C. Vertrag, Prozeßakten, Ehedokumente usw. des Hundes oder der Katze.

[119] 1. Aus Polen.


a) Der Hund vermietete sich zum Dienst als Koch, wofür man ihm zwei Pfund Fleisch geben sollte, und zu diesem Zweck machten sie einen schriftlichen Vertrag. Diesen Vertrag gab der Hund der Katze zur Aufbewahrung, und die Katze versteckte ihn hinter einem Dachfirstbalken. Allein die Mäuse fraßen den Vertrag auf.

Darum beißt jetzt der Hund die Katze, sowie er sie erblickt, die Katze aber rächt sich an den Mäusen.


  • Literatur: Zbiór wiad. 9, 71 nr. 5.

b) Ein Hund fand einen Zettel, gab ihn der Katze zum Aufbewahren. Die Katze versteckte ihn in eine Spalte, die Maus trug ihn in einen Sack, woher ihn ein Krämer nahm und damit Käse einwickelte. Daher entstanden gegenseitige Reklamationen und Verfolgungen.


  • Literatur: Wisła 5, 452. La tradition 5, 68 (Mars 1891).

2. Aus Kleinrußland.


Es diente einmal ein alter Hund bei einem Menschen, und der jagte ihn davon. – »Gib mir wenigstens ein Billet, daß ich bei dir gelebt habe.« Jener Mensch schrieb es ihm und ließ ihn dann laufen, wohin er wollte. Der Hund wanderte und wanderte und sieht, ein Mensch hat keinen Hund; er schließt sich ihm an. [Man nimmt ihn auf. Eines Tages begegnet er dem Kater, der ihm den Vorschlag macht, das Billet, welches der Hund bislang bei sich trägt, zu verwahren, damit es vom Regen nicht durchnäßt würde.] »Hier hast du's,« sagte der Hund, »aber wenn ich's verlange, so gib es zurück.« Und so wurden sie Kameraden. Doch einmal lief der Kater in der Nacht hinter einer Maus her und verlor das Billet im Stroh, und die Hausfrau heizte beim Morgengrauen und verbrannte das Stroh. Zu der gleichen Zeit wollte der Hausherr den Hund fortjagen, der aber rief den Kater: »Gib mir mein Billet!« – »Es ist fort,« erwiderte dieser, »vernichtet«.

Der Hund warf sich auf den Kater und zerriß ihn. Hätte aber der Kater das Billet nicht verbrennen lassen, so würden die beiden noch heute Freunde sein, und die Hunde würden nicht herumstreichen.


  • Literatur: Dragomanov, Malorussk. narodn. predan. S. 197 nr. 44.

3. Aus Mähren.


Ein Hund wollte einmal heiraten. Und er ging zum Gevatter Fuchs1, damit er ihm einen Ehevertrag schreibe. Der Fuchs kam und sagte: »Geschätzte Damen[119] und Herren! Alte und Junge! Wollt ihr, daß dieser Vertrag gültig sei, so bedarf es noch zweier fremder Zeugen.« Es ging also der Bräutigam Hund und brachte einen Kater mit einer Katze. Der Fuchs setzte den Ehevertrag auf. Der Bräutigam, die Braut, deren Eltern mitsamt dem Kater und der Katze unterzeichneten ihn und dann schmausten sie. Als das Gastmahl zu Ende war, rieten sie hin und her, wo ein solch wichtiges Schriftstück aufzubewahren sei. »Tut es in einen Eisenkasten,« sagte der Gevatter Fuchs, »dort wird es niemand stehlen, es wird auch nicht verderben.« »Das wäre zu teuer,« sagte der Kater zur Katze. »Besser wäre es, die Urkunde in einen Hafersack zu legen.« So taten sie denn nach dem Rate des Katers, taten den Vertrag in einen Hafersack, legten ihn zu unterst und kümmerten sich nicht weiter darum. Aber bald sahen sie sich in die Notwendigkeit versetzt, in den Vertrag Einsicht zu nehmen. Es ging nämlich der Bräutigam einmal auf das Feld des Schwiegervaters, um Wild zu erjagen, indem er behauptete, daß dieses Grundstück das seinige sei, weil er es als Mitgift der Braut erhalten habe. »Überzeugen wir uns,« sagte der Schwiegervater und begab sich zum Gevatter Fuchs. Der kam und sagte: »Das wird der Ehevertrag entscheiden.« Aber o Schrecken, der ganze Sack ist zerbissen, der Hafer zerfressen, das Schriftstück nicht zu erkennen, geschweige zu durchlesen. Da entschied der Fuchs zugunsten des Schwiegervaters. Nun wurde der Bräutigam zornig auf den Kater und die Katze, daß sie ihm so übel geraten hätten, und gelobte ihnen, daß, wo er oder seine Nachkommen sie oder ihre Kinder erblickten, sie verfolgt werden würden. Nachdem der Kater und die Katze erfahren hatten, daß es Mäuse waren, welche den Ehevertrag zerfressen hätten, gelobten sie ihnen ebenfalls den Tod. Seit jener Zeit haßt der Hund die Katzen und die Katzen die Mäuse.


  • Literatur: Aus Kolář, Kochovský, Chudobinsky, První morav. obrázk. knihovna pro českou mládež Bd. 14, S. 28 Nr. 9. (== Erste mährische illustrierte Bücherei f.d. böhmische Jugend 14.)

4. Vlämischer Schwank. Er hat mit der böhmischen Variante gemeinsame Züge: Heiratskontrakt, Rolle des Fuchses, ersetzt jedoch die Mäuse scherzhaft durch eine eifersüchtige Katze. Der deutende Schluß ist mißverstanden und entspricht keineswegs den Gewohnheiten des Hundes; er stammt aus dem Sagenkreise über das gegenseitige Beschnüffeln der Hunde (vgl. unten S. 129).


Eines Tages wollte ein Hund eine Katze zur Frau nehmen. Schon hatte Meister Fuchs ihre Papiere in Ordnung bringen lassen, und der Heiratskontrakt sollte aufgesetzt werden, als eine andere Katze, ohne Zweifel durch Eifersucht getrieben, sich der Papiere des Fuchses bemächtigte und sie auffraß! Die Ehe konnte nicht geschlossen werden. Seit diesem Tage nun haben alle Hunde sich angewöhnt, den Katzen unter den Schwanz zu sehen, ob sie ihnen nicht bald ihre Papiere wiedergeben würden.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 3, 98 nr. 12.

5. Eine Versbearbeitung des Themas: Feindschaft zwischen Hund, Katze und Maus findet sich bei Lüder Woort, Plattdeutsche Dichtungen S. 8 f. (Bremen 1861). Hier verklagt der Hund seinen Herrn wegen erhaltener Prügel und bekommt Recht. Ein Schriftstück wird ihm darüber ausgehändigt; er übergibt es der Katze zur Aufbewahrung. Die Katze versteckt[120] es, allein die Mäuse finden and »zerschneiden es zum Zeitvertreib«. Seither herrscht die Feindschaft unter den Tieren.

6. Eine schwedische Variante aus Finnland zeigt Berührung mit dem Sagenkreise über das »Beschnüffeln« durch Herübernahme des Motivs vom Flußübergang. Ermöglicht wurde dies dadurch, daß hier die Katze als die Besitzerin des Dokuments eingeführt wird und der Hund dieses verliert.


Die Katze und der Hund waren früher Geschwisterkinder und gute Bekannte. Ich will erzählen, wie sie in Streit gerieten.

Die Katze mußte einmal eine Reise machen und wollte einige Zeit wegbleiben. Da gab sie dem Hunde ihren Paß zur Aufbewahrung. Der Hund steckte den Paß unter seinen Schwanz. Als er dann einmal über einen Fluß schwamm, da streckte er, ohne an etwas zu denken, den Schwanz von sich, und so entfiel ihm der Paß. Und seitdem sind Hund und Katze im Streit miteinander.


  • Literatur: Aufgez. 1890 in Kronoby, Gouvernement Wasa, von H. Stahl. (Handschriften der Schwed. Literaturgesellschaft in Helsingfors.)

7. Aus Ungarn.


Magyar Nyelvör 14, 129: der Hund gibt der Katze einen Kontrakt zu bewahren. (Mir nicht zugänglich.)


8. Neugriechisch aus Patras.


Die Hunde hatten einen Prozeß, und da sie liederlich sind, so gaben sie ihre Papiere den Katzen zum Aufbewahren, als ordentlichen Hausfrauen, die sie sind. Die Katzen legten sie auf den Estrich, und da kamen die Mäuse und fraßen sie auf. Darum, wenn die Hunde die Katzen sehen, stellen sie ihnen nach, weil sie ihnen die Papiere zerstört haben, und die Katzen wiederum stellen den Mäusen nach, weil sie ihnen die Papiere aufgefressen und sie mit den Hunden in Feindschaft gebracht haben.


  • Literatur: Politis Nr. 1011.

9. Aus Portugal. Vermischung mit dem Motiv »Beschnuppern«.


Seit Beginn der Welt haben Hunde und Katzen einen großen Streit miteinander. Die Katzen gewannen in der ersten Instanz, aber die Hunde appellierten, und in der höheren Instanz ging es den Katzen schlecht, aber sie gaben sich den Anschein, als ob sie die Entscheidung des Gerichts nichts anginge. Darauf beschlossen die Hunde, das Dokument mit dem Urteil fortzusenden, doch weil sie einen Hinterhalt seitens ihrer Feinde besorgten, gaben sie dem Träger den Rat, das Dokument unter den Schwanz zu stecken, wenn er furchte überfallen zu werden. Der Hund tat so, aber er ist noch nicht zurückgekehrt. Deswegen untersuchen die Hunde stets, wenn sie einem von ihresgleichen, der ihnen unbekannt ist, begegnen, den Fremden unter dem Schwanz, ob er nicht das Urteil ver steckt bei sich trage.


  • Literatur: Braga, Contos tradicionaes do povo portuguez Nr. 202 = Oliveira, Contos trad. do Algarve 1, 66 Nr. 25 (1900).

Fußnoten

1 Im Böhm.: Gevatterin Füchsin.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 121.
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