XIX.

[66] Es war einmal einer Namens Dijâb, der Schulze des Dorfes, der hatte eine Tochter; und es war auch einer, Ḥamſo der Pahlawân hiess er; der war ohne Vermögen, hatte aber einen Laden eröffnet. Zu dem ging die Tochter Dijâb's, täglich ging sie zu ihm; und obgleich ihr Dijâb verbot, zu ihm zu gehen, so bestand sie doch darauf. Da wandte sich Dijâb an Ḥamſo und bat ihn, nicht zuzulassen, dass seine Tochter zu ihm käme. Der aber kümmerte sich nicht um ihn, und das Mädchen kam nach wie vor zu ihm, wollte gar nicht mehr von ihm fortgehen, so dass er sie ganz als seine Frau betrachtete.

Da schickte Dijâb zwei in der Nacht, sie sollten den Ḥamſo ermorden; wenn sie ihn aber nicht fänden, sollten sie ihm seinen Laden ausplündern. Die beiden gingen zum Laden, Ḥamſo zu tödten; als sie ihn aber nicht fanden, plünderten sie den Laden. Am Morgen kam Ḥamſo zu seinem Laden, da fand er nichts mehr darin. Er ging gleich zu Dijâb und klagte, dass man ihn ausgeplündert hätte. »Bah!« sagte Dijâb, »was soll ich tun?« Ḥamſo kehrte unverrichteter Sache nach Hause zurück; da kam Dijâb's Tochter zu ihm und sagte: »Ḥamſo, mein Vater hat deine Waren weggeholt«. »Schön!« antwortete er. – Einige Zeit darauf ward das Mädchen in Folge des Umgangs mit Ḥamſo schwanger. Da schickte Dijâb zu Ḥamſo, er möchte zu ihm kommen; Ḥamſo aber beschied ihn abschlägig. Die Freunde und Verwandten Ḥamſo's kamen zu ihm, sie wollten nicht, dass ihm etwas geschähe, und so entstand Streit im Dorfe. Eine Hälfte des Ortes schlug sich auf die Seite Ḥamſo's und die andere auf die Seite Dijâb's.[66] Ḥamſo nahm seinen Säbel, ging zu Dijâb und erschlug ihn und seine Vettern, seine Tochter nahm er mit sieh und brachte sie nach Hause. Dann legte er Feuer an das Haus Dijâb's und verbrannte es. Ḥamſo wurde nun der Herr des Dorfes. – Bald darauf kam einer von einem andern Dorfe, der hatte eine entführt und begab sich in den Schutz Ḥamſo's. »Was wünschest du?« fragte Ḥamſo. »Ich und diese«, antwortete er, »wir liebten einander, der Vater wollte sie mir nicht geben, da bin ich mit ihr zu dir geflohen«. »Bleib hier, fürchte nichts!« erwiderte Ḥamſo. Nun kamen aber die Verwandten des Mädchens zu Ḥamſo und sagten, Ḥamſo möchte das Mädchen und den jungen Mann herausgeben. Da Ḥamſo das aber nicht tun wollte, so gerieten die beiden Dörfer in Streit; Ḥamſo erschlug den Herrn des andern Dorfes und plünderte dasselbe. Als er auch zu einer alten Frau kam, sie zu plündern, sagte diese: »Ḥamſo!« »Ja!« »Was hast du mit mir zu schaffen? ich bin eine arme Alte; wenn du ein Mann bist, so gehe in die Stadt Mûsch, da ist ein Riese in der Stadt, er hat die ganze Stadt ermordet und die Tochter des Königs genommen, – ich bin eine arme Frau«. Da kehrte Ḥamſo nach Hause zurück – die Tochter Dijâb's hatte er geehelicht, und sie hatte ihm einen Sohn geboren, Namens Garnos. Ḥamſo machte sich auf, bestieg sein Ross und zog in die Welt, nach der Stadt Mûsch fragend. Er kam dort an: rund um die Stadt war eine Mauer, darin waren vier Tore von Eisen, aber alle vier waren verschlossen. Er ritt rings um die Stadt herum, aber er fand keine Lücke in der Mauer. Endlich entdeckte er eine alte Frau, die hatte eine Höle unter der Mauer. Er ging zur Oeffnung der Höle, von drinnen kam ein Geräusch. »Wer ist hier?« fragte er. Da kam die Alte heraus und sagte: »Ich!« dann fragte sie ihn: »Wesswegen kommst du her?« »Ich will in die Stadt gehen«. »Huh! gehorsamer Diener! Der Riese ist gekommen und hat alle Leute in der Stadt ermordet und die Tochter des Königs für sich genommen und vier meiner Söhne erschlagen«. »Wo ist die Königstochter jetzt?« fragte er. »Die ist hier in der Stadt«. »Ist der Riese jetzt bei ihr?« »Das weiss ich nicht«. Nun zog Ḥamſo sein Pferd in die Höle und setzte sich zu der Alten; darauf fragte er sie: »Kannst du nicht zu ihr gehen?« »Gewiss! jederzeit gehe ich zu ihr«. »So geh und sage ihr: Ḥamſo ist zu dir gekommen; sieh, was sie sagt«. Die Alte ging, aber in's Innere der Höle hinein. »Wohin gehst du da?« rief er. »Ich gehe hier zu ihr, die Tore sind ja verschlossen«. Als die Alte zur Prinzessin kam, rief diese ihr entgegen:[67] »Willkommen, Alte! komm, lass uns ein wenig plaudern«. Die Alte ging und setzte sich zu ihr. »Wo ist der Riese?« fragte sie. »Der ist weggegangen, er sagte, es sei ein schönes Mädchen bei dem blinden Unhold, die wolle er stehlen gehen«. »Es ist einer zu mir gekommen«, erzälte nun die Alte, »schöner als alle, Ḥamſo heisst er, er ist deinetwegen gekommen, aber die Tore waren nicht offen, und jetzt ist er bei mir; er ist es, der mich hergeschickt hat«. »Wo ist er?« »Bei mir«. Da stand die Prinzessin auf und ging mit der Alten zu der Höle. Dort sprachen die beiden mit einander, gelobten sich Treue an und küssten einander. Dann nahm die Prinzessin den Ḥamſo mit zu sich; als er durch die Stadt ging, war kein Mensch in derselben, die Läden standen offen, und die Waren darin, die Backöfen und das Brot darin; der Markt war verpestet von dem Geruch der Erschlagenen. Sie führte ihn mit sich bis zu ihres Vaters Hause, zum Königsschlosse; da sagte sie: »Das ist meines Vaters Burg, und dieser Erschlagene ist mein Vater, und dieser mein Bruder, und diese vier meine Brüder, und diese ist meine Mutter«. Dann führte sie ihn weiter zum Hause ihres Oheims. »Das ist die Familie meines Oheims« sagte sie, »und dieser Erschlagene ist mein Bräutigam«, und sie brach in Thränen aus. Ḥamſo, voll Grimmes, fragte: »Wann kommt der Riese zurück?« »Gegen Abend«. »Sobald er schläft, so komm und benachrichtige mich, ich bin bei der Alten«. Ḥamſo ging zu der Alten zurück, diese holte Reis vom Markte, ohne zu kaufen (es waren ja keine Verkäufer da), und sie bereiteten ein Mal und assen, die Alte und Ḥamſo. Als es Abend geworden war, kam der Riese, stieg über die Mauer in die Stadt und feuerte die Kanonen ab, vier Schüsse. Da sagte die Alte zu Ḥamſo: »Der Riese ist gekommen«. Ḥamſo aber fragte: »Was bedeuten diese Kanonenschüsse?« »Jeden Abend, wenn er kommt, tut er so«, erwiderte die Alte. Sie begab sich nun aufs Schloss, um auszuspioniren, was vorging. Da hatte der Riese die Prinzessin mit den Beinen nach oben und dem Kopfe nach unten aufgehangen und peinigte sie, die Prinzessin aber weinte, und die Alte hörte, wie der Riese zu ihr sagte: »Wer ist heute zu dir gekommen, dass du lachest? Seit dem Tage, dass ich die ganze Stadt und das Haus deines Vaters erschlagen habe, hast du nicht mehr gelacht, heute lachst du«. »Niemand ist zu mir gekommen« antwortete sie, »die Alte ist ja da, [frage die nur]«. Da durchsuchte der Riese die ganze Stadt und ging dann hinunter zur Wohnung der Alten, aber diese war noch gerade vor ihm[68] vom Schlosse hinabgestiegen und hatte Ḥamſo zugerufen: »Entflieh!« Flugs war Ḥamſo hinaus und auf seinem Rosse und weg in der Nacht. Als der Riese kam, durchsuchte er das Haus der Alten, wie er aber Niemand fand, kehrte er zur Prinzessin zurück. – Ḥamſo kam an einem Dornstrauche vorüber, da erblickte er in der Dunkelheit einen Wolf, der seinen Kopf in den Dornstrauch steckte und ein Knäblein aus demselben hinausholte; das weinte im Maul des Wolfes. Ḥamſo richtete seine Pistole auf den Wolf und schoss ihn todt, dann nahm er ihm den Kleinen aus dem Rachen. Da kam die Mutter desselben und weinte vor Ḥamſo und bat ihn, ihr ihren Sohn zu geben. Ḥamſo aber sagte: »Ich gebe ihn dir nicht, wenn du mir nicht eine von euren Tarnkappen schenkest«. Da holte sie ihm eine Kappe, und als sie sie ihm gegeben hatte, kehrte Ḥamſo noch in der Nacht zur Alten zurück. »Alte!« fragte er, »was gibt's?« »Ach, um Gotteswillen« antwortete sie, »er hat die Prinzessin fast zu Tode geprügelt«. Nun setzte Ḥamſo die Geisterkappe auf, ging aufs Schloss und trat bei den beiden ein – er brauchte sich jetzt ja nicht mehr zu fürchten – da sah er, wie der Riese die Prinzessin zu seinen Lüsten zwang, wärend sie in seinen Armen um Hilfe schrie. Ḥamſo nahm das Schwert des Riesen und versetzte ihm einen Schlag. Der Riese erhob sich nach seinem Schwerte, aber er sah kein Schwert – die Schläge trafen ihn, aber er sah Niemanden. Nun packte Ḥamſo das Schwert fest mit der Hand und versetzte ihm einen Schlag zwischen die Augen, davon fiel der Riese zu Boden. Ḥamſo erhob ein gewaltig Geschrei und zog die Kappe ab; nun sah ihn der Riese, aber er konnte nicht mehr aufstehen. Ḥamſo zerhieb ihn in kleine Stücke und warf ihn hinaus; dann befreite er die Prinzessin von ihren Banden. Diese überkam eine grosse Freude, aber sie sagte: »Höle Holz und verbrenne ihn, damit er nicht wieder in's Leben zurückkehrt«. »Habe keine Furcht!« antwortete Ḥamſo, holte Holz, legte ihn darauf und zündete das Holz an; so verbrannte der Riese mit dem Holze und ward zu einem Häuflein Asche. – Die Prinzessin hatte nun Ruhe, sass mit Ḥamſo im Zimmer, Essen fanden sie auch genug in den herrenlosen Häusern und Läden. Am andern Morgen öffnete Ḥamſo die Stadttore und ging weg, sein ganzes Dorf und seine Familie dorthin zu holen. Unterdess war seine Frau, die Tochter Dijâb's gestorben, sein Sohn Garnos aber war noch am Leben. Er sagte den Leuten seines Dorfes: »Kommt in die Stadt Mûsch, der Riese hat alle erschlagen, und ich habe den Riesen erschlagen, kommt und lasst[69] euch dort in der Stadt nieder, jeder Familie gebe ich ein Haus«. So zog er mit seinem ganzen Dorfe dorthin, er selber wohnte im Königsschlosse und jeder Familie aus seinem Dorfe wies er ein Haus zur Wohnung an. Die Alte kam zu Ḥamſo und sagte ihm, sie wisse, zu welchen Häusern die einzelnen Läden gehörten, und sie durfte nun hingehen und jedem Hausbesitzer seinen Laden zeigen. Die Leute nahmen Besitz von ihren Läden und kauften und verkauften. Drei Arme waren ohne Läden geblieben, deren jedem eröffnete Ḥamſo einen neuen Laden. – Darauf versammelte Ḥamſo die Männer und sprach zu ihnen: »Kommt, wir wollen die Erschlagenen wegschaffen und Strassen und Häuser reinigen«. Alle zusammen gruben nun Gräber, trugen die Leichen aus der Stadt und begruben sie alle. Dann befal Ḥamſo weiter: »Säubert die Häuser und Strassen vom Blute, damit die Stadt rein werde«. So wurde Ḥamſo König von Mûsch; sein Sohn Garnos war zum Manne herangewachsen. Er wollte ihm eine Braut werben, aber die Königstochter sagte: »Wir wollen ihm keine von den hiesigen Frauen werben«. »Bah! woher denn sonst?« fragte Ḥamſo. »Ich habe eine Base, aus unserer Stadt ist sie, die hat der blinde Unhold geraubt, geh und hole sie ihm«. »Wo ist sie denn?« »In der Riesenhöle«. Da stieg Ḥamſo zu Pferde, setzte die Tarnkappe auf, nahm das Schwert des Riesen, hing es um seine Schulter, machte sich auf den Weg und fragte nach der Riesenhöle. Unterwegs traf er eine grosse Karawane, die fragte er, nachdem er seine Kappe abgezogen hatte: »Wohin geht ihr?« »Wir wollten in die Stadt Mûsch, des Handels wegen, um zu kaufen und zu verkaufen, aber man sagt uns, es sei ein Riese darin, der habe die Einwohner erschlagen, und so wagen wir nicht hinzugehen«. »Geht nur hin«, erwiderte er, »ich habe den Riesen erschlagen, meine Leute sind in der Stadt und in den Läden«. Die Kaufleute zogen weiter nach Mûsch. Ḥamſo setzte seine Kappe wieder auf und kam zur Riesenhöle. Draussen vor ihr band er sein Pferd an und ging selber hinein. Drinnen sah er eine, wie das Licht leuchtete sie, lange schaute er sie an, aber sie vermochte ihn nicht zu sehen. Der blinde Unhold lag schlafend auf ihrem Schosse. Nun zog Ḥamſo die Kappe ab, da sah ihn das Mädchen, sie freute sich sehr und sagte: »Das ist eine Menschengestalt«. Sie wollte sich erheben, aber der blinde Unhold merkte es – alsbald setzte Ḥamſo die Kappe wieder auf und fasste sein Schwert – und sagte zum Mädchen: »Wohin?« »Ich muss mal Wasser ausgiessen gehen« antwortete sie und ging hinaus. Ḥamſo zückte das Schwert gegen jenen und traf ihn an der[70] Schulter. Der Riese erhob ein grosses Geschrei in der Höle, auf welches hin zwölf Blinde herauskamen, die in der Höle herumspektakelten, dass man sich am jüngsten Tage hätte glauben sollen. Sie fragten den grossen Riesen: »Wesshalb hast du so geschrien?« »Es hat mir einer einen Hieb mit dem Schwerte versetzt« antwortete er, »er ist in der Höle«. Sie gingen in der Höle herum und suchten, fanden aber Niemanden; die Schläge trafen sie, und sie, die Blinden, stürzten gegen einander los – Ḥamſo hatte seinen Spass daran – und tödteten sich gegenseitig, bis nur noch einer heil übrig blieb. Gegen den wandte sich Ḥamſo und schlug ihn todt. Dann holte er das Mädchen heraus und ging zu seinem Pferde, doch das hatte der Wolf gefressen, und so mussten sie zu Fusse gehen. Als er mit dem Mädchen nach Mûsch kam, war auf der Strasse kein Platz vor den Fremden, die Herbergen waren voll, der Handel blühte. Kaum war Ḥamſo in die Stadt eingetreten, so wurde er erkannt, man freute sich und jauchzte, und die Ausrufer riefen in der Stadt aus: »Niemand soll Handel treiben, Ḥamſo unser König ist zurückgekommen und hat dem Garnos eine Braut mitgebracht, vier Tage lang ist Fest in der Stadt«.

Darauf fand die Hochzeit statt.

Die Kaufleute, welche wieder abreisten, erzälten in ihren Städten von Ḥamſo, dass er König in Mûsch geworden sei und seinem Sohne ein viertägiges Hochzeitsfest veranstaltet habe.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 66-71.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen / Der Kuß von Sentze

Der Waldbrunnen »Ich habe zu zwei verschiedenen Malen ein Menschenbild gesehen, von dem ich jedes Mal glaubte, es sei das schönste, was es auf Erden gibt«, beginnt der Erzähler. Das erste Male war es seine Frau, beim zweiten Mal ein hübsches 17-jähriges Romamädchen auf einer Reise. Dann kommt aber alles ganz anders. Der Kuß von Sentze Rupert empfindet die ihm von seinem Vater als Frau vorgeschlagene Hiltiburg als kalt und hochmütig und verweigert die Eheschließung. Am Vorabend seines darauffolgenden Abschieds in den Krieg küsst ihn in der Dunkelheit eine Unbekannte, die er nicht vergessen kann. Wer ist die Schöne? Wird er sie wiedersehen?

58 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon