XLIII.

[175] Es war einmal ein Statthalter, der hatte zwei Frauen, und es war auch ein Minister, der hatte auch zwei Frauen. Die beiden wohnten in einer Stadt, aber keiner von den beiden hatte Kinder. Da sagte der Statthalter zum Minister: »Wir bekommen keine Kinder, weder ich noch du; was sollen wir nur anfangen?« »Ich weiss es nicht«. »Komm, lass uns mit den Frauen tauschen: ich gebe dir meine beiden, gib du mir deine beiden«. Damit war der Minister einverstanden. Nun war aber die Frau des Statthalters guter Hoffnung, und das wusste der Statthalter nicht. Sie tauschten,[175] der Statthalter bekam die Frauen des Ministers, und der Minister die des Statthalters. Nach einiger Zeit wurde dem Minister von der Frau des Statthalters ein Sohn geboren. Als der Statthalter dies hörte, fragte er seine frühere Frau: »Ist der Sohn von mir? oder ist er vom Minister?« »Ich weiss es nicht«, antwortete sie. »Sprich die Wahrheit«. »Ich will's nicht sagen«. Nun begab sich der Statthalter zum Minister und sagte ihm: »Ich will den Jungen an mich nehmen«. »Ich gebe ihn aber nicht heraus«. »Wesshalb willst du ihn nicht herausgeben?« »Wir haben mit den Frauen getauscht, und damit ist's gut«. »Er ist aber mein Sohn«. »Nein, er ist von mir«. So gerieten sie in Wortwechsel, bis sie dahin übereinkamen, zum Sultan zu gehen und dort gegen einander Klage zu führen. Als sie dem Sultan das Geschehene vorgetragen hatten, befal dieser: »Bringt die Frau her, sie weiss, von wem er ist«. Wärend man die Frau rief, empfal der Sultan den beiden an, zu schweigen, er werde mit ihr sprechen. Darauf wandte er sich an die Frau und sprach: »Höre, Frau, ich will dich etwas fragen: wenn du nicht die Wahrheit sagst, so schlage ich dir den Kopf ab«. »Sprich!« »Der Sohn, den du geboren hast, ist er vom Statthalter? oder vom Minister?« »Vom Statthalter«, antwortete die Frau. »So gebt ihn dem Statthalter«, entschied der Sultan, »so spricht das Gesetz; nun geht nach Hause«. Als sie nach Hause kamen, nahm der Statthalter den Sohn zu sich und liess eine Amme kommen, die ihn säugen sollte. –. Einige Zeit nachher gebar auch die Frau des Statthalters ihm einen Sohn. Als der Minister das hörte, sagte er: »Der Junge ist mein Sohn«, der Statthalter dagegen behauptete: »nein, er ist von mir«. So auf's Neue in Streit geraten, gingen sie wieder zum Sultan klagen. Dieser fragte sie: »Werdet ihr nach meinem Ausspruche tun?« »Ja«. »So nimm dir, Minister, deine frühern Frauen und den jetzt geborenen Sohn, und gib dem Statthalter seine Frauen; kehrt ganz in euer früheres Verhältniss zurück, jeder mit seinen Frauen«. »Gut!« antworteten sie, gingen nach Hause und jeder nahm seine Frauen.

Die Jungen wuchsen heran. Der Sohn des Ministers liess sich in dessen Hause nicht halten, er war ja der Sohn des Statthalters. Was der Minister auch tat, er hatte keine Gewalt über ihn. Als er ihn einmal schlug, fragte ihn seine Frau: »Warum schlägst du ihn?« »Er will nicht bei mir bleiben«. »Wie sollte er auch bei dir bleiben, er ist ja der Sohn des Statthalters«. Da ergrimmte der Minister, erstickte vor Wut und starb. Seine beiden[176] Wittwen führte der Statthalter heim. Nun sagten die Verwandten des Ministers: »Den Sohn des Ministers geben wir dem Statthalter nicht, die Frauen hat er genommen, die gehen uns nichts an, dagegen den Sohn geben wir nicht heraus«. Da sagte aber die Frau: »Er ist ja gar nicht der Sohn des Ministers«. »Wessen Sohn ist er denn?« »Des Statthalters«. Da schwiegen sie, und der Statthalter behielt die vier Frauen und die beiden Söhne. Die beiden trugen Kleider von einer Art, sie waren gleich gross und wurden stark wie Löwen. Jeder von ihnen hatte einen Hengst, zusammen ritten sie spaziren.

Der Statthalter gab seine Absicht zu erkennen, ihnen Frauen zu werben, und als man ihn darin bestärkte, warb er für den einen um die Tochter des Richters und für den andern um die des Grossrichters. –. Ihre Namen erlangten Ruhm in der Welt, der eine hiess Ḥosein, der andere Ḥassan. –. Einst sprachen sie untereinander: »Komm, wir wollen uns vergnügen, im Garten ist ein grosses Wasserbassin, an demselben steht eine Halle, und in dieser ist ein Kaffewirt, wir wollen hingehen und uns bei ihm einen lustigen Tag machen«. Sie nahmen Wein und Brantwein mit und gingen in den Garten, dann kauften sie ein junges Lamm und gaben es dem Kaffewirt, er möchte es ihnen zubereiten. Darauf setzten sie sich an's Bassin, Brantwein zu trinken; die Flasche stellten sie in's Wasser, damit der Brantwein kühl werde. Wärend sie nun tranken, erblickten sie zwei wunderschöne Mädchen im Wasser, über welche sie in starres Entzücken gerieten. Die Mädchen wollten die Flaschen im Wasser wegnehmen, da stürzten sich die Beiden auf die Mädchen in's Wasser hinein, aber diese führten die Beiden mit sich weg, und sie verschwanden im Wasser. Der Kaffewirt erhob ein grosses Geschrei, auf welches hin die Leute der Stadt heranliefen und ihn fragten: »Wesshalb schreist du so?« Er antwortete: »Die Söhne des Statthalters sind in's Wasserbassin gefallen«. Die ganze Stadt kam heran, auch der Statthalter; dieser schickte die Taucher in's Wasser hinab, aber sie fanden nichts. Da erliess der Statthalter eine Verordnung an die Stadt: alle, Gross und Klein, sollen Gefässe bringen und das Bassin ausschöpfen. Darauf kamen sie mit grossen Wasserkrügen, Holzeimern und Kesseln und schöpften das Bassin aus, aber sie fanden sie nicht. Da sagte der Statthalter zum Kaffewirt: »Du lügst«. »Nicht doch«, antwortete dieser, »vor meinen Augen sind sie hineingefallen«. »Bah! wo sind sie denn? man sieht sie ja nicht, wir haben ja das Wasser ausgeschöpft und sie doch[177] nicht gefunden«. »Ich habe gesehen, dass sie hineingefallen sind«, erwiderte der Kaffewirt. Nun gab der Statthalter Befehl, ihn zu tödten, aber der Richter sagte: »Werft ihn lieber in's Gefängniss und tödtet ihn nicht, vielleicht kommen deine Söhne gesund wieder heraus, warum solltest du ihn tödten?« Der Statthalter liess sich bereden und befal, ihn in's Gefängniss zu werfen; von den Söhnen sprach er nicht weiter, er dachte, sie sind weg und verschwunden. –.

Die Mädchen hatten die beiden jungen Leute mit sich in ein Land genommen, mit dem sich kein anderes an Schönheit und Lieblichkeit vergleichen konnte. Es stellte sich heraus, dass die eine die Tochter des Königs von Gog und Magog war, und die andere die Tochter des Oberpriesters jenes Volkes. Die Königstochter nahm den einen mit sich nach Hause und die Tochter des Oberpriesters den andern. Letztere sagte zu ihrem Vater: »Schau, Papa! ich habe mir einen geholt, einen wunderschönen«. »Woher ist er? meine Tochter«. »Von den Menschen«. »Nun, schön!« gab er zur Antwort. Der Sohn des Statthalters betrachtete staunend seine Umgebung, es war kleines Volk, von der Erde sich nicht weit erhebend. Auch die Königstochter sagte zu ihrem Vater: »Ich habe mir einen geholt«. »Woher ist er?« fragte er. »Von den Menschen«. »Wir werden ihn tödten«. »Das lass ich nicht zu«, sagte das Mädchen, und als man sich wirklich anschickte, ihn zu tödten, floh sie mit ihm und brachte ihn zur Tochter des Oberpriesters. Diese fragte: »Wesshalb bist du von deinem Vater weggelaufen?« »Sie wollten den Sohn des Statthalters tödten«. »O! zum Teufel! du und dein Vater! mein Vater sagte, als ich jenen brachte, er sei's zufrieden«. Darauf wohnten die beiden Brüder und die beiden Mädchen in einem Zimmer zusammen, und der Oberpriester traute sie. Er gab ihnen Essen und Geld, und sie gewannen ihn sehr lieb. Die Zwerge kamen sie sieh besehen und lachten über sie, und sie besahen sich die Zwerge und verwunderten sich. –. Nun veranstaltete der Kaiser der Zwerge seinem Volke ein grosses Fest; er hatte zwei einzig schöne Töchter. Er liess auch den König und den Oberpriester zu diesem Feste einladen. Der Oberpriester machte sich auf und nahm die Söhne des Statthalters und die Mädchen mit zum Feste. Als sie zum Kaiser gekommen waren, sah dieser sie staunend an und fragte: »Woher sind diese, Oberpriester?« »Von den Menschen«. »Wesshalb sind sie zu dir gekommen?« »Meine Tochter und die Tochter des Königs haben sie sich geholt«. »Schön!«[178] antwortete der Kaiser und freute sich über sie. Dann sagte er zu seiner Gemalin: »Da sind zwei schöne junge Leute, die Tochter des Königs und die des Oberpriesters haben sie geholt und sind von ihren Vätern ihnen angetraut worden«. »Wo sind sie?« fragte sie. »Komm, ich will sie dir zeigen«. Als sie sie besah, fand sie, dass sie sehr schön waren; dann ging sie in's Zimmer ihrer Töchter und sagte: »Meine Töchter, kommt, beseht euch mal die beiden jungen Leute«. »Was für junge Leute?« »Von den Menschen«. Da gingen sie sie ansehen und sagten zu ihnen: »Kommt hinauf zu uns«. Die jungen Leute folgten ihnen, aber ihre Frauen kamen mit ihnen. Als sich die Söhne des Statthalters die Töchter des Kaisers recht besahen, fanden sie, dass sie schöner waren als die Töchter des Oberpriesters und des Königs; daher schauten sie ihre Weiber nicht mehr an, jene gefielen ihnen ja besser. Die Brüder sagten zu einander: »Wenn sie uns haben wollen, dann nehmen wir sie und lassen jene laufen«. Die Töchter des Kaisers verliebten sich sterblich in die beiden Brüder und sagten: »Wir lassen sie nicht mehr los, und wenn auch jetzt der jüngste Tag anbräche«. Sie setzten sich aufs Sofa, jeder zu einer; ihre Frauen wagten gegen die Töchter des Kaisers nichts zu sagen. –. Der Kaiser veranstaltete einen Gastschmaus, und er und der Oberpriester schickten den Diener nach den Söhnen des Statthalters. Aber die Mädchen antworteten dem Diener: »Wir lassen nicht zu, dass sie dorthin gehen, wir werden hier einen Schmaus veranstalten, wir und sie; aber nehmt die Töchter des Oberpriesters und des Königs mit zu euch«. Diesem Befehl entsprach der Diener. Die Priestertochter sprach zur Königstochter: »Sie werden sie uns wegnehmen«. Die andere sagte: »Dein Vater hat uns hergebracht, uns und sie«. Sie begaben sich nun in's Audienzzimmer des Kaisers, da sassen die Väter. Sie forderten ihre Töchter auf zu essen, aber die sagten: »Wir essen nicht«. »Wesshalb nicht?« »Die Töchter des Kaisers haben uns unsere Männer genommen«, entgegneten sie. Da schickte der Kaiser und liess ihnen sagen, sie möchten jene jungen Leute in die Versammlung kommen lassen. Als der Diener den Töchtern seine Botschaft vermeldet hatte, sagten diese: »Gehe er möge Kot fressen, wir lassen sie nicht gehen.« Der Diener sah, wie die vier Brantwein zusammen tranken. Darauf sagten die Mädchen zu den beiden: »Kommt, vor dem Diener umarmt uns, er mag dann hingehen und unserm Vater und seinen Beamten es erzälen, damit sie sicher wissen, dass wir euch zu Männern[179] genommen haben.« Nachdem sie die Umarmung vor Augen des Dieners stehend vollzogen hatten, fuhren die Mädchen fort: »Hast du gesehen, Diener?« »Ja.« »So geh! und erzäle es in der Versammlung.« Der Diener ging. »Wo sind sie?« fragte der Kaiser. »Sie lassen sie nicht gehen, sie sitzen da und trinken Brantwein und vor meinen Augen haben sie sich umarmt!« »Damit sind wir nicht zufrieden«, riefen der Oberpriester und der König, »gebt uns unsere Jungen.« Aber der Kaiser sagte; »Sie haben sie zu Männern genommen.« Da begaben sich der Oberpriester und der König zu ihnen und sagten: »Kommt, wir wollen gehen.« »Nein, wir kommen nicht.« »Warum habt ihr unsere Töchter geheiratet?« »Die Töchter des Kaisers lassen uns nicht gehen,« erwiderten sie. »Wesshalb lasst ihr sie nicht gehen?« wandten sie sich nun an diese. »Wir lassen sie nicht.« »So werden wir sie euch wegnehmen.« »Kot fressen mögt ihr!« Da gingen der Oberpriester und der König zornig mit ihren Töchtern weg, rüsteten ein Heer aus und zogen gegen den Kaiser zum Kampfe. Auch der Kaiser rüstete, und der Kampf begann. Da sagten die beiden Brüder: »Wir wollen auch hinab in die Schlacht ziehen und mitkämpfen.« Die Mädchen antworteten: »So nehmt unsere Kleider und zieht sie an, damit die Hiebe nicht in euren Körper eindringen.« Sie waren damit einverstanden und jene brachten ihnen zwei Panzer. Diese zogen die Brüder an, nahmen die Schwerter und bestiegen die Rosse der Töchter des Kaisers. Die letzteren beobachteten sie von der Burg aus: wie Wölfe fielen sie in das Heer des Oberpriesters und des Königs; sie erschlugen das Heer, verfolgten den Oberpriester und den König und kehrten dann nach Hause zurück, wo sie sich mit den Mädchen weiter vergnügten. Einmal erzälten sie ihnen vom Lande der Menschen, da fragten die Mädchen: »Habt ihr einen Vater?« »Ja, unser Vater ist Statthalter.« »So kommt, lasst uns in euer Land gehen.« »Kommt!« Da zogen die Mädchen die Panzer an, zogen auch den Brüdern zwei an und wollten sich von dem Kaiser verabschieden. Der aber sagte: »Das geht nicht an.« »Wir gehen aber«, antworteten sie, verwandelten sich alle vier in Tauben und flogen weg. Sie kamen zu dem Bassin des Kaffewirtes und tauchten aus ihm heraus. Es war ein neuer Kaffewirt in dem Garten; als der die Söhne des Statthalters erblickte, erkannte er sie und brachte alsbald dem Statthalter die Freudenbotschaft, seine Söhne seien zurückgekommen. »Wo sind sie?« fragte dieser. »Im Kaffe.« Nun begab sich der Statthalter und die ganze Stadt dorthin, um sie[180] sich anzusehen. Als sie hinkamen, sahen sie, dass sie zwei Weiber bei sich hatten, deren ähnliche es unter den Menschen keine gab, denn ihre Statur war klein. Sie gingen nach Hause, zogen die Panzer aus und legten sie in eine Kiste, schlössen diese ab, und den Schlüssel nahmen die Söhne des Statthalters zu sich. Ohne die Panzer können jene nicht entfliehen; wenn sie aber die Panzer anhaben, so können sie es. Der Statthalter fragte seine Söhne, wo sie gewesen seien. Da erzälten sie ihm alles, wie es sich zugetragen hatte, »und diese sind die Töchter des Kaisers« schlössen sie ihre Erzälung. Die ganze Stadt geriet in grosses Staunen über sie. – Den Kaffewirt entliessen sie aus dem Gefängnisse. Sie blieben in der Stadt wohnen und bekamen Kinder. Zehn Jahre blieben sie so beim Statthalter. Da starben die Söhne des Statthalters und eine von den Zwergmädchen. Die übrig gebliebene stal den Schlüssel der Kiste, der nun beim Statthalter in Verwahr war, nahm die Panzer heraus, sie und ihre Kinder zogen dieselben an, dann flogen sie weg und kamen wieder in ihr Land. –

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 175-181.
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