Der Jäger und die Affen.

[384] Ein Einwohner des Dorfes Irunoya in der Provinz Schinano ging einst an einem kalten Wintertage auf die Jagd; seine Hoffnung auf Beute war jedoch vergebens, und verdrießlich machte er sich auf den Rückweg. Als er so dahinschritt, bemerkte er mit einem Male einen großen, alten Affen, der auf einem Baume ganz nahe am Wege saß. Nun schießen zwar nicht alle Jäger gern auf Affen, denen man nicht ohne Grund einen fast menschlichen Verstand zuschreibt. Auch erzählen sich die Jäger allerhand Geschichten, wie Affen, die durch Dazwischenkunft eines Menschen vor einem Wolf oder Bären geschützt werden, ihrem Retter ein Knäuel zuwerfen, um sich dankbar zu bezeigen, und daß man in solchen Knäueln oft werthvolle Dinge, Münzen oder sonstige Stücke Gold oder Silber gefunden hat. Nicht selten haben die Affen auch Jägern derartige Knäuel zugeworfen, um sich damit der Verfolgung zu entziehen. Solche und ähnliche Erzählungen halten gar manchen davon ab, auf Affen Jagd zu machen; auch bedachte sich der Jäger aus Irunoya, bevor er auf das Thier, das bei seinem Herannahen arglos auf dem Baume sitzen blieb, seine Flinte anlegte; allem der Gedanke an seine leere Jagdtasche war doch zu mächtig, und so erlegte er den Affen und nahm ihn mit.

Unterdessen war es Abend geworden; es war dem Jäger unmöglich, sein Dorf zu erreichen, und er war froh, ein einsames Haus anzutreffen, in dem er ungefährdet die Nacht zubringen konnte. Als er seinen Affen vom Rücken nahm, freute[384] er sich über das feiste, große Stück Wild; es war indessen schon zu dunkel und er selbst war zu müde, als daß er noch daran hätte denken können, den Affen gehörig abzuhäuten und auszuweiden. Er meinte, das sei besser morgen früh gethan, aber nun kam ihm das Bedenken, daß dann der Affe steif gefroren sein würde, wenn er ihn draußen hängen ließe. So nahm er ihn mit in das Zimmer, in dem er übernachtete, und befestigte ihn an einen Haken nicht weit vom Feuertopfe, auf welchem er ein kleines Feuer brennen ließ, denn die Nacht war recht kalt.

Er schlief ein, ward aber nach einiger Zeit wieder munter, und da sah er etwas sehr merkwürdiges. Der Schein des Feuers ward bald vor seinen Augen verdunkelt, bald wieder hell; unhörbar huschten schwärzliche Gestalten vor demselben hin und her. Aengstlich und neugierig blickte er aufmerksamer hin, und da sah er denn, wie zwei junge Affen, die sich bis dahin, von ihm unbemerkt, unter den Achseln des alten Affen festgehalten hatten, unaufhörlich zum Feuer hinabstiegen, ihre Hände am Feuer wärmten und dann rasch zu dem alten Affen wieder hinaufkletterten. Hier legten sie ihm dann die erwärmten Händchen auf sein kaltes Gesicht, auf seine Brust und besonders auf die Schußwunde, die ihm den Tod gebracht hatte.

Als der Jäger dies sah, ward er von tiefer Rührung und innigem Mitleid ergriffen. Es war ihm nun klar, wie schweres Unrecht er diesen Aeffchen angethan hatte, deren treue Kindesliebe selbst den Tod überdauerte. Eine reumüthige Trauer bemächtigte sich seiner, und da ihn der Gedanke an die Scene, deren Zeuge er in jener Nacht gewesen, nie und nimmer verlassen wollte, so beschloß er, fortan als frommer Büßer zu leben. Er mied die Welt, ließ Frau und Kind in Stich und durchzog als armer, betender Pilger geschorenen Hauptes und im Bettlergewande alle Provinzen des Reiches, um an den geweiheten Stätten des erhabenen Buddha Vergebung und Seelenruhe zu finden.

Quelle:
Brauns, David: Japanische Märchen und Sagen. Leipzig: Verlag von Wilhelm Friedrich, 1885, S. 384-385.
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