D. Was Hund und Katze fressen dürfen u.ä.

[121] Erweiterungen zu den oben unter A angeführten Überlieferungen.


1. Aus Pommern.


Die Haustiere beklagten sich einst beim lieben Gott, daß sie von den Menschen so sehr bedrückt würden, und sandten durch die Hunde eine Botschaft an ihn.[121] Der liebe Gott nahm die Gesandten gnädig an und gab ihnen ein Dokument an die Menschen mit, des Inhalts, daß sie den Tieren nichts zuleide tun sollten. – Das half, denn seitdem wurden Hunde und Katzen eine Zeitlang freundlicher behandelt. Damit das Dokument nun nicht verloren gehe, übergaben die Hunde es den Katzen, weil sie doch schlau und listig wären, damit sie es gut verwahren möchten. Diese nahmen das Papier und versteckten es unter dem Strohdache des Hauses, so daß kein Mensch es auffinden konnte. Da kamen aber die Mäuse und zernagten das Papier. Als nun die Hunde wieder einmal in Not kamen und das Schreiben vorzeigen wollten, da war es ganz zerschnitten. Da wurden sie sehr böse auf die Katzen und bissen sie, wo sie nur konnten. Die Katzen rächten sich wieder an den Mäusen, und seitdem ist noch heut und diesen Tag Feindschaft zwischen Hund, Katze und Maus.


  • Literatur: Asmus und Knoop, Sagen und Erzählungen S. 68 (1898) = Blätter f. pomm. Volksk. 8, 169.

2. Aus Oldenburg.


Zur Zeit, als die Riesen noch auf Erden wohnten, gab es nur wenig Menschen. Diese wurden von den Riesen nicht viel beachtet; aber Hunde und Katzen merkten, daß die Menschen einst die Herren der Erde sein würden, und schlössen sich ihnen an. Der Hund ging mit auf die Jagd, um das Wild heranzutreiben, und bewachte seinen Herrn, wenn dieser schlief. Die Katze hütete Küche und Feld und vertrieb das kleine Getier, das dort seine Nahrung suchte. Die Menschen waren dankbar und freundlich und teilten ihre Speisen mit ihren vierfüßigen Dienern. Als aber die Menschen sich vermehrten und mit mehr Mühe und Schwierigkeiten sich ernähren mußten, vergaßen sie der treuen Dienste der beiden Tiere, und statt des Fleisches bekamen diese bald nur noch die Knochen. Endlich gingen Katze und Hund vor Gericht und suchten dort ihr Recht. Die Richter aber getrauten sich nicht diesen schweren Handel allein zu entscheiden und beschickten einen alten, wegen seiner Weisheit weit berühmten Mann, damit er ihnen Rat erteile. Der Alte besah sowohl den Menschen als den Tieren die Zähne und sprach: »Hund und Katze sind mehr zum Fleischessen geschaffen als der Mensch1, der auch Gemüse essen soll; der Mensch maß den Hunden und Katzen ein genügend Teil Fleisch abgeben.« Das Urteil ward auf Pergament geschrieben und den Klägern eingehändigt, damit diese sogleich ihr Recht beweisen könnten, wenn der Mensch es ihnen weigern sollte. Froh gingen die Tiere nach Hause. Aber nun galt es, das wichtige Dokument so aufzubewahren, daß es der Mensch nicht finden und vernichten könne. Der Hund riet, es unter einen großen Stein zu legen. »Nein,« sagte die Katze, »das geht nicht. Wie leicht kann es der Mensch dort finden, und wenn er es nicht findet, so zerstört es die Feuchtigkeit. Ich will es in den Hahnebalken tragen, da ist es hübsch trocken, und dahin kommt auch kein Mensch.« Das war der Hund zufrieden, und die Katze kletterte das Dach hinauf und verbarg das Pergamentpapier unter einer Latte.

Etliche Jahre waren die Menschen dem Urteil gehorsam und teilten den Tieren von allem Fleisch, das auf den Tisch kam, mit. Dann aber wurden sie nachlässiger, und nicht lange, so hatten die Menschen des Richterspruchs vergessen, und Hunde und Katzen bekamen wieder nur Knochen. Da beschlossen die beiden, die Menschen an ihre Pflicht zu erinnern, und die Katze kletterte das Dach hinauf, um das Urteil zu holen. Als sie aber oben ankam, hatten die Mäuse das Pergament ganz zernagt,[122] so daß es nicht mehr zu gebrauchen war. Die beiden konnten also dem Menschen ihr Recht nicht beweisen und müssen sich seitdem immer mit Knochen abspeisen lassen. Der Hund wurde aber zornig auf die Katze, deren Rat das Unglück veranlaßt hatte, und ist. ihr ärgster Feind geworden, und die Katze sucht ihre Rache an den Mäusen und verfolgt sie aufs hitzigste, weil sie das Dokument vernichtet hatten.

Warum gingen sie denn nicht wieder vor Gericht? Ja, der alte Mann war in der Zeit gestorben.


  • Literatur: Strackerjan, Aberglaube und Sagen2 II, 144 ff.

3. Aus Waldeck.


Zu Hundsdorf haben sie einmal schlecht geschlachtet, da sagten die Hausherren zu den Hunden und Katzen, sie könnten ihnen das Jahr kein Fleisch geben, sie müßten einmal sehen, wie die Knochen schmeckten, das andere Jahr sollten sie solches dann auch wieder erhalten. Das setzten sie nun auf, und dies müssen sie alle unterschreiben und tun es darauf in den Knopf der Kirche. Das andere Jahr sagen die Herren aber, sie bekämen kein Fleisch. Jetzt kletterten sie nun gleich an der Kirche hinauf und holen das Schreiben. Der größte Hund muß es zwischen die Ohren legen und wollen sie nach dem Fürsten. Als sie nun aber durch die Eder machen wollen, da nimmt das Wasser das Schreiben weg. Der große Hund schnappt zwar immer danach, er kann es aber nicht wieder kriegen. Von der Zeit erhalten die Hunde und Katzen nur die Knochen und kein Fleisch mehr. [Aus Hundsdorf.]


  • Literatur: Curtze, Volksüberlieferungen aus d. Fürstentum Waldeck S. 240 Nr. 78.

4. Polnische Variante.


Hund und Katze haben einen Vertrag, der besagt:


Wenn etwas vom Tische falle, so solle es der Katze und dem Hunde gehören. Der Hund gibt den Vertrag der Katze zur Aufbewahrung. Sie versteckt ihn hinter einer Latte in der Scheune. Als einmal dem Bauer Speck zur Erde fiel, griff der Hund danach. »Zeige die Schrift«, sagte der Bauer. Da ging der Hund zur Katze, und die Katze ging um die Schrift, aber fand sie nicht, denn die Mäuse hatten sie gefressen. Daher die Feindschaft zwischen Hund, Katze und Maus.


  • Literatur: Szymon Matusiak, Gwara Lasowska w okolicy Tarnobrzega S. 93. Krakau 1880.

5. Aus dem Ostkarpathengebiet.


Einst lebten der Hund und die Katze in großer Freundschaft und beneideten einander nicht wie heutzutage. Da geschah es, daß ihr guter Herr und Pfleger schwer erkrankte und binnen kurzer Zeit starb. Bevor er aber gestorben war, errichtete er ein Testament, in welchem er jedem seiner Angehörigen einen Teil seiner Habe verschrieb. Dabei vergaß er auch seiner treuen Gefährten, des Hundes und der Katze, nicht. Er bestimmte nämlich, daß jeder Bissen, der vom Tische fällt, ihnen gehören soll.

Als sie diese Schrift erhalten hatten, berieten sie nun, wo sie letztere am besten aufheben könnten, damit man ihnen dieses wertvolle Stück nicht wegstehle. Gerne hätte der Hund das Aufbewahren des Testaments allein besorgt; da dies aber nur auf dem Erdboden geschehen konnte, weil er hohe Gegenstände nicht erklettern kann, so fürchtete er, es könnte von der Feuchtigkeit des Erdbodens leiden. Daher wurde das Testament dem Kater anvertraut. Dieser bedachte sich nicht lange,[123] erkletterte den Dachboden und versteckte es in einem Winkel des Daches. Hierauf ging jeder seines Weges.

Solange sie noch stark waren und ihre Pflicht erfüllen konnten, wurden sie auch von ihren Pflegern geschont und gehegt. Als sie aber alt wurden und ihre Dienste ver nachlässigten, da wollte man ihnen die nötige Nahrung nicht reichen. Bei einem Feste, welches ihr Pfleger veranstaltete, fiel eine Semmel zu Boden. Schnell haschte darnach der Hund und wollte sie verzehren; aber der Hausherr ergriff ihn am Halse und nahm ihm den Bissen ab. Der Hund begann zu streiten und berief sich auf das Testament. Da verlangte der Hausherr dieses zu sehen. Schnell kletterte die Katze auf den Dachboden hinauf, um das Stück zu holen. Zum großen Schmerze fand sie aber nur Papierschnitzelchen: die Mäuse hatten sich daraus ein Nest gebildet.

Der Hund blieb aber bis auf den heutigen Tag der Meinung, daß die Katze ihn betrogen habe. Diese wieder sucht sich dafür an den Mäusen zu rächen.


  • Literatur: Zeitschr. f. öst. Vk. VIII, 120, mitgeteilt von R.E. Kaindl.

6. Litauische Variante.


Einst waren den Hunden und Katzen für ihre guten Dienste Ehrenpapiere ausgestellt worden. Sie machten sich damit auf den Weg, um in ihre Heimat zurückzukehren. Unterwegs kamen sie an einen Fluß. Da die Katzen nicht durch das Wasser schwimmen konnten, so erboten sich die Hunde, sie wollten die Katzen übersetzen. Die Katzen setzten sich auf den Rücken der Hunde, und diese schwammen mit ihnen über den Fluß. Als der Abend hereingebrochen war, kamen die Hunde und Katzen an die Ruinen eines alten Schlosses. Sie beschlossen daselbst zu übernachten, die Katzen aber sollten für den ihnen erwiesenen Dienst die Ehrenpapiere in der Nacht überwachen. Die Katzen übernahmen die Wache, allein sie waren durch die lange Reise so ermüdet, daß sie bald einschliefen. Da kamen die Mäuse, welche in den Ruinen hausten, hervor und zerknabberten die Ehrenpapiere. Am nächsten Morgen fuhren die Hunde, als sie den Schaden sahen, ergrimmt auf die Katzen los, diese aber auf die Mäuse, und diese Feindschaft ist geblieben bis auf den heutigen Tag.


  • Literatur: Veckenstedt, Die Mythen, Sagen und Legenden der Zamaiten 2, 173 Nr. 32.

7. Eine arabische Variante berichtet über den Grund der Abneigung zwischen Hund und Katze, »die ursprünglich gute Freunde waren«, wie folgt.


Als die verschiedenen Tiergattungen ihre Arbeit zugewiesen erhielten, wurden Hund und Katze, obwohl sie zu den Haustieren gehörten, von der gemeinen niedrigen Arbeit befreit, der Hund wegen seiner Pflichttreue und die Katze wegen ihrer Sauberkeit. Auf ihr besonderes Begehr wurde ihnen ein Schriftstück überreicht, das ihr Privilegium beglaubigte und bestätigte. Es wurde dem Hunde zur Aufbewahrung gegeben, und dieser versteckte es dort, wo er seinen Schatz an alten Knochen aufbewahrte. Voller Neid [auf Hund und Katze] erkauften sich Pferd, Esel und Ochse die Dienste der Ratte, die unter der Erde wühlend zum Privilegium gelangte und es zerstörte. Einige Zeit darauf war der Hund wegen seiner Nachlässigkeit in die Lage versetzt, von seinem Herrn gebunden oder angekettet zu werden, und die Katze hat ihm außerdem nie vergeben. Katze und Hund hassen beide die Ratten und töten sie, wo sie nur können. Pferd, Esel und Ochse erlauben dagegen den Ratten an ihrem Futter teilzunehmen.


  • Literatur: Palestine Exploration Fund 36, 265 (London. Jahrg. 1904), mitgeteilt von Hanauer.

Fußnoten

1 Vgl. unten S. 131 Kuhns Fassung aus Westfalen.


Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 124.
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