Die Besiedelung Japans durch chinesische Auswanderer.

[247] Vor tausend und aber tausend Jahren geschah es, daß eine große Zahl junger Leute in China, unzufrieden mit ihrem tyrannischen Herrscher und in Sorge um ihr Leben, den Plan faßte, zu Schiffe zu steigen und in die weite Welt zu fahren. Man sagt, es waren dreihundert Jünglinge, denen es gelang, eine eben so große Zahl von Jungfrauen zur Mitreise zu bewegen. Manche Küsten sahen sie, an vielen Orten landeten sie, aber nirgends gefiel es ihnen so recht; allerwegen dachten sie, wie viel schöner es in ihrer Heimat sei, und so reisten sie weiter und weiter, bis sie nach Japan kamen.

Dieses Land war damals noch sehr wenig angebaut, aber die Chinesen sahen sogleich, welch großen Reichthum es hervorbringen könnte, wenn sie hier die fünf Hauptgeschenke der Götter, den Reis, die Hirse, die Bohne, den Weizen und die Gerste einführten und anbaueten; denn überall grünte und blühete es, schöne Ebenen, von stattlichen, klaren Flüssen durchströmt, und herrlich bewaldete Berge winkten ihnen überall entgegen.

So stiegen sie denn aus ihren Schiffen; man berichtet, es sei in der Landschaft Kii gewesen, und zeigt noch einen Tempel,[247] der dort zum Andenken an ihre Landung errichtet sein soll. Als sie ausgestiegen, waren die ersten lebenden Wesen, denen sie begegneten, einige große schwarze Bären, die sie erlegten und nach denen sie die Gegend Kumano, das Bärenfeld, benannten. So menschenleer aber das Land ringsum war, so schön war es, und so vergaßen die jungen Chinesen ihre Heimat ganz und gar; sie blieben bis an ihr Lebensende da, bauten sich an, und gleich ihren Kindern und Kindeskindern wohnten sie unter den damals noch spärlichen Einwohnern des Inselreiches.

So ist es gekommen, daß in Japan die Häuser sammt allem, was daran und darinnen ist, die Gärten und die Felder nach chinesischer Art eingerichtet sind, daß man ebenso wie in China die fünf Feldfrüchte und vorzüglich den Reis pflanzt und anbauet, daß man die Schiffe, die Waffen und zumeist auch die Kleider nach chinesischem Muster anfertigt, daß man die chinesischen Schriftzeichen braucht und auch die Bücher ganz wie in China herstellt und überhaupt alle Künste und Handwerke genau in der Weise der Chinesen betreibt. Alles dies rührt von jenen Chinesen her, welche man deshalb von Alters her als Wohlthäter Japans ansieht und ehrt.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 247-248.
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