III. Der Geruch.

[233] 1. Sage von der Goldküste.


Es gab eine Gottheit, die sich mit wohlriechenden Salben einzureiben pflegte. Als der Bock das bemerkte, näherte er sich ihr, um ebenfalls gut zu riechen. Sie willigte scheinbar ein, aber statt des Parfüms gab sie ihm eine Büchse mit übelriechender Salbe. Er rieb sich damit ein, und das ist der Ursprung seines schlechten Geruches.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 2, 492.

2. Sage der Voodoo (Nordamerika).


Das Stinktier war der jüngere Bruder der Panterkatze. Schon vom Tage seiner Geburt an brachte es Schande über seine Familie, denn es war feige, falsch und und diebisch. Es dachte mehr daran, Nester ihrer Eier zu berauben, als sich ebenbürtige Beute zu suchen. Es fing Feldmäuse, Heuschrecken und sonstige Insekten. Maulwürfe und Eichhörnchen verachteten es und fürchteten sich nicht vor ihm. War es in sicherem Versteck, so beleidigte und beschimpfte es jedes vorübergehende Tier; selbst dem grauen Wolf verweigerte es den Respekt.

Da diesem Betragen Einhalt getan werden mußte, so rief einst der graue Wolf die Tiere zusammen, um auf Mittel und Wege zu sinnen, wie das Stinktier unschädlich gemacht werden könne. »Töte es!« riefen alle, nur die Panterkatze und der schwarze Wolf nicht; denn jene wollte ihren Bruder nicht verurteilen, und der Wolf hatte seinen eigenen Plan, über den er sich nicht öffentlich ausließ.

Als nun der graue Wolf das Stinktier vernichten wollte, warf sich dieses reuig vor ihm auf die Erde und bat ihn so lange inbrünstig, sein Leben zu schonen, bis er Gnade für Recht ergehen ließ und es mit Verachtung strafte. Doch spaltete er seine Klauen, kürzte seine Zähne ab und ließ es durch seine Zauberkunst so zusammenschrumpfen, daß es nicht größer als ein Eichhörnchen war.

Nach einer Weile kehrte der schwarze Wolf zu ihm zurück und sprach: »Lasse[233] den Mut nicht sinken, denn ich werde dir ein Mittel geben, das selbst den grauen Wolf zur Verzweiflung bringt.«

Das Stinktier richtete den Kopf in die Höhe und fragte: »Was kannst du für mich tun? Meine Kraft ist dahin, meine Klauen sind wie Gras und meine Zähne wie Weidenzweige.«

»Gib acht«, erwiderte der schwarze Wolf. Dann nahm er ein Ei aus einem verlassenen Vogelnest und tat hinein den Schweiß seines Körpers, den Atem eines Aasgeiers, den Wind, der über ein mit Leichen bedecktes Schlachtfeld geweht hatte, und ein wenig Wasser aus einem grünen Pfuhle. Alle diese Dinge rührte er in dem Ei durcheinander, gab es dem Stinktier und sprach: »Führe dies stets bei dir, und du wirst alle deine Widersacher besiegen.«

Das Stinktier nahm dieses Geschenk dankend an und versuchte auch gleich seine Wirkung an seinem Wohltäter. Der lief fort, so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Seit dieser Zeit ist das Stinktier der Schrecken aller Tiere geworden.


  • Literatur: K. Knortz, Was heißt Volkskunde? S. 184 ff. = M.A. Owen, Voodoo Tales. New York 1893.

3. Sage der Cherokee.


Der Nerz war ein so großer Dieb, daß die Tiere darüber Rat hielten. Es wurde beschlossen, ihn zu verbrennen. Sie fingen ihn, zündeten ein großes Feuer an und warfen ihn hinein. Wie die Flamme aufstieg und sie das gebratene Fleisch rochen, dachten sie, er sei wohl genügend bestraft und würde sich voraussichtlich bessern. So nahmen sie ihn denn wieder heraus. Aber der Nerz war schon schwarz gebrannt und ist seitdem schwarz geblieben, und sobald er angegriffen wird, riecht er wieder wie gebratenes Fleisch.

Die Strafe hat nichts genützt: er ist noch jetzt genau so ein Dieb wie früher.


  • Literatur: Mooney, Myths of the Cherokee, S. 277.
Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 233-234.
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