

Dem Igel aber gab Kalewi poeg für den guten Rat ein Stück aus seinem Pelz. Bis dahin hatte der Igel immer im Busch gesessen und gefroren. Von nun an behielt er seinen Stachelpelz.


  • Literatur: (Aus St. Marien-Magdalenen bei Dorpat.)

d) Der Kalewi poeg war einst mit bösen Geistern in Kampf geraten. Da er nichts anderes zur Hand hatte als ein Bund Bretter auf dem Rücken, – so nahm er ein Brett nach dem anderen und schlug damit auf seine Feinde los. Schon hatte er alle Bretter, bis auf eines, in Splitter geschlagen, – da rief der Igel aus dem Busch: »Sik, sik, sik, schlag mit der Kante!« Gleich kehrte Kalewi poeg das Brett mit der Kante gegen die Gegner und schlug sie bald alle in die Flucht. – In dankbarer Freude riß Kalewi poeg ein Stück aus seinem Pelz heraus und gab es dem Igel. Früher war der Igel nackend, aber nun hat er seinen stacheligen Pelz.


  • Literatur: (Aus Roel).

C. Ursprung und Aussehen der Schildkrötenschale.

1. Aus Brasilien.


a) Ein Jäger, der hinter einem Baum auf Rotwild wartete, hörte ein Geräusch hinter sich. Er sah sich um und gewahrte eine Schildkröte in der Nähe, die eine große, weiße Schale auf dem Rücken hatte. Als er näher hinsah, bemerkte er, daß es der Schädel eines Jaguars war. Der Jaguar hatte sich auf die Schildkröte gestürzt und sich in ihren Rücken festgebissen; da waren seine Zähne aber nicht wieder herausgegangen, und als er dann gestorben war, ging die Schildkröte schließlich mit seinem Schädel umher. Und seitdem trägt die Schildkröte des Jaguars Schädel auf dem Rücken.


  • Literatur: Herbert Smith, Brazil, the Amazons and the Coast p. 543.

b) Es gab einmal drei Festtage im Himmel. Alle Tiere waren da. Aber in den beiden ersten Tagen konnte die Schildkröte nicht dabei sein, weil sie sehr langsam vorwärts kam. Als die andern schon weggehen wollten, war sie noch auf halbem Wege. Am letzten Tage bot sich ein Reiher an, sie auf seinen Schultern zu tragen. Sie flog mit ihm auf. Aber der böse Vogel ließ sie aus den Lüften hinabfallen, und sie zerschmetterte. Gott hatte indes Mitleid mit ihr, setzte die[9] kleinen Stücke zusammen und gab ihr das Leben wieder, zur Belohnung, weil sie so gern in den Himmel kommen wollte. Darum hat die Schildkröte eine mosaikähnliche Schale. (Sage der Brasilneger.)


  • Literatur: R. Basset, Contes d'Afrique p. 433 = Roméro, Contos populäres do Brazil (1885) p. 143. – Variante, auf die Jungfrau Maria übertragen, s. Bd. 2. S. 262.

2. Von der Gazelleninsel.


Eines Tages gingen die Känguruhs aufs Riff, um zu fischen. Als die Flut eintrat, gingen die meisten ans Ufer zurück; nur eines hüpfte von Stein zu Stein und rief den heranschwimmenden Fischen Spottreden zu. Darüber beachtete es nicht, daß das Wasser immer höher stieg und daß es endlich, überall vom Meere umgeben, auf einem vereinsamten Felsblocke weit vom Strande zurückgeblieben war. Jetzt fing es an zu lamentieren und flehte die Fische an, es an den Strand zutragen. Aber die Fische sagten: »Vorher hast du uns verspottet und beschimpft; jetzt sieh zu, wie du ohne uns ans Land kommst.« Glücklicherweise kam die Schildkröte des Weges daher und ließ sich von den Bitten des Känguruhs rühren. Dieses setzte sich auf den breiten Rücken der Schildkröte und schlang seine Vorderbeine um ihren Hals, um einen bessern Halt zu haben. Die Schildkröte schwamm nun dem Strande zu, aber unterwegs zernagte das Känguruh den Panzer der Retterin, wo derselbe zwischen Kopf und Rumpf den Hals bedeckte. Als die Schildkröte dies bemerkte, fing sie ihrerseits an, die Vorderbeine des Känguruhs zu benagen, so daß sie kürzer und kürzer wurden. Am Strande angekommen, sprang das Känguruh von dem Rücken der Schildkröte hinunter und rief ihr zu: »Schau doch nur deinen Hals! Wie runzlig und unschön ist er geworden!« Die Schildkröte antwortete: »Schau doch deine Vorderbeine an! Wie kurz sie geworden sind!« Seit jener Zeit hat die Schildkröte keinen Panzer zwischen Kopf und Rumpf und zieht den Kopf zurück, um dies zu verbergen; die Känguruhs haben seit dieser Zeit kurze Vorderbeine.


  • Literatur: Parkinson, Dreißig Jahre in der Südsee S. 690.

D. Ursprung der Schuppen des Alligators.

Aus British Guiana.


Die Sonne kam einst herab, um zu fischen. Wie es die Indianer tun, baute sie einen Damm, um die Beute zurückzuhalten. Aber in ihrer Abwesenheit durchbrachen die Ottern den Damm, und die Fische entkamen. Da baute die Sonne ihn von neuem und setzte den Specht zum Wächter. Eines Tages klopfte der Specht laut, und die Sonne kam, um zu sehen, was es gäbe. Diesmal war ein Alligator dabei dem Damme zu schaden. Da trieb die Sonne ihn fort, indem sie ihn immer wieder mit einer großen Keule schlug. So entstanden diese Flecken, die wir für Schuppen halten und die man noch jetzt am Alligator sehen kann.


  • Literatur: Im Thurn, Among the Ind. of Guiana S. 381.

Fußnoten

1 Eine analoge Vorstellung von den Fischgräten findet sich bei den Tlingit (Indianern).

Der Rabe flog mit Sonne, Mond und Tageslicht in der Kiste zu den Menschen, welche im Dunkeln fischten, und sprach: »O gebt mir etwas Fisch!« Die Menschen aber verspotteten und verlachten ihn. Da sprach er: »O habt Erbarmen mit mir! Gebt mir etwas Fisch, dann gebe ich euch auch das Tageslicht.« Da lachten die Menschen und sagten: »Du kannst ja doch kein Tageslicht machen. Wir kennen dich, Rabe! Du Lügnet!« Er bat nochmals um etwas Fisch, und als sie es ihm wieder abschlugen, hob er einen Flügel etwas auf und ließ den Mond hervorschauen. Da glaubten ihm die Menschen und gaben ihm etwas Hering, der damals noch keine Gräten hatte. Der Rabe aber war böse geworden, weil die Menschen ihm nicht geglaubt hatten. Deshalb steckte er den Fisch voll Fichtennadeln, und seitdem haben die Heringe Gräten. (Boas, Indianische Sagen S. 313.)


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 10.
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