XXI.

[73] Es war einmal ein Sultan, der hatte vier Söhne. Alle vier sagten: »Wir wollen auf die Wallfahrt gehen«. Sie reisten einen Monat weit; eines Tages, als sie früh aufbrachen, erblickten sie vier Mädchen; die fragten: »O Jünglinge, wohin geht ihr?« Sie antworteten: »Auf die Wallfahrt«. »Kommt«, entgegneten die Mädchen, »wir wollen uns mit einander verheiraten«. Zwei sagten ja und zwei sagten nein; sie überredeten die letzteren und setzten sich zu den Mädchen. Der älteste sagte: »Die schönste ist für mich«; aber ein anderer Prinz schlug vor: »Wir wollen die älteste dem ältesten und die mittlere dem mittleren und die jüngste dem jüngsten geben«. So verteilten sie sie unter sich. Da überfiel sie eine Schar von Unholden und Riesen, welche gesehen hatten, dass vier Mädchen und vier Männer beisammen sassen. Sie kämpften miteinander bis zum Abend; dann lagerten sie sich einander gegenüber, und die Feinde schlugen vor: »Die Weiber sollen uns Speise zubereiten, euch besonders, und uns besonders sollen sie kochen«. Sie bereiteten Speise und machten eine Schüssel zurecht; aber die Weiber zogen ein Stück Gift hervor und taten es in die Schüssel. Dann setzten sie sie den Riesen vor: diese assen davon und starben. Darauf sagten die Weiber: »Auf, wir wollen nun auf die Wallfahrt gehen«. Da zogen sie zu dem Dorfe der Angehörigen der Weiber und lagerten sich in einer Höle. Die Weiber sagten nämlich: »Das ist der Wallfahrtsort; kommt, lasst uns in der Höle Hochzeit halten«. Sie legten sich hin, aber nun ergab es sich, dass zwei von jenen Männer und zwei Weiber waren. Als die Prinzen dies entdeckten, da hielten die, welche Weiber bekommen hatten, Hochzeit; die, welche Männer bekommen hatten, sahen, dass sie sich getäuscht hatten. In Folge dessen kämpften sie in der Höle miteinander; zwei von den Prinzen kamen dabei um, wärend die beiden übrigen jene beiden Männer tödteten. Die beiden Prinzen aber, welche übrig blieben, nahmen die Weiber mit sich und machten sich auf die Heimreise. – Unterwegs trafen sie einen Kaufmann, der fragte sie: »Woher kommt ihr?« Sie sagten: »Von der Wallfahrt«. Sie kamen nach Hause und stiegen im Schlosse ab; dann erzälten sie: »das und das ist uns begegnet«. Man fragte: »Wo?« Sie sagten: »Auf dem Ṭûr 'Abedîn«. Nun heirateten sie in ihrer Heimat und hielten Hochzeit. Darauf gebar eine der Frauen einen[74] Sohn. Einst weinte der Knabe und bat: »Mutter, gib mir Rosinen«. Sie antwortete: »Beim Haupte deines Vaters, von dem ich nicht weiss, wo seine Knochen liegen, es sind keine Rosinen da«. Der Prinz, ihr Mann, hörte sie so reden; er kam herzu und sagte: »Weib!« »Ja!« »Hast du noch einen andern Mann?« »Nein«, sagte sie. »Warum sprichst du denn so zu meinem Sohne?« Sie entgegnete: »Es ist mir auch nur so in den Mund gekommen«. Da tödtete er sie. Darauf gab die Frau des andern Prinzen ihrem Manne Gift, so dass er daran starb. Sie aber ergriff zur Nachtzeit die Flucht. – Sie traf einen Derwisch an, der fragte sie: »Wer bist du?« »Ich bin eine Frau,« sagte sie. »Ich lasse dich nicht los«, antwortete er, nahm sie mit sich, zog nach Indien und brachte sie auf den Markt, um sie zu verkaufen. Ein Kaufmann erstand sie, begab sich zum König und sagte: »O König, ich habe ein Mädchen gekauft«. »Geh, hole sie« sagte er; »und für wie viel hast du sie gekauft?« »Für achtzig Beutel«, entgegnete er. Darauf brachte er sie in's Audienzzimmer; der König schaute sie an, dann sagte er weinend: »Das ist ja meine Tochter; von wem hast du sie gekauft?« »Von einem Derwisch«, antwortete der Kaufmann. Der König schickte die Ausrufer in der Stadt herum, und sie fanden den Derwisch. Dann sagte er: »Derwisch!« »Ja!« »Woher hast du dieses Mädchen gebracht?« »Ich habe sie zur Nachtzeit auf dem Ṭûr 'Abedîn gefunden«, entgegnete er. Da erkundigten sich auch die anderen indischen Könige bei dem Mädchen, wo ihre Töchter geblieben seien, die mit ihr gewesen waren. »Die sind todt«, antwortete sie. Und nun ist's aus.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 73-75.
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