XXVI.

[90] Es war einmal ein Fürst, der hatte drei Söhne und drei Töchter. Er verheiratete die Söhne, wärend die Töchter noch ledig[90] blieben. »Nehmt euch Männer, meine Töchter«, befal er ihnen. »Gut«, antworteten diese; die eine heiratete den Sohn des Richters, die andere aber den Sohn des Grossrichters, und es blieb nur noch die jüngste ledig. Da kamen alle Männer der Stadt zusammen und sagten zu ihr: »Möchtest du an einem Gefallen finden und ihn zum Manne wälen«. Sie aber warf ihren Apfel auf einen Grindkopf. Der Sohn des Geldwechslers rief: »Auf mich hat sie ihn geworfen«. »Nein«, sagte sie. »Wirf noch einmal«, sagten die Leute. Da warf sie noch einmal auf den Grindkopf; ihr Vater aber schmähte sie und sagte: »Dass du mir nicht den Grindkopf heiratest, das geht nicht an«. Sie antwortete: »Ich werde nach meinem Gefallen handeln«, da sagte er: »So gebt sie dem Grindkopf zur Frau«. Dies geschah. Der Grindkopf schlüpfte in das Hühnerhaus hinein und setzte sich dorthin. »Frau«, rief er. »Was gibt's?« »Ich wünsche, Gott möge deinen Vater krank werden lassen«. »So sei es«, sagte sie. Der Fürst wurde in der Tat krank, und rief die Aerzte; als er dem Tode nahe war, sagten dieselben zu ihm: »Weisst du, was dir noch nützen würde?« »Was denn?« fragte er. Sie antworteten: »Milch von einem Löwen in der Haut eines Löwen auf dem Rücken eines Löwen, das heisst, ein Löwe muss sie herbeitragen; das wird dir helfen«. Da sprach der Fürst: »Wolan, auf, wer bringt mir das? meine Schwiegersöhne?« Seine Schwiegersöhne setzten sich in Bereitschaft, das heisst, der Sohn des Richters und der des Grossrichters, den Grindkopf luden sie nicht zur Teilnahme ein. Dann setzten sie sich zu Pferde, reisten ab und ritten zur Stadt hinaus. – Da sagte der Grindkopf zu seiner Frau: »Auf, geh zu deinem Vater und bitte ihn um einen Klepper; auch ich will mich auf den Weg machen«. Das Mädchen ging zu ihrer Mutter und ihrem Vater und sagte: »Vater!« »Gift in deinen Leib!« entgegnete er. »Gib uns einen Klepper«, bat sie, »auch der Grindkopf will sich auf den Weg machen«. »Nein, nein«, antwortete er, »lass ihn nicht gehen«. Da weinte sie, bis er befal, ihr einen Klepper zu geben. Als dies geschehen war, führte sie ihn nach Hause. »Grindkopf«, sagte sie, »da nimm ihn!« Der Mann stieg unter dem Gelächter aller Einwohner der Stadt auf, und man rief: »Der Grindkopf will Löwenmilch holen!« – Als er sich etwas von der Stadt entfernt hatte, rieb er eine Vogelfeder, die er bei sich hatte, da erschien ein weisses Luftpferd und Kleider, wie Minister sie tragen; diese zog er an und bestieg das Pferd. Er machte im Gebirge einen Weg von vierzig Tagereisen, da traf er die Löwenmutter und fand[91] sie vor Schmerz brüllend da liegen; denn ihr Vorderfuss war gebrochen und voll Blut und Eiter. Er stieg vom Pferde, nahm sein Gewehr und setzte sich ihr gegenüber nieder; darauf grub er sich ein Loch und bedeckte sich mit Heu-, dann legte er das Gewehr auf sie an; sie hielt gerade ihren Vorderfuss in die Höhe und hatte ihn nicht am Boden liegen; er schoss mit Bleischroten darauf und traf mitten auf das Bein. Davon brüllte sie so laut auf, dass alle Löwen zusammenliefen; von ihrem Bein floss ein ganzer Krug voll Blut und Eiter hinunter, und das Bein ward gesund. Da gingen die Löwen wieder auseinander, jeder an seinen Ort. Sie aber rief: »Komm hervor, wer du auch seist, ich gelobe dir Sicherheit; was du verlangst, will ich dir geben«. Da kam er hervor, und sie sagte: »Wünsche dir etwas«. Da sagte er: »Ich bitte um Löwenmilch, in der Haut eines Löwen, auf dem Rücken eines Löwen; ein Löwe soll sie tragen«. »O weh über diese Rede«, antwortete sie; »hättest du doch nur das nicht verlangt! aber wolan; ich habe dir mein Versprechen gegeben, hole mir dort mein Junges! und nimm es und schlachte es an einem Orte, wo ich sein Schreien nicht höre; wenn ich es höre, werde ich dir den Kopf abreissen«. So nahm er es mit, schlachtete es und brachte die Haut zurück; sie füllte dieselbe mit Milch und lud sie einem Löwen auf. Darauf stieg er zu Pferde und machte sich auf den Heimweg. Er kam zu einem Dorfe; da fand er eine Hündin, die gerade geworfen hatte. Von ihr füllte er sich einen kleinen Schlauch mit Milch. Darauf zog er weiter und liess sich im Schatten eines Baumes nieder; wärend er seine Pfeife rauchte und sich etwas erholte, kamen der Sohn des Richters und der Sohn des Grossrichters heran, und mit ihnen vier Diener. Sie setzten sich zu ihm hin, begrüssten ihn und er erwiderte ihren Gruss; im Verlauf der Unterhaltung fragte er: »Was sucht ihr?« Sie antworteten: »Es ist dir bekannt, wir haben einen Fürsten, der krank geworden ist; da hat er die Aerzte kommen lassen; und diese haben in den Büchern nachgeschlagen und gesagt: ›Nichts kann dir helfen ausser Löwenmilch‹«. Da erblickten sie den Löwen, den er bei sich hatte; und er bot ihnen an: »Kommt, ich will euch solche Milch verkaufen«. »Hast du denn welche?« fragten sie. »Ja«. »Wolan, wie viel kostet dieser kleine Schlauch da?« »Um Geld«, antwortete er, »verkaufe ich ihn nicht«. »Um was denn?« fragten sie. Er antwortete: »Einem jeden von euch will ich hinten einen Stempel aufdrücken«. Da pflogen sie mit einander Rat und sagten: »Wer weiss, woher der ist, setzen wir uns hin, und mag er uns stempeln«.[92] Sie entblössten also ihre Hintern, und er machte sein Siegel am Feuer heiss, drückte es ihnen auf und stempelte sie; darauf gab er ihnen die Hundsmilch, und sie begaben sich nach Hause, wärend jener noch zurückblieb.

Als der Sohn des Richters und der Sohn des Grossrichters nach Hause kamen, marschirten die Soldaten vor ihnen auf, und Weiber und Männer stimmten ein Freudengeschrei an; auch der Grindkopf kam herangezogen, auf dem Klepper reitend, und begab sich zu seiner Wohnung unter dem Gelächter der Einwohner der Stadt. Darauf gingen seine beiden Schwäger in den Palast des Fürsten, zogen die Milch hervor und füllten ihm einen Becher. Der Fürst trank ihn, wurde aber nur noch in höherm Grade krank und genas nicht. Da sagte der Grindkopf zu seinem Weibe: »Frau!« »Was gibt's?« »Bringe diesen Becher voll Milch deinem Vater hin«. Sie trug ihn hin, ging zu ihrem Vater und sagte: »Väterchen!« »Ach!« »Nimm da Milch«. Da schmähten die Leute sie und sagten: »Der Sohn des Richters und der Sohn des Grossrichters haben Milch gebracht, und er hat davon getrunken und wird nun im Augenblick sterben«. Hierauf aber kam die Mutter des Mädchens, die Frau des Fürsten, herzu und sagte: »Warum schmähst du deine Tochter? trinke auch dies noch, was kann dir noch geschehen?« Er trank und wurde gesund. Da sagte er: »Meine Tochter, ist nicht noch mehr davon da?« »Freilich, Vater«, antwortete diese, ging zu dem Grindkopf, ihrem Manne, und sagte: »Grindkopf!« »Ja!« »Steh auf, zieh deine schönsten Kleider an, wir wollen in das Audienzzimmer zu meinem Vater gehen«. »Gut«, sagte er, lud den Schlauch auf und nahm den Löwen mit sich; so kam er in die Versammlung. Der Fürst sah auf den Grindkopf; der war ein ausgezeichnet schöner Jüngling geworden. »Tritt näher«, sagte er zu ihm, »setze dich«. Das tat er. Nun fragte er ihn: »Woher kommt diese Milch?« »Sie geriet in meine Hände«, antwortete er. Der Sohn des Richters und der Sohn des Grossrichters sassen auch da; »ich bin es, der ihnen jene Milch gegeben hat«, sagte der Grindkopf. Da starben sie beinahe vor Furcht. »Wann hast du sie uns gegeben?« fragten sie. »Ich habe mir auch ein Zeichen an euch gemacht«, sagte er »Was für ein Zeichen?« fragten die Versammelten. »Entblösst ihre Hintern«, sagte er. Das geschah; der Fürst schaute hin und sagte: »Warhaftig«. »Glaubst du es nicht«, entgegnete der Grindkopf, »dass dies hier der Löwe ist, der hier in eure Mitte gekommen ist, und das hier ist die Haut, und hier die Milch; Löwe rede[93] du! nach deiner Weise«. Der Löwe sprach: »Ich bezeuge bei Gott, so ist es!« – Da liess der Fürst den Sohn des Richters und den Sohn des Grossrichters greifen und in's Gefängniss werfen; den Grindkopf aber liess er an seiner Statt über das Land regieren, und die Untertanen schworen bei dem Haupte desselben, und nun ist's aus.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 90-94.
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