XVIII.

[60] Es war einmal – wer aber auch immer war, besser als Gott war keiner – es war einmal ein Mann, Namens Mîr-Ssêfdîn, der Fürst von Boḥtan, der hatte drei Söhne und drei Töchter. Wer auch[60] immer kam, seine Töchter zu freien, keinem gab er sie, denn e? sagte: »Leuten von Boḥtan will ich sie nicht zur Frau geben«. »Warum?« fragte man. Er antwortete: »Wenn ich dem einen eine zur Frau gebe und dem andern eine versage, so nimmt dieser mir's übel«. Er verheiratete daher die eine an den Wolf Dêveräsch, die andere an den Adler, den König der Vögel, und die dritte an den Vogel Ssîmer. Noch blieben seine Söhne unvermält; da erklärte der älteste derselben, Mîr-Seidîn, er wolle sich eine Frau holen gehen. Er stieg zu Pferde und zog aus; zur Nachtzeit kam er in's Gebirge und legte sich daselbst schlafen. Da erblickte er ein Festgelage der Elfen, und diese verwirrten seinen Verstand. Eine Frau tanzte beim Gelage, und da ging er mitten unter die Elfen und fragte sie: »Wer ist diese da, welche tanzt?« Man antwortete ihm: »Die Tochter des Geisterfürsten ist es, Cheñge«. Da verliebte er sich zum Sterben in sie, denn sie war wunderschön, und sagte zu sich selber: »Wenn ich nicht diese heiraten kann, so mag ich keine«. Darauf trat er in den Kreis; es war Nacht; aber als Cheñge ihn erblickte, machte sie sich vom Reigen los und nahm Mîr-Seidîn bei der Hand; und er ging mit ihr. Sie führte ihn in das Haus ihres Vaters, des Elfenkönigs, welcher dort auf einem Throne sass, und rief: »Väterchen!« »Ja!« »Ich mag keinen andern heiraten, als Mîr-Seidîn«. »Wer ist Mîr-Seidîn?« fragte er. »Er ist der Fürst von Boḥtan«. »Ganz wie du willst«, sagte jener und gab sie ihm zur Frau. – Darauf verweilte er zwei Jahre bei den Elfen; aber eines Tages sang er und weinte dazu. Cheñge fragte ihn: »Warum weinst du, Mîr-Seidîn?« »Meine Heimat ist mir in den Sinn gekommen«, antwortete er. »Auf«, sagte sie, »lass uns denn in deine Heimat ziehen«. Da machten sie sich auf und nahmen Abschied von dem Elfenkönig; dieser aber sagte zu seiner Tochter; »Nehmt euch zwei von unsern Tarnkappen mit, für den Fall, dass ihr deren benötigt wäret«. Dies taten sie und kamen nach Hause; dort liess er sie sich antrauen.

Da dachte der andere, jüngere Sohn: »Möge ich untergehen, wenn ich mir nicht eine noch schönere Frau, als die meines Bruders ist, heimführe«. Darauf zog er in die weite Welt und trieb sich unter den Elfen herum, aber es gefiel ihm keine. Da kam er zum Hause eines alten Mannes, welches am Wege stand; jener Alte besass einen Weingarten und verkaufte Trauben. Bei diesem kehrte er als Gast ein; sie sassen beisammen und unterhielten sich miteinander. »Wohin willst du? mein Sohn«, fragte der Alte. »Onkel«, antwortete dieser, »ich suche mir eine Frau«. »Aha,[61] mein Sohn«. Dann sagte er: »Hier ist ein Weg, auf dem die Leute reisen und auf dem sie nicht zurückkehren«. »Warum? Onkel«. »Auf dieser Strasse gibt es einen Riesen, Namens Ḥosein; einen stärkeren als ihn gibt es nicht, und der hat die Tochter des Königs der Gurdsch in seiner Gewalt; du magst die ganze Erde durch ein Sieb gehen lassen, du wirst keine schönere als sie finden«. »Aber wie soll ich's anfangen? Onkel«, fragte er. »Mein Sohn«, antwortete jener, »Gott führe dein Unternehmen zu gutem Ende«. Da machte sich der Jüngling auf, stieg zu Pferde und reiste fünf Tagereisen, ohne auf etwas zu stossen; am sechsten aber sah er ein Schloss weiss glänzen; und um dasselbe war ein See; an das Ufer dieses Sees setzte er sich und betrachtete das Schloss, indem er dachte: »Wie soll ich's anfangen? ich kann nicht schwimmen«. Wärend er so da sass und hinschaute, stieg die Tochter des Gurdschkönigs auf das Schloss und schaute in die Welt; da sah sie, dass ein Mann am Ufer des Sees sass. Sie rief ihm zu: »Wozu sitzest du dort?« »Ich bin gekommen, um dich zu besuchen; aber es gibt keinen Weg«. »Ich will dir Weisung geben«, antwortete sie; »der Riese Ḥosein ist nicht zu Hause; wenn du einen Säbel bei dir hast, so mache dir eine Barke, setze dich hinein und komm zu mir«. »Aber ich habe keine Nägel!« »Nimm Holznägel«, entgegnete sie, »und bestreiche es von innen mit roter Erde«. Da zimmerte er mit seinem Säbel eine Barke und nagelte dieselbe mit Holznägeln zusammen; dann verpichte er sie von innen und setzte sich hinein. Als er aber das Schiffchen in Bewegung setzte, zerbrach es, und das Wasser führte es davon. Er blieb indessen auf einem Brette sitzen und auf diesem Brette gelangte er an's Land zum Schlosse. Er trat hinein und ging zu der Prinzessin, der Tochter des Gurdschfürsten, hinauf. Da konnten sie sich nicht satt sehen an einander, und als es Abend wurde, grub sie ihm eine Hölung unter ihrem Sitze; dort schlüpfte er hinein, sie gab ihm Speise und er blieb dort sitzen. Darauf kam der Riese Ḥosein von der Jagd zurück und trat in's Zimmer mit den Worten: »Es riecht hier bei dir nach Menschenfleisch«. »Aber, o Riese Ḥosein«, entgegnete sie, »du hast mich aus dem Lande der Gurdsch entführt und hier in dieses Schloss mitten im Wasser gebracht; wie sollte da Jemand zu mir gelangen?« »Ich habe mich getäuscht«, sagte jener. Darauf sassen der Riese Ḥosein und die Frau beisammen, unterhielten sich mit einander und legten sich schlafen; Ḥosein legte sich an ihre Seite und sagte: »Erlaube mir, dass ich dir beiwohne«. »Das Jahr ist noch nicht um«,[62] antwortete sie. Bis zum Morgen floh ihn der Schlaf; er biss sie, küsste sie und kniff sie; mit solchen Dingen vertrieb er sich die Zeit, bis das Jahr (das sie sich ausbedungen hatte) zu Ende gehen würde. Da hustete der Jüngling; der Riese aber erhob sich in Wut und sprach: »Ich habe dir ja gesagt, es sei Jemand hier«. »Wer soll's sein?« »In diesem Augenblick hat Jemand gehustet!« Er durchsuchte die inneren Räume und fand Niemand; dann stiess er das Bettgestell zur Seite und fand darunter eine Hölung und in derselben einen Mann sitzen. Da beugte er sich vorwärts, um ihn zu packen und herauszuziehen. Die Frau aber dachte: »Was soll ich tun, damit er nicht uns beide tödte?« Sie nahm das Schwert mit der einen Hand; mit der andern griff sie nach seinen Hoden und drehte sie herum. Da erhob der Riese ein Wehgeschrei; sie aber drehte noch stärker, zog ihn von der Oeffnung des Loches weg und rief: »Komm heraus gegen ihn, du da unten! habe ich dich denn darin begraben?« Jener kam heraus, und sie sagte: »Da nimm das Schwert!« Der Riese aber rief: »Pardon, lass mich los«; sie rief: »Schlag zu, schlag zu«. Da schwang er das Schwert gegen ihn und versetzte ihm zwanzig Hiebe, die ihm den Garaus machten. Da fragte sie: »Wie wollen wir's nun anfangen?« »Wir wollen ihn hinauswerfen«. Das taten sie. Dann sagte sie: »Komm, wir wollen ihn verbrennen«. Nachdem dies geschehen war, fragte er weiter: »Wie sollen wir's nun machen, um an's jenseitige Ufer überzusetzen?« Sie antwortete: »Es sind zwei Schläuche da; die wollen wir aufblasen und uns darauf setzen«. »Wir werden aber untersinken«, warf er ein. »Fürchte dich nicht«. Da bliesen sie die beiden Schläuche auf und banden vier Stücke Holz darauf; so machten sie sich ein Floss und setzten sich darauf. Damit fuhren sie an's jenseitige Ufer und gelangten zu dem Pferde; er setzte sie auf dasselbe und machte sich auf den Weg nach Hause. Da kam er zu dem Alten am Wege; der fragte: »Hast du sie mitgebracht? mein Sohn«. »Ja, Onkel«, »Habe ich dir nicht gesagt, mein Sohn, sie sei wunderschön? Aber es gibt noch eine andere, die ebenfalls schön ist«. »Wo dies? Onkel«, fragte jener. »Es ist die Tochter des Fürsten von Dimdim und sie befindet sich bei Schamâl, dem Bruder des Löwen, und ist sehr schön«. »Onkel«, sagte jener, »lass diese hier bei dir bleiben; ich will gehen und mir auch noch jene herbeiholen«. Er machte sich auf, stieg zu Pferde, zog in die Welt und fragte nach, bis er zu einer Höle gelangte. Er trat in dieselbe hinein und legte sich dort schlafen; wärend er schlief,[63] hörte er im Traume eine Stimme: »Auf, gehe, das Schloss des Schamâl ist noch eine Stunde von hier entfernt; Schamâl aber ist fort und hat sieh seit fünf Tagen nicht mehr blicken lassen, die Tochter des Dimdimfürsten sitzt nun dort und wünscht, Jemand möchte kommen und sie entführen«. Da stieg er zu Pferde, begab sich zum Schlosse und trat hinein; die Prinzessin sass drinnen und Schamâl lag schlafend auf ihrem Schosse; sie aber rieb ihm die Herzgegend. Nun erblickte die Prinzessin den Jüngling und machte ihm ein Zeichen. Er aber griff zu seinem Dolche und zeigte ihn ihr; ohne zu sprechen machten sie einander Zeichen mit den Händen. Sie winkte ihm; da gab er ihr den Dolch, wärend sie immerfort dem Schamâl die Herzgegend rieb; dann setzte sie ihm den Dolch auf's Herz, drückte ihn tief in dasselbe hinein und schlitzte ihm den Bauch auf. Nun kam auch der junge Mann gegen ihn, und er und Schamâl packten einander, trotz der Verwundung des Schamâl. Das Mädchen kam von hinten mit dem Schwert an ihn heran und versetzte ihm einen Hieb, wärend die Hand des Jünglings auf dem Nacken Schamâl's lag. Mit dem Hiebe aber traf sie zwei Finger des jungen Mannes und schlug sie ab; darauf erschlugen sie den Schamâl. »Woher sind deine Finger verwundet?« fragte sie ihn. »Du hast sie mit dem Sehwerte abgeschlagen«, antwortete er. Da behandelte sie ihm seine Finger mit der Arznei Schamâl's, heilte sie und überzog sie mit Silber. Dann nahmen sie sich zwei Pferde aus Schamâl's Stall, bestiegen dieselben und machten sich auf nach Hause. Er sprach zu sich selber: »Ein Mädchen soll für mich, das andere für meinen Bruder sein«. Da kamen sie zum Alten und sahen, dass die Tochter des Gurdschfürsten und der Alte in Streit mit einander waren. »Warum zankt ihr?« fragte er. Sie antwortete: »Er hat von mir Ungebürliches verlangt«. Da griff er zum Schwerte und hieb dem Alten den Kopf ab. Dann setzten sie sich zu Pferde und kamen nach Hause; dort stieg er ab. Der jüngste Bruder aber war unterdessen gestorben; darum liess er sich selber die beiden Mädchen antrauen. – Nach Verlauf von zehn Tagen gingen die drei, die Tochter des Elfenkönigs, die des Gurdschfürsten und die des Dimdimfürsten, aus, um Wasser zu holen. Schamâl aber hatte sich erholt und war, Nachforschungen einziehend, dorthin gekommen. Er erblickte die drei bei der Cisterne und packte sie; aber nur zwei konnte er rauben, denn die Tochter des Elfenfürsten legte ihre Tarnkappe an und wurde unsichtbar, so dass Schamâl sie nicht fand. Sie kam nach Hause und rief; »Bei Gott,[64] Schamâl hat die beiden Frauen geraubt«. Da stieg der junge Mann zu Pferde und verfolgte sie; er ritt zum Schlosse, Schamâl sass drinnen. Wie Schamâl ihn ansah, wollte der Jüngling entfliehen; Schamâl aber kam auf ihn los, erreichte ihn und tödtete ihn.

Zehn Jahre waren seit seinem Tode vergangen, da vernahm! Dêve-räsch die Kunde, man habe den Sohn des Mîr-Ssêfdîn getödtet. Da weinte die Frau des Dêve-räsch um ihren Bruder; Dêve-räsch aber machte sich auf, ging zum Adler und erzälte diesem: »Man hat den Sohn des Fürsten getödtet; auf, wir wollen ihm nachforschen«. Darauf gingen Dêve-räsch und der Adler; zum Vogel Ssîmer und sprachen zu diesem: »Man hat den Sohn des Fürsten getödtet; auf, wir wollen ihm nachforschen«. Der Vogel Ssîmer rief: »Dêve-räsch!« »Ja!« »Frage deine Wölfe nach ihm«. Da rief Dêve-räsch alle Wölfe zusammen und fragte sie: »Habt ihr keinen Erschlagenen gesehen?« »Nein«, antworteten sie. Auch der Adler erkundigte sich bei allen Adlern: »Habt ihr keinen Erschlagenen gesehen?« »Nein«, antworteten sie. Der Vogel Ssîmer rief allen Heuschreckenfressern: »Habt ihr keinen Erschlagenen gesehen?« »Nein«. Nur einer sagte: »Warhaftig, vor langer Zeit, als wir noch jung waren, haben wir einen gesehen, zwischen dessen Knochen hat unser Vater sein Nest gebaut«. »Weisst du, wo er ist?« fragte jener. »Ja«, antwortete dieser. »Geh, wir wollen sehen, wo er ist!« Da fanden sie den Schädel. Dêve-räsch sprach: »Meine Sache sei es, dass ich Knochen zu Knochen sammle«. Der Adler sagte: »Meine Sache sei, seinen Leichnam wieder zusammenzufügen«. Der Vogel Ssîmer aber sagte: »Meine Sache sei es, Lebenswasser herbeizuholen«. Da befal Dêve-räsch seinen Wölfen: »Lest Knochen um Knochen aus«. Das taten sie; dann setzte der Adler seinen Körper zusammen; nur zwei Finger fehlten. Da suchten die Wölfe und durchsiebten das ganze Gebirge, aber die beiden Finger fanden sie nicht. »Lasst ihn so«, sagten sie, »ohne die zwei Finger«. Der Adler also setzte ihn zusammen und streckte ihn aus, indem er sagte: »Jetzt gleich wird er sprechen«. Darauf ging der Vogel Ssîmer und holte Lebenswasser herbei und bespritzte ihn mit demselben. Da sagte er: »Ah, wer hat mich aus diesem langen Schlafe aufgeweckt?« »Steh auf«, sagten sie; »es sind nun zehn Jahre her, dass du erschlagen worden bist«. Dann richteten sie ihn auf und fragten ihn: »Warum bist du getödtet worden?« Er erzälte ihnen, welches Geschick ihn betroffen hatte. Da sagten sie: »Auf, lasst uns nun nach Hause gehen!« »Bei Gott«, antwortete er, »ich will gegen Schamâl ziehen!«[65] Da ging er mit Dêve-räsch zu Schamâl's Schlosse. Schamâl aber war krank; denn die Weiber hatten ihm Gift in die Speise getan. Dêve-räsch trat zu ihm hinein; er und Schamâl packten sich, um mit einander zu ringen; Schamâl aber war schwach geworden; und nun kam der Jüngling dem Wolfe zu Hilfe. Wärend die beiden einander gepackt hielten, säbelte der Jüngling den Schamâl nieder. So tödteten sie ihn und verbrannten ihn. Dann nahmen sie die Weiber mit und machten sich auf die Reise. Dêve-räsch ging nach Hause, und der junge Mann begab sich in das Haus seines Vaters, wohnte dort und hatte nun Ruhe vor Schamâl.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 60-66.
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