B. Beschnüffeln, um den Dieb zu finden.

[135] Die folgenden drei Fassungen schließen sich zu einer engeren Gruppe zusammen: in allen wird für einen kranken Hund nach einem Heilmittel geschickt.


1. Aus Griechenland.


Als die Hunde sahen, daß sie krepierten wie Hunde, ohne Arzt, da beschlossen sie einen Hund nach Europa zu schicken, damit er Medizin studiere und sie heile. Jener Hund nun nahm wie ein Mensch das Geld und kam nicht wieder.

Seitdem suchen ihn die andern Hunde, und wenn zwei sich begegnen, beriecht der eine den andern, ob er nicht nach Medizin rieche, damit sie den Arzt erwischen, der sie betrogen hat.


  • Literatur: Politis Nr. 1010.

[135] 2. Aus dem Spreewald.


Warum beriechen sich die Hunde? Es war einmal ein Hund todkrank, da schickten sie einen, der mußte zum Doktor gehen. Dieser schickte wieder einen Hund in die Apotheke nach Medizin, und der ist nicht wiedergekommen. Seitdem beriechen die Hunde einander, um zu sehen, welcher von ihnen der ist, der die Medizin bei sich hat.


  • Literatur: W.v. Schulenburg, Wendische Volkssagen u. Gebräuche aus dem Spreewalde S. 80.

3. Aus Mecklenburg.


De König von de Hunn' is eens krank wäst. Dor is en Hund afschickt na Paris, dee hett Rosinen halen süllt för den Kranken. Dee hett de Hund unnerwägs vertehrt un is nich wedderkamen. Dorüm rükt een Hund den annern ümmer noch unner'n Swanz; he will rüken, ob dee de Rosinenhaler is.


  • Literatur: Wossidlo, Aus dem Lande Fritz Reuters S. 160.

4. Französischer Schwank.


Die Hunde versammelten sich eines Tages, weil sie oftmals von ihren Herren geschlagen wurden und von den Dienern Böses erlitten. Sie hielten also einen Rat ab. Die plumpen Doggen, als die Größten, präsidierten und nahmen die Vorschläge der Kleineren entgegen. Einer, der sich stets in der Küche aufhielt, gab den Rat, man möge eine gemeinsame Kasse gründen, Fleisch einkaufen und auf diese Weise Handel treiben, ohne fortwährend dem Willen anderer unterworfen zu sein. Ein zweiter war der Meinung, daß man nach Indien reisen sollte, um Gewürze zu erhandeln, die die Eigenschaft hätten sich nie zu verbrauchen. Dieser Rat wurde angenommen, ein jeder steuerte bei, und man bestimmte einen Hund dazu, mit der Kasse nach Indien zu reisen. Als dieser Hund auf dem Meere zufällig in einen großen Sturm geriet, wurde er ins Wasser geworfen, um das Schiff zu entlasten. Seine Genossen aber warteten lange auf ihn, und jedesmal, wenn sich Hunde begegnen, sind sie begierig, Neuigkeiten aus Indien zu erfahren und beriechen einander am Hintern, um sich davon zu überzeugen, ob es nicht nach Gewürzen dufte.


  • Literatur: Sébillot, Folklore III, 75. Recueil de Questions tabariniques V, t. II p. 36.

5. Vom Rhein.


Der König der Tiere lud eines Tages alle seine Untertanen zu einem Feste ein, wobei es ein großes Gastmahl gab. Der Hund mußte mit in der Küche helfen, weil er ein so treues und zuverlässiges Tier ist, und namentlich die nötigen Gewürze herbeischaffen. Da ging einmal dem Koch der Pfeffer aus, und der Hund wurde zum Krämer geschickt, frischen zu holen. Aber er kehrte nicht zurück. Als er so lange ausblieb, sandte der Koch ihm einen andern nach, ihn zu suchen. Und damit dieser unter all den Hunden den rechten mit dem Pfeffer finde, so ließ man ihn am Pfeffer riechen. Der Hund lief fort, aber er kam ebensowenig als der erste, wieder. Und so wurden noch andere nachgesandt bis zum letzten, der da war. Doch keiner kam wieder, sondern alle suchen noch bis auf diesen Tag den, der für das Gastmahl ihres Königs den Pfeffer holen sollte. Daher beschnüffelt einer den andern.


  • Literatur: Wolfs Zeitschr. f. deutsche Mythol. I, 225. Übersetzt in Revue des trad. pop. 2, 433.

6. In den Mitteilungen der Schles. Gesellsch. f. Volkskunde 2, 1897, Heft 3, 8 berichtet der verstorbene Prof. Nehring über die Handschrift Lompa, die slawische Überlieferungen aus Schlesien enthält. Dort findet sich auch unser Schwank, in dem erzählt wird, daß die Hunde einmal zu[136] einem großen Gastmahl ein schnellfüßiges Hündchen um Pfeffer nach Amsterdam schickten; da jedoch das Hündchen nicht zurückgekehrt ist, so wittern die Hunde bei jedem fremden Hunde, ob er nicht etwa den Pfeffer gefressen habe.


7. Aus Weißrußland.


Einmal veranstalteten alle Tiere einen Schmaus im Walde, und es fehlte ihnen der Pfeffer. Da sagten sie zu dem Hunde: »Weißt du was, lauf du, denn wenn von uns einer laufen sollte, so käme er leicht um sein Leben. Du aber treibst dich ja immer in der Stadt herum, da wird man auf dich nicht weiter achten.« – Der Hund lief, packte den Pfeffer und eilte zurück, aber es fiel ihm ein, in eine Fleischerei zu laufen. Er kam dorthin und packte ein Stückchen Fleisch, aber der Fleischer zog ihm eins über, da ließ er alles fallen und kam hinkend in den Wald. Da fingen sie an zu fragen: »Wo ist der Pfeffer?« Der Hund antwortet: »Weggenommen!« Da beschnüffelten sie seinen Kot, weil sie dachten, daß er den Pfeffer aufgegessen hätte. Seitdem und bis auf den heutigen Tag beschnüffeln sie sich unter dem Schwänze, wenn sie einander begegnen.


  • Literatur: Federowski, Lud. biał. III, Nr. 219.

8. Aus Frankreich.


a) Aus der Provence.


Die Hunde gaben einmal eine große Gesellschaft. Der erste, der ankam, bemerkte auf der Tafel einen Senftopf und konnte der Versuchung nicht widerstehen, er machte Langfinger, verschlang den Senf und entfloh. Der nächstfolgende, der Zeuge des Raubes gewesen war, stürzte dem Räuber nach, und alle Hunde, einer nach dem anderen, wie sie ankamen, machten sich auf, ihn zu verfolgen. Dabei machten sie ein solches Durcheinander, daß der Schuldige entkam. Seitdem riechen sich die Hunde unter den Schwanz, in der Hoffnung, den Senf wiederzufinden.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 10, 176 = Sébillot, Folklore III, 76.

b) Aus Troyes.


Eines Tages überraschte ein Genfer Uhrmacher einen Hund, der ihm eine Uhr stahl, er lief ihm nach, konnte ihn aber nicht erwischen. Da die anderen Hunde davon wissen und ihnen die Ehre ihres Geschlechts am Herzen liegt, und da sie glauben, der Dieb habe die Uhr verschlungen, beschnüffeln sie einander, um sie beim Abgehen zu finden und den Schuldigen zu entdecken. Da sie ihn aber noch nicht erwischt haben, so beschnüffeln sie sich auch noch immer.


  • Literatur: Revue des trad. pop. 10, 26 = Sébillot, Folklore III, 76.
Quelle:
Dähnhardt-Natursagen-4, S. 135-137.
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