Der Glockenpfuhl von Konodai.

[284] Die Familie der Hojo war, wie in früheren Geschichten erzählt ist, im vierzehnten Jahrhundert aus dem Besitze der Staatsgewalt gänzlich und auf immerdar verdrängt, indessen gehörte ein Abzweig derselben immer noch zu den mächtigsten Familien des Landes und hatte in der nämlichen Gegend, in welcher nachmals die Hauptstadt Japans gegründet ward, große Besitzungen inne. Die Hojo's beherrschten dieselben von dem Kastell von Yedo aus, in dessen Umkreis sich später die große Stadt ausdehnte, und hielten dort auch stets eine ansehnliche Streitmacht beisammen, um jedem Angriffe beutegieriger Nachbaren schleunig begegnen zu können.

Ihre bösesten Widersacher waren die Fürsten, welche im Osten wohnten, und oft versuchten sich diese der wichtigen Festung Konodai zu bemächtigen, welche nahe bei der Mündung eines der Hauptarme des Tone-Flusses, desjenigen, welcher sich in die Bai von Yedo oder Tokio ergießt, auf den östlichen Uferhöhen an einer sehr passenden Stelle angelegt war. Man erzählt, die Hojo's hätten in diese Festung einen großen Stein geschafft und in einem der Schloßhöfe aufgestellt, der einen lauten Ton von sich gab, sobald ein Feind im Anzuge war, und noch heute zeigt man diesen Wunderstein an eben der Stätte, wo einstmals die jetzt zerstörte Burg stand, und nennt ihn den Yonaki-Ischi, den zur Nachtzeit rufenden Stein.

Trotz dieses Wundersteines und trotz der festen Lage der Burg ging dieselbe mehrmals ihren Besitzern verloren, wie man sagt durch Verrath. Das erste Mal war dies im Jahre 1537 der Fall, und damals schon hatten die Hojo's eine blutige Schlacht zu liefern und danach mit ihrem siegreichen Heere einen Sturm auf die Festung zu wagen, um sie wieder in ihre Gewalt zu bringen. Aehnlich war es zum zweiten Male im Jahre 1564, über dessen Kriegsereignisse der Volksmund ausführlich berichtet.[285]

Die Fürsten, welche der Familie der Hojo's feindlich gesinnt waren, hatten damals arge Wirren, unter welchen das Reich litt, zu ihrem Vortheil zu wenden gewußt, und hatten ein mächtiges Heer gesammelt, das von Osten her unter dem Befehle des erprobten Generales Satomi, eines der gegen die Hojo's streitenden verbündeten Fürsten, gegen Yedo anrückte. Es gelang dem Feinde, auch diesmal Verrath anzuzetteln, durch welchen die Burg ihm in die Hände fiel. Darauf befestigte Satomi seine Stellung nach allen Regeln der Kriegskunst und suchte namentlich den Uebergang über den Fluß seinen Gegnern auf alle erdenkliche Weise zu erschweren. Zu diesem Behufe hatte er an den Zweigen einer großen Fichte, welche sich weit über das Wasser des Tone-Flusses erstreckten, an einer Stelle, wo sich ein tiefer, stiller Pfuhl befand, eine große Alarmglocke angebracht und einen zuverlässigen Posten daselbst aufgestellt, der jeden Versuch der Feinde, den Fluß zu überschreiten, durch ein Signal kundgeben sollte. Auch alle anderen Uebergangsstellen wurden durch besondere Heeresabtheilungen bewacht.

An der Spitze der Hojo-Familie und ihrer Streitkräfte standen damals zwei Brüder, Ujimasu und Ujiyasu, beides entschlossene, tapfere Krieger, denen mehrere erprobte Unterfeldherrn beigeordnet waren, vorzüglich der Commandant des Schlosses von Yedo, Toyama-Tamba, in welchen die Häupter des Geschlechtes besonderes Vertrauen setzten. So rasch als möglich drang das Heer, das man in aller Eile gesammelt hatte, bis an den Strom vor. Hier aber machte es Halt, und die Feldherrn waren in großer Verlegenheit, wie sie die breite, sumpfige Niederung des träge dahin fließenden Gewässers, dessen Windungen am anderen Ufer von steilen Höhen überragt waren, ohne Gefahr passiren könnten. Während sie noch rathlos dastanden, sahen die Soldaten, wie ein großer Kranich mitten durch den Fluß vor ihnen her bis ans andere Ufer hindurchwatete. Dies zeigte ihnen die Stelle einer Furt, welche sie bisher nicht gekannt hatten, und Toyama-Tamba[286] benutzte dieselbe sofort, um eine auserlesene Schaar ans andere Ufer zu führen.

Hier aber fand er nebst allen, die ihm gefolgt waren, den Heldentod, denn die Abtheilung des feindlichen Heeres, welche an dieser Stelle den Uebergang über den Strom zu vertheidigen hatte, brach aus ihrem Hinterhalt hervor und fiel mit solcher Uebermacht über den kleinen Heerhaufen Toyama-Tamba's her, daß man demselben keine Hilfe mehr zu bringen vermochte.

In ähnlicher Weise mißlangen alle anderen Uebergangsversuche und hatten nur große Verluste für die Hojo's zur Folge. Der feindliche General Satomi frohlockte und gab zur Feier des großen Sieges, den die Seinen erstritten, Abends ein großes Festmahl; alles jubelte und sang und überließ sich der ausgelassensten Freude. Man achtete die Gefahr so gering, daß man die nöthigsten Vorsichtsmaßregeln verabsäumte; dies aber schlug zum Unheile der Sieger aus. Kundschafter, welche nach Einbruch der Dunkelheit die Furt passirten, welche der Kranich ihnen und ihren Genossen am Morgen gewiesen hatte, fanden nirgends Wachtposten; sie meldeten dies augenblicklich den Befehlshabern, und diese rückten sogleich, ohne Widerstand zu finden, mit sämmtlichen Truppen über den Fluß bis dicht vor die Burg. Als der Morgen grauete, sahen die Soldaten Satomi's, daß ihnen nichts übrig blieb, als das Schloß so gut als möglich zu vertheidigen; sie wehrten sich tapfer, und erst am Nachmittage ward es von dem Heere der Hojo's erstürmt. Dann aber flüchteten alle Soldaten vom Heere Satomi's, die noch am Leben waren, nach allen Seiten; auch Satomi selber entkam und suchte fern im Osten Zuflucht in einer kleinen Festung.

Die beiden Brüder Ujimasu und Ujiyasu frohlockten und freuten sich des herrlichen Blickes über ihre weit ausgedehnten Besitzungen, den sie von der Höhe des erstürmten Schlosses aus hatten. Sie gaben dem Schlosse und dem Berge, welche bisher den Namen Mama geführt, nun den Namen Konodai, das heißt Kranichhöhe, zum Andenken an das wunderbare Ereigniß, das[287] soviel zu ihrem Erfolge beigetragen. Auch errichteten sie vor dem Schlosse einen hohen Thurm, von dessen Spitze sie den schönen Anblick der Landschaft noch besser genießen konnten.

Sehr begierig waren sie, in den Besitz der großen Glocke zu gelangen, welche Satomi an der großen Fichte über dem Flusse hatte aufhängen lassen. Voreiliger Weise jedoch ließen sie die Zweige, welche die Glocke trugen, abhauen, und nun stürzte die Glocke in den tiefen Pfuhl, der sich unter ihr befand, und sank mit solcher Gewalt in den Schlamm, daß alle Bemühungen vergebens waren, sie zu finden.

Es waren viele Jahre verflossen, die Macht der Hojo's war schließlich, im Jahre 1590, dem Angriffe des berühmten Schogun Hideyoschi und seiner Verbündeten erlegen, die Feste Konodai sammt dem Aussichtsthurme war zerstört, die Besitzungen der Hojo-Familie waren größtentheils eingezogen und zersplittert und die Ländereien um Konodai dem Fürsten von Mito überwiesen, als man wieder an die Glocke dachte, welche einstmals in dem Pfuhle des Toneflusses untergegangen war, und der damals regierende Fürst von Mito ließ es sich sehr angelegen sein, sie wieder zu bekommen. Lange Zeit vermochten indessen seine Leute nichts auszurichten; die besten Stricke längten sich und wurden erweicht und schwach, wenn sie so lange unter Wasser sich befunden hatten, wie dies für die beabsichtigte Arbeit erforderlich war. Da ließ der Fürst ein ganz besonders starkes Seil anfertigen, das ganz allein aus Menschenhaar bestand, und dies litt durch das Wasser gar nicht. Man hob nunmehr wirklich die Glocke aus der Tiefe empor, so weit, daß man ein wenig von ihr über Wasser sah; als man sie aber noch weiter heben wollte, stürzte sie aufs neue in den Abgrund hinab und liegt noch heutzutage tief unten in dem Pfuhle, den man danach den Glockenpfuhl, Kanegafutschi, benannt hat.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 284-288.
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