[82] 30. Wie Krankheit, Elend und Tod in die Welt kamen

[82] In alter Zeit gab es keinen Streit. Alle waren glücklich, und niemand wurde krank und starb.

Damals lebten die Waldgeister unter uns als unsere Freunde und Genossen. Sie waren kleine Leute wie wir. Ein Waldgeist, Yurokon, pflegte besonders oft zu meinen Vorfahren zu kommen und mit ihnen Paiwari zu trinken. Er kam zu diesem Zweck regelmäßig einmal im Monat. Das letztemal, als er kam, erschien er als eine Frau mit einem Kindchen an der Brust. Die Karaiben reichten ihr den Pfeffertopf, und sie tauchte die Kassawa hinein, die sie dann aussog und aß. Der Pfeffertopf war aber so heiß, daß sie sich das Innere des Mundes und das »Herz« verbrannte. Daher bat sie um Wasser. Die Hausfrau hatte kein Wasser im Hause. Da forderte Yurokon eine Kalabasse, ließ ihr Kind zurück und ging hinunter ans Wasser, wo sie ihren Durst stillte.

Als sie zurückkam, sah sie sich nach ihrem Kindchen um, aber sie fand es nirgends. Sie suchte überall, unten und oben, alles vergeblich. Während ihrer Abwesenheit hatte nämlich eine böse Frau das Kind in den kochenden Kaschiritopf geworfen. Nach einiger Zeit rührte Yurokon das Kaschiri um mit dem gebräuchlichen Löffel aus einem Paddelruder, und während sie rührte, kam der Körper ihres Kindes an die Oberfläche. Da weinte sie, und indem sie sich zu den Leuten wandte, sagte sie: »Warum habt ihr mir das getan? Ich habe niemals Böses gegen euch im Sinne gehabt, aber nun sollt ihr dafür büßen. In Zukunft sollen alle eure Kinder sterben, und darüber werdet ihr weinen, so wie ich jetzt weine. Wenn euch Kinder geboren werden, so sollt ihr Schmerzen und Not erleiden bei ihrer Geburt. Und was euch Männer betrifft,« fuhr sie fort, »so sollt ihr[83] große Mühe haben, wenn ihr auszieht, um Fische zu fangen.«

So geschah es; denn in jenen Tagen brauchten wir Karaiben nur ans Ufer zu gehen und das Wasser mit unseren Kalabassen herauszuschöpfen, dann lasen wir die Fische auf, die am Boden des Flusses lagen und taten das Wasser wieder zurück, damit es neue Fische erzeugte. Yurokon änderte dies alles, und nun haben wir die Mühe und Plage, daß wir die Teiche mit verschiedenen Wurzeln vergiften müssen. Die abscheuliche Indianerin aber, die das Kind in den Kaschiritopf geworfen hatte, wurde von Yurokon getötet.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 82-84.
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