15. Kapitel.

Feindschaft und Freundschaft unter den Tieren.

[324] 1. Aus Ungarn.


a) Einmal machten sich der Hund und der Hase zusammen auf die Wanderschaft. Einstmals langten sie bei einem großen Feuer an, und sie sprachen davon, wer wohl besser hinüberspringen könnte. Der Hase sprang glücklich hinüber. Der Hund jedoch glitt irgendwie aus, und die Haare brannten ihm von den Sohlen ab. Da wurde er sehr böse auf den Hasen, denn der hat Haare auf seinen Sohlen. Und seitdem jagt er ihn immer, wo er ihn nur erblickt.


  • Literatur: Magyar Nyelvör 27, 288.

b) Zur Zeit, als die Tiere noch alle gut Freund mit einander waren, versammelten sie sich einmal, um zu spielen: der Hase und der Hund spielten zusammen. Damals war die Fußsohle des Hundes gerade so behaart wie die des Hasen. Beim Spiel stieß der Hase den Hund ins Feuer, so daß die Haare unter dem Fuß vollkommen verbrannten. Da wurde der Hund auf den Hasen böse, und seit der Zeit macht er immer Jagd auf ihn.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 7, 480 = Kálmány, Széged Népe 3, 170.

c) Als der Hund und der Hase auf die Wanderschaft gingen, war es sehr kalt. Da sagte der Hase, es wäre gut, ein Feuer anzuzünden, denn ihn fröre. Da zündeten sie also ein Feuer an; der Hund legte sich dort neben das Feuer; dann wollte er den Hasen nicht hin ans Feuer lassen. Da wurde der Hase zornig, stieß ihn hinein. Der Hund sprang heraus, packte des Hasen Schwanz. Doch des Hasen Schwanz brach ab; nur ein kleines Stück blieb dran. Seitdem ist der Schwanz des Hasen kurz, und seitdem ist der Hund dem Hasen gram.


  • Literatur: Kálmány, Széged Népe 3, 171.

2. Negermärchen aus Nordamerika.


Es ist schon lange her, da mußte der Hase einmal zur Stadt gehen, um etwas für seine Familie zu besorgen, und er schämte sich sehr, weil seine Schuhe ganz zerrissen waren. Es half aber nichts, er mußte ohne Schuhe gehen, versuchte ein vergnügtes Gesicht aufzusetzen, nahm einen Spazierstock und machte sich auf den Weg.

Als er nun so die Landstraße entlang ging, kam er an ein verlassenes Lagerfeuer und setzte sich daran, um sich die Füße zu wärmen, denn der Morgen war kalt. Er sah betrübt auf seine Zehen herab und tat sich selber von Herzen leid.

[324] Es dauerte nicht lange, so kam etwas die Straße herauf getrottet, und als er aufsah, lief ein Hund heran, der schnüffelte und roch um das Lagerfeuer herum, um zu sehen, ob jemand etwas zu essen dagelassen hätte. Er hatte seine allerbesten Sonntagskleider an, und dazu sogar zwei Paar funkelnagelneue Schuhe. Als der Hase nun die Schuhe sah, wurde ihm ganz traurig zumute, aber er ließ sich nichts merken. Er verbeugte sich sehr höflich vor dem Hund, und dieser verbeugte sich ebenfalls, und dann fragte er ihn, wie es ihm ginge, denn sie waren alte Bekannte. Der Hase fragte: »Bruder Hund, wo gehst du hin, so schön angezogen?« »Ich gehe in die Stadt, Bruder Hase, und wo gehst du hin?« »Ich wollte auch in die Stadt gehen, um mir zwei Paar neue Schuhe zu kaufen, denn die meinigen sind ganz zerrissen, daß ich sie nicht mehr tragen kann. Du hast sehr schöne Schuhe, woher hast du die denn?« »Aus der Stadt, Bruder Hase, aus der Stadt.« »Sie passen dir vorzüglich; würdest du wohl so gut sein und mich einmal einen anprobieren lassen?« Der Hase fragte so höflich, daß der Hund sich gleich auf die Erde setzte, einen Hinterschuh abnahm und ihm den Hasen gab. Der zog ihn an und lief damit eine kleine Strecke, dann kam er wieder und sagte zum Hund, daß er wohl ganz gut passe, aber so ein einzelner Schuh mache ihn ganz schief laufen. Da zog denn der Hund noch den anderen Hinterschuh aus, und der Hase probierte ihn auch an und lief noch ein Stück. Dann kam er wieder und sagte: »Sie sind sehr schön, Bruder Hund, aber es ist mir so komisch, sie nur hinten zu haben, und ich weiß nicht recht, wie sie alle vier zusammenpassen werden.« Da wollte der Hund recht höflich sein und zog auch die Vorderschuhe aus, und der Hase zog sie au und sagte: »Na ja, nun merkt man, daß man Schuhe anhat« und lief die Straße hinunter. Dort aber, wo er hätte umkehren müssen, legte er die Ohren an und war bald außer Sicht. Der Hund rief und rief, er solle zurückkommen, doch der Hase lief weiter. Und bis heute jagt der Hund dem Hasen nach, und wenn man mit einem Hund in den Wald geht, und er riecht eine Hasenfährte, dann bellt er und ruft, der Hase solle zurückkommen.


  • Literatur: Harris, Nights with Uncle Remus Nr. 61.

3. Aus Afrika (Sage der Temne).


Es war einmal eine Eidechse und ein Hund. Die Eidechse war in einem Wäldchen in der Nähe der Stadt. Der Hund war in der Stadt.

Die Eidechse hörte immer die Stimme des Hundes in der Stadt, sie hörte immer, wie man ihn beim Namen rief. Als sie ihn sah, sagte sie zu ihm:

»Freund, bist du glücklich in der Stadt?«

»Ja,« sagte der Hund, »gehen wir dahin!«

Sie gingen hin. Der Hund sprach wieder:

»Ich will dich auf dem Rücken tragen, denn du wirst nicht wissen, wie du dich in der Stadt bewegen mußt.«

Er trug sie auf dem Rücken und brachte sie in eine Küche, da fanden sie Leute, die Fleisch in eine Schüssel taten. Der Hund nahm das Fleisch in der Schüssel. Das Kind schrie:

»Meine liebe Mutter, der Hund hat das Fleisch genommen!«

Die Frau nahm ein brennendes Holz und schlug die Eidechse auf dem Rücken des Hundes. Der lief aber fort, und sie setzten sich draußen hin. Man tat etwas gekochten Reis in einen Napf und gab ihn dem Hund. Aber weil es nicht viel war, genügte es nicht für zwei. Als man das Fleisch gegessen hatte, nahm man die Knochen und warf sie dem Hunde hin. Der sagte zur Eidechse:[325] »Bruder, essen wir dies Fleisch!«

Die Eidechse antwortete:

»Das ist kein Fleisch für mich, ich habe keine Zähne, um Knochen zu fressen.«

Als der Hund die Knochen gefressen hatte, sagte er:

»Gehen wir da unten hin!«

Sie gingen in einen anderen Hof und fanden die Leute beim Essen. Der Hund fing an von der Suppe zu lecken, man nahm eine Peitsche und schlug die Eidechse. Da diese auf dem Rücken des Hundes war, so konnte die Peitsche ihn selbst nicht treffen. Der Hund ging fort, und sie setzten sich draußen hin.

»Ich will umkehren,« sagte die Eidechse.

»Geh nicht fort, mein Freund,« sagte der Hund, »ich bin glücklich, du wirst heute ein Geschenk bekommen.«

Es gab Knochen, man warf sie ihnen hin. Der Hund sagte zu ihr:

»Komm, Freund, laß uns das Fleisch essen!«

»Iß allein,« antwortete die Eidechse, »was mich anbetrifft, so habe ich keine Zähne.«

Als der Hund die Knochen gefressen hatte, sagte er:

»Gehen wir dort unten hin in den andern Hof!«

Sie gingen hin und fanden, daß es gekochten Reis gab. Der Hund warf die Suppe um, man nahm eine Peitsche und schlug ihn, aber nur die Eidechse bekam die Schläge. Man verfolgte den Hund, er lief fort. Da sagte die Eidechse zu ihm:

»Ich will umkehren.«

»Gehe nicht fort,« sagte der Hund, »unser Geschenk ist noch in Aussicht, gehen wir weiter!«

Sie gingen zu einem anderen Hof und fanden die Leute beim Essen. Die Eidechse war auf dem Rücken des Hundes. Der stieß die Suppe um, man ergriff ihn, schlug ihn und zog ihn dabei nach draußen. Der Hund lief und ging in den Busch, wo sie hergekommen waren, er und die Eidechse.

»Gehen wir weiter!« sagte er.

»Ich gehe nicht zurück, es ist schlecht in der Stadt,« sagte die Eidechse und lief, um sich zu verstecken.

»Ich gehe fort,« sagte der Hund.

»Geh,« sagte die Eidechse, »es ist schlecht in der Stadt, ich kehre nicht wieder dahin zurück.«

»Komm nur,« sagte der Hund, »weil du gesagt hast, ich sei glücklich in der Stadt!«

»Ich gehe nicht wieder dahin.«

Darum wagt die Eidechse nicht mehr, sich irgend jemand zu nähern, damit sie nicht wieder in die Stadt gebracht wird, sie wohnt nun im Busch. Der Hund aber ergreift die Eidechse, sobald er sie sieht, um sie in die Stadt zu tragen, dann kommt man und ißt sie ganz auf. Man fragt den Hund:

»Warum quälst du die Eidechse?«

»Ich habe ihr gezeigt, was das Glück ist,« sagte er, »denn sie sagte, ich sei glücklich.«

Darum wagt die Eidechse nicht mehr, sich irgend jemand zu nähern. Sie wagt sich nicht in die Nähe des Hundes, sie wagt sich nicht in die Nähe der Stadt.


  • Literatur: René Basset, Contes d'Afrique, p. 192 == Schlenker, A Collection of Temne Traditions.

[326] 4. Aus Madagaskar.


Einstmals begegneten sich ein Krokodil und ein Hund auf dem Wege. Da sagte das Krokodil: »Woher kommst du, o jüngerer Bruder?« »Aus der Gegend hier, mein älterer Bruder,« antwortete der Hund. Darauf fragte der Hund auch das Krokodil: »Woher kommst du, älterer Bruder?« »Ich komme gerade von da und da, jüngerer Bruder,« antwortete es.

Nun sagte der Hund: »Was denkst du über meinen Vorschlag? Wirst du ihn annehmen oder nicht?« »Was für einen Vorschlag meinst du, jüngerer Bruder?« »Laß uns Freunde werden!« sagte der Hund. »Ja, schön,« sagte das Krokodil, »wenn ein kleiner Kerl wie du weiß, was recht ist, wie vielmehr ein älterer wie ich. Also, komm, junger Freund.« »Abgemacht,« sagte der Hund. Also wurden die beiden Freunde und unterhielten sich weiter miteinander. »Wer dem anderen untreu wird,« sagte das Krokodil, »der soll verachtet werden.« »Abgemacht,« sagte der Hund.

Nach einer Weile sagte das Krokodil: »Komm, junger Freund, ich will dir eine Mahlzeit bereiten.« Also versorgte es den Hund mit Nahrung. Als der Hund genug gegessen hatte, sagte er: »Komm, trag mich hinüber (übers Wasser), alter Freund.« Also trug ihn das Krokodil hinüber, aber auf halbem Wege hielt es an und sank ins Wasser. Da mußte der Hund sich sehr anstrengen, kam aber doch ans andere Ufer. Sobald er dort angelangt war, tauchte das Krokodil aus dem Wasser auf. Da sagte der Hund: »Du hast den Vertrag gebrochen, alter Bursche.« »Wieso? Ich war trotzdem doch immer unter dir! Ich wünsche, daß du schwimmen kannst.« Hätte aber der Hund nicht schwimmen können, so wäre er ertrunken.

So sagte denn der Hund: »Nun komm, alter Bursche, und gehe morgen mit mir fort.« »An welchem Ort wollen wir uns treffen, junger Freund?« »Da und da,« sagte der Hund. »Schön,« meinte das Krokodil. Am nächsten Morgen führte der Hund es also eine Strecke fort bis dahin, wo der Boden mit den schleppenden Kürbisranken bedeckt war. Er wollte ihm aber heimzahlen, was er an ihm getan. Darum sagte er: »Alter Freund, ich will dir ein Zeichen sagen: wenn ich belle, mußt du fortlaufen, denn dann kommen Leute.« Nun hatte aber das Krokodil Frau und Kinder mitgebracht. Als nun alle da waren, setzte der Hund ihnen Nahrung vor, aber als sie mitten beim Essen waren, fing er an zu bellen. Also liefen sie alle fort. In den schleppenden Kürbisranken aber verstrickten sich einige der Jungen und wurden getötet.

Als sie ans Wasser kamen, sagte das Krokodil: »Was soll dies heißen, Bursche.« »Es ist keine Vergeltung, nur kehrt die Vergangenheit zurück (There's no retribution, but the past returns; Sprichwort in Mad.),« sagte der Hund. Da antwortete das Krokodil: »Wenn meine Nachkommen und Erben nicht von nun an die Hunde vernichten, so möge ich keine Nachkommen haben!« Und so fing die Feindschaft zwischen Hund und Krokodil an.


  • Literatur: Sibree, Folktales of the Malagasy, Folklore Journal 1, 208.

5. Sage aus Unjoro.1


Der Leopard vertraute seine drei Jungen der Wache des Hundes an, indem er ihm versicherte, er werde ihn zum Lohne für diesen Dienst mit Fleisch versehen, jedoch unter der Bedingung, daß er keine Knochen fresse. Die Sache ging eine Zeitlang ganz gut; aber eines Tages gab der Hund der Versuchung nach, vergriff sich an[327] einem Knochen, und ein Splitter, der sich losgelöst hatte, traf ein Junges am Kopfe und tötete es. Bei der Rückkehr wurde es ihm nicht schwer, die Mutter zu täuschen, indem er die zwei Überlebenden nacheinander zum Säugen trug. Aber bald traf einen zweiten Sohn dasselbe Los. Da sah sich der Hund bloßgestellt, ergriff die Flucht und suchte Schutz bei dem Menschen, der ihm versprach, ihn zu schützen und zu verteidigen, wofern er das Haus nicht verließe. Der Hund versprach es, aber wenige Tage nachher sah er einen Haufen Knochen in geringer Entfernung; da brach er das gegebene Versprechen und ging vom Hause fort. Der Leopard, der seit einiger Zeit nach ihm suchte, um den Tod seiner Kinder zu rächen, erwischte, tötete und verzehrte ihn. Seit jenem Tage hört der Leopard nicht auf, Hunde zu bekriegen und ihr Fleisch zu fressen.


  • Literatur: Casati, Zehn Jahre in Äquatoria 2, 41.

6. Sage der Georgia-Neger (Amerika).


Der Bussard geht fischen, und während er einen zweiten Fang tut, stiehlt ihm das Kaninchen den vom ersten Fang gefüllten Korb. Mit diesem begegnet es dem Fuchs, dem es sagt, es hätte die Fische mit dem Schwanz aus dem Wasser gefangen, und es fügt hinzu, der lange Schwanz des Hundes würde sich besonders gut zum Fischen eignen. Der Hund versucht es, und der Schwanz friert im Eise fest, daß seine Kinder ihn herausbrechen müssen.

Seitdem jagt der Hund die Kaninchen.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 12, 112. Vgl. Bd. IV der Natursagen.

7. Negermärchen aus Nordamerika.


Fuchs und Hase arbeiten. Da hören sie von ferne die Gans waschen. Der Fuchs geht sogleich unter irgendeinem Vorwand weg. Der Hase merkt, daß es der Gans wegen ist. Er läuft zur Gans und benachrichtigt sie. Er rät ihr, ein Bündel Wäsche in ihr Bett zu legen und selber auf einen Dachsparren zu fliegen. Sie tut es, und als der Fuchs kommt, läuft er mit dem Bündel davon. Vor der Tür aber steht der Hund, den der Hase benachrichtigt hat, und jagt es ihm wieder ab. Daher die Feindschaft zwischen Hund und Fuchs.


  • Literatur: Harris, Nigths with Uncle Remus 23, Nr. I.

8. Aus Finnland.


Die Maus ist bei der Katze als Schneider. Die Maus lügt, sie bringe keinen Überzieher, keine Hosen, kein Leibchen, keine Tasche, nichts als nur einen Feuerzeugbeutel fertig. Die Katze schlägt die Maus tot. Seit der Zeit sind sie Feinde.


  • Literatur: Aus Vehlsalahti mitget. von Herrn Prof. K. Krohn.

9. Aus Madagaskar.


Es heißt, daß einst die Wildkatze und die Ratte zusammen spielten; die Ratte hütete das Haus, und die Katze war der Jäger. Die Katze ging also auf die Jagd, und die Ratte grub unterdessen ein Loch, ohne daß die Katze es wußte. Nun hielten sie beide miteinander Rat und beschlossen, einen Ochsen zu stehlen. – Also gingen sie auf den Raub aus und verschafften sich einen fetten Ochsen. Die Ratte wurde von der Katze übervorteilt, denn diese aß das Fleisch und gab der Ratte nur die Knochen. Als sie beide gegessen hatten, blieb noch viel übrig. Da bat die Ratte um etwas Fleisch, aber die Katze gab ihr nur die Haut. Dann dörrte die Katze das Fleisch, nähte es in einen Korb, hing es vor den Giebel des Hauses und ging auf die Jagd.

[328] Als die Katze fort war, machte die Ratte ein Loch in den Korb und fraß all das gedörrte Fleisch. Als nun die Katze von der Jagd kam, sagte sie: »Komm, laß uns gedörrtes Fleisch zu unserem Reis essen, mein Freund.« Aber sieh da, sie fand keins mehr. Da wurde die Katze sehr böse und stürzte sich auf die Ratte, aber die schlüpfte in ihr Loch und entwischte. Da rief die Katze einen Fluch auf sie herab und sagte: »Wer meine Nachkommen auch sein mögen, Ratten müssen sie töten.« Und darum heißt es, daß die Katzen die Ratten fressen.


  • Literatur: Folklore Journal 1, 312.

10. Aus Deutsch-Guinea.


Die Hyäne hatte ein Kleines, das starb. Die Wildkatze hatte auch ein Kleines, das starb. Die Wildkatze erfaßte Widerwillen gegen ihr Land wie auch die Hyäne, und beide zogen aus, einen besseren Ort zu suchen. Die Hyäne kam an einen Ort und sagte: »Hier wird es gehen. Morgen bei Tagesanbruch will ich das Gras abreißen.« Die Wildkatze kam zufällig an denselben Ort, der ihr auch gefiel; sie riß das Gras ab und ging fort zum Schlafen. Am nächsten Morgen kam die Hyäne wieder. »Oh,« sagte sie, »welch schöner Platz! Ich wollte das Gras abreißen, und das Gras hat sich von selbst abgerissen.« Sie ergriff davon Besitz, kehrte den Boden ab und ging fort. Nun kam die Wildkatze wieder und sagte: »Oh, welch schönes Land! Ich wollte den Boden abkehren, und der Boden hat sich selbst abgekehrt.« Sie schlug einige Bäume ab, legte sie auf den Boden und ging fort. Die Hyäne kam wieder, pflanzte die Stämme in den Boden und ging zum Schlafen fort. Als die Wildkatze wiederkam, sagte sie: »Die Bäume haben sich selbst eingepflanzt.« Sie schnitt einige Bambusrohre ab und legte sie auf den Boden. Die Hyäne kam und befestigte sie an den Baumstämmen. Als die Wildkatze wiederkam, sagte sie: »Ah, die Bambusstäbe haben sich von selbst befestigt.« Dann nahm sie Gras und bedeckte das Haus damit. »Wie kommt das?« sagte die Hyäne, als sie ankam, »das Haus ist fertig.« Sie teilte das Haus in zwei Teile, nahm den einen für sich und den anderen für seine Frau. Als die Wildkatze wiederkam, sagte sie: »Gut, das Haus ist in zwei Teile geteilt, ich will diesen Teil für mich behalten und den anderen für meine Frau lassen. In fünf Tagen will ich alles, was ich habe, hierherbringen und das Land anbauen.« Die Hyäne aber beschloß dasselbe. Als der fünfte Tag gekommen war, nahm die Wildkatze alles, was ihr gehörte, und kam mit ihrer Frau. Die Hyäne tat dasselbe. Sie ging in ein Zimmer und die Wildkatze in das andere. Jeder glaubte, daß niemand weiter im Hause sei. Zur selben Zeit zerbrachen sie beide etwas und sagten: »Wer zerbricht da etwas im Nebenzimmer?« Und beide entflohen. Sie liefen so weit wie von Ketu nach Amontino, und dann begegneten sie sich. »Was machst du, Hyäne?« fragte die Wildkatze. »Ich habe ein Haus gebaut,« sagte sie, »und etwas hat mich verjagt, ich weiß nicht, was.« »Das ist mir auch passiert,« sagte die Wildkatze, »ich habe Bäume abgeschlagen, und die Stämme haben sich von selbst gepflanzt.« Die Hyäne sagte: »Ich habe einen Platz gefunden, der mir gefiel, und ich wollte das Gras abreißen, aber als ich ankam, hatte sich das Gras von selbst abgerissen.«

Da fingen Wildkatze und Hyäne wieder an zu laufen.

Seitdem können sie einander nicht leiden.


  • Literatur: Basset, Contes d'Afrique, p. 210.

11. Sage der Bornu.


Die Katze verließ ihr Haus, ging zum Huhn und sagte zu ihm: »Laß uns Freundschaft machen!« Das Huhn antwortete der Katze: »Werd' ich dir als Freund[329] recht sein?« Die Katze sagte: »Ja!« und ging weg; als sie aber eine Weile daheim gesessen hatte, schickte sie ihr Kind zum Huhn, indem sie sprach: »Geh und sage dem Huhn, daß es morgen bei Zeiten aufstehen, zu mir kommen und mich zur benachbarten Stadt begleiten solle.« Das Kind machte sich auf, ging zum Huhn und grüßte es. Das Huhn erhob sich und fragte: »Du, Katzenkind, kommst du in Frieden zu mir?« Das Katzenkind erwiderte: »Ich komme in Frieden. Meine Mutter hat mich zu dir geschickt.« Das Huhn sprach zum Katzenkind: »Sag' mir, weshalb deine Mutter dich zu mir geschickt hat. Laß mich's wissen.« Nachdem das Katzenkind es dem Huhn erzählt hatte, sagte dieses: »Ich will nun gehen!« stand auf und ging nach Hause.

Als es gegangen war, erhob sich das Huhn, rief eines ihrer Kinder herbei und sagte: »Geh und frage die Katze, um welche Zeit wir zur Nachbarstadt gehen sollen!«

Als sich das Kind bereits auf den Weg machte, rief die Mutter es nochmals zurück und sprach: »Komm zurück, ich muß dir noch etwas sagen.« Das Kind kehrte um, und als es zu seiner Mutter kam, sagte diese zu ihm: »Wenn du zur Katze gehst, mach' deine Ohren hübsch auf und höre gut zu, was sie sagt, und komm und sage mir's wieder.«

Das Kind ging zur Katze und begrüßte sie, und als die Katze sich erhob und zu ihr herauskam, stand das Kind des Huhnes vor ihr. Die Katze fragte das Hennenkind: »Warum schickt dich deine Mutter zu mir?« Das Hennenkind sagte: »Meine Mutter sagt, ich soll kommen und dich fragen, wie frühe wir zur Nachbarstadt gehen sollen.« Die Katze sprach zum Hennenkind: »Geh und sag' deiner Mutter, sie solle beim Hahnenschrei aufstehen und zu mir kommen; es wird sie schon niemand fressen.« Das Hennenkind kehrte zur Mutter zurück und sagte zu ihr: »Höre, ich ging zur Katzenwohnung, wohin du mich schicktest, und komme nun zurück.« Die Henne sprach zum Kind: »Was sagte die Katze? Laß mich hören, welche Worte sie sprach.« Das Kind antwortete: »Liebe Mutter, die Worte, die die Katze sprach, sind diese: Geh und sage deiner Mutter, sie solle beim Hahnenschrei zu mir kommen, daß wir gehen können; es wird sie schon niemand fressen!« Die Mutter, das Huhn, sagte zu ihren Kindern: »Liebe Kinder, legt euch zu Bett, denn ich habe nun gehört, was die Katze gesagt hat.« Die Kinder der Henne gehorchten ihrer Mutter, gingen und legten sich zu Bett, und auch die Mutter ging zur Ruhe. Sie schliefen, bis der Hahn krähte. Und als die Katze das hörte, stand sie auf, machte sich fertig und wartete auf das Huhn. »Möge es kommen,« dachte sie, »daß wir gehen können.«

Der Hahn krähte zum zweitenmal, und die Katze sah auf den Weg hinaus, den das Huhn kommen mußte. »Möge es kommen,« dachte sie, »daß wir gehen können.« Aber die Henne stand daheim noch nicht auf, und der Tag brach an.

Als es Tag geworden war, machte sich die Katze auf, ging zum Hause des Huhnes und sagte zu ihm: »Huhn, du schicktest dein Kind zu mir und fragtest, wann wir aufbrechen würden, und ich sagte zu deinem Kind: ›Geh und sag' deiner Mutter, sie solle kommen, wenn der Hahn kräht, daß wir gehen können.‹ Hat es dir nicht erzählt, was ich gesagt habe, daß du noch daheim sitzest, wiewohl es Tag geworden ist?« Das Huhn sprach zur Katze: »Schwester Katze, wenn du mich zum Freund zu haben wünschest, so laß mich niemals zur Nachtzeit aufstehen und herauskommen.« Die Katze sagte zum Huhn: »Was fürchtest du, daß du sagst: ›Ich will niemals bei Nacht herauskommen?‹ Was ist dir im Wege?«

Das Huhn hörte zu, was die Katze sprach, machte sich fertig, rief ihre Kinder[330] und sagte: »Kommt und laßt uns die Katze zur Nachbarstadt begleiten.« Alle Kinder erhoben sich, und als sie sich auf den Weg gemacht hatten, ging die Katze voraus, und als sie ein wenig gegangen war, ergriff sie zwei Kinder der Henne, und die Henne sah, daß die Katze zwei ihrer Kinder packte. Da sagte die Henne zur Katze: »Schwester Katze, wir haben uns kaum auf den Weg gemacht, und du packst zwei meiner Kinder?« Die Katze erwiderte: »Deine zwei Kinder, die ich nahm, haben nicht Kraft genug zu gehen; deshalb nahm ich sie an meine Brust, daß wir weiter gehen können.« Das Huhn sagte zur Katze: »Wenn du so handelst, müssen wir unsere Freundschaft auflösen.« Die Katze erwiderte: »Wenn du keinen Freund haben willst, werd' ich dich nicht nach Hause gehen lassen.«

Und als nun das Huhn umkehren wollte, machte die Katze einen Sprung und packte das Huhn beim Kopf, worauf es um Hilfe schrie. Alle Leute aus der Stadt hörten es, machten sich auf und rannten herzu; wie sie nun zur Stelle kamen, hielt die Katze den Kopf der Henne fest. Aber als sie die Leute aus der Stadt sah, ließ sie das Huhn los, rannte weg und barg sich im Walde.

Da stand nun das Huhn, und die Leute aus der Stadt sagten zu ihm: »Du Närrin, bist du – eine Henne! – mitgegangen und hast mit der Katze Freundschaft gemacht? Wenn wir nicht dein Schreien gehört hätten und zu dir gekommen wären, würde sie dich getötet und all deine Kinder in den Wald geschleppt haben!« Das Huhn sprach zu den Leuten: »Gott segne euch! Ihr habt mich aus dem Maul ¦der Katze gerettet.« Die Leute aus der Stadt sagten zu ihm: »Heut' hat unser Herrgott dich noch befreit, aber in Zukunft mach' nicht wieder Freundschaft mit der Katze. Die Katze ist zu schlau für dich, nimm dich fürderhin vor ihr in acht!«

Ich habe alte Leute sagen hören, daß die Katzen und die Hühner an diesem Tage ihre Freundschaft aufgelöst haben.


  • Literatur: Koelle, African native literature, S. 154.

12. Sage der Bornu.


Eine ausführliche Erzählung berichtet, wie die Buschziege [Antilopenart] das Fürchten lernt. Dabei wird durch die Spinne die Wut des Leoparden gegen sie erregt, die Buschziege ihm zugetrieben und von ihm getötet. Seit jenem Tage stellt der Leopard den Buschziegen nach.

Die Kinder der getöteten Buschziege aber gingen zur Katze und erzählten ihr, was für eine schlechte Person die Spinne sei, die ihre Mutter ins Unglück gebracht habe. Seit jenem Tage stellt die Katze der Spinne nach und frißt sie, wo immer sie sie findet.


  • Literatur: Bleek, Reineke Fuchs in Afrika, S. 108–114 = Schlenker, Collection of Temne Traditions, p. 73–87 (London 1861).

13. Aus Finnland.


Die Katze und der Hase begaben sich einstmals zusammen auf die Wanderschaft. »Was für Beute wollen wir nun zuerst im Walde suchen?« fragte der Hase, und die Katze antwortete: »Ich fange das Wild, das mir zuerst begegnet.« »Bist du imstande, alles zu nehmen?« fragte der Hase. »Ich fürchte mich nicht; wenn ich kann, nehme ich alles,« entgegnete die Katze, »ich werde schon geschickt genug sein, um alles zu fangen.« Darauf kam eine Spitzmaus über den Weg. »Nimmst du dies Tier?« fragte der Hase. »Nein,« sagte die Katze, »das mag ich nicht, es ist zu wenig für mich.«

Als sie ein Stück weiter gegangen waren, kam eine Maus daher. Der Hase sah sie zuerst, dann die Katze. »Johann, willst du dieses Tier jetzt fangen?«[331] fragte die Katze. »Nein, das will ich nicht, es ist so schwer, es zu verfolgen.« »Laß mich nur mein Gewehr reinigen, und dann werde ich es tun,« sagte die Katze. Sie leckte ihre Pfoten und wusch damit ihre Augen. »Johann, sieh, wohin der Schuß geht.« Johann riet ihr, richtete das Gewehr, und sie ging langsam vorwärts. »Wirst du sie auf diese Weise erlegen?« fragte der Hase. »Ganz so nehme ich sie,« sagte die Katze. Als sie an den Ort kamen, schoß sie das Gewehr ab und fragte den Hasen: »Konnte man Pulverdampf sehen?« Man konnte weder Pulver noch Rauch noch sonst irgend etwas sehen.

»Aber auf welche Weise willst du jetzt deine Beute kochen?« »Soll man dies kochen oder braten?« sagte die Katze; »es ist zart genug, es auch so zu essen, wie es ist.« Da sagte der Hase: »Für mich ist es so nicht genießbar.« Die Katze biß darauf den Kopf der Maus entzwei und sagte: »Man muß mit dem Kopf anfangen bei Tieren, die man im Walde fängt.«

Darauf verzehrte sie die Maus ganz und gar, so daß nichts übrig blieb als Darm und Magen. Der Hase fragte: »Warum läßt du einen Best?« Die Katze sagte: »Ich bin an schieres Fleisch gewöhnt.«

Sie gingen nun in einen Espenwald. Die Katze fragte: »Was sollen wir hier machen?« »Ich nehme mir hiervon Mehl.«

Und er begann an der Espe zu nagen und langsam zu beißen. Da sagte die Katze: »Du läßt ja auch nur den abgeschälten Baumstumpf übrig, du frißt alles, was nur zu fressen ist.« Der Hase aber sagte: »Ich bin noch gutmütig, wiewohl ich die Rinde zernage; wenn der Baum verdorrt, erhält man gutes, Brennholz für die Frauen.«

Die Katze sagte darauf: »Du bekommst ja niemals Kuhmilch, aber ich bekomme welche, mir gehört der vierte Teil des Ertrages eines Kuheuters.« (Vgl. ob. S. 7 2 f.) Da sagte der Hase: »Nein, das bekomme ich nicht, sondern ich habe reichlich Brotnahrung; im Sommer erhalte ich von dem Gerstenfeld des Säers und Pflügers einen Teil, und im Winter habe ich mein Mehl von den Windmühlen, und wenn dann der Wind die Mühle treibt, so rasselt und klappert es, damit ich mich zur betreffenden Stelle hinfinden kann.« Da sagte die Katze: »Aber ich nehme auch Teil daran, wenn ich dahin komme; mir gehört auch ein Teil des Gerstenfeldes; wenn dorthin ein feindliches Tier kommt, welches zu viel von der Gerste fressen will, so lassen mich der Säer und Pflüger das Tier töten.« Als das der Hase hörte, sagte er: »Dann gehe ich nicht mit dir weiter auf die Wanderschaft, du bist ja mein Feind!«

Und so trennte sich der Hase von der Katze. Und wenn nun die Katze irgendwo einen Hasen sieht, so ist sie so tüchtig, daß sie ihn mit beiden Pfoten fest am Genick packt und tötet, den Kopf zerquetschend, und sie frißt ihn und läßt nur den Magen übrig.


  • Literatur: Krohn, Suom. Kansans. 1, Nr. 173.

13a. Parallele zu dem finnischen Märchen vom gemeinsamen Essen:


Der Fuchs und der Pavian machten einen Streifzug und vereinbarten: »Was immer wir finden, essen wir gemeinschaftlich.«

Auf dem Wege kamen sie zu einer Sykomore mit reifen Früchten. Der Pavian stieg hinauf und sprach: »Iß da, Fuchs!«

»Ich für meinen Teil esse da nicht,« sagte der Fuchs.

Der Pavian erwiderte: »Wie lautet denn unsere Vereinbarung? Was wir finden, essen wir gemeinschaftlich! War es nicht so?«

[332] »Ich wenigstens esse nur Fleisch. Sagte ich dir etwa: Wir wollen Früchte essen?« sagte der Fuchs.

Der Pavian erwiderte: »Sagte ich dir etwa: Wir wollen Fleisch essen? Sagten wir denn nicht: Was immer wir finden, essen wir gemeinschaftlich?«

»Ich wenigstens esse nur Fleisch. Früchte mögen für Affen gut sein,« sprach der Fuchs.

»Nun, so laß es,« sagte der Pavian, aß seine Feigen, und da er satt war und sie weiterzogen, kamen sie zu einem reifen Maulbeerbaum.

»Iß jetzt, Fuchs,« sagte der Pavian.

»Mein Essen ist das nicht,« erwiderte der Fuchs und setzte sich. Der Pavian aber aß wiederum.

»Ich gehe heim,« sagte der Fuchs. Auch der Pavian kehrte heim, nachdem er den ganzen Tag gegessen hatte, und stieg, um zu schlafen, auf seine Felswand. Der Fuchs aber kam zum Löwen.

»Nun, wo ist denn eure Beute?« fragte ihn der Löwe.

Der Fuchs erwiderte: »Der Pavian führte mich zu Früchten. Obwohl ich ihm sagte: Führe mich zum Standort der Kühe, führte er mich nur zu Früchten. Er selbst aß. Mich aber ließ er verhungern. Nun komme ich verhungert an. Den Pavian aber ließ ich dort.«

Der Löwe sprach dann, auf daß der Fuchs sich freue – innerlich lachte er über ihn –: »Wart', du Pavian! Meine Tochter, den Fuchs, ließest du hungern? Getröste dich! Ich bin dein Vater.«

So blieben sie beisammen.


  • Literatur: Reinisch, Die Bilinsprache 1, 220 f. Vgl. 230 f.:

Der Hornrabe und der Fuchs ziehen miteinander auf die Streife. Der Hornrabe erlegt eine Schlange und ißt sie, der Fuchs geht leer aus und beklagt sich beim Löwen. Dieser gibt ihm die Lehre: man könne nur mit seinesgleichen anständig leben.


14. Aus Indien.


Alle Katzen sind Tanten der Tiger, und die Katze in dieser Geschichte war die Tante des Tigers in dieser Geschichte. Sie war die Schwester seiner Mutter. Als die Mutter des Tigers im Sterben lag, rief sie die Katze zu sich, und indem sie ihre Pfote ergriff, sprach sie: »Wenn ich tot bin, mußt du für mein Kind sorgen.« Die Katze antwortete: »Das will ich!« Und die Tigermutter starb. Sprach der Tiger zur Katze: »Tante, ich bin sehr hungrig. Geh/ und hol' etwas Feuer. Wenn ich gehe, die Menschen um Feuer zu bitten, fürchten sie sich vor mir und laufen weg und wollen mir nichts geben. Du aber bist so ein kleines Geschöpf, daß kein Mensch vor dir Angst hat, und so werden sie dir Feuer geben, und dann mußt du mir's bringen.« »Nun gut,« sagte die Katze, machte sich auf und ging in ein Haus, wo die Leute gerade beim Mittagessen waren. Sie hatten die Knochen weggeworfen, und die Katze begann sie zu essen. Dieses Haus stand aber in der Nähe des Ortes, wo der Tiger lebte, und während er um die Ecke blickte, sah er, wie die Tante die Knochen aß. »Oh,« sagte er, »ich schickte meine Tante aus, Feuer zu holen, daß ich mein Mittagessen kochen könnte – denn ich bin sehr hungrig – und nun sitzt sie da und ißt die Knochen und denkt gar nicht mehr an mich.« Darauf rief der Tiger laut: »Tante, ich schickte dich aus, Feuer zu holen, und da sitzt du und ißt die Knochen und läßt mich hungern. Wenn du je wieder in meine Nähe kommst, werde ich dich sofort töten.« Da rannte die Katze weg, indem sie[333] schrie: »Ich will nie wieder zum Tiger zurückkehren, denn er wird mich töten!« Seitdem fürchten sich alle Katzen vor dem Tiger oder allem, was ihm ähnlich ist. Und darum lief die Katze in der folgenden Geschichte fort, so schnell sie konnte, als sie ihren Neffen, den Tiger, mit dem Menschen kämpfen sah.

[Es folgt eine unätiologische Geschichte. Um das Weglaufen der Katze darin zu erklären, ist obige Geschichte vorher erzählt.]


  • Literatur: Maive Stokes, Indian Fairy Tales 1880, S. 15 ff.

15. Sage der Kongoneger.


Der Leopard wettete einst um sein Leben, daß die Antilope ihn nicht finden würde, wenn er sich versteckte. »Gut,« sagte die Antilope, »die Wette nehme ich an. Geh und verstecke dich.« Da ging der Leopard in die Wälder und versteckte sich. Die Antilope suchte ihn und fand ihn nach kurzer Zeit. Der Leopard war sehr böse auf die Antilope und sagte, nun solle sie nur gehen und sich verstecken; sie werde schon sehen, wie schnell er sie finden würde. Der Antilope war es recht, aber sie sagte dem Leopard, sie würde ihn töten.

So machte sich nun der Leopard auf die Suche nach der Antilope. Er durchsuchte alle Wälder, aber er konnte sie nicht finden. Zuletzt, als er ganz erschöpft war, sagte er: »Ich bin zu dick, um noch mehr zu laufen, und ich bin auch sehr hungrig. Ich will von diesen nonje-Nüssen pflücken, sie zu meinem Wohnort tragen und dort verzehren.« Damit füllte er den Sack, den er unter dem Arm trug, und ging nach Hause. Dort angekommen, beschloß er, alle seine Leute zusammenzurufen und die Antilope nach dem Frühstück weiter zu suchen. Also schlug er den ngongo und befahl seinem Volke, von dem neugeborenen Kind bis zu den Kranken, die in der Hängematte getragen werden müssen, sich zu versammeln. Als alle versammelt waren, befahl er seinen Sklaven, die Nüsse zu knacken. Aber aus der ersten Nuß sprang ein wunderschöner Hund heraus. Nun war der Leopard mit vier Frauen verheiratet. Mit einer nach allgemeiner Zustimmung, mit der zweiten nach dem Boomba Ritus, mit der dritten nach dem Funzi Ritus, mit der vierten nach dem Lembe Ritus. Jede dieser Frauen hatte ihre Kochhütte. Als nun der Hund aus der Nuß sprang, lief er in die Hütte der ersten Frau. Sie schlug ihn, daß er fortlief. Dasselbe taten die zweite und dritte Frau. Die vierte tötete ihn. Als der Hund starb, verwandelte er sich in ein schönes Mädchen. Als der Leopard sie sah, sehnte er sich, sie zu heiraten, und bat sie gleich, seine Frau zu werden. Das schöne Mädchen antwortete: »Töte erst die vier Frauen, die den kleinen Hund getötet haben.« Der Leopard tötete sie sogleich. Dann sagte das Mädchen: »Wie kann ich einen Mann mit solch schrecklichen Nägeln heiraten! Bitte, laß sie herausnehmen.« Der Leopard liebte das Mädchen so sehr, daß er ihr willfahrte.

»Was für schreckliche Augen hast du, mein lieber Leopard! Ich kann nicht leben, wenn mich diese Augen ansehen. Bitte, nimm sie heraus.«

Der Leopard seufzte und gehorchte.

»Ich sah noch nie so häßliche Ohren, warum läßt du sie nicht abschneiden?«

Der Leopard ließ sie schneiden.

»Du hast sicher die plumpesten Füße, die man auf Erden sehen kann. Kannst du sie nicht abhacken lassen?«

Voll Verzweiflung ließ der Leopard sie abhacken.

»Und nun, mein lieber, lieber Leopard, bitte ich dich nur noch um eins. Hast du noch nicht bemerkt, wie häßlich deine Zähne sind, wie sie dich entstellen? Bitte, laß sie ausziehen.«

[334] Der Leopard war schon sehr schwach, aber er war so bezaubert von dem Mädchen und hoffte, daß er sie durch dieses letzte Opfer erringen würde, daß er aus der Koch hütte einen Stein bringen und die Zähne heraushauen ließ.

Nun sah das Mädchen, daß der Leopard im Sterben lag.

Da verwandelte sie sich in eine Antilope und redete ihn so an: »Lieber Leopard, du wolltest mich töten, statt mir, wie versprochen, dein Leben zu geben, als ich dich gefunden hatte. Sieh, wie ich dich überlistet habe. Ich habe dich und deine Familie vernichtet.«

Darum tötet der Leopard jetzt die Antilope, sobald er sie sieht.


  • Literatur: Dennett, Folklore of the Fjort, p. 71.

16. Aus Angola.


Das Junge der Ziege kommt immer zum Jungen des Leoparden zum Spielen. Der alte Leopard hört davon und rät dem Jungen, das Ziegenjunge beim Spiel in einen Sack kriechen zu lassen und zu töten. Der kleine Leopard versucht es mehrmals, läßt die Ziege aber immer heraus, wenn sie droht, den Sack zu beschmutzen. Zuletzt sagt sie zum Leoparden, er solle nun einmal in den Sack gehen und tötet ihn. Sie verhüllt sich und läßt den alten Leopard seinen Sohn essen, dann läuft sie fort.

Seitdem haßt der Leopard die Ziegen.


  • Literatur: Chatelain, Folktales of Angola, p. 191.

17. Sage der Batéké (frz. Kongogebiet).


Der Panther, der Hund und die Schildkröte hatten zusammen eine Reise gemacht, aber Mangel an Lebensmitteln herrschte im Lande. Außerdem lief der Hund den ganzen Tag im Walde herum, und da die Schildkröte vom Aufgang bis zum Niedergang der Sonne schlief, hatten sie nichts gepflanzt. Nun schrieen aber der Hund und seine Kinder vor Hunger, während die Schildkröte mit den ihrigen wohl gedieh. Es geschah, daß ein junger Hund eine kleine Schildkröte sah, die die Frucht einer wilden Mangostane aß. Als sie gefragt wurde, wo die Frucht herkäme, erzählte sie, daß die Schildkröte, ihre Mutter, jede Nacht einen großen Sack mitnehme und ihn vor Tagesanbruch voll dieser köstlichen und nahrhaften Früchte wiederbringe. Der Hund, der dies von seinem Jungen hört und die Schlechtigkeit der Schildkröte kennt, hütet sich wohl, sie um ihr Geheimnis zu befragen. Er benutzt den Schlaf der Schildkröte, um einen Sack voll Asche anzubinden, in den er ein Loch gemacht hat. Am nächsten Morgen folgt er ihrer Spur. Er kommt zu einem großen Baum und überrascht sie, wie sie ihren Sack füllt. »Unglücklicher, was machst du hier?« sagt sie, sobald sie ihn erblickt. »Dieser Baum gehört dem Häuptling des Dorfes, das du hier sehen kannst, und wenn er dich überraschte, so würde er dich töten. Da du mein Geheimnis nun kennst, verrate es niemandem; wir werden teilen. Aber sei so still du kannst, damit der böse Häuptling oder eins seiner Kinder unsere Gegenwart an diesem Ort nicht bemerke.« Der Hund verspricht, nicht zu bellen, aber wie ein Windstoß die Zweige der Mangostane schüttelt und eine große Frucht ihm gerade auf die Nase fällt, stößt er ein klägliches Geheul aus. »Wir sind verloren,« sagt er, indem er sich davon macht. Die Schildkröte weiß das wohl, sie macht die größten Anstrengungen, um sich von dem verhängnisvollen Baum zu entfernen. Aber ach! es ist zu spät. Die Dorfleute kommen herbeigelaufen und bemächtigen sich ihrer. »Da ist also unser Dieb,« sagt der Häuptling, »man führe sie ins Dorf, morgen wird man ihr den Hals abschneiden und ihr Fleisch[335] den Frauen zu kochen geben.« Der Befehl wird sogleich ausgeführt, und die Schildkröte wird in eine feste Kiste verschlossen, um den Morgen zu erwarten. Der Häuptling und seine Leute kehren zurück, ohne sie zu bewachen. Ein Kind des Häuptlings tritt in das Haus und hört die kläglichen Seufzer, die die Schildkröte ausstößt. »Ich ersticke, ich ersticke!« ruft sie dem Kind zu. »Warum schließt ihr mich hier ein? Ich kann kaum atmen, und wenn ich während der Nacht sterbe, wird mein Fleisch schlecht sein. Ich versuche nicht, mich zu retten, und wenn du gut bist, sperre mich in den alten Korb ein, den ich gesehen habe, als ich hereinkam.« Das Kind, das die Bosheit der Schildkröte nicht kennt, tut, was sie verlangt. Kaum ist die Schildkröte aus der Kiste heraus, als sie anfängt, den Korb zu benagen, und in kurzer Zeit ist sie wieder frei. Sie entflieht, und der Tag findet sie in tiefstem Dickicht. Seit Abend hat sie nichts gegessen oder getrunken. Ermüdet ruht sie sich am Fuß eines Palmbaums aus, in dessen Zweigen der Panther eine Kürbisflasche befestigt hat, um den Palmwein einzuernten. Die Schildkröte überlegt sich hunderterlei, um sich der kostbaren Flasche zu bemächtigen, aber alle sind unausführbar. Die Antilope streicht in der Umgegend umher, die Schildkröte ruft sie: »Ich möchte gern von diesem Palmwein trinken, aber ich kann diesen Baum nicht erklettern, nimm mich auf deine Hörner und klettere hinauf. Wir wollen zusammen austrinken, was in der Flasche ist. Der Baum gehört dem Pan ther, der tagsüber in seinem Hause ruht und schläft.« Die Antilope klettert in den Gipfel des Baumes mit der Schildkröte auf dem Kopfe, und beide beginnen den Inhalt der Kürbisflasche zu leeren. Unglücklicherweise hatte der Panther beschlossen, sich ein wenig zu berauschen, und kam, um seinen Baum zu besuchen. »Halt,« sagt er, als er die Antilope sieht, »ich glaube, ich habe für andere gearbeitet. Aber du mußt heruntersteigen, und ich werde dich fressen.« »Wozu all dieser Zorn,« antwortet die Antilope, »ich bin dein ergebener Diener, und als ich dich kommen sah, kletterte ich auf den Baum, um dir die Mühe zu ersparen. Sieh mir ins Gesicht, so wirst du sehen, daß ich nicht lüge.« Der Panther hebt den Kopf und bekommt die Schildkröte ins Gesicht, die die Antilope fallen läßt. Dem Panther wird die Nase plattgedrückt, und zwei Zähne zerbrechen Die Antilope benutzt seine Bestürzung, um zu entfliehen, während die Schildkröte betäubt am Fuße des Baumes liegt. »Ah, bei meiner Mutter!« ruft der wütende Panther, »der Diebe waren zwei, ich habe einen, der mir für beide bezahlen wird.« Er vertraut die Schildkröte seinen Kindern an, um sie den Frauen zu bringen, die eine für die Zähne ausgezeichnete Brühe davon machen sollen. Auf dem Weg zum Dorfe sagt die Schildkröte zu den Kindern: »Wartet einen Augenblick auf mich, ich will in dies Buschholz gehen, um ein Bedürfnis abzumachen.« Die Kleinen des Panthers setzen sich an den Rand des Weges, um sie zu erwarten. Die Schildkröte, die wieder befreit ist, geht zum Dorf und sagt zu den Frauen des Panthers: »Ich bin eben eurem Manne begegnet, der sich zu einer großen Beratung begab. Er bat mich, ihm seinen Hut und den hübschen Schurz, den ihm die Weißen von der Küste geschickt haben, zu bringen. Er will auch ein Auge von jeder von euch, um seinen Fetischdienst abzu halten, damit die Beratung ihm günstig sei.« Die zitternden Frauen geben ihm Hut und Schurz, retten sich aber in die Tiefe des Waldes, um ihre beiden Augen zu behalten. Das wollte aber die schlaue Schildkröte gerade. Sie benutzte ihre Abwesenheit, um sich eines großen Elefantenzahnes zu bemächtigen, den der Panther in nächster Zeit an die Küste schicken wollte. Die Schildkröte macht sich nun, aufgeputzt mit dem Hut und dem herrlichen Schurz des Panthers, zusamt ihren Frauen und Kindern, die den Zahn tragen, auf den Weg nach der Küste. Beim Tauschen[336] gaben ihr die Weißen in der Faktorei Waren, und sie ging fort und lebte glücklich in einem anderen Land, wo Überfluß herrscht, und wo man viel Fleisch ißt. Als der Panther wieder ins Dorf kam und merkte, wie ihm von der Schildkröte mitgespielt worden war, so daß er zum Gespött der Kinder des Nachbardorfes wurde, da starb er vor Wut in drei Tagen und ließ seinen Kindern die Aufgabe, ihn zu rächen.

Wenn ihr im Walde das weiße Skelett einer Antilope oder den leeren Rückenschild einer Schildkröte seht, so heißt das, daß die Bache des Panthers noch nicht befriedigt ist, und daß die Blutrache fortdauert.


  • Literatur: Basset, Contes d' Afrique, p. 384.

18. Sage der Eskimos an der Beringstraße.


Ein Grashalm ist unzufrieden mit seinem Lose zur Zeit, da die Gräser gesammelt werden, und wünscht sich, ein Kraut zu werden. Der Wunsch geht in Erfüllung (Näheres darüber fehlt). Als auch die Kräuter von Frauen ge sucht werden, möchte er zur Maus werden und wird es. Als einst die Eule ihr Leben bedroht, wünscht sie eine Eule zu werden und wird es. Als sie einmal beim Fliegen sehr müde wird, wünscht sie zuletzt ein Mann zu werden und wird es. Als solcher nennt sie sich Chunuluhk. Dieser hilft sich nach Robinsonart durchs Leben und hat solche Kraft, daß er Renntiere mit den Händen fängt. Als er alles Notwendige beisammen hat, fühlt er sich einsam, geht auf die Wanderung und findet einen anderen Menschen, der gleichfalls allein haust. Zuerst leben sie sehr gut miteinander, dann wird aber der andere auf Chunuluhks Kraft eifersüchtig, und sie trennen sich. Dabei verwandelt sich Chunuluhk in einen Vielfraß. Der andere wird zum grauen Wolf. Bis heute wandern sie im selben Lande, aber niemals zusammen.


  • Literatur: Inhaltsangabe nach der ausführlich und gut erzählten Sage bei Nelson, The Eskimo about Beering Strait, S. 505. Der erste Teil der Sage – die Verwandlungen – ist wohl indischer Herkunft. Vgl. Hertel, Tantrākhyāyika III, IX (Bd. 2, 125) u. die Nachw. Bd. 1, 138.

19. Aus dem Sudan.


Die Hyäne war einst beim Esel zu Gast geladen. Doch das Essen mundete ihr nicht, immer schaute sie den Esel wieder an, so daß dieser sie endlich fragte: »Warum langst du nicht zu, Base? Hast du etwa Furcht vor mir?« Die Hyäne erwiderte: »Du hast so lange Hörner, wie der Büffel, und ich fürchte, du könntest mich, wie dieser einst, verwunden.« »Du brauchst dich nicht zu fürchten,« sagte hierauf der Esel; »was du für Hörner hältst, sind Ohren. Überzeuge dich selbst dadurch, daß du ein Stückchen von ihnen kostest.« Die Hyäne kostete und fraß beide Ohren ab. So hatte der Esel durch eigene Dummheit der Hyäne die Furcht genommen und wird seit jener Zeit von ihr verfolgt und gefressen.


  • Literatur: Globus 39, 382.

20. Sage der Bilin (Afrika).


Die Hyäne kam zum Esel; dieser aber spitzte seine Ohren, als er sie erblickte. Da entfloh sie.

Den folgenden Tag kam die Hyäne abermals zum Esel. Wiederum spitzte er seine Ohren vor der Hyäne. Diese aber blieb vor Angst stehen.

»Fürchte dich nicht und sei nicht so dumm. Ich habe ja gar nichts,« sagte der Esel zur Hyäne. Da legte er seine Ohren, die er gespitzt hatte, wieder zurück und sagte: »Das da ist's. Glaube ja nicht, daß sie stechen!«

[337] Da fraß die Hyäne den Esel.

Ehedem hatte sie Respekt vor den Ohren. Jetzt aber wird der Esel deshalb gefressen. So verhält es sich mit dem Esel und der Hyäne.


  • Literatur: Leo Reinisch, Die Bilin-Sprache 1, 198 f.

21. Sagen der Bornu.


a) [Hyäne und Schakal geraten wegen Beuteteilens in Streit. Die Hyäne wird gewalttätig, der Schakal weiß sie durch Drohungen für alle Zeiten einzuschüchtern.] Seit der Zeit weichen sich Hyäne und Schakal stets aus, sooft sie einander im Walde begegnen.


  • Literatur: Bleek, Reineke Fuchs in Afrika, S. 87–92 = Koelle, African Native Literature, p. 41–45 (London 1854).

b) [Wiesel und Hyäne schließen Freundschaft. Als die Hyäne mit erlegtem Wild zum Wiesel kommt, weiß dieses es durch List einzurichten, daß es die Beute für sich allein behält, die Hyäne aber den Schwanz und ein Ohr verliert.] Seit jenem Tage war die Freundschaft zwischen der Hyäne und dem Wiesel zu Ende.


  • Literatur: Bleek, Reineke Fuchs in Afrika S. 99 = Koelle, African Native Literature, p. 45.

22. Sage der Bilin.


Die Kühe gehörten ehedem, und zwar seit ihrer Schöpfung an, der Hyäne. Die Hyäne aber dang als Hirten den Menschen.

Der Mensch nun, nachdem er den Tag über gehütet hatte, kehrte allabendlich mit einer Holzladung zum Zweck der Feuerung heim, und jedesmal lief da die Hyäne davon. Nach einer kleinen Weile kehrte sie aber stets wieder zu ihrem Lager zurück. Der Hirt nun erwog diesen Umstand und dachte sich: »Ich werde die Hyäne ganz verjagen und die Kühe dann selbst nehmen«, packte wieder Holz auf und kehrte heim. Die Hyäne aber stand auf und entfloh. Hierauf setzte ihr der Hirt nach und ver jagte sie. Da sprach bei sich die Hyäne: »Meine Rache treffe dich, da du mich verjagt hast; von jetzt an werde ich das Euter der Kuh fressen und werde ihr Hinterteil herausfressen. Wart' du nur, der du mich von meinen Kühen verjagt hast!« (Aus dem Bogoslande.)


  • Literatur: Leo Reinisch, Die Bilinsprache 1, 67 f.

23. Sage der Yao (Deutsch-Ostafrika).


Die Wayao geben allgemein an, daß der Hyänenhund in Rudeln jagend auch Löwen und Leoparden angreife und diese sich vor ihm fürchten. Der Grund hierfür findet sich in einer Erzählung, in der Hyänenhund und Leopard in Streit geraten und der Löwe, aus Furcht vor dem Leoparden, das Urteil fällt, daß dieser nicht schuldig sei. Auch die übrigen versammelten Tiere schweigen.

Da stand die Schildkröte auf und sprach: »Hyänenhund, du hast die Wahrheit gesprochen; der Leopard ist schuldig. Aber die anderen haben Furcht vor ihm, darum sprechen sie nicht gerecht. Wohlan! Geh deines Weges, Hyänenhund! Aber wenn ihr zusammenkommt, du, o Löwe, und der Hyänenhund, dann wird der Löwe fliehen; und wenn der Leopard zusammenkommt mit dem Hyänenhund, so wird er fliehen, sobald er seine Stimme hört, ja sogar auf die Bäume klettern!«

Man ging auseinander. Aber seit diesem Tage fliehen Löwe und Leopard vor dem Hyänenhund.


  • Literatur: Mitt. d. Or. Sem. III, 3. Abt., S. 112.

[338] 24. Aus Kamerun.


Eines Tages ging der Tausendfuß umher. Er traf einen schlafenden Elefanten, der seinen Rüssel auf die Erde gelegt hatte. Der Tausendfuß schlüpfte tief in den Rüssel hinein.

Als nun der Elefant aufwachte, merkte er, daß sich etwas in seinem Rüssel bewegte. Es kitzelte ihn gewaltig. Er sog den Rüssel voll Wasser, um dadurch den Tausendfuß zu vertreiben. Allein es gelang ihm nicht. Darauf schlug der Elefant seinen Rüssel mit Baumzweigen. Dadurch wurde sein Schmerz so groß, daß er starb.

Von dieser Zeit an fürchten sich die Elefanten vor den Tausendfüßern. Beim Schlafen legen sie nie mehr den Rüssel auf die Erde.


  • Literatur: Lederbogen, Kameruner Märchen Nr. 48.

25. Aus Angola.


Der Löwe log einst. Der Wolf wies ihm die Lüge nach. Seitdem hassen sie einander.


  • Literatur: Vgl. Chatelain, Angola Folktales p. 201.

26. Sage der Bantu.


Der Hase trinkt in der Nacht heimlich von des Königs (des Elefanten) Wasser, bestreicht dann Lippen und Knie des Springhasen, der neben ihm schläft, mit Schlamm und beschuldigt ihn am nächsten Tage der Tat. Seine Knie seien kotbedeckt, weil er sich gebückt habe, um das Wasser zu erreichen, und er habe so viel getrunken, daß der Schlamm des Sees noch an seinen Lippen hänge. Der Springhase erleidet zur Strafe den Tod. Einige Tage nachher spielt der Hase auf der Flöte, die er sich aus dem Schienbein seines Opfers gemacht hat, und singt dazu: »Tuh, tuh, tuh! Dies Flötchen ist aus dem Bein des Springhasen gemacht. Häschen, was bist du geschickt! Springhase, was bist du dumm!« (Vgl. ob. S. 140. 211.) Als die anderen das hören, suchen sie ihn zu fangen, aber er entkommt. (Es folgt eine Geschichte vom Bündnis zwischen dem Hasen und dem Löwen. Der Hase weiß ihn durch List zu töten, dann zieht er sich die Löwenhaut an (!), verrät sich aber, indem er sich seiner Schlauheit und List rühmt. Seit der Zeit verfolgen ihn alle Tiere.)


  • Literatur: Bleek, Reineke Fuchs in Afrika, S. 75 ff. = Eugen Casalis, Études sur la langue Séchuana p. 100 ff. (Paris 1841) und Les Bassoutos p. 366 ff. (Paris 1859).

27. Lettischer Vierzeiler.


Caune mežu pārdevusi

Vāverej nezinot.

Ir šodën caunes bērni

Ar vāveres ënaidā.


Der Marder verkaufte den Wald

Ohne Wissen des Eichhörnchens.

Bis heute leben die Kinder des Marders

Mit denen d. Eichhörnchens in Feindschaft.


  • Literatur: Živaja Starina 5, 437.

28. Aus Indien.


a) Es war einst eine Frau Schakal und eine Frau Hühnerweihe, die lebten auf demselben Baum, der Schakal am Fuße des Baumes und die Hühnerweihe auf dem Wipfel. Keins von beiden hatte Kinder. Eines Tages sprach die Weihe zu Frau Schakal: »Laß uns gehen und Gott anbeten und fasten; dann wird er uns Kinder geben.«

»Schön!« sagte der Schakal.

[339] Die Hühnerweihe aß an diesem Tage nichts, auch in der folgenden Nacht nicht. Der Schakal indessen brachte nächtlicherweile ein totes Tier herbei und verzehrte es, unter dem Baume sitzend, in aller Seelenruhe. Allmählich bemerkte die Weihe, wie er die Knochen zermalmte, statt zu fasten.

»Was hast du da,« fragte sie, »daß du solchen Lärm machst?«

»Nichts,« sagte der Schakal, »das sind nur meine Knochen, die rasseln in meinem Leibe, sobald ich nur eine Bewegung mache.«

Die Weihe legte sich wieder schlafen und beachtete den Schakal nicht weiter. Am nächsten Morgen nahm sie einige Nahrung im Namen Gottes zu sich.

In der Nacht brachte der Schakal wieder ein totes Tier. Die Weihe rief laut hinunter: »Was zermalmst du da? Warum machst du solchen Lärm? Ich bin sicher, du hast etwas zu essen!«

»O nein!« sagte der Schakal. »Es sind einzig und allein meine Knochen, die in meinem Leibe rasseln.« Und die Hühnerweihe legte sich wieder schlafen.

Einige Zeit später hatte die Hühnerweihe sieben kleine Söhne, wirklich kleine Söhne, aber Frau Schakal hatte keine, weil sie nicht gefastet hatte.

Ein Jahr darauf ging die Weihe hin und betete zu Gott, daß er seine Kinder behüten möge. Eines Tages setzte die Weihe sieben Teller hin. Auf den einen legte sie Kokosnüsse, auf einen andern Gurken, auf einen dritten Reis usw. Dann gab sie jedem ihrer sieben Söhne einen Teller und hieß sie die Teller zu ihrer Tante, der Frau Schakal, bringen.

Sie nahmen die sieben Teller, brachten sie zu ihrer Tante und riefen: »Tante, Tante, sieh her! Die Mutter schickt dir diese Dinge.«

Der Schakal nahm die Teller und schlug den sieben Söhnen die Köpfe ab, dazu die Hände, Füße, Nasen und Ohren, auch riß er ihnen die Augen aus. Dann legte er ihre Köpfe auf einen Teller, ihre Augen auf einen anderen, ihre Nasen auf den dritten, ihre Ohren auf den vierten, ihre Hände auf den fünften, ihre Füße auf den sechsten und ihre Leiber auf den siebenten. Hierauf deckte er alle Teller zu, brachte sie zur Weihe zurück und rief aus: »Hier hab' ich dir etwas zurückgebracht! Du sandtest mir ein Geschenk, und hier send' ich dir ein Geschenk.«

Die arme Weihe ahnte, daß der Schakal all ihre sieben Kinder getötet habe, und rief: »O, es ist jetzt zu dunkel, um zu erkennen, was du gebracht hast. Setz' die Teller in meinem Baum nieder.«

Der Schakal setzte sie nieder und ging heim.

Da machte Gott die Söhne alle wieder lebendig, und sie liefen zu ihrer Mutter und waren heil und gesund. Und anstatt der Köpfe und Augen, der Nasen und Ohren, der Hände und Füße waren wieder Kokosnüsse, Gurken, Reis usw. auf den Tellern.

Nun kriegte der Schakal die Söhne wieder zu packen, und diesmal tötete er sie, kochte sie und aß sie; und wieder brachte Gott sie zum Leben. Der Schakal war höchlichst erstaunt, sie lebendig zu sehen, wurde böse und sagte zur Hühnerweihe: »Ich werde deine sieben Söhne hernehmen und ins Wasser werfen, und sie werden ertrinken.«

»Schön,« sagte die Weihe, »nimm sie. Mich soll es nicht bekümmern. Denn Gott wird sie behüten.«

Der Schakal nahm sie, warf sie ins Wasser und ließ sie sterben, während die Weihe zusah, ohne zu weinen. Aber wiederum machte Gott sie lebendig, und der Schakal war völlig verblüfft. »Hab' ich diese Kinder nicht ins Wasser getan und sie ertrinken lassen?« sagte er. »Und hier sind sie und leben!«

[340] Da wurde Gott zornig über den Schakal und sagte zu ihm: »Mach' dich fort aus diesem Dorfe! Und wo immer du gehst, sollen die Menschen auf dich schießen, und du sollst dich immer vor ihnen fürchten.«

So mußte der Schakal denn weggehen, und die Weihe lebte seitdem mit ihren Kindern glücklich und in Freuden.


  • Literatur: Maive Stokes, Indian Fairy Tales, London 1880, S. 21.

b) Die Schakale führten vor langer, langer Zeit, von den Bewohnern des Waldes unterstützt, einen Krieg mit den wilden Hühnern, die einen Trupp Menschen zu Hilfe riefen. Einer von diesen ergriff den König der Schakale, warf ihn an einen Felsen und zerbrach ihm die Kinnlade. Als das Tier den Schlag empfing, schrie es: »apoi magê hakka, hakka, hakka.« (O meine Kinnlade!)

Dieser Ruf und die Feindschaft zwischen Schakalen und Hühnern haben sich erhalten bis auf den heutigen Tag. (Singalesisch.)


  • Literatur: Indian Antiquary 33, 230.

29. Sage der Tee-Wahu.


Einst lebten viele Krähen in einem Waldwinkel. Ein Stückchen weiter in die Ebene hinaus stand ein sehr großer Baum, unter dem viel Sand lag. Eines Tages ging dort ein Präriehund vorbei, hörte, wie die Krähen unter diesem Baume sangen und tanzten, und ging hin, sie zu beobachten. Sie tanzten in einem Kreise, und jede Krähe hatte auf ihrem Bücken einen großen Sack. »Ihr lieben Krähen, was tut ihr da?« fragte der Präriehund, den das sehr interessierte. »O, wir tanzen mit unsern Müttern,« sagten die Krähen. – »Wie hübsch, wollt ihr mich auch mittanzen lassen?« fragte der Präriehund den Anführer des Tanzes. – »O ja,« sagte die Krähe. »Geh, tu deine Mutter in einen Sack und komm zum Tanzen.« Der Präriehund lief nach Hause. Da saß seine alte Mutter in einer Ecke am Feuer. Der dumme Präriehund nahm einen Stock, schlug sie auf den Kopf, tat sie in einen Sack und eilte mit ihr zum Tanzen. Die Krähen tanzten dort ver gnügt und sangen: »Ach, Mutter, du wirst geschüttelt, du wirst geschüttelt.« Der Präriewolf trat mit dem Sack auf dem Rücken in den Reigen ein und sang wie die Krähen: »Ach, Mutter, du wirst geschüttelt, du wirst geschüttelt.« Aber zuletzt fingen die Krähen an zu lachen und sagten: »Was bringst du in deinem Sack?« »Meine Mutter, wie ihr mir gesagt habt,« erwiderte der Präriewolf und zeigte sie. Da leerten die Krähen ihre Säcke, die nur mit Sand gefüllt waren, und flogen lachend auf den Baum. Da sah der Präriewolf, daß sie ihm einen Streich gespielt hatten, ging nach Hause und rief immer: »O weh, o weh!« Als er heimkam, nahm er seine Mutter aus dem Sack, versuchte sie in die Herdecke zu setzen und rief dabei: »O weh, o weh, warum sitzt du nicht wie vorher?« Aber sie konnte nicht, denn sie war tot. Als er nun sah, daß sie nicht mehr aufrecht sitzen konnte, schwor er, die Krähen zu verfolgen und sie zu fressen, solange er lebe. Und seitdem hat er sie bis zum heutigen Tag immer gejagt und ist immer Krieg zwischen ihnen.


  • Literatur: Aus: St. Nicholas, an illustrated magazine for young folks. Conducted by Mary Mapes Dodge. Vol. XVIII. New York and London 1891, S. 834. Mitgeteilt von Charles Lummis.

30. Sage der Aino.


Eine Eule hatte sich etwas von einer schönen Speise aufgehoben, um am nächsten Tage davon zu essen. Aber eine Ratte kam und stahl die Speise.

Da wurde die Eule sehr zornig, ging sogleich zur Wohnung der Ratte und[341] drohte ihr mit dem Tode. Die Ratte entschuldigte sich und sagte: »Ich will dir diesen Bohrer geben und dir zeigen, wie viel mehr Vergnügen du dir durch den Bohrer verschaffen kannst, als du durch deine Speise gehabt hättest, die ich dir ungezogenerweise auffraß. Sieh mal her! Du mußt den Bohrer mit der Spitze nach oben am Fuße dieses Baumes in die Erde stecken, dann flieg auf die Spitze des Baumes und gleite am Stamm herunter.«

Damit ging die Ratte weg, und die Eule tat, wie die Ratte ihr gesagt hatte. Aber als sie den Baum herunterrutschte, wurde sie auf den scharfen Bohrer aufgespießt und litt große Schmerzen. Voll Wut ging sie zur Ratte, um sie zu töten, aber die Ratte entschuldigte sich wieder und bot ihr als Friedenspfand eine Haube an.

Seit dieser Begebenheit tragen die Eulen ein dickes Büschel aufrechter Federn auf dem Kopfe und leben in ständiger Feindschaft mit den Ratten.


  • Literatur: Folklore Journal 6, 7.

31. Aus Samoa.


Da waren einst drei Freunde, eine Maus, eine Schnepfe und ein Einsiedlerkrebs. Die bauten sich ein Schiff und segelten auf dem Meer, und ihr Schiff schlug um im Riffwasser. Da flog die Schnepfe davon, denn sie hat Flügel, der Einsiedlerkrebs ging nieder aufs Riff, die Maus aber schwamm oben und fing an zu singen:


»Wir hatten gemacht uns einen Kahn

Aus dem Brotfruchtzweig, einen Fauzweig dran, –

Aufs Riff sank die schwere Krabbe dann,

Weg flog die Schnepf, weil sie fliegen kann,

Und ich schwimm jetzt ans Land hinan.«


Da kam ein Tintenfisch geschwommen und sagte: »Komm, setz dich auf meinen Kopf!« Und der Tintenfisch schwamm oben, und die Maus setzte sich ihm auf den Kopf. Und da saß sie und aß und machte Unrat auf den Kopf des Tintenfisches. Und als sie ans Land kamen, sagte der Tintenfisch: »So, nun mach, daß du fortkommst!«

Da fing aber die Maus folgenden Gesang an:


»Tintenfischchen, Tintenfischchen,

Fühl doch mal auf deinen Kopf,

Was ist das weiche Zeug darauf?«


Da fühlte der Tintenfisch nach seinem Kopf und merkte, was die Maus gemacht hatte. Da rief der Tintenfisch voll Zorn:


»Eule vom Land, komm herunter,

Eule vom Meer, komm her,

Eule vom Wasser, komm her,

Eule vom Osten, komm her,

Eule unter der Erde, komm herauf,

Eule in der Luft, komm herunter!

Kommt und freßt das verwünschte Ding da auf!«


Da versammelten sich alle die Eulen und machten sich daran, die Maus zu suchen. Die Maus hatte sich aber unter eine Kokosschale, mit der Meerwasser geschöpft wird, verkrochen. Eine der Eulen spürte sie aber dort auf, und die rief den übrigen zu: »Kommt alle hierher!« Da kamen die Eulen und brachen die Kokosschale in Stücke. Und da saß die Maus, und da fraßen die Eulen sie auf.

[342] Wegen dieser Geschichte stellen die Eulen noch heutigen Tages den Mausen nach. Den Fleck auf dem Kopfe zeigen die Eingeborenen ihren Kindern noch heute.


  • Literatur: Sierich, Internat. Archiv f. Ethnographie 15, 185.

32. Sage der Cheyenne.


Vögel und Tiere berieten einst untereinander, daß sie Freundschaft halten und miteinander leben wollten wie Brüder. Dies wurde der Freundschaftsrat der Tiere genannt. Die Mehrzahl wollte gerne in Frieden leben, aber die Raubvögel: Adler, Falke, Elster, Krähe widersprachen ihnen. Der Falke sagte, der Krieg sei eine edlere Sache, und flog fort, um seine Nahrung unter den anderen Vögeln zu suchen. Da sprach auch der Adler gegen die Freundschaft, und die Versammlung wurde aufgelöst. Die verschiedenen Vögel und Tiere suchten Verstecke und sind seitdem die Beute der Raubvögel gewesen.


  • Literatur: Journal of Am. Folklore 13, 162.

33. Aus Kamerun.


a) Der Habicht hatte einen Sohn. Dieser hieß Ewane. Eines Tages wurde Ewane sehr krank. Der Habicht rief alle klugen Leute herbei, daß sie seinen Sohn gesund machen möchten, doch keiner konnte die Krankheit des Ewane heilen. Der Habicht wurde darüber sehr traurig.

Da kam ein Mann zu ihm und sprach: »Ich habe jemand, der es gut versteht, schwere Krankheiten zu heilen. Allein ich will dafür Bezahlung haben.«

Da sagte der Habicht: »Wenn ich dir nun Bezahlung gebe, und mein Kind wird doch nicht geheilt, was dann?«

Der Mann antwortete: »Dann gebe ich dir alles zurück, was du mir gegeben hast.«

Nun gab der Habicht diesem Mann 2 Kru Waren (Wert: 24 Mark).

Der Mann ging in das Haus der Spinne und sagte zu ihr: »Ewane, der Sohn des Habichts, ist schwer krank. Gehe zu ihm und gib ihm Medizin, daß er wieder gesund wird.«

Die Spinne entgegnete dem Manne: »Du mußt mich hintragen; denn wenn mich das Huhn unterwegs sieht, so wird es mich aufpicken.«

Aber der Mann wollte durchaus nicht. Er sprach zur Spinne: »Was für eine Streitsache ist zwischen dir und dem Huhn?« Die Spinne antwortete: »Weißt du denn nicht, daß das Huhn bekannt gemacht hat, es würde jeden Käfer aufpicken, den es sähe?« (Die Kameruner zählen die Spinnen mit zu den Käfern (betanda).

Der Mann glaubte aber der Spinne nicht. Er dachte, sie sei nur zu faul zum Gehen.

Die Spinne machte sich nun auf den Weg. Sie nahm ihre Tasche mit der Medizin unter den Arm. Unterwegs traf sie das Huhn. Sie schlich sich seitwärts durch das Gras. Das Huhn sah aber im Grase die Spuren der Spinne und fand sie selbst. Es fing die Spinne und rief seine Kinder herbei. Sie verzehrten zusammen die Spinne.

Der Habicht wartete vergebens bis mittags auf den Mann mit der Medizin. Dann ging er fort zum Hause des Mannes, der die Medizin senden wollte. Als er auf den Weg kam, fand er die zerbrochenen Flaschen, in welchen die Medizin gewesen war, und einen Brief. Er las diesen Brief. Es stand darin, daß die Spinne in das Haus des Habichts gehe. Niemand hatte den Brief berührt. Der Habicht ging nun wieder heim.

[343] Am anderen Tage kam auch die Heuschrecke vorbei. (Die Kameruner zählen auch die Heuschrecke zu den Käfern.) Das Huhn fand sie und fraß sie auch auf.

Das Kind des Habichts starb. Darum haßt der Habicht das Huhn. Er ließ allen vierfüßigen Tieren und allen Vögeln bekannt machen: »Wenn ihr das Huhn oder eines seiner Kinder seht, so sollt ihr es töten und auffressen; denn das Huhn hat verschuldet, daß mein Sohn gestorben ist.«

Darum fürchtet sich das Huhn vor dem Habicht, vor allen Vögeln und vor allen vierfüßigen Tieren sehr. Wenn es sie sieht, so läuft es davon und versteckt sich.


  • Literatur: Lederbogen, Kameruner Märchen Nr. 27.

b) Wombe, der Singfalke, hatte einen einzigen Sohn, welcher Ewane hieß. Einst waren Wombe und Ewane zur großen See geflogen, um dort ihre fröhliche Mahlzeit, bestehend aus allerlei kleinen Fischen, zu halten. Da begegnete ihnen ein Jäger, welcher schon ganz verzweifelt war und in demselben Augenblick seine Flinte wegwerfen wollte, weil er sie den ganzen Tag vergeblich mit sich herumgetragen hatte. Und da der Jäger den Flügelschlag der beiden Vögel über sich vernahm, ward er hoch erfreut und legte seine Flinte an. Piff! paff! klang es, und die Kugel drang in Ewanes Brust. Allein er fiel nicht herunter, und der Jäger sah den beiden Raubvögeln noch eine Weile mißmutig nach und ging dann weiter. Der arme Ewane aber sprach mit großem Schmerz zu Wombe: »Mein Vater, ich kann nicht mehr weiterfliegen, denn ich bin verwundet.« Der Vater war sehr erschrocken, denn er liebte Ewane über alles, und der Gedanke, daß er nun sterben könnte, war ihm so schrecklich, daß er kaum sprechen konnte. Als Ewane seinen Vater so traurig sah, fragte er mit schwacher Stimme: »Werde ich sterben, lieber Vater? Sieh doch, wie schwer mir das Fliegen wird, und laß uns irgendwo ausruhen.« Da ermannte sich Wombe und tröstete den armen Ewane freundlich und sprach: »Hab' nur ein Weilchen Geduld, bald sind wir zu Hause. Dann hole ich gleich einen Doktor, der dir die Kugel aus der Brust schneidet.« Und so flogen sie weiter und kamen wirklich nach Hause. Nun brachte Wombe seinen Sohn schnell zu Bett, rief seine Frau und sagte ihr, daß sie ihn pflegen sollte. Dann flog er wieder fort.

Unterwegs begegnete ihm ein kleiner grüner Vogel, den redete Wombe mit vor Angst zitternden Lippen an: »Freundchen, weißt du wohl einen tüchtigen Doktor, der mir in einem ganz besonders schweren Falle helfen kann?« – »Was ist dir geschehen?« sprach der Vogel, und Wombe klagte ihm seine Angst um Ewane. »O,« sprach da der kleine Vogel, »da kann ich dir nur raten, dich an die Schildkröte zu wenden, sie wohnt dort in dem Wald, der vor uns liegt – gleich vorne an wirst du ihr kleines Häuschen finden. Sie soll ihre Sache vortrefflich verstehen; aber sie ist leicht empfindlich, und ich rate dir, ihr nicht zu widersprechen und ihre Anordnungen recht pünktlich zu befolgen.« – »Gewiß werde ich das,« sprach Wombe, »habe Dank, tausend Dank, ich begebe mich sogleich zu ihr.«

Der schnell fliegende Wombe breitete seine Flügel aus, und nach einigen Minuten sehen wir ihn schon neben der Schildkröte sitzen, um ihr seine Geschichte zu erzählen. Die Schildkröte versprach gerne ihre Hilfe. »Aber,« sprach sie, »eine Bedingung mache ich, die du erfüllen mußt. Es ist mir nämlich ganz unmöglich, zu deiner Wohnung zu gehen, ich käme wohl nie an, wollte ich es versuchen; darum mußt du mich abholen und auch wieder hierher zurückbringen. Komm nur recht früh, ich bin jeden Augenblick gerüstet.« – »Also erst morgen willst du kommen,« sprach Wombe traurig. »Ja, morgen,« erwiderte die Schildkröte, »heute[344] wird's mir zu spät.« So flog Wombe davon, saß mit vieler Trauer am Bette seines Sohnes und hörte seine Klagen die ganze lange Nacht.

Am nächsten Morgen gönnte er sich zum Frühstück nur einige Mücken, die gerade in der klaren Morgenluft spielten, und flog dann zur Schildkröte. Diese war auch fertig und fragte sehr teilnehmend nach Ewanes Befinden. »O, es geht ihm schlecht,« sprach Wombe, »laß uns nur eilen!« Sie nahm ihre Tasche, in welche sie allerlei Werkzeuge, heilende Kräuter und Medizinfläschchen hineingelegt hatte. Wombe faßte sie mit dem Schnabel bei ihrer harten Schale, und davon ging's in scharfem Fluge.

Als sie in der Wohnung des Wombe ankamen, hörten sie gleich, daß es Ewane immer schlechter und schlechter gehe, und Wombe sprach seufzend zu der Schildkröte: »Wirst du ihn gesund machen können?« – »Wir wollen erst sehen,« war die Antwort. Sie ging zu Ewane hinein, doch als sie ihn so blutend und von Schmerz entstellt liegen sah, befiel sie eine große Angst, und sie hob ihre Augen traurig zu Wombe auf und sprach: »Ich will nicht erst mit meinen Mitteln beginnen, lieber Wombe, denn dein Sohn ist sehr krank, ja, er liegt schon im Sterben, und ihm kann nichts mehr helfen. Wollte ich gleich noch eins von meinen Heilmitteln anwenden, es wäre umsonst, und du würdest vielleicht denken, ich hätte ihn vergiftet. Ich bin nur eine arme Frau, lieber Wombe. Darum bitte ich dich: bring mich nach Hause zurück, denn ich fürchte, ich werde hier vor Angst ohnmächtig.« Aber der arme Wombe sah sie ganz trostlos an und sagte nichts. Da sagte die Schildkröte: »Ich will dir noch einen andern Doktor vorschlagen, es ist der berühmteste, den es gibt.« – »O sprich,« entgegnete Wombe. »Dort,« sprach die Schildkröte, »siehst du doch ein dicht bewachsenes Bohrfeld. Fliege hin, und bald wirst du ein Tierchen, pfeifen hören, zu dem gehe. Es ist das der Doktor Grashupfer; er hat schon ganz ungeheure Kuren gemacht und weiß vielleicht auch hier noch Hilfe.« – »Hab' Dank,« sprach Wombe, »ich will gleich hinfliegen – ich werde dich unten am Baumstamm niedersetzen, von da mußt du dann schon alleine nach Hause gehen.« – »Was,« schrie da die Schildkröte, »ich soll alleine gehen? Hältst du so dein Versprechen?« Aber Wombe packte sie, flog mit ihr vom Baum und setzte sie trotz aller Klagen unten nieder. Er war zu sehr in Sorge um seinen Sohn, als daß er hätte auf die Scheltworte der Schildkröte hören mögen. Während er nun den Doktor Grashupfer aufsuchte, saß die Schildkröte noch immer unter dem Baum, rang die Hände und verwünschte die Undankbarkeit der Welt. Niemand hat es erfahren, ob sie jemals wieder nach Hause gekommen ist, oder was sonst aus ihr geworden ist.

Aber wir wollen sie getrost ihrem Schicksal überlassen und hören, wie es Wombe weiter erging. Er fand richtig die Wohnung des Doktor Grashupfer, klopfte an und trat auf das leise gezirpte »Herein!« des Doktors hastig ein. »Ach, lieber Wombe, was führt dich hierher?« so empfing ihn der Doktor. Wombe wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und erzählte dem Doktor kurz sein Leid und bat ihn dann so dringend wie möglich, doch gleich mitzukommen. »Die Schildkröte,« so schloß der arme Wombe seine Rede, »sagte, daß du der einzige seist, der noch helfen könnte.« – »Die Schildkröte ist eine gutmütige Närrin,« sagte der Doktor gemessen, »ich verspreche dir nichts weiter, als daß ich gleich mitkommen will und an deinem Sohne so handeln, als ob es mein eigner wäre.« – »Habe vielen Dank,« sprach Wombe und atmete erleichtert auf, »komm, wir wollen eilen, ehe es zu spät wird.« Die Frau Doktor Grashupfer hatte unterdessen mit nassen Augen und zitternden Händen die Gerätschaften ihres Mannes zusammengepackt. Sie war[345] eine gutmütige Frau, und ihr ging das Leid des Wombe mächtig zu Herzen; aber das war es nicht allein, was ihr das Herz so schwer machte; sie hatte trübe Ahnungen, als ob dieser Gang ihres lieben Mannes zum Unglück ausschlagen könnte. Doch sagte sie nichts davon, sondern wünschte ihm nur ein ganz besonders freundliches Lebewohl und ließ ihn mit Wombe von dannen gehen. Ein Stückchen führte der Weg noch durch das dichte Rohrfeld. Doch als sie aus demselben heraustraten, kamen sie in einen großen Hof, da mußten sie hinüber. Auf dem Hof aber liefen viele hübsche Hühner hin und her, und ein schöner großer Hahn war auch da. Als der die beiden, den Wombe und den Doktor Grashupfer, ankommen sah, machte er sich sehr breit und fing heftig an zu schelten. Der Doktor klammerte sich ängstlich an Wombe und sprach: »Beschütze mich, denn du bist stärker als er.« – »Sei unbesorgt,« sprach Wombe und deckte einen Flügel über den kleinen Doktor, und so kamen sie glücklich über den Hof. Als sie wieder im Freien waren, sagte der Doktor zu Wombe: »Ja siehst du, so hat jeder Mensch auf Erden seine Sorgen. Meine Frau und ich, wir könnten nun so glücklich leben; aber wir haben beide keine Ruhe vor den Hühnern. Sie trachten uns nach dem Leben, und wenn ich in meiner Verwandtschaft so herumsehe, ach! welche schmerzlichen Lücken entdecke ich da, und immer waren es die Hühner, welche meine lieben Verwandten umbrachten. Ich könnte dir endlose Geschichten erzählen, doch will ich dein trauriges Herz nicht noch trauriger machen.« – »O,« sprach Wombe, »erzähle nur, lieber Doktor, es kürzt den Weg.« Und der Doktor erzählte ihm viele Beispiele, wo die Hühner aus reiner Bosheit seine ganz friedlich einherkommenden Onkel, Vater, Großväter und Geschwister getötet hatten. Unter solchen Geschichten erreichten sie den Baum, auf dem Wombe wohnte. So sanft wie möglich hob Wombe den Doktor hinauf, und seine erste Frage war nach dem Sohne. »Er schläft,« sprach weinend die Frau, »ich warte schon lange, aber er will gar nicht wieder erwachen.« – »Was ist das, Doktor,« rief Wombe, »er ist doch nicht tot?« – Doktor Grashupfer trat an Ewanes Lager. »Nein, er ist nicht tot,« sprach er, nahm aus seiner Tasche ein Fläschchen und gab dem Ewane einen Tropfen ein. Da schlug dieser die Augen auf und sah seinen Vater freundlich an. Und als sie ihn befragten, wie es ihm ginge, sagte er: »Etwas besser, aber ich bin noch so müde.« Der Doktor sprach: »Ich werde morgen wieder kommen, bis dahin laßt ihn nur ruhig schlafen. Wenn er morgen nochmals einen Tropfen eingenommen hat, dann denke ich, daß er gesund sein wird.« – »O Doktor, wie danke ich dir,« sprach Wombe, »sage, was ich tun soll, und ich gebe dir mein Wort, nichts wird mir zu schwer oder zu viel sein.« Der Doktor lächelte und sprach: »So bitte ich von dir, daß du mich heute heimgeleitest und auch morgen wiederkommst, um mich abzuholen. Ich habe dir ja genug von unsern Feinden und ihrer Grausamkeit erzählt; so wirst du auch meine Angst vor ihnen begreifen und mich darum nicht für feige halten.« – »Gewiß nicht,« sprach Wombe, »es ist wenig, was du verlangst, ich tu es sehr gerne.« Und als sie sahen, daß Ewane schon wieder fest schlief, machten sie sich auf den Weg.

Es war spät, als Wombe heimkehrte, und er war sehr müde und begab sich gleich zur Ruhe. Aber nach einigen Stunden erwachte er schon wieder von dem Schmerzensgeschrei des Ewane. Wombe und seine Frau dachten nun wirklich, Ewane werde sterben, denn er schrie ganz gewaltig.

Die Sonne war längst in vollem Glänze aufgegangen, und noch immer schrie Ewane, und Wombe stand zum Tode betrübt neben ihm. Endlich mahnte die Frau: »Willst du nicht gehen und den Doktor rufen?« – »Sowie es Tag ist,« antwortete[346] Wombe. – »Tag ist ja längst,« entgegnete die Frau, »hast du es nicht gemerkt?« – »Wirklich?« sagte Wombe und sah sich verstört um. Er hatte es in seiner Angst nicht gemerkt. Nun machte er sich aber sogleich auf den Weg.

Als er in das Haus des Doktors trat, fand er dessen Frau allein. Sie sah ihn erstaunt an und sprach: »Hat mein Mann etwas vergessen, was du holen wolltest?« Wombe fuhr sich mit der Hand an die Stirn – ja, war er denn noch immer im Traum – was meinte die Frau nur? Dann aber besann er sich und sagte: »Ich wollte den Doktor holen, denn es steht sehr schlecht mit meinem Sohn.« – »Aber du meine Güte,« erwiderte da die Frau, »er ging ja schon vor einer Stunde zu dir, wo ist er denn?« – »Ach,« sagte Wombe, »ängstige dich nur nicht gleich, dann haben wir uns verpaßt, und er ist schon bei meinem Sohn.« Und er grüßte die Frau und flog gradeswegs davon nach Hause.

Schon von weitem hörte er das Angstgeschrei seines Sohnes. Der Tropfen will heute nicht so gut helfen als gestern, dachte er und trat ein. Aber da sah er nur seine Frau, die schon ganz verzagt war und ihm entgegen rief: »Wenn der Doktor nicht bald kommt, dann stirbt er.« Da flog Wombe davon, den Doktor zu suchen. Eine qualvolle Angst schnürte ihm die Brust zusammen, denn er sagte sich, daß dem Doktor ein Unglück zugestoßen sei. Darum flog er auch gleich zu dem Hof und durchsuchte denselben mit scharfem Auge. Da sah er plötzlich die Medizinflasche des Doktors und dort seine Flügel und Reste von seinen Beinen. Ja, die Hühner hatten ihr Werk an dem armen Doktor getan. Also darum waren sie bei Wombes Erscheinen alle so schreiend auseinander geflo gen und hatten sich versteckt! »O ihr mordsüchtigen Kreaturen!« sagte Wombe, und ein heftiger Zorn erfaßte ihn.

Doch jetzt mußte er zuerst an Ewane denken. Er raffte die Medizinflasche auf und eilte nach Hause. Aber vor der Türe schon trat ihm seine Frau entgegen und sprach: »Ewane ist gestorben.« Da ließ Wombe die Tasche fallen und setzte sich still und stumm hin. Und so saß er mehrere Tage. Als aber Ewane begraben war, erging ein Brief von Wombe an alle Tiere. Darinnen stand zu lesen, daß Feindschaft sein sollte zwischen allen Raubtieren und den Hühnern. Das lasen sie alle – der Fuchs und der Marder, der Iltis und die Weihe, der Habicht und der Adler, alle, alle!

Und sie haben es sich gemerkt, und wo sie ein Huhn oder einen Hahn oder ein niedliches kleines Küchlein sehen, da fangen sie es, und es muß sein Leben lassen, weil durch ihre Schuld Ewane, der Sohn Wombes, gestorben ist. Und bis zum heutigen Tage kann man im Duallaland den Wombe klagen hören: »A ye Ewane am e wo«. Das heißt: »Ach, mein Ewane, nun bist du tot!«


  • Literatur: Meinhof, Märchen aus Kamerun, S. 81.

c) Das Huhn und der Käfer zankten sich. Das Huhn fragte den Käfer: »Warum hast du nicht nur zwei Flügel wie ich? Du hast vier Flügel und bist doch nicht so groß wie ich. Ich glaube, wegen deiner Unbeholfenheit gab dir Gott vier Flügel.«

Der Käfer erwiderte: »Ich werde dir nicht den Grund sagen, weshalb ich nicht zwei, sondern vier Flügel habe; denn du bist zu dumm dazu, das zu verstehen. Wenn du nicht so furchtbar dumm wärest, so könnten dich die Menschen nicht so beherrschen und ausnutzen.«

Das Huhn entgegnete: »Die Menschen lieben mich, weil ich ihnen Nutzen bringe.« Da fragte der Käfer: »Welchen Nutzen hast du für sie?« Das Huhn antwortete: »Mein Nutzen besteht darin, daß sie mich essen.«

[347] Der Käfer sprach: »Betrachte nur einmal die Dummheit, die du eben gesprochen hast. Du denkst, die Menschen lieben dich, weil sie dich essen?«

Das Huhn sprach weiter: »Ich habe noch etwas zu sagen vergessen.« Der Käfer sprach: »Sage, was du noch hinzuzufügen hast.«

Das Huhn sagte: »Die Menschen lieben mich, denn sie verkaufen mich und bekommen dafür Geld.«

Der Käfer aber rief: »Hört nur die Dummheit, die es spricht!« Da wurde das Huhn zornig und gebot dem Käfer: »Wenn du noch einmal so sprichst, so schlage ich dich!«

Doch der Käfer verhöhnte das Huhn wieder. Da packte das Huhn den Käfer und wollte ihn aufpicken.

Da kam die Ente hinzu und wollte den Streit schlichten. Als sie aber die Klage des Käfers hörte, da fing sie an, über das Huhn zu lachen. Das machte das Huhn zornig, und es kämpfte nun mit der Ente, und diese und der Käfer schlugen auf das Huhn los.

Seit dieser Zeit herrscht große Feindschaft zwischen dem Huhn und der Ente und auch zwischen dem Huhn und dem Käfer.

Wenn das Huhn einen der beiden wiedersieht, so beginnt es, mit ihm zu streiten.


  • Literatur: Lederbogen, Kameruner Märchen Nr. 26.

34. Estnische Sage.


Die Morastschnepfe sah, wie der Rabe einmal seinen Jungen aus dem Ei half. Als sie dem Raben etwas zugesehen hatte, sagte sie: »Koori, koori! ma piston siis pojad mokka; on hea suu täis.« Das heißt: »Schäle, schäle! ich werde dann deine Jungen verzehren; sie geben einen schönen Bissen.« Darüber ärgerte sich der Rabe so, daß er seine Jungen stehen ließ und auf die Schnepfe sprang, um sich zu rächen. Wie ein zerlumpter Lappen, so zerzaust, entwischte die Morastschnepfe endlich dem Raben.

Seit der Zeit sind Morastschnepfe und Rabe Feinde.


  • Literatur: Aus dem hdschr. Nachlaß von J. Hurt.

35. Aus Madagaskar.


Man erzählt sich, daß eine Falkin einen Sohn gebar, und eine Henne kam, um sie zu pflegen. Nachdem die Falkin sich eine Woche hatte pflegen lassen, ging sie aus, um sich ein bißchen Bewegung zu machen, und gab der Henne ihren Sohn zur Beaufsichtigung. Als es aber heller Tag wurde und die Falkin noch nicht wiederkam, wurde die Henne böse und tötete das Kleine.

Als nun die Falkin kam und ihr Junges tot sah, wurde sie zornig und schlug die Henne; die Henne aber widerstand ihr, denn sie waren gleich in Kraft. Als sich nun die Falkin nicht mehr zu helfen wußte, rief sie einen Fluch auf die Henne herab: »Die meine wahren Nachkommen sein wollen, die müssen die Jungen der Hennen töten, weil sie mein Junges getötet hat!«

Darum, so heißt es, fressen die Falken junge Hühner, aber keine Hennen.


  • Literatur: Folklore Journal 1, 314.

36. Aus Indien.


a) Der Seidenschwanz (dicrurus, ind.: karudu panikkiya oder kaputu bênâ) war ein Barbier (in einer früheren Geburt), und jetzt packt er seinen unehrlichen Kunden, die Krähe. (Singhalesisch.)


  • Literatur: Indian Antiquary.

[348] b) Die Heuschrecken pflegten gefährlich die Felder zu verwüsten, wenn die Ernte beginnen sollte. Die Gebete des Volkes veranlaßten die Hindu-Gottheit, sie im Westen des Himalaya gefangen zu halten, in einem Tal, das von unübersteigbaren Bergen umgeben war und dessen Ausgänge von den Staren (tilias) bewacht wurde. Dann und wann, wenn die Wächter ihre Pflicht vernachlässigen, entkommen die Heuschrecken und werden von den Staren heiß verfolgt, die sie alle vernichten, da sie sie nicht in ihr Gefängnis zurücktreiben können.

Daher soll die Feindschaft der Heuschrecken und Stare stammen.


  • Literatur: North Indian Notes and Queries 2, 64, wo vermutet wird, daß der Ursprung der Sage in der Tatsache liege, daß die Heuschrecken und Stare zu gleicher Zeit und aus derselben Richtung kämen.

c) Ein Schakal täuschte einst ein Krokodil, indem er ihm versprach, ihm eine Frau zu verschaffen, und wurde so mehrere Tage über den Fluß getragen, bis er den Leichnam eines Elefanten am anderen Ufer gefressen hatte. Das Krokodil versuchte vergeblich, Bache zu nehmen, da unternahm es ein Taschenkrebs (crab) ihm zu helfen. Er bereitete ein Fest und lud den Schakal ein. Nach der Mahlzeit schlug der Wirt, der absichtlich nicht für Wasser gesorgt hatte, dem Schakal vor, nach dem Fluß zu gehen, um zu trinken. Der Schakal willigte ein, aber er sah seinen Feind auf der Lauer liegen. Der Krebs wurde wegen Verrates getötet, und der Krieg zwischen Schakalen und Taschenkrebsen dauert fort bis heute. (Singhalesisch.)


  • Literatur: Indian Antiquary 33, 230.

37. Sage der Visayan (Philippinen).


Ein Spinnenmännchen liebte einst ein Fliegenweibchen. Er erklärte ihr oft seine Liebe, aber er wurde immer abgewiesen, da die Fliege sein Gewerbe nicht liebte.

Als sie ihn eines Tages kommen sah, schloß sie Tür und Fenster und nahm einen Topf kochenden Wassers.

Das Spinnenmännchen bat, eingelassen zu werden, aber die Antwort der Fliege war, daß sie das heiße Wasser auf ihn goß.

»So werde ich und meine Nachkommen mich an dir rächen. Wir werden dich keinen Augenblick in Buhe lassen.«

Die Spinne hielt ihr Wort: bis heute sehen wir, wie sie die Fliege haßt.


  • Literatur: Journ. of Am. Folklore 20, 101.

38. Aus Madagaskar.


a) Einstmals verschlang eine mänditra-Schlange einen Frosch, und der Frosch schmähte sie so:

»Was für ein geflecktes Äußere du hast, und was für einen plumpen Kopf und glotzende Augen! Was ist aus deinen Füßen und Händen geworden!« Da antwortete die Schlange: »Meine Füße habe ich beim Froschverfolgen abgelaufen, meine Augen stehen vor, weil ich sie mir nach euch herausgesehen habe, meine Haut ist gefleckt, weil ich voll deiner kostbaren Vorfahren bin.«

Da wurde der Frosch böse und verfluchte die Schlange, und darum wird er von den Schlangen so eifrig verfolgt.


  • Literatur: Sibree, Folklore Journal 1, 337.

b) Das Chamäleon und die Eidechse waren Schwesterkinder, und eines Tages saßen sie zusammen am Fuß eines Baumes. Die Eidechse begann die Unterhaltung: »Wie schön ist das Leben, guter Freund!« Das Chamäleon antwortete: »Das Leben[349] wäre schon schön, wenn es nicht voller Gefahren wäre.« Die Eidechse war darüber erstaunt und sagte: »Das denkst du wohl, Bursche, weil du so dünn bist und vorstehende Augen hast.« Das Chamäleon erwiderte: »Und du denkst es dir, weil du häßlich und braun bist, darum.« So schmähten sie einander, bis ein Mensch kam, da erschraken sie. Die Eidechse kroch in ihr Loch, das Chamäleon kletterte auf einen Baum, und seitdem, heißt es, sind sie einander feind.


  • Literatur: Folklore Journal 1, 316.

39. Aus Indien.


Während der heißen Jahreszeit spielte ein Kind in einem Wasserfaß, und eine Cobra trank daraus, ohne das Kind zu verletzen. Eine Viper (palongâ) begegnete ihr auf dem Rückweg, der erzählte sie, wo sie ihren Durst gestillt hatte, unter der Bedingung, daß das Kind nicht verletzt werden dürfte. Als die Viper trank, schlug das Kind sie im Spiel mit der Hand und wurde zu Tode gebissen. Die Cobra tötete die Viper, da sie ihr Wort gebrochen hatte, und die Feindschaft besteht noch heute.


  • Literatur: Indian Antiquary 33, 231.

40. Sage der Singhalesen (Ceylon).


Es gibt viele Arten Schlangen, darunter edle und großmütige Naturen, aber die Cobra ist die edelste unter ihnen. Sie ist den Menschen wohlgesinnt, liebt die Musik und ist für erwiesene Freundlichkeit dankbar. Die Polanga dagegen ist die geringste unter den Schlangen. Diese beiden leben beständig in Feindschaft. Diese Feindschaft begann folgendermaßen:

Es war ein sehr trockenes, regenarmes Jahr. Die Flüsse waren ganz schmal geworden, der Boden der Zisternen hart und braun, die Brunnen vertrocknet. Da traf eine Polanga, die vor Durst und Hitze beinahe umkam, eine Cobra, die frisch und munter aussah. »Hast du irgendwo Wasser gefunden?« stieß die Polanga hervor. Die andere antwortete bejahend. »Wo? Wo ist es? Ich flehe dich an, sage es mir, ich sterbe vor Durst.« – »Ich kann es dir nur sagen, wenn du mir versprichst, keinem lebenden Wesen etwas anzutun, das sich bei dem Wasser aufhält.« »Was das anbetrifft,« antwortete die Polanga, »so will ich dir alles versprechen, wenn ich nur diesen schrecklichen Durst löschen kann.« Und sie gab ein feierliches Versprechen ab. »Nun wohl,« sagte die Cobra, »hinter jenem Gebüsch ist ein großer irdener Wasserbehälter, worin ein Kind spielt. Geh und trinke, aber hüte dich, daß du dem Kinde nichts tust.« Damit gingen sie auseinander. Nachdem aber die Cobra ein Stückchen weiter gegangen war, kamen ihr Zweifel an der Ehrlichkeit der Polanga, denn sie kannte ihren verräterischen Sinn und ihre Gereiztheit, und sie kehrte um, um ihr zu folgen. Aber sie kam zu spät. Die Polanga hatte nicht nur von dem Wasser getrunken, sondern war auch in den Behälter gekrochen, wo das Kind mit ihr zu spielen begann. Dabei wurde sie heftig und biß das Kind so stark, daß es in einigen Minuten starb. Voll Entrüstung griff die Cobra die Polanga an und strafte sie, indem sie ihr ein Stück des Schwanzes abbiß. Seitdem haben die Polangas Stumpfschwänze, und Cobras und Polangas sind Todfeinde. Wenn Leute sich tödlich hassen, so sagt man sprichwörtlich von ihnen: Sie sind wie Cobra und Polanga.


  • Literatur: Steele, Kusa Jātakaya, p. 262.

41. Sage der Berbern.


Einstmals heiratete die Schildkröte den Frosch. Eines Tages zankten sie sich;[350] der Frosch flüchtete und zog sich in ein Loch zurück; die betrübte Schildkröte ging vor die Tür ihres Hauses und blieb dort bekümmert sitzen.

Zu jener Zeit redeten die Tiere noch. Der Bartgeier kam vorüber und sagte ihr: »Was ist mit dir? Du bist bekümmert heute morgen.« »Nichts, als daß meine Frau, der Frosch, fortgelaufen ist.« Der Bartgeier erwiderte: »Ich werde sie zurückbringen.« »Du würdest mir damit einen großen Dienst erweisen.« Der Bartgeier machte sich auf den Weg und langte beim Loch des Frosches an; er kratzte an der Tür. Der Frosch hörte ihn und fragte: »Wer wagt es, bei der Tochter der Könige anzupochen?« »Ich bin's, der Bartgeier, Sohn des Bartgeiers, der kein Aas sich entgehen läßt.« »Fort von hier zu deinen Leichen; ich, die Tochter des Königs, werde nicht mit dir gehen.« Er ging auf der Stelle fort.

Anderntags kam der Geier bei der Schildkröte vorüber und fand sie bekümmert vor ihrer Tür; er fragte sie aus. Sie antwortete ihm: »Meine Frau, der Frosch, ist fortgelaufen.« »Ich werde sie dir zurückbringen,« sagte der Geier. »Du würdest mir damit einen großen Dienst erweisen.« Er ging fort, und als er beim Hause des Frosches angelangt war, begann er mit den Flügeln zu schlagen. Der Frosch sprach: »Wer kommt bei Sonnenaufgang und macht solchen Lärm bei der Tochter der Könige und läßt sie nicht schlafen, wie's ihr beliebt?« »Ich bin's, der Geier, der Sohn des Geiers, der die Küchlein unter ihrer Mutter fortschleppt.« Der Frosch erwiderte: »Fort von hier, Vater des Düngers. Nicht du wirst eine Königstochter geleiten.« Der Geier ärgerte sich und ging sogleich unzufrieden fort: er kehrte zur Schildkröte zurück und sagte ihr: »Sie weigert sich mit mir zu kommen; suche jemand anderen, der in ihr Haus hineingehen und sie veranlassen kann, herauszukommen; dann kann ich sie schon zurückbringen, selbst wenn sie nicht kommen will.«

Die Schildkröte suchte die Schlange auf, und als sie sie gefunden, fing sie an zu weinen. »Ich werde es schon machen, daß sie herausgeht,« sagte die Schlange. Sie begab sich sogleich zum Loch des Frosches, scharrte an der Tür. »Wie heißt man den da?« fragte der Frosch. »Ich bin's, die Schlange, Sohn der Schlange; komm heraus, oder ich komme hinein.« »Warte ein wenig, daß ich die Festgewänder anlege, mich mit dem Gürtel gürte, die Lippen mit Nußschale einreibe, Koh'eul auf die Augen auflege, dann komme ich mit dir.« »Beeile dich,« sagte die Schlange, dann wartete sie ein Weilchen. Dann wurde sie böse, trat ein, verschlang ihn.

Seit jener Zeit bis auf den heutigen Tag lebt die Schlange mit dem Frosch in Fehde: sobald sie ihn erblickt, geht sie auf ihn los und verschlingt ihn.


  • Literatur: Basset, Nouveaux contes berbères Nr. 65.

42. Sage der Eskimo an der Be ringstraße.


Der Rabe fliegt einem Walfisch ins Maul und trifft im Innern des Tieres dessen Inua (Geist, Schatten), eine Frau, die ihm zu essen gibt und ihm verbietet, eine dort hängende Röhre zu berühren. Eines Tages reißt er sie herunter und tötet dadurch das Herz des Walfisches. Dieser treibt ans Land. Es kommen Leute, die ihn aufschneiden; der Rabe entkommt unbemerkt und mischt sich in Menschengestalt unter die Leute und bringt sie mit List dazu, daß sie weglaufen und er das Fleisch allein erhält. Nun braucht er einen Sack, um den Walfischtran hineinzutun, und sucht einen Seehund. Er trifft einen Mink. Sie schließen Freundschaft, und der Mink hilft bei der Verarbeitung des Walfisches. Darauf wollen sie ein Fest feiern, und der Mink lädt die Seehunde ein. Diese kommen in Gestalt kleiner Menschen in das Haus des Raben. Der Rabe entschuldigt sich, daß es dunkel sei, und reibt ihnen die Augen, damit sie besser sehen können. In der Tat aber können[351] sie gar nicht mehr sehen. Nur einer entkommt. Danach tötet der Rabe alle, wobei sie sich wieder in Seehunde verwandeln. Ihre Häute werden danach zu Transäcken benutzt. Seitdem besteht große Freundschaft zwischen dem Raben und dem Mink. Ein Rabe ißt das Fleisch eines Minks nicht, wenn er auch noch so hungrig ist. Auch werden beide oft zusammen auf den Tundren gefunden.


  • Literatur: Inhaltsangabe nach Nelson, The Eskimo about Beering Strait 464 ff.

43. Sage der Zuñi (Neumexiko).


[Da, wo in unabsehbarer Menge in den nordamerikanischen Prärien die Erdhügel der Präriehunde sich erheben und diese munteren Nager ihre graziösen Spiele treiben, fehlt auch selten die Prärieeule und eine Klapperschlange. Alle drei finden in derselben vom Präriehund gegrabenen Höhle Unterkunft und leben in der Regel friedfertig zusammen. (Die südamerikanische Pampaseule, welche genau dasselbe Tier ist wie die nordamerikanische Prärieeule, lebt nicht nur in den Höhlen der Viscachas, sondern auch in den Gruben der Ameisenbären und Gürteltiere.) Die Prärieeule gehört zur Gruppe der amerikanischen Tageulen; sie ist von der Größe unseres Steinkauzes, ihr Gang ist leicht und gewandt, ihr Flug wellenförmig und zuckend, bisweilen von der Schnelligkeit eines Habichts, geht aber selten höher als 5–6 Fuß über der Erde her. Ihr Betragen ist dem des Steinkauzes ähnlich, indem sie gleich diesem im Sitzen häufig Bücklinge macht und mit dem Schwänzchen schnellt. Globus 1871, S. 229.]

Von diesen Prärieeulen und Hunden erzählt folgende Sage:

Vor langer, langer Zeit gab es ein Präriehundedorf im Präriehundeland. Dies Land liegt südlich von Zuñi bei den Grease-Bergen, und inmitten dieses Landes, das einer unserer kleinen Wiesengründe ist, steht ein Berg, d.h. für uns ein Hügel. Um den Fuß dieses Berges zogen sich die Luftlöcher, Türen und Pfade der Großväter der Präriehunde. Und oben auf dem Berg wohnte ein alter Prärie-Eulenmann mit seiner Frau. Eines Sommers nun regnete und regnete es, daß die schönen Felder voll wilder Portulaks immer frisch blieben und die Präriehunde reichen Genuß dieser ihrer Lieblingsnahrung hatten. Sie wurden dick und glücklich und schwelgten in dem Regenwetter, das ihnen so reiche Ernte beschert hatte. Aber es regnete immer weiter, und zuletzt, als sie zu den Portulakfeldern heruntergingen, merkten sie, daß sie nasse Füße bekamen, was sie schon damals ebensowenig liebten wie jetzt. Nun wißt ihr doch, daß es an einigen Orten des Wiesenlandes der Präriehunde kleine Ausbuchtungen gibt, in denen sich das Wasser ansammelt, wenn es sehr stark regnet. An diesen Orten waren die Portulakfelder. So regnete es und regnete, bis nur noch die Spitzen der Pflanzen aus dem Wasser herausguckten. Da verfluchten die Präriehunde den Regen und verloren ihre Dicke, denn sie konnten nicht mehr auf die Felder gehen, um ihre Nahrung zu suchen, und die Vorräte in ihren Scheunen nahmen ab. Da wurden sie ganz mager und hungrig und konnten kaum aus ihren Löchern hervorkommen, und zuletzt hatten sie gar keine Vorräte mehr. – Die ältesten der Präriehunde, die Großväter, beriefen eine Versammlung, drei oder vier von ihnen kamen aus den Häusern, stellten sich auf den Berg davor und riefen: »Wek wek – wek wek – wek wek!« mit kreischender Stimme, daß die Frauen und Kinder in den Löchern riefen: »O Himmel, die Alten berufen eine Versammlung!« Und jedermann begab sich zum Versammlungsort, der am Fuß des Eulenberges lag. »Ihr seht,« begann der Hauptredner, »wie man elenderweise Regen heruntergießt, bis unsere Portulakfelder überschwemmt sind. Man sollte doch dort wissen, daß wir kurzbeinig sind, daß[352] wir aus dem See keine Nahrung holen können und nun hier verhungern. Unsere Frauen sterben, unsere Kinder schreien, und kaum können wir von Hütte zu Hütte gelangen. Was sollen wir tun? Wie können wir den Regen aufhalten? Das ist die Frage.« So redeten sie lange und machten viele Pläne, die als unbrauchbar wieder verworfen wurden; die meisten hatte man auch schon versucht. Zuletzt machte ein alter grauer Präriehund den Vorschlag, daß man den Großvater Eule befragen solle, der oben auf dem Berge wohnte. »O hört!« riefen sie einstimmig, und der alte Mann wurde als Bote zur Eule geschickt. Mit manch einer Rast zum Ausruhen kletterte er den Berg hinauf und kam endlich an die Tür. Er setzte sich in achtungsvoller Entfernung auf die Hinterbeine, faltete die Hände über die Brust und rief: »Wek wek – wek wek!« Der alte Eulengroßvater war nicht allzu gut gelaunt, kam heraus, blinzelte mit den Augen und fragte, was es denn gebe: »Es ist nicht eure Gewohnheit, an mein Haus zu kommen und solchen Lärm zu machen, wenn ich auch oft euren Lärm da unten höre. Du kannst nicht umsonst hierher gekommen sein; also was ist eure Botschaft?«

»O Großvater,« sagte der Präriehund, »wir haben zusammen beraten, wie man den Regen aufhören lassen könne, aber all unsere Pläne sind unnütz, darum müssen wir uns an Euch wenden.« »Ah so,« sagte die alte Eule und kratzte mit der Pfote im Augenwinkel herum. »Geh nach Hause, und ich will sehen, was ich morgen früh tun kann. Ihr wißt ja, daß ich ein Priester bin. Ich will vier Tage ansetzen für Fasten, Betrachtung und hl. Werke. Ihr müßt dann das Resultat abwarten.« Der alte Präriehund verabschiedete sich sehr bescheiden und machte sich wieder auf den Weg ins Dorf. Am nächsten Tag sagte der Eulenmann zu seiner Frau: »Alte, setze eine Menge Bohnen an, kleine, von der Art, die nicht gut riechen, und koche sie gut.« Dann sagte er »Guten Morgen!« und ging fort. Lange Zeit blieb er aus und spürte an den Strauchwurzeln herum. Endlich fand er einen von jenen schlecht riechenden Käfern mit dem Kopf zwischen den Wurzeln. Er packte den armen Kerl trotz seines Widerstrebens und nahm ihn mit nach Hause. Dort angekommen, sagte er zu ihm: »Mein Freund, du machst zu viel Lärm um dies Ereignis, ich will dir gar nichts tun, nur werde ich dir soviel Nahrung vorsetzen, wie du nur irgend aufnehmen kannst.« »Du liebe Zeit!« sagte der Kippkäfer (tip-beetle), steckte den Kopf in die Erde und streckte den Körper in die Luft. [Vgl. ob. S. 227.] Dann setzte er sich hin, wie erlöst und sehr zufrieden. »Alte,« rief die Eule, »tu eine Schüssel mit Bohnen auf die Erde.« Das geschah. »Nun lang zu, mein Freund,« sagte die Eule zum Käfer, »und mach dich satt.« Der Käfer kippte noch einmal und setzte sich dann an die Bohnen. Er aß und schluckte und schlang, bis die Schüssel leer war und sein Leib ziemlich anzuschwellen begann. »Noch nicht satt?« fragte die Eule. »Alte, bring noch eine Schüssel!« Ein zweiter großer Napf Bohnensuppe wurde vor den Käfer gestellt, der schlang und schlang, bis nichts mehr da war. Jetzt sah er aber schon aus wie ein aufgeblasener Sack. Doch als die Eule fragte: »Wäre es im Bereich der Möglichkeit, noch etwas zu essen?« erwiderte er: »Ja, etwas schon noch; wenn ich noch eine Kleinigkeit bekommen könnte, würde ich wohl satt sein.« »Alte,« rief die Eule, »noch ein bißchen!«

Die Alte setzte dem Käfer noch eine Schüssel vor; da aß er und aß und schluckte und schlang und würgte, aber trotz allem Kopfrecken und -drehen konnte er doch die Schüssel nicht leeren, und zuletzt wischte er sich den Schweiß von der Stirne und sagte: »O danke, danke, ich bin satt!« »So, wirklich?« meinte die Eule. Die Eulenfrau und auch der Käfer hatten aber bemerkt, daß der Alte während des Essens ein rundes Stück Bukskin zurechtgeschnitten und einen Faden ringsherum[353] durchgestochen hatte, wobei er an jeder Seite zwei Fäden hängen ließ, wie die Fäden, mit denen man einen Beutel zusammenzieht. Gerade als der Käfer sich bedankte, war der Alte fertig. »Mein Freund,« wandte er sich an den Käfer, »du hast nun zur Befriedigung gegessen, und es scheint mir, nach deinen Bewegungen zu urteilen, daß du dich recht unbequem fühlst, da du eine größere Ausdehnung erreicht hast, als für einen Kippkäfer gut und sicher ist. Vielleicht weißt du auch nicht, daß jemand, der tüchtig Bohnensuppe gegessen hat, die Fähigkeit besitzt, hinterher noch mehr anzuschwellen. Ich würde dir darum raten: wenn ich jetzt den Beutel mit der Öffnung nach dir zu auf die Erde lege, stecke deinen Kopf hinein und gib so viel Wind wie möglich von dir. Um es dir zu erleichtern, will ich dich leicht drücken.« Dem Käfer gefiel zwar der Vorschlag nicht allzugut, aber er weigerte sich keineswegs, ihm nachzukommen. »Siehst du, du wirst einerseits vor den ernsten Folgen deiner Gefräßigkeit bewahrt,« sagte die Eule, »andrerseits bezahlst du mir so deine Nahrung.« »Ja, das ist ein guter Gedanke, das ist wahr,« erwiderte der Käfer und sprang in den Beutel. Die alte Eule ergriff ihn und drückte ihn sanft und mit der Zeit etwas stärker, bis der Umfang des Käfers sehr zurückgegangen war, aber siehe da! Der Sack war so angeschwollen, bis er so prall voll von Wind war, daß man ihn kaum zuschnüren konnte. Draußen regnete es weiter.

Da sagte der Alte zum Käfer: »Mein Freund, wenn dir der Regen nichts macht, was ich voraussetze, so kannst du nun nach Hause gehen. Schönen Dank für deine Hilfe.« Der Käfer bedankte sich ebenfalls und machte sich dann davon.

Am Morgen des vierten Tages regnete es noch immer, ja noch stärker als zuvor; da nahm die Eule den Sack mit Wind vors Haus.

Nun weiß doch jeder, daß ein Kippkäfer, wenn er gestört wird, sich auf Vorderbeine und Kopf stellt und einen so stinkenden Wind von sich gibt, daß niemand ihm widerstehen kann. Wehe der Nase des Menschen, der sich in der Nähe befindet! Sie wird so von dem überwältigenden Geruch ergriffen, daß er nicht niesen kann, ob er es noch so gern möchte. Auch wißt ihr, daß, wenn ihr einen wütenden Kippkäfer angefaßt habt, sämtliches Wasser des Zuñiflusses die Erinnerung an ihn nicht auslöschen kann, wenn ihr den Finger in die Nähe der Nase bringt. Und dann wißt ihr auch, wie gekochte dickhäutige kleine Bohnen wirken. Also stellt euch die Kraft der Medizin im Sack vor!

Die alte Eule nahm einen Stock und schlug an den Sack. Die dicken Wolken voll Blitz und Donner wurden dünner, schoben sich auseinander, und die Sonne blickte durch. Noch einmal schlug die Eule an den Sack, da waren die Wolken schon bei den fernen Bergspitzen, ehe sie den Stab gesenkt hatte. So tat sie einen letzten Schlag, der den Sack ganz leerte, und der Himmel war so klar wie an einem Sommertag mittags in der trockenen Zeit der Dürre. So mächtig war die Kraft des alles durchdringenden, unwiderstehlichen Geruches gewesen, daß die Regengötter selbst dem nicht standhalten konnten; sie zogen ihre Streitkräfte zurück und verschwanden.

Aus den Löchern kamen die Präriehunde, setzten sich auf die Hinterbeine um den Berg herum und kreischten mit Macht: »Wek wek – wek wek – wek wek!« zum Lobe ihres großen Priesters, des Alten, der Eule.

So geschah's in den Zeiten der Alten. Darum sind Präriehunde und Eulen seitdem stets gute Freunde gewesen, und die Eulen halten keinen Ort der Welt für so geeignet zum Ausbrüten und Aufziehen ihrer Kinder als die Löcher der Präriehunde.

So endet meine Geschichte.


  • Literatur: Cushing, Zuñi Folktales, p. 269.

[354] 44. Aus Ostpreußen.


Eule und Fledermaus haben miteinander Brüderschaft gemacht, denn da, wo viele Eulen sich aufhalten, finden sich auch zahlreiche Fledermäuse, die unter dem Schütze jener stehen.


  • Literatur: Frischbier, Altpreuß. Monatsschr. 22, 287, welcher (ebd. S. 248) verweist aufsein Preuß. Wörterbuch 1, 195.

Fußnoten

1 Die Sprache der Wanjoro gehört zu den Bantusprachen.


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 355.
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