[13] 4. Warum der schwarze Jaguar die Leute tötet

Eines Tages fing Tobe-horoanna, der schwarze Jaguar, draußen im Walde einen jungen Mann. Er schleppte ihn in sein Heim, steckte ihn in einen Topf und sagte: »Du brauchst dich nicht zu fürchten. Ich habe nicht vor, dich zu töten, zu kochen und zu essen. Du wirst am Leben bleiben.«

Als des schwarzen Jaguars Bruder und Schwester heimkamen, sagten sie: »Wir haben gehört, daß du einen jungen Mann gefangen hast. Wo ist er?« »Im Topf,« antwortete Tobe-horoanna. »Hast du ihn gefüttert?« war ihre nächste Frage, und als er dies verneinte, sagten sie: »Nun, so gib ihm ein Wildschwein, und wenn er es nicht ganz vertilgt, so werden wir ihn vertilgen.«

Der Mann war recht erschrocken, als er sie so sprechen hörte, und als sie ihm das Wildschwein gaben, tat er sein Bestes, es zu verzehren. Nachdem er aber die beiden Hinterbeine bewältigt hatte, konnte sein Bauch nicht mehr aufnehmen. Darauf reichte Tobe-horoanna ihm eine Kalabasse mit Kaschiri und gebot ihm, sie auszutrinken. Der arme Bursche sagte, daß sein Bauch voll sei, und daß er es unmöglich trinken könne. Da sie jedoch alle drei darauf bestanden, schluckte er das Kaschiri hinunter, aber fast augenblicklich war er genötigt, alles wieder herauszubrechen. »Ach, was machst du da?« sagte der schwarze Jaguar. Er dachte, es müßte irgend etwas nicht richtig sein im Munde des Mannes. Da ließ er durch seinen Bruder dem Manne den Mund aufreißen, während er ihm noch mehr Kaschiri[13] eingoß. Aber die Schwester hatte an ihm Gefallen gefunden und wollte gern mit ihm leben. Daher sagte sie, die Brüder möchten den Mann in Ruhe lassen. Da ließen sie ihn los und schickten ihn in den Wald zum Jagen, damit er zeige, ob er imstande sei, eine Frau zu ernähren. Als er aus dem Walde zurückkehrte, brachte er zehn geräucherte Wildschweine mit. Da sagte Tobe-horoanna: »Das ist recht! Ich bin zufrieden. Du kannst meine Schwester haben.«


4. Warum der schwarze Jaguar die Leute tötet

Also lebte der Mann lange Zeit dort bei seiner Jaguarfrau, die ihm schließlich Zwillingssöhne gebar. Als die Kinder älter wurden und schon kriechen und krabbeln konnten, hütete der Vater sie, während seine Frau auf das Feld ging. Plötzlich knurrten sie und machten ein Geräusch wie Naharani, der Donner. Dies erschreckte den Mann, aber als die Mutter zurückkam, sagte sie ihm, daß solch ein Geräusch nichts zu bedeuten habe; es sei nur derselbe Ton, den die Leute vom Stamme der schwarzen Jaguare immer hören ließen, wenn sie durch den Wald reisten.

Bald danach bekam der Mann Heimweh. Er sagte zu seiner Frau, daß er beabsichtige, seine Mutter und Schwester zu besuchen, und er machte sich auf. Wie freudig wurde er zu Hause bewillkommnet! Sie hatten ihn schon längst verloren gegeben. Seine Mutter fragte ihn, ob er eine Frau habe, und als sie erfuhr, daß er nicht nur eine Frau, sondern auch zwei Knaben habe, die merkwürdig knurren könnten, bat sie ihn, doch bei seinem nächsten Besuch seine Familie mitzubringen.

Das tat er sehr bald, aber als sie zum Hause seiner Mutter kamen, war dort ein Trinkfest, und die alte Frau hatte ihre Zunge nicht mehr in der Gewalt. Sie machte ihm Vorwürfe, daß er ihr eine solche Schwiegertochter ins Haus bringe; ob er nicht sehen könne, daß sie nicht ein richtiger[14] Mensch, sondern eine Jaguarin sei, die eines Tages über ihn herfallen und ihn umbringen würde? Schäme er sich denn nicht, so eine zu ihr zu bringen, und so weiter. Und in ihrer betrunkenen Wut töteten sie und ihre Tochter ihn. Seine Frau tat ihr Bestes, ihn zu verteidigen, aber sie erschlugen auch sie. Seine beiden Knaben würde das gleiche Schicksal ereilt haben, wenn sie dort geblieben wären, aber es gelang ihnen zu fliehen, und sie kamen unbeschädigt nach Hause.

Der Onkel Tobe-horoanna fragte: »Wo ist euer Vater?« »Tot!« antworteten sie. »Wo ist eure Mutter?« »Auch tot!« erwiderten sie. Als er alles von ihnen erfahren hatte, wurde er sehr böse, verwandelte sich wieder in einen schwarzen Jaguar, trabte davon zu dem Ort, wo sie tranken, und tötete alle, die Mutter, die Tochter und alle Gäste.

Quelle:
Koch-Grünberg, Theodor (Hg.): Indianermärchen aus Südamerika. Jena: Eugen Diederichs, 1927, S. 13-15.
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