Die Moli-Blume.[272] 155

Eine reizende, füllige Blüte,

Eine liebliche Märchenblüte

Kam in mein stilles Gemach,

Als kaum der Morgen erglühte.


Lass mich deine Schöne geniessen,

Mein Liebchen, sonst wird dichs verdriessen,

Blühendes Blümelein du,

Und mein Zorn wird sich schrecklich ergiessen.
[272]

O du süsseste Rosenblüte!

O du zierliche, duftende Blüte!

Reich ist mein Garten daheim,

Doch du bist die herrlichste Blüte!


O wie gerne zu mir in die Nähe

Verpflanzt ich dich, aber die jähe

Wut und der Zorn deines Herrn

Erschrecken mich, wenn es geschähe.


O sieh, wie die Rosen erglühen,

Bald wird das Chrysanthemum blühen.

»Spring über die Mauer und sei

Ein glücklicher Mann,« sagt ihr Blühen.


Doch dein Herz ist hart, o wehe!

Ja, wie Stein ist dein Herz, o wehe!

Fest schliesst du die Thüre mir zu,

Wenn ich, Süsseste, zu dir gehe.


O rührten dich doch meine Thränen!

O besiegten dich, Liebste, die Thränen!

Öffne mir hurtig das Thor!

Denn sonst vergeh' ich vor Sehnen.


An der Schwelle der Thür will ich liegen,

Bis der Osten erglüht, will ich liegen

Nachts, bis die Sonne erscheint,

Ihre Strahlen das Dunkel besiegen.[273]

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Anthologie aus der asiatischen Volkslitteratur. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1898, S. 272-274.
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