XI.

[37] Es waren einmal zwei Freunde, beide Juden; der eine war reich, der andere arm. Der Arme pflegte zum Reichen zu gehen und verliebte sich in dessen Frau. Wenn nun der Reiche in den Kaufladen ging, kam der Arme in dessen Haus, gab sich mit der Frau ab und erhielt Geld von ihr. »Woher kommt dieses Geld?« fragte der Reiche den Armen. »Gott hat es mir gegeben«, antwortete dieser. Einst sagte die Frau des Reichen zu dem Armen: »Mache einen unterirdischen Gang von unserm Hause zu dem eurigen, er soll dich nichts kosten«. Der Arme antwortete: »Mit Freuden«, und rief Tagelöhner, bei ihm zu arbeiten. Er liess einen[37] grossen unterirdischen Gang bis in das Haus der Frau machen. Eines Tages nahm er die Stute seines Freundes, des Reichen, mit sich durch den Gang, führte sie auf den Markt hinaus, ging zum Kaufladen seines Freundes und sagte: »Bruder, ich habe diese Stute gekauft«. Der Reiche sprach zu sich selber: »das ist die meinige«, fragte aber: »Für wie viel hast du sie denn gekauft?« »Für zwanzig Beutel«, antwortete er. »Schön«, sagte der Reiche, machte sich auf und ging nach Hause. Bevor er aber dort anlangte, war der Arme schon durch den Gang zurückgekehrt und hatte die Stute wieder an ihren Platz gebracht. Nun klopfte der Reiche an der Thüre und rief: »Mach auf!« Seine Frau öffnete ihm die Thüre. »Wo ist die Stute?« fragte er. »Drinnen«, antwortete sie. Er schaute nach und sah die Stute drinnen stehen »Bei Gott«, sagte er, »da hat eben mein Freund eine Stute gekauft, welche dieser da durchaus gleicht«. »Kann nicht ein Ding dem andern gleichen?« antwortete die Frau. »Möglich«, sagte er und ging zu seinem Laden zurück. Da kam der Arme durch den unterirdischen Gang und holte den silberbeschlagenen Schuh der Frau. Sie gab ihn ihm und sagte: »Geh, zeige ihn meinem Manne und sage ihm: ich habe ihn gekauft, was ist er wert?« Er trug ihn durch den Gang weg und kam zu seinem Freunde, ihrem Manne. »Bruder«, redete er ihn an, »was ist dieser Schuh wert?« Dieser betrachtete denselben; bei sich sagte er: »der gehört ja meiner Frau«. Er schüttelte seinen Kopf und fragte: »Für wie viel hast du ihn gekauft?« »Was ist er wert?« entgegnete der Arme, »ich habe ihn für zwanzig Goldstücke bekommen«. »Schön«, sagte der Reiche, lief nach Hause und klopfte an der Thüre, indem er rief: »Mach auf!« Sie öffnete dieselbe; aber der Arme war vorher hineingekommen und hatte den Schuh durch den unterirdischen Gang zurückgebracht. »Frau!« rief er. »Ja!« »Wo ist dein Schuh?« »Da ist er«, entgegnete sie. Er besah den Schuh und sprach: »Bei Gott, eben hat mein Bruder einen Schuh gekauft; man sollte sagen, es ist dieser Schuh da«. Die Frau sagte: »Ein Ding gleicht dem andern«. »Möglich«, erwiderte er, und ging in seinen Kaufladen. – Darauf sagte die Frau zu dem armen Manne: »Auf, rüste ein Essen und einen Hochzeitsschmaus und lade deinen Freund ein, ich will dann kommen und kochen«. »Schön«, sagte jener, nahm Reis und Esswaren aus ihrem Hause mit und ging heim. Dann erhielt er von der Frau noch Fleisch und Brantwein, und sie kochte ihm drinnen in seinem Hause. – Hierauf sprach er zu seinem Freunde: »Bruder, komm zu uns«.[38] »Warum?« fragte dieser. »Ich habe einen Schmaus hergerichtet«. »Gern«, sagte jener. Sie kamen in das Haus des Armen und dieser sagte: »Bruder, ich habe eine Frau genommen«. »Möge es dir zum Segen gereichen, mein Bruder«, antwortete jener; »wo ist denn deine Frau?«. »Da ist sie«. Er schaute sie an und dachte; »Das ist ja meine Frau«. Er kehrte nach Hause zurück; jene aber gelangte durch den Gang vor ihm nach Hause und setzte sich dort hin. Er rief: »Mach auf!« Sie öffnete. »Bei Gott«, meinte er, »mein Bruder hat geheiratet und sich eine Frau geholt, die ganz und gar dir gleicht«. »Verfluchter«, sagte sie, »warum soll ein Ding nicht dem andern gleichen?« Darauf kehrte er zu seinem Freunde zurück; sie aber gelangte vorher durch den Gang dahin; als er zu seinem Freunde zurück kam, sah er sie bei ihm sitzen. »Bruder!« sagte er. »Ja!« »Gesegnet sei dir deine Braut«. »Gesegnet von Gott«, entgegnete dieser, »Gott schenke Dir langes Leben«. Darauf setzten sie sich, tranken und vergnügten sich alle drei, die Frau mit ihnen. »Bruder«, sagte er zu dem Reichen, »warte an der Thüre, bis ich in mein eheliches Recht getreten bin«. Jener wartete nun draussen vor der Thüre; der Arme aber legte sich zu der Frau, stand wieder auf und dann rief er: »Bruder, komm!« »Wohin?« fragte dieser. »Komm, schlafe auch bei meiner Frau«, sagte jener. »Gut«, erwiderte der Reiche, ging und legte sich zu ihr. Darauf erhob er sich, nahm Abschied von dem Armen und sagte: »Morgen komm zu mir; dann ist die Reihe an mir«. Da machte der Reiche einen grossen Schmaus nebst Brantwein zurecht und lud seinen Freund, den Armen, ein. Der Arme kam; sie setzten sich hin, tranken, und assen Fleisch, Reis und andere Speisen. »Bruder«, sagte der Reiche zu dem Armen, »schlafe doch bei meiner Frau«. Der Arme sagte: »Das geht doch nicht an«. »Das gehört sich«, antwortete jener, »warum soll ich (allein) bei deiner Frau schlafen?« Der Arme legte sich zu ihr; und als er sich erhob, trug man wieder Speisen und Brantwein auf. Darauf machten sie den Reichen betrunken und gaben ihm Gift zu trinken; dann trugen sie ihn fort und begruben ihn. Die Leute der Stadt und der Rat fragten die Frau: »Wen willst du nun heiraten?« »Den Armen«, antwortete sie, »unsern Freund«. Sie heiratete ihn und zog in sein Haus. Vergnügt wohnten sie darin zusammen. Von jenem aber sagten sie: »der Dummkopf ist gestorben«.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 37-39.
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