III.

[12] Es war einmal in Diârbekr ein Regierungsbeamter Namens Aḥmed-Kaḥja. Die Regierung von Diârbekr aber war damals schlaff. Auch lebte dort ein Mann Namens Imâm-Agha; der hatte sieben Söhne und eine Tochter. Da sandte Aḥmed-Kaḥja seinen Diener in's Haus des Imâm-Agha und liess ihm sagen: »Lass mich deine Tochter Ḥalîme zur Frau nehmen«. Der Diener ging in's Haus des Imâm-Agha und wies demselben das Schreiben vor. Man rief Ḥalîme in das Empfangszimmer, und ihr Vater nebst ihren Brüdern sagten zu ihr: »Aḥmed-Kaḥja will dich heiraten«. Sie aber schmähte ihn und seinen Diener. Als letzterer zu seinem Herrn zurückkam, fragte dieser: »Nun, was hat man dir geantwortet?« »Herr«, sagte der Knecht, »sie haben dich und mich geschmäht«. – Unterdessen war die Regierung von Diârbekr streng geworden. Aḥmed-Kaḥja aber stieg zu Pferde und nahm zwanzig Gensdarmen mit sich; mit diesen zog er zu der Wohnung des Imâm-Agha und liess die sieben Söhne desselben ergreifen. Dann liess er dieselben unter die Soldaten stecken. Imâm-Agha, seine Frau und Ḥalîme blieben allein zu Hause und weinten. Da ging Ḥalîme hin, zog ihre Feierkleider an, nahm den grossen weissen Ueberwurf um sich und kam nach Diârbekr; dort trat sie weinend in's Haus des Richters. »Warum weinst du?« fragte der Richter. Sie antwortete: »Aḥmed-Kaḥja hat um meinetwillen zu meinem Vater geschickt; und weil ich ihn nicht zum Manne genommen habe, hat er meine sieben Brüder unter die Soldaten gesteckt«. »Was soll ich tun?« sagte jener, »ich habe nichts zu sagen«. Da stand Ḥalîme auf und ging zu Ḥassan-Agha, dem Herrn von Serekîje; sie trat in dessen Empfangszimmer, wärend dasselbe voller Leute war, und weinte daselbst. »Warum weinst du?« fragte er. »Aḥmed-Kaḥja hat, weil ich ihn nicht zum Manne genommen habe, meine sieben Brüder unter die Soldaten gesteckt«.[12] »Was soll ich tun?« erwiderte jener, »ich habe in dieser Sache nichts zu sagen«. Da ging sie herum bei allen angesehenen Herren; aber keiner war im Stande, ihre Brüder zu befreien. Endlich riet man ihr: »Gehe zu Färcho vom Hause des 'Aeſêr-Agha; jener ist ein tapferer Mann und nimmt es mit der Regierung auf«. Sie reiste zu Färcho in die Stadt Dêreke, fragte nach dessen Hause und ging in sein Schloss. Als sie in das Zimmer Färcho's eintrat, wo er allein sass, trat sie zum Grusse an ihn heran; dann zog sie sich wieder zurück. »Was willst du? Frau«, fragte er sie. »Herr«, antwortete sie, »möge es dir wol gehen; ich bin zu dir gekommen«, (sie weinte, indem sie dies sagte) »weil Aḥmed-Kaḥja darum, dass ich ihn nicht zum Manne genommen habe, meine sieben Brüder hat greifen und unter die Soldaten stecken lassen«. »Wessen Tochter bist du?« fragte er. »Des Imâm-Agha«. Da wurde Färcho zornig, seine Augen röteten sich vor Wut; er ergriff seine Pfeife und zerschmetterte sie. Darauf rief er seinem Leibdiener 'Amer: »Komm«! »Was gibt's? Herr«. »Auf«, befal dieser, »sammle Soldaten aus unsrem Flecken; wir wollen nach Diârbekr ziehen, um die Brüder der Ḥalîme zu befreien; wenn aber Aḥmed-Kaḥja dieselben nicht freilässt, so wollen wir gegen die Stadt Diârbekr Krieg führen«. Darauf sammelten sie Soldaten und zogen nach Diârbekr; daselbst angekommen liess Färcho seine Soldaten ausserhalb des Tores und ging mit zwei Dienern hinein. Wie sie zum Schlosse kamen, fragten sie nach Aḥmed-Kaḥja: »Wo ist er?« »Dort«, antwortete man. Da ging Färcho zu ihm hinein; Aḥmed-Kaḥja aber stieg von seinem Sitze hinab und liess Färcho auf denselben hinaufsteigen. Färcho setzte sich; man brachte Kaffe und sie tranken; darauf holte man das Essen herbei; aber Färcho wollte nichts davon gemessen. Da fragte Aḥmed-Kaḥja: »Warum issest du nicht?« »Ich mag nicht essen«, antwortete jener. »Warum denn nicht?« »Wenn du die sieben Brüder der Ḥalîme freilässest, so will ich essen; wo nicht, so mag ich nicht essen«. »Ich kann sie nicht freilassen«. »Willst du sie nicht freilassen?« »Nein«. Da zog Färcho den Säbel und schlug den Aḥmed- Kaḥja; dieser aber floh, und er traf nur seine Schulter; schreiend machte er sich davon: Hierauf schickte Färcho einen seiner Diener ab, um die Soldaten herbeizuholen und sie einmarschiren zu lassen. Färcho selbst aber stieg, den Säbel in der Hand, die Treppe hinunter in den Hof des Regierungsgebäudes, trat an den Eingang des Gefängnisses und erschlug mit dem Säbel den Gefängnisswärter. Darauf liess er alle Eingekerkerten, so[13] viele ihrer im Gefängniss waren, heraus und setzte sie in Freiheit. Da kamen seine Soldaten und fragten Färcho: »Was verlangst du von uns?« »Ich verlange nichts mehr«, antwortete er, »aber nehmt diese sieben, die Brüder der Ḥalîme, mit euch«; Dann zog Färcho mit seinen Soldaten nach Hause. Unterwegs aber traf er seinen jüngsten Sohn an; der hatte eine Schar Knaben gesammelt und war hinter seinem Vater drein ausgerückt. »Mein Lieber«, fragte ihn der Vater, »wohin willst du gehen?« »Ich bin dir nachgezogen«, antwortete jener. »Kehre um«, sagte er zu seinem Sohne, »ich habe die sieben Brüder der Ḥalîme schon mitgebracht«. Als sie nach Hause gekommen und abgestiegen waren, ging der älteste Bruder der Ḥalîme die Hand Färcho's küssen und sprach: »Herr, ich schenke dir die Ḥalîme, mache sie zu deiner Sclavin«. »Das geht nicht«, antwortete Färcho; »da ich nach Recht und Billigkeit gehandelt habe, will ich nicht, dass die Leute sagen, Färcho habe wegen eines Weibes so getan; ihr aber geht nach Hause zurück und wohnt dort in Frieden; jedoch eine jede Bedrückung von Seiten der Türken sei meine Sache«. Da wurde der Name Färcho's weltberühmt.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 12-14.
Lizenz:
Kategorien: