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Ansichten eines Tuscarora-Indianers über die Erschaffung der Welt

[290] In uralten Zeiten gab es zwei Welten. In der untersten herrschten die ungeheuerlichsten Geschöpfe; in der obersten wohnten die Menschen. Unter diesen befand sich eine hochschwangere Frau, die war gerade nahe daran, von Zwillingen entbunden zu werden, als sie durch große Schmerzen von Sinnen kam und in die Unterwelt sank, wo sie von einer großen Schildkröte aufgefangen wurde. Diese wuchs mit jeder Minute, bis zuletzt eine große Insel daraus wurde. Ihr Rücken war mit Erde bedeckt, aus der ein großer Wald von Bäumen und Gesträuchen hervorschoß.

Während nun die Frau in den schmerzlichsten Kindesnöten dalag, fiel es dem einen Kind ein, unter ihrem Arm hervorzukriechen – eine Idee, von der es das andere mit aller Gewalt abbringen wollte, was ihm jedoch nicht gelang.

Bei der Geburt des zweiten Kindes kam die Mutter ums Leben.

Das eine Kind hieß Enigorio oder der Gute Geist und das andere Enigonhahetdschi oder der Böse Geist. Beide wuchsen recht nett heran und blieben in den dunklen Regionen, die der Gute Geist später dadurch erhellte, daß er die beiden Augen seiner Mutter in der Luft befestigte, wovon das eine bei Tag und das andere[291] bei Nacht leuchtete. Aus den übrigen Körperteilen machte er die vielen Sterne.

Als dies die scheußlichen Ungeheuer der Dunkelheit merkten, verkrochen sie sich so schnell, wie sie konnten, im unterirdischen Schlamm, damit sie niemand sah.

Danach schuf der Gute Geist viele Füchse und allerhand sonstige Tiere und baute auch zuletzt zwei Geschöpfe – ein Männchen und ein Weibchen – nach seinem Ebenbild.

Sein Bruder unterhielt sich inzwischen damit, daß er rauhe Berge, rauschende Wasserfälle und giftige Schlangen hervorbrachte, und als den beiden Menschen die Seelen eingehaucht werden sollten, verwandelte er sie schnell in Affen und der Gute Geist war genötigt, wieder zwei neue zu machen, denen er aber die Seelen heimlich selbst einblies. Darüber zankten sie sich nun und forderten sich zum Kampf heraus, und es wurde ausgemacht, daß der Sieger die Welt regieren sollte.

Der Kampf dauerte zwei Tage; der Böse wurde erschlagen und hinab in die schwarze Tiefe gestürzt, wo er jetzt noch wohnt und die Seelen seiner Anhänger in Empfang nimmt.

Quelle:
Knortz, Karl: Märchen und Sagen der Indianer Nordamerikas. München: Verlag Lothar Borowsky, 1979, S. 290-292.
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