I. Die Erlernung des Nestbauens.

[191] Wer das Leben der Vögel beobachtet, dem bieten die verschiedenen Arten des Nistens eine reizvolle Anregung, zwischen der Sorgfalt des einen und der Lässigkeit des anderen Vergleiche anzustellen. Und je größer im allgemeinen die Kunstfertigkeit des Nestbauens ist, um so mehr mag ihn die Frage beschäftigen, warum es auch liederliche Mütter gibt, die ihre Eier auf gebrechlicher Reisigunterlage schlecht und recht betten. Für diese Verschiedenheit findet die Sage eine Erklärung. Da alle Kunst erlernt werden muß, so folgert sie, daß auch das Nestbauen etwas Erlerntes ist. Ein Vogel, der es verstand, hat es andern beigebracht. Wer aber ungelehrig war, ist für alle Zeiten ein Stümper geblieben.

In dieser Weise werden besonders Elster und Taube einander gegenübergestellt. Die Taube hat nichts gelernt, die Elster lacht sie noch heute aus. Nur einmal wird der Sachverhalt umgedreht, so daß die Elster als die ungeschickte Schülerin erscheint.

Beide Vögel kommen in der Rolle des Lehrenden und des Lernenden schon bei Frei dank (hg. von W. Grimm, 2. Aufl., S. 90) vor:


Ein agelster sprach (des ist niht lanc)

›frou Tûbe, lêrt mich iuwern ganc‹.

diu tûbe sprach ›ich lêre iuch gân,

mugt ir die alten bicke lân‹.

si gienge nâch oder vor,

si biete ie beidenthalp inz hor.

swer schalkheit lernet in der jugent,

der enhât niht staeter tugent.[191]


Wiewohl diese Fabel vom Erlernen des Ganges berichtet, so steht sie doch der Geschichte vom Nestbauen sehr nahe, und es ist kein Zufall, daß beides, das Gehen und das Bauen, in einer schwedischen Sage vereinigt vorkommen.

Die Taube, heißt es dort, sollte die Elster gehen lehren. Als diese einige Schritte gemacht hatte, rief sie: »Jetzt kann ich's!« und hüpfte gleich auf ihre alte Weise. Jetzt wollte die Elster die Taube das Nest bauen lehren. Sobald die Taube aber einige Zweige gelegt hatte, rief sie: »Jetzt kann ich's!« und baute auf die alte Weise. Damit hörte für beide der Unterricht auf.


  • Literatur: (Cavallius, Wärend 2, XXIV).

Die Sage macht den Eindruck, als wäre das Motiv des Bauens eine Verdoppelung des Motivs des Ganglernens, nach dessen Muster erfunden und ihm hinzugefügt. Wie alt diese Nachbildung sein mag, ist durchaus ungewiß; ebenso ungewiß ist die Frage, ob sie mit Freidank selbst oder mit einer anderen – mündlichen oder literarischen – Fassung zusammenhängt. Als letzte Quelle, aus der die Geschichte vom Ganglernen abgeleitet ist, kommt jedenfalls eine vermutlich arabische Fabel in Betracht, in der statt der Elster und der Taube die Krähe und das Rebhuhn auftreten. Sie findet sich in einer arabischen Bearbeitung des Pantschatantra im 16. Kapitel, welches im indischen Pantschatantra fehlt und von Benfey (1, 601) für einen fremden Zusatz erklärt wurde. Dort warnt ein Mönch einen Gast, der das Hebräische erlernen will: Ich fürchte, du möchtest diese Sprache nicht erlernen und deine Muttersprache darüber verlernen. »Und es wird gesagt: Für einen Toren ist zu halten, wer sich mit Sachen abmüht, die ihm nicht anstehen und die nicht zu seinem Geschäft gehören und wozu ihn seine Väter und Vorfahren nicht gebildet haben.« Als Gleichnis dient folgende Fabel:


Ein Rabe sah ein Rebhuhn gravitätisch einhersteigen und fand solchen Gang so schön, daß er denselben auch zu lernen verlangte. Er gab sich viele Mühe, konnte es aber doch nicht dahin bringen, und als er daran verzweifelte, wollte er wieder seinen gewohnten Gang annehmen. Da ward er aber ganz wirr in seinem Gehen und sperrte die Beine auseinander und bekam so den häßlichsten Gang von allen Vögeln.


  • Literatur: Bidpai, das Buch der Weisen. Aus d. Arab. von Philipp Wolff, Stuttg. 1839. 2, 95. Vgl. Calila et Dimna ou fables de Bidpai ed. Silvestre de Sacy. Paris 1816. In der (zwischen 1263 u. 1278 verfertigten) lat. übers. von Johann von Capua m. 5, b. In der deutsch. Übers. Ulm 1483 X, III, b.

Nachdem von dieser Urform aus eine zunächst wohl nicht wesentlich veränderte Fabel von Taube und Elster entstanden war, kam das Motiv des mangelnden guten Willens hinein. Bei Freidank scheitert daran die Belehrung der Elster, ebenso in der schwedischen, sowie in der ersten der unten angeführten englischen Sagen; in den übrigen scheitert die Belehrung der Taube. Bei aller Veränderung erinnert an die Urform noch[192] immer der Gedanke, daß der Mißerfolg des Lernenden dauerndes Ungeschick zur Folge hat: bei dem einen den schlechten Gang, bei dem andern das schlechte Nest. Dadurch, daß das Motiv des Nestbauens von dem Motiv des Ganglernens, mit dem es in Schweden ein einziges Mal verbunden erscheint, losgelöst und für sich allein behandelt wurde, stehen die folgenden Sagen freilich fast außer jedem Zusammenhang mit dem arabischen Vorbild.


1. Aus England.


a) Früher, als die Welt noch sehr jung war, konnte die Elster allein, obgleich sie sonst schon gerade so schlau war wie jetzt, kein Nest bauen. In ihrer Not wandte sie sich an die anderen Vögel, die ihr auch versprachen, sie zu unterweisen. An einem dafür bestimmten Tage versammelten sie sich alle, und nachdem alles Notwendige dafür herbeigebracht war, sagte die Amsel: »Dieser Halm gehört hierhin« und ließ den Worten die Tat folgen. »Ach!« sagte die Elster, »das wußte ich schon früher!« Die anderen Vögel gaben nacheinander ihre Anweisungen, aber jedesmal sagte die Elster dazu: »Ach! Das wußte ich schon!« Aber als das neue Heim halbfertig war, war die Geduld der Vögel zu Ende; sie flogen alle fort und riefen ihr zu: »Da ihr also so gut Bescheid wißt, Frau Elster, so könnt ihr ja selbst das Nest fertig bauen.« Und die Vögel änderten ihren Entschluß nicht. Bis heute zeigt das schlechtgebaute Nest der Elster, daß sie durch die halben Anweisungen nicht viel gelernt hat.


  • Literatur: Dyer, Folklore S. 84 = Halliwell, populär rhymes S. 168.

b) Die Elster wollte einst die Holztaube lehren, sich ein schöneres und bequemeres Nest zu bauen, aber anstatt ruhig zuzuhören, rief die Holztaube immer: »Nimm doch zwei, nimm doch zwei!« (»Take two, Taffy, take two!«) Die Elster sagte, das sei keine ordentliche Arbeitsweise, man könne auf einmal nicht mehr wie einen Halm verarbeiten, aber die Holztaube sagte immer wieder: »Zwei, nimm zwei« (»Two, take two!«), bis die Elster sehr böse wurde, ihre Arbeit aufgab und rief: »Ich sage, einer genügt auf einmal, und wenn du anders darüber denkst, so kannst du dich ja selber an die Arbeit machen, ich will nichts mehr damit zu tun haben.« Seitdem baut die Holztaube ein Nest, das viel weniger dauerhaft ist als das der Elster.


  • Literatur: Dyer, Folklore S. 99 (aus Suffolk)=Halliwell, populär rhymes and nursery tales S. 172.

c) Die Elster baute eines Tages ihr Nest hübsch ordentlich und flüsterte nach ihrer Gewohnheit vor sich hin: »This upon that, this upon that (dies auf das, dies auf das)«, als die Holztaube vorbei kam. Nun war die Holztaube jung und leichtsinnig und hatte niemals das Nestbauen gelernt; als sie aber sah, wie wunderhübsch das Nest der Elster war, wollte sie gern diese Kunst erlernen. Die geschäftige Elster willigte ein, sie zu lehren, und begann darum von vorne. Aber ehe sie halb damit fertig war, rief die leichtsinnige Holztaube: »That'll doooo!« (Nun ist's guuut!) Die Elster wurde sehr ärgerlich über die Unterbrechung und flog zornig davon, und darum baut die Holztaube immer so schlechte Nester.


  • Literatur: Dyer, Folklore, S. 99 (aus Berkshire).

2. Aus Schottland.


Die Elster will der Holztaube zeigen, wie ein ordentliches Nest zu bauen ist. Die Taube ruft: »Take two, Taffy, take two!« Ärgerlich fliegt die Elster weg und läßt sie weiter so bauen, wie sie's früher tat.


  • Literatur: Chambers, Populär rhymes of Scotland, S. 191.

[193] 3. Aus Wales.


Eine Elster will einer Holztaube zeigen, ein besseres Nest zu bauen: »Lege einen Zweig hierhin und einen dorthin, einen so und einen so, dann wirst du dein Nest richtig bauen, und es wird stark und bewohnbar sein.« »I know! I know! I know!« (Ich weiß schon!) ruft die Taube, ändert sich aber doch nicht. Es nützt auch nichts, daß die Elster es ihr nochmals zeigen will. Wieder ruft sie: »I know! I know! I know!« »Wenn du es weißt, warum tust du es dann nicht?« Als die Elster sah, daß es nichts nützte, die Holztaube zu unterweisen, flog sie weg. – Daher die Sprichwörter: »Ich weiß schon! sagte die Holztaube.« »So ungeschickt, wie die Holztaube« usw. (Folgen noch andere.)


  • Literatur: Gekürzt nach Jolo Manuskripts S. 567.

4. Englische Erweiterungen.


a) Da die Elster allein vor Zeiten die Kunst verstand, ein gutes Nest zu bauen, kamen viele Vögel zu ihr, um sich belehren zu lassen, worauf die Elster begann: »Zuerst, liebe Freunde, müßt ihr zwei Zweige so übereinander legen.« »Ach ja«, sagte die Krähe, »ich dachte mir, daß man so anfangen müßte.« »Dann müßt ihr eine Feder auf ein Stückchen Moos legen.« »Gewiß«, sagte die Dohle (corvus monedula). »Ich weiß, daß das so kommen muß.« »Dann tut Werg, Federn, Zweige und Moos so hin.« »Ach natürlich«, sagte der Star. »Das kann sich ja jeder selber sagen.« Als die Elster nun halb fertig war und merkte, daß jeder Vogel alles ebenso gut zu wissen meinte, wie sie, sagte sie: »Wie ich sehe, könnt ihr alle Nester bauen, also braucht ihr meine Belehrung nicht« – und flog fort. Darum kann bis heute niemand außer der Elster mehr als ein halbes Nest bauen.


  • Literatur: Swainson, British Bilds S. 80 = Birds of Drey by H.C. Adams, S. 165.

b) Bald nach der Erschaffung der Welt waren alle Vögel versammelt, um das Nestbauen zu lernen, und die Elster, als die klügste, war auserlesen, es sie zu lehren. Die fleißigsten Vögel, wie den Zaunkönig und the long-tailed capon or pie-fench (?), lehrte sie ganze Nester in Form einer Kokosnuß bauen, mit einem kleinen Loch an einer Seite. Andere, die nicht so fleißig waren, lehrte sie halbe Nester machen, ungefähr wie eine Teetasse geformt. Nachdem sie viele Vögel nach ihren Fähigkeiten belehrt hatte, kam die Reihe an die Holztaube, die ein sorgloser und fauler Vogel war, und der die ganze Sache sehr gleichgültig war. Während die Elster ihr zeigte, wie sie die Zweige legen solle, rief sie fortwährend: »What, athurt and across! what zoo, what zoo! athurt and across! what zoo! what zoo!« Zuletzt wurde die Elster so ärgerlich über diese Dummheit und Gleichgültigkeit, daß sie wegflog, und nun baut die Holztaube, da sie nicht weiter belehrt wurde, das schlechteste Nest unter allen Vögeln, das nur aus Lagen von Querzweigen besteht.


  • Literatur: (Von der Insel Wight). Swainson, British Birds S. 166 = Halliwell, populär rhymes and nursery tales S. 172.

c) Die Elster lehrt die Vögel Nester bauen. Sie nimmt etwas Kot und macht eine Art runden Kuchen daraus. Da fliegt die Drossel weg, weil sie meint, sie wisse nun genug. Dann tut sie ein paar Zweiglein in den Kot. Da fliegt die Amsel weg. Sie tut noch eine Lage Kot darüber. Da fliegt die Eule weg. Sie legt Zweiglein außen herum. Da fliegt der Sperling weg. Sie legt Federn hinein. Da fliegt der Star weg usw. Die Taube aber ruft: Take two, Taffy, take twooooo! Und ruft so lange, bis die Elster ärgerlich wird und nichts mehr zeigt. Darum bauen die Vögel alle so verschiedene Nester.


  • Literatur: Jacobs, English Folk Tales.

[194] 5. Aus Dänemark.


a) Die Elster sollte die Waldtaube ein Nest bauen lehren. Als sie zwei Reiser in die Quere gelegt hatte, rief die Taube gleich: »No, no, no véd je'et!« (Jetzt weiß ich es). Verdrießlich darüber flog die Elster weg und rief: »vist véd du!« (Freilich weißt du's!) (Sælland.)


  • Literatur: Skattegraveren 9, Nr. 655. S. 213.

b) Die Waldtaube hatte so viel von der Tüchtigkeit der Elster im Nestbauen gehört und wollte sie daher zur Lehrmeisterin haben. Als die Elster ein paar Reiser kreuzweise gelegt hatte, sprach die Taube: »Jetzt verstehe ich's.« Als sie aber nach Hause kam und die Reiser kreuzweise legte, fielen ihre Eier hindurch und zerbrachen.


  • Literatur: E.T. Kristensen, Danske Dyrefabler S. 54.

6. Aus Preußen.


Die wilde Taube kam zur Elster und sprach: »Lehre mich doch auch ein so schönes Nest bauen, wie du hast.« Die Elster flog bereitwillig mit bis zu der Stätte, wo die Taube sich häuslich niederlassen wollte. Hier begann sie der Taube zu zeigen, wie man gute Nester baut. Sie sprach: »Êne Spreckel leggst du so!« Die Taube erwiderte: »Öck wêt« (verstehe)! Elster: »Den andre Spreckel leggst du so!« Taube: »Öck wêt!« Elster: »Den drödde Spreckel leggst du so!« Taube: »Öck wêt!« Da sagte die Elster geärgert: »Wenn du wètst (weißt), was fragst denn so dumm!« ließ die Taube allein und flog von dannen. Die Taube aber versteht ihr Nest nur so weit zu bauen, wie die Elster es ihr gezeigt hat, und ist über die Anfänge des Nestbaues nicht hinausgekommen (Alt-Pillau).


  • Literatur: Frischbier, Zur volkstüml. Naturkunde. Beiträge aus Ost- und Westpreußen. Altpreuß. Monatsschr. 22, 296. – Daneben findet sich folgende Variante:

Das Volk nennt den Kuckuck den dümmsten Vogel, denn er versteht es nicht einmal, sich ein Nest zu bauen. Als der Goldammer ihn diese Kunst lehren wollte, wies er ihn stolz und höhnend ab.


  • Literatur: Ebd. S. 294.

7. Aus Rügen.


Die wilde Taube versteht heutigen Tages noch nicht, obgleich sie nun schon so lange auf der Erde weilt, ein richtiges Nest zu bauen. Den Grund dafür gibt folgende Geschichte an. Eines Tages bat die wilde Taube die Elster oder nach anderen den Hamster1, ihr doch zu zeigen, wie man ein ordentliches Nest baue. Die Elster verstand sich auch dazu und ging sogleich ans Werk; die wilde Taube stand dabei. Sowie nun aber die Elster ein Stöckchen oder einen Halm hinlegte, sagte jedesmal die Taube: »So, nu weet ick't.« Anfangs hörte die Elster das ruhig an und erwiderte kein Wort. Endlich riß ihr aber die Geduld, daß die Taube es eben so gut wissen wolle wie sie, und überließ sie und den Nesterbau ihrem Schicksal. So ist es gekommen, daß die wilde Taube niemals gelernt hat, ein ordentliches Nest zu bauen.


  • Literatur: A. Haas, Rügensche Sagen und Märchen 1891. S. 145.

8. Aus der Gegend von Hagen.


In der ersten Tit, as uese Hiärguot de Vüegel schapen hadde, gäfften sik de mesten farts ant Nesten. Alle annern wären all feddich, da hadde de Ringelduwe[195] noch nitt anefangen. Se floch hir heu und da hen und besach sik den annern Vüegeln ere Arbet: kain Nest poß er, bit se dat van 'r Ekster fant. Da sach se tau 'r Ekster: »Nichte, dinet kann mi gefallen. Woste mi nitt en bietken ter Hant gan un wisen mi, bu du dat maket hiäs.« De hännige Ekster floch met un halp er den Buom leggen. As dai feddich was, sach de Ringelduwe: »Ah, nu wet ek et all; dat es ja ne lichtfeddige Sake.« »Guet«, sach de Ekster, »daut allene!« un floch futt. De Duwe lach nu twarens noch en par Spricke derbi, mär en üörntlik Nest brach se nü te Stanne. Drüm hett de Ringelduwen noch ümmer so'n ellendich Nest, dat me Sunne, Mane un Stärne derdüör saihen kann.


  • Literatur: Woeste, Volksüberlief. in der Grafschaft Mark S. 38.

[Eine kleine Abweichung, insofern Gott selbst als Lehrmeister gedacht ist, zeigen die zwei folgenden Sagen:]


9. Aus Mecklenburg.


Als der liebe Gott die Vögel erschaffen hatte, lehrte er einen jeden sein Nest bauen. So kam auch die Wildtaube daran. Der liebe Gott legte erst ein paar trockene Zweige zur Unterlage. Da rief die Taube: »Nu week't, nu week't« und flog davon. Seitdem kann die Taube kein ordentliches Nest bauen.


  • Literatur: Wossidlo, 2, Meckl. Volksüberl. Nr. 295.

10. Aus Schleswig-Holstein.


As uns' Herrgott mit sien Schöpfung fertig worden weer, let he malins all de Vagels tohopen komm'n; denn he wull ehr dat wiesen, woans se ehr Nest bugen schull'n. All de lütten Vagels paßten denn nu ok fliedig up un kiekten niep to, dat se dat klook kriegen dehn, woans so'n Nest bugt ward'n müßt. Bios de Duv, de annern Kram in ehr'n Kopp sitten harr, paßt nich up. As de leeve Gott nu abers fertig weer, seggt he: »Nu fleegt all hin un bugt ju'n Nest!«

Do füng'n denn all de Vagels an to arbeid'n, drög'n tosam all, wat se jichens bruken künn'n, un makten sik ehr Hus fertig, leggt'n Eier un füng'n an, ehr uttositten.

De Duv abers kunn nix fertig kriegn, se wüßt nich, wie se 't maken schull, denn se harr ja nich uppaßt. Nu flög se denn wedder hin na'n leeven Gott un füng an to bed'n, he mögt ehr dat doch ins wiesen, wodennig so'n Nest bugt ward'n müßt. Abers uns' Herrgott wull nix vun ehr wet'n un seggt to ehr: »Ne, worüm hest du nich beter uppaßt, as ik ju dat wies't heff. Gah hin na den Heister un lat di dat vun em wisen; de het dat am besten begreepen.« Nu flog de Duv denn hm na den Heister un frög em, ob he ehr dat nich wisen kunn, woans se 'n Nest bug'n müßt. »Ja«, seggt de Heister, »dat will ik gern dohn, obers wat kannst du utgeb'n darfœr?«

Nu harr de Duv noch en hübsch bunt' Koh, un se seggt denn to den Heister, dat se wider nix harr, un dat se em de Koh geb'n wull, wenn he ehr dat Nestbug'n bibring'n de. Dormit weer de Heister tofreden.

Nu güng't frisch an't Wark. De Heister nehm en paar dröge Teigen un leggt de krüzwis tosam as Grund vun dat Nest. As de Duv dat sehn harr, seggt se: »Nu kann ik dat, dat is ja gar keen Kunst; nu lat mi man alleen!« »Ne«, seggt de Heister, »tööf man noch; dit is ja erst de Anfang, wi sünd noch lang nich fertig dormit.« Abers de Duv wull nu alleen bugen un meen, se harr genug sehn, se künn dat nu, he schull man gahn.

Do nehm de Heister de bunt' Koh un flog weg. As de Duv nu wiederbugen wull an ehr Nest, leggt se de Teigen jümmers blot krüzwis œwerenanner, denn se[196] harr ja nix anders sehn; un so is dat komm'n, dat se bit up den hütigen Dag so'n siecht Nest bug'n deit.

Wenn du abers malins dörch'n Holt geist, wo wille Duwen sünd, denn kanns ehr männigmal schrig'n hören. Dat klingt grad so, as wenn se röppt: »Min bunt' Ku-u-h, min bunt' Ku-u-h.«


  • Literatur: Heimat 7, 85. Ebd. S. 180 die Abweichung: De Duv lett den Heister dat Nest ruhig toenn bug'n, mark sik genau, woanns de Telgen krüzwis tosamen und öberenanner leggt warrn. Eben harr de Heister den letzten Twieg ant Wark leggt, dor seggt de Duv: »Nu kann ik dat ok, dat is ja gar keen Kunst. Min Koh krigst ni.« De Heister wer en Schlauberger. »Weetst, so weetst!« Slög und fidel so lang mit den Stert up und dal, bet he dat Nest werer entwei har. De Duv wer liker klok. As se sik doran mak, ok en Nest to bugen, kunn se dor doch nich mit togang kamen. (Die Deutung des Wissens – also wohl auch das ganze Motiv der Bezahlung – fehlt.)

11. Aus Brandenburg.


Als unser lieber Herrgott die Vögel geschaffen hatte, zeigte er jedem, vom Storch bis auf den Zaunkönig, wie er sein Nest bauen solle. Die wilde Taube war eine von den ersten gewesen, die er gemacht hatte, und sie war schon müde, ehe die anderen zutage kamen. Sie setzte sich in dem Paradiesgarten auf einen Ast und verschlief die ganze Unterweisung. Als sie aufwachte, war unser Herrgott schon weg, und die anderen Vögel erzählten ihr, was sie gelernt hatten, und machten sich gleich ans Nesterbauen. Aber die Taube saß und weinte den ganzen Tag. – Als nun am andern Tag unser Herrgott wiederkam und Adam machen wollte, sagte er zu ihr: »Die Krähe soll dir's lehren« – weil er selbst heute keine Zeit hatte.

Die Krähe fing an und legte die Reiser. Da rief die Taube: »Nun weiß ich's schon! Nun weiß ich's schon!« Das ärgerte die Krähe, sie flog fort, und seit der Zeit baut die wilde Taube ein so elend-liederliches Nest, daß man Sonne, Mond und Sterne durchscheinen sieht.


  • Literatur: Nach der Erzählung im Dialekt bei Engelien und Lahn, Der Volksmund in der Mark Brandenburg 1, 114.

12. Aus Livland.


a) Anfangs legte die Wildtaube ihre Eier auf die Erde, aber der Fuchs fraß sie ihr auf. Deshalb klagte sie (und klagt noch heute): »Ein halbes Lof [Hohlmaß, etwa 70 Liter] Eier habe ich gelegt, nun sind sie futsch!« (Puspuhru pautu pee-dehju-tuksch!)

Nun rief sie die anderen Vögel, die sollten sie lehren, ein Nest zu bauen. Aber kaum hatten diese ein paar Zweige zusammengeflochten, da rief die Taube schon: »Ich versteh's, ich versteh's (protu, protu).« Da flogen die Vögel fort. Aber die Taube sah bald ein, daß sie es noch nicht verstand. Da rief sie die Vögel zurück. Aber es war wie das erste Mal. Das Nest war erst halb fertig, da rief sie schon, wieder: »Ich versteh's!« Nun flogen die Vögel wieder fort und kümmerten sich nicht weiter um die Bitten der Törin. Und so blieb das Nest der Taube so undicht, daß die Eier beinah herausfallen.


  • Literatur: Lerchis-Puschkaitis 6 a, 242, Nr. 32.

b) Die Taube will den Nestbau lernen. Sie bittet die Elster um Unterweisung. Diese war noch nicht zur Hälfte fertig, da ruft die Taube schon: »Versteh, versteh, seh', seh'.« (Protu, protu, redsu, redsu). Da habe die Elster die Geduld verloren, und die Taube baue ihr Nest flach und unfertig. – Auch die Misteldrossel wird als Lehrmeisterin der Taube genannt, und als diese zu früh klug zu sein glaubt,[197] ruft jene ärgerlich: »Mach, wenn du es verstehst, mach, mach! (Dari kā tu prōti, dari, dar, dar ... ka prōti).« Und so singt die Misteldrossel bis heute.


  • Literatur: Lerchis-Puschkaitis 5, Nr. 28.

13. Aus Ungarn.


Die Wildtaube hatte die Elster gebeten, sie möge sie das Nestbauen lehren; denn darin ist die Elster ein sehr großer Meister und weiß solch Nest zu bauen, daß der Habicht, der Häher nicht dazu kann. Die Elster übernahm gern den Unterricht, und beim Nestbauen sagte sie immer in ihrer Weise, während sie einen Zweig zum anderen fügte:

»Nun dies, nun das! nun dies, nun das!«2 Die Wildtau be erwiderte darauf immer:

»Weiß schon, weiß schon, weiß schon!«3 Die Elster hörte das ein Weilchen an, aber schließlich wurde sie böse. »Wenn du's weißt, so mach's.« Und damit ließ sie das Nest halb fertig stehen.

Seitdem konnte die Wildtaube diese Kunst nicht weiter erlernen.


  • Literatur: G. Sklarek, Ungarische Volksmärchen S. 248 = Arany-Gyulai, Magyar Népköltési Gyüjtemény 1, 492. Französisch übs.: Revue des trad. pop. 7, 480.

Die Kuh als Lehrzahlung.

Die einfache Handlung findet sich mehrmals dadurch erweitert, daß die Elster zum Lohn für die Unterweisung eine Kuh erhält. Die Taube, die weder das Nestbauen ordentlich gelernt hat, noch den Verlust der Kuh verschmerzen kann, klagt noch heute über den unnütz geopferten Preis.


1. Aus Dänemark.


a) Die Elster war unter den Vögeln der tüchtigste Baumeister. Sie sollte die Waldtaube das Nestbauen lehren und als Bezahlung eine Kuh erhalten. Als sie eben angefangen hatten und zwei Zweiglein kreuzweis übereinander gelegt waren, rief die Taube: »jeg tror, jeg kan; jeg tror'ed, jeg tror'ed!« (ich glaube, ich kann's; ich glaub' es). Gleich hielt die Elster inne: »vist ka du, vist ka du; det bli verdin egen skade-skade-skade!« (gewiß kannst du, es bleibt dein eigner Schaden). Damit nahm sie ihre Kuh und zog weg. – Die Taube baut daher ein schlechtes Nest, und jedesmal, wenn eins ihrer Eier hinabfällt, klagt sie: »jeg troede, jeg künde, jeg tro'de, tro'de, tro'de!« (Ich glaubte, ich könnt' es, ich glaubte). Und wenn sie die Elster entdeckt, ruft sie: »min ko, min ko!« (meine Kuh), und die Elster antwortet: »der skal vi ha'ed!« (da werden wir es haben).


  • Literatur: Kristensen, Sagn 2, 262, Nr. 48. 49.

b) Die Elster war bereit, die Waldtaube zu lehren, wie sie ihr Nest anfertigen sollte, und die Elster sollte eine Kuh als Lehrgeld dafür erhalten. Die Elster legte nun drei Reiser kreuzweise und eignete sich damit die Kuh an. Die Taube wurde übel angeführt, nimmer lernt sie besser zu bauen und schilt immer über die Elster und sagt:


»min goa koo-koo-kooo,

dæjn skaddajn hajn tow-tow-tow!«


(Bornholmer Dialekt: meine gute Kuh, welche die Elster nahm!)


  • Literatur: Skattegraveren 4, 75, Nr. 221.

[198] c) Die Taube hatte der Elster für den Unterricht eine Kuh versprochen. Da sie nun nichts lernte, klagt sie immer: »Skadajn taw min goa kå-w, kåw, kåw.« (Die El ster nahm meine gute Kuh.)


  • Literatur: Ebd. 76, 229.

2. Aus Deutschland.


a) Als die Turteltaube die Elster ihr schönes Nest bauen sah, sprach sie: »Lehre mich auch diese Kunst, und ich gebe dir dafür meine Kuh.« Sie schließen einen Vertrag, und die Elster geht an die Arbeit. Kaum hat sie einige Stäbe als Grundlage gelegt, da hüpft die Taube herbei und spricht: »Nun kann ich's auch.« Die Elster, mit diesem Geständnis zufrieden, erhält die Kuh und schreitet fürbaß. Aber siehe da, die Turteltaube kann nur einige Stäbe legen, aber kein ganzes Nest bauen. Deshalb klagt sie immer schmerzlich um den Verlust der Kuh: »Kuh! Kuh!«


  • Literatur: A. Treichel, Altpreußische Monatsschrift 29, 156. 1892.

b) Früher muß es doch ganz anders gewesen sein, als jetzt. Dazumal konnten die Tiere noch reden. Da hatte auch einmal die wilde Taube eine Kuh. Die führte sie immer hin, wo das beste Futter war, und dafür gab ihr die Kuh Milch und Butter. Da kommt einmal die Taube zur Elster zum Besuch und kann sich gar nicht genug wundern über ihr schönes Nest. Es ist so hübsch zu ringsherum, bloß ein kleines Loch drin zum Reinkriechen. Der Wind kann herkommen, wo er will, und es kann regnen und schneien, so sehr es will: drinnen ist's geschützt. Das gefällt ihr so gut, daß sie sich auch so ein schönes Nest wünscht. Drum fragt sie die Elster, wie solch Nest gebaut wird, und ob sie's ihr nicht lehren will. Die Elster ist ja aber auch nicht auf den Kopf gefallen. Die sagt gleich: »Wenn du mir deine Kuh gibst, dann will ich dir's lehren.« Die Taube ist das zufrieden. Die Elster aber sagt: »Erst gib sie mir. Dann will ich dir's lehren.« Da geht die Taube gleich hin nach Hause und holt die Kuh, und die Elster will ihr nun das Nest bauen lehren. Sie wählt einen rechten großen Baum aus, der oben sich hübsch gabelt, sucht trockene Reiser zusammen und paßt die recht schön in die Astgabel hinein, um da ihr Nest draufstellen zu können. Wie sie nun aber so oft wegfliegt und so was Weiches holt, womit sie das Inwendige, den Nesttopf, aufbaut, da wird der Taube die Zeit zu lang, und da sagt sie, ehe das Nest fertig ist: »Ich kann das Nest nun schon« und fliegt weg. Der Elster war's recht. Sie hatte doch nun ihre Kuh, die sie sich schon lange gewünscht hatte.

Wie nun aber die Taube ein Nest bauen will, da weiß sie weiter nichts mehr, als daß die Elster zuerst ein paar trockne Reiserchen hingelegt hatte. So macht sie's nun auch bloß, und weiter kann sie's nicht und hat's auch noch nicht gelernt bis auf den heutigen Tag. Ihr Nest ist so schlecht gebaut, daß man die Eier von unten durchsehen kann. Ihrer Kuh hat sie aber hernach doch gereut, und drum schreit sie heut noch: »Mine schöne Kuë, Kuë, Kuë! Mine schöne Kuë!«


  • Literatur: Nach der Erzählung im Dialekt bei Engelien u. Lahn, Der Volksmund in der Mark Brandenburg 1, 112 f.

c) De Hääster kann jo so geschickt sien Nest bugen; dee bug't jo so hooch in de Pöppeln. Bi den'n is de will Duw' in de Lihr wäst. Se hebben utmaakt, wenn he ehr dat lihren wull, süll he ehr Koh hebben. As he nu ehr dat wisen will un jüst'n poor Sprock henlecht hett, secht se all: »Nu week't, nu week't.« »Na, denn is 't jo goot.« Dor hett se em de Koh gäben müßt; œwer ehr Nest kann se noch[199] hüüt man just so bugen, dat de Eier nich dörchfallen. Nu röppt se noch ümmer: »Mien Kuh, mien Kuh!«


  • Literatur: Wossidlo, Mecklenburgische Volksüberlieferungen 2, Nr. 296 a. (Aus Waren.)

Dazu sind u.a. folgende Varianten vermerkt:


1. »Ik trug't, ik trug't« het de Duw' secht. Dat secht se hüüt noch.

2. Der Storch will Lehrmeister sein, aber legt nur ein paar Reiser hin; die Taube klagt: Huhuhu, meine bunte, bunte Kuh, meine fünf Gulden dazu zu zu.

3. Die Drossel lehrt, die Taube ruft: »Dat kann 'k ok.«

4. Der Zaunkönig lehrt, die Taube ruft: »Nu kann 'k 't.«

5. Die Schwalbe lehrt, die Taube ruft: »Nu kann 'k 't ok, nu kann 'k 't ok«.

6. Der Kuckuck lehrt.

7. Die Lerche lehrt.


d) Die wilde Taube ruft: »Ju, ju, rote Kuh!« Sie verstand und versteht kein Nest zu bauen, so daß oft die Jungen zu Boden stürzten. Sie bat die Krähe, es sie zu lehren. Diese war bereit, wenn die Taube ihr ihre rote Kuh geben wolle. Das geschah, doch erfüllte die Krähe nicht ihr Versprechen.


  • Literatur: Bartsch, Sagen, Märch. u. Gebr. aus Mecklenburg 1, 520. Eine Variante siehe unter den Tauschsagen, S. 124.

e) De Hääster hett de Duw' ehr bunte Kuh hebben wullt; he mach jo giern Fleesch. »Nu weet ik't all, nu weet ik't all«, hett de Duw' ropen, as de Hääster 'n poor Sprickel henlecht hett. »Weste west, denn bug1 dien Nest«, hett de Hääster dor secht.


  • Literatur: Var.: Wenn du't weest, denn west, denn bug' man dien eegen Nest.
    Wossidlo Nr. 296 b.

f) De Heister lacht sik fürchterlich, dat he de Duw' so anführt hett; dorvon lacht he hüüt noch ümmer: hahahaha, un de Duw' röppt: Kuh, Kuh, Kuh, Kuh! Annern Gesang hett se nich.


  • Literatur: Ebd. Nr. 296 c.

g) »Weiß Kuh, weiß Kuh«, röpt de will Duw. De Duben hebben ens 'ne Koh hatt; un nu bugen se jo so suchte Nester un handeln mit 'n Häster, de bugt jo sihr god, se wullen em ok ehr Koh geben, wenn he ehr dat Nestbugen bibringen wull. De Häster legt jo nu irst die Stöck hen, dor seggen de Duben, he süll uphüren, se wüßten dat nu all (se wullen de Koh man nich rutgeben). Oewer de Häster nimmt se liker un fret se up. Un dorvon eten de Hästers noch girn Flesch, un de Duw schrigt noch ümmer: Weiß Kuh, weiß Kuh!


  • Literatur: Wossidlo, Volkstümliches aus Mecklenburg, 1. Heft, Nr. 43.

h) Die Kuh soll das Nest der wilden Taube, die ursprünglich an der Erde lebte, zerstört haben. Daher ruft die Taube noch heute: Kuh, Kuh! Du olle bunte Kuh!


  • Literatur: Ebd. Nr. 299.

i) Die Holztaube versteht nur ein schlechtes Nest zu bauen, aber vor Zeiten verstand sie gar nichts davon und mußte sich mit ihren Eiern und Jungen gar kümmerlich behelfen. Da sie nun sah, daß die Elster sich ihre Wohnung hübsch und gemütlich einzurichten wisse, bat sie dieselbe, ihr Unterricht im Nestbauen zu erteilen. Die Elster war bereit, bedang sich aber aus, daß die Taube ihr eine Kuh, in deren Besitz sie war, zum Lohne geben solle. Auch wurde ausgemacht, daß während[200] der ganzen Arbeit kein Wort gesprochen werden dürfe, bis die Schülerin erkläre, sie wisse jetzt genug. Die Elster begann ihren Unterricht, und die Taube setzte sich daneben und sah zu. Kaum aber hatte die Elster einige Reiser zusam mengetragen und kreuz und quer übereinander gelegt und befestigt, so sprach die Taube: »Nu kann ick et ok.« »Dat is god«, sagte die Elster, »wenn du't kannst, denn bün ick fertig; giff mi de Koh man, dat ick na Hus kam.« Das wollte die Taube aber nicht; so habe sie es nicht gemeint; was sie gesehen habe, könne sie nun auch, nicht aber das Ganze. Allein die Elster erwiderte, dann habe sie nicht sprechen dürfen, und weil sie gesprochen, sei die Kuh verfallen. Und da sie sich nicht vertragen konnten, brachte die Elster die Sache vor den Richter; der sprach der Elster die Kuh zu und wies die Taube mit ihrem Anspruch auf weiteren Unterricht ab. Seitdem macht die Taube ihr Nest zwar ein wenig besser als früher, aber hat doch nicht ihren Zweck erreicht. Darum ruft sie immer nach ihrer unnütz ausgegebenen Kuh und weiß nichts anderes mehr zu sagen als Ku-uh, Ku-uh!

Die Elster aber freut sich noch jetzt ihres Sieges und lacht und schwatzt in einem fort.


  • Literatur: Strackerjan, Aberglaube und Sagen aus Oldenburg 2, 99, § 389 a.

k) 1. Die wilde Taube ruft: Mien Kuh! Mien Kuh!

2. Die Elstern lernten den Nestbau von einer Kuh und verwiesen auch die Lachtauben auf diese.


  • Literatur: Colmar Schumann, Volks- und Kinderreime 58, Nr. 210.

3. Aus Luxemburg.


Die wilde Taube ruft:


O dû méng gutt rǒt Kǒ!

A meî gutt rǒt Kallef derzǒ!


  • Literatur: E. de la Fontaine, Die Luxemburger Kinderreime (Lux. 1877), S. 34, Nr. 13.

4. Aus den Niederlanden.


a) Die Holztaube fand, daß es doch nicht anging, daß ihre Jungen durch die Löcher ihres Nestes hinunterfielen, und beschloß bei der Elster den Nestbau zu lernen. Die Taube besaß eine schöne rote Kuh, und sie verabredeten, daß die Elster sie als Belohnung kriegen sollte. Die Elster und die Holztaube brachten zusammen Reiser herbei, die die Elster über und durcheinander legte, während die Taube zusah. Und immer sagte die Taube: »Ja, das kann ich auch!« Das verdroß endlich die Elster, und sie rief aus: »So, wenn du denn alles schon kannst, dann brauch ich's ja nicht mehr zu lehren«, und sie flog weg. Da war die Taube ihre Kuh los und konnte doch noch kein gutes Nest machen. Darum ruft sie fortwährend bekümmert: Roo Koe! roo Koe! (rote Kuh!)


  • Literatur: Volkskunde 15, 113. Vgl. Driemaandelijksche Bladen 1, 71. 2, 72.

b) Elster und Turteltaube wetten um eine Kuh, wer das schönste Nest bauen kann. Die Elster baut ein sehr schö nes, die Taube legt ein paar Reiser. Die Elster gewann also die Kuh, und seitdem klagt die Turteltaube: Roetekoe, roetekoe! (= Roodekoe), die Elster aber bricht in ein schallendes Gelächter aus, die Taube sieht.


  • Literatur: Cornelissen-Vervliet, Vlaamsche Volksvertelsels S. 228.

c) Die Holztaube, die das Nestbauen nicht versteht und Angst um ihre Jungen hat, bittet die Elster sie zu unterweisen, wofür sie ihr als Lohn ihre Kuh verspricht. Beide suchen nun Reiser, und die Elster beginnt sie übereinander zu legen. Darauf[201] sagt sie: »Gibst du mir jetzt die Kuh, so will ich dich weiter unterweisen.« »Ist es auch aufrichtig gemeint?« »Ich bürge mit meinem Kopf für die Wahrheit.« Kaum hat die Taube die Kuh überliefert, so macht sich die Elster mit ihr auf und davon. Seitdem baut die Taube nur ein so dürftiges, gebrechliches Nest, daß man von unten die Eier und die Jungen sehen kann. Auch klagt sie: »Ach Koe, Koe, schoone Koe!« Die Elster aber antwortet spöttisch: Rekke, rekke, rekke! Das ist eine altvlämische Verwünschung und soll heißen: »'k wou da-je gerekt hingt!« (Westflandern.)


  • Literatur: Mont en Cock, Vlaamsche Vertelsels, S. 68. Ebenda die Variante, daß die Tauben, sobald die Elster begonnen hat, rufen: We kunnen 't al! und wegfliegen. In einer anderen Erklärung des Rufes: ›Roede koe!‹ (ebd. S. 59 = Volkskunde 7, 146) heißt es, daß Noah die zurückgekehrte Taube gefragt' hat, wo der Rabe geblieben sei. Sie habe geantwortet: ›Roede koe! roede koe!‹ (Sie habe ihn von einer Kuh fressen sehen.) So rufe sie noch jetzt.

Die Frage nach der Herkunft dieser Erweiterung löst sich durch den Hinweis auf eine Sagengruppe, in der die Kuh als Besitztum der Taube aufgefaßt ist (s. unten: Verwandlungen, Abschnitt: Hirtensagen). So sonderbar diese Vorstellung auch scheinen mag, so lag sie doch der Volksphantasie sehr nahe, da sich das eigentümliche Gurren der Taube ohne Zwang als Klage um eine verlorene Kuh deuten ließ. Je näher aber diese Deutung lag, um so leichter geriet sie in die Sage vom Nestbauen. Wollte man sich die Unterweisung nicht umsonst erteilt denken, so nahm man als die von der Taube zu leistende Zahlung eben jene Kuh an, um deren Verlust man sie klagen wußte. Nur einmal ist von einem Rock die Rede, den die Taube der Elster zu geben hat (s. oben S. 124).

Fußnoten

1 Offenbar Verwechslung mit dem plattdeutschen Hääster = Elster.


2 Csag így, csak úgy! Csak így, csak úgy!


3 Tudom, tudom, tudom!


Quelle:
Dähnhardt, Oskar: Natursagen. Eine Samlung naturdeutender Sagen, Märchen, Fabeln und Legenden, 4 Bände, Leipzig/Berlin, 1907-1912, S. 202.
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