LXIII.

[255] Es war einmal ein Minister, der hatte drei Frauen, auch hatte er einen schwarzen Diener. Die Frauen hatten ihm noch keine Kinder geboren, nun bekam er von der jüngsten Frau einen Sohn, der aber ganz schwarz war. Der Diener hatte ihr nämlich beigewohnt, daher war der Sohn, den sie gebar, wie der Diener schwarz. Die Leute sagten: »Der Minister hat einen Sohn bekommen.« Der Minister kam sich seinen Sohn besehen und fand, dass er schwarz war. Da fragte er die Frau: »Sprich die Wahrheit, von wem ist der Sohn?« »Von dir«, antwortete sie. »Nein!« rief er, »du lügst, ich werde dich tödten, sprich.« »Der Wahrheit gemäss?« fragte sie. »Ja.« »Wirst du mich auch nicht schlagen?« »Nein.« Da gestand sie: »Er ist der Sohn des Dieners.« Er rief den Diener und fragte ihn: »Warum hast du so gehandelt, Diener?« »Sie bat mich ihr beizuwohnen«, erwiderte dieser. Da liess er ihm die Haut vom Nacken ab und über den Kopf ziehen, so dass er ein Scalpirter wurde, und liess ihn so ohne Kopf herumführen; dann befal er, ihn nackt in die Dornen zu werfen und dort liegen zu lassen. –. Der Sohn, des Ministers wuchs heran und ward so stark, dass Niemand ihm etwas anhaben konnte. Einst schlug der Minister ihm vor: »Ich will für dich um eine Frau werben.« »Ich mag keine Weiber«, erwiderte er, »wenn ich nicht selbst an ihnen Gefallen finde und sie mir selbst hole.« »Wie du willst«, antwortete jener. Da stieg der Sohn des Ministers zu Pferde und zog in der Welt umher nach einer Frau, vier Jahre lang; als er aber keine Frau fand, wie er sie wünschte, kehrte er nach Hause zurück. »Ich habe keine Frau gefunden«, sprach er zu seinem Täter. »Suche nur weiter«, entgegnete dieser, »wo immer du eine siehst und Gefallen an ihr findest, die will ich dir holen, mag sie schon verheiratet sein oder nicht.« »Schön«, antwortete er und suchte nun im Lande der Vögel nach einer, aber er fand keine. Da sagten ihm die Vögel: »Der Falk hat eine schöne Tochter.« Er begab sich zum Falken und nahm bei ihm Platz. »Wesshalb[255] bist du gekommen, Sohn des Ministers?« fragte ihn der Falk. »Ich komme um deiner Tochter willen, um sie zu werben.« »Da ist meine Tochter.« Er schaute sie an und fand sie sehr schön? aber sie hatte ein krummes Bein. »Deine Tochter ist schön«, sagte er, »aber sie ist lahm.« »Dies ist sie«, erwiderte jener, »willst du sie, so nimm sie; willst du sie nicht, so lass sie.« »Ich will gehen«, antwortete er, »und weiter suchen; finde ich keine schönere als sie, so komme ich sie holen; finde ich aber eine, dann lasse ich sie.« »Geh nur«, erwiderte jener, »ich gebe sie dir gar nicht.« Er suchte weiter, aber er fand keine. Einst traf er einen Vogel, der fragte ihn: »Willst du mich nicht als Diener bei dir wohnen lassen?« »Gewiss«, antwortete er und nahm den Vogel mit sich nach Hause. Dort sprach er zu seinem Vater: »Ich habe keine, gefunden; beim Falken habe ich eine gesehen, die war schön, aber sie hatte ein krummes Bein.« Da fragte der Vogel: »Wonach suchst du?« »Nach einer schönen Frau.« »Ich will dir etwas sagen.« »Sprich.« »Ich bin in der ganzen Welt umhergezogen und habe keine schönere Frau gesehen als die Tochter Osmar's des Färbers, des Fürsten der Kraniche.« »Ist sie wirklich schön?« fragte er. »Wenn du eine schönere als sie findest«, entgegnete der Vogel, »so schlag mir den Kopf ab.« »Gut; weisst du, wo die Kraniche sind?« »Ich will sie dir zeigen, ich komme mit dir.« Da brach er mit dem Vogel auf, und sie begaben sich an den Ort, wo die Kraniche hausten. Aber diese waren von dort aufgebrochen und hatten sich an einen andern Ort begeben. »Dieses war ihr Ort«, sagte der Vogel, »nun weiss ich nicht, wohin sie gegangen sind.« Sie trafen einen Hasen; dieser fragte sie: »Wonach sucht ihr?« »Nach Osmar dem Färber suchen wir.« »Die sind auf die Baglâe Futter suchen gegangen«, entgegnete der Hase. Da zogen sie ihnen nach und fanden sie dort. Die ganze Hochebene der Baglâe war voll von Kranichen. Sie fragten nach Osmar dem Färber. »Er ist dort im Zelte«, antwortete man ihnen, auf ein alleinstehendes Zelt hinweisend. Sie begaben sich zu ihm und begrüssten ihn. »Zu Diensten«, erwiderte er, »kommt, setzt euch.« Als sie Platz genommen hatten, fragte er: »Wesshalb seid ihr gekommen?« »Wir kommen um deiner Tochter willen.« »Für wen soll meine Tochter sein?« »Für mich«, versetzte der Sohn des Ministers. »Dich mag ich nicht zum Schwiegersohne.« »Ich bin der Sohn des Ministers, und du sagst, ich mag dich nicht?« »Du bist der Sohn des Ministers, und sie ist die Tochter des Kaisers, des Kaisers der Kraniche.«[256] »So rufe sie wenigstens«, bat er, »damit wir sehen, ob sie mich will oder nicht.« Da riefen sie sie, aber sie kam nicht, sondern schickte eine andere an ihrer Statt. Diese führte man in die Versammlung, es war nicht die Tochter Osmar's, sondern eine andere. »Das ist sie«, sagten sie. »Ist sie das?« fragte er. »Ja.« »Wirklich, Vogel?« »Nein«, entgegnete der Vogel, »das ist sie nicht.« »So holt sie.« Da gingen sie die Tochter Osmar's holen, aber sie zogen ihr schlechte Kleider an, damit der Vogel sie nicht erkennen möchte, und führten sie in die Versammlung. »Da ist sie«, sagten sie. Der Vogel schaute sie an und erklärte; »Das ist sie.« »Nein, das ist sie nicht«, riefen die Kraniche. »Freilich ist sie es«, erwiderte der Vogel. Der Sohn des Ministers aber sagte: »Sie gefällt mir; mag sie es nun sein oder nicht, diese gefallt mir.« »So will ich sie dir geben«, entgegnete Osmar, »bring mir zehn Lasten Goldstücke, nebst den [sie tragenden] Maultieren.« »Schön!« antwortete er; dann schickte er den Vogel zu seinem Vater und trug ihm auf: »Sage meinem Vater: lade zehn Lasten Goldstücke auf, bringe sie und die Maultiere und komm; ich bleibe so lange hier.« »Geh du und hole sie«, riefen die Kraniche. »Sie werden sie schon bringen«, gab er zur Antwort, »was habt ihr mit mir zu schaffen?« »Wie du willst«, entgegneten sie. Der Vogel begab sich zum Minister und richtete ihm den Auftrag seines Sohnes aus. Der Minister liess die Säcke aufladen und schickte sie mit dem Vogel. Der Vogel brachte sie dem Sohne des Ministers, und dieser gab sie den Kranichen, die Säcke nebst den Maultieren. Die Kraniche aber erklärten: »An dem einen Sacke fehlt ein Goldstück.« »Ich werde es euch später geben«, erwiderte er. »Damit sind wir nicht zufrieden.« »Nun so will ich den Vogel als Pfand für das Goldstück bei euch lassen.« Damit waren sie einverstanden, und er liess den Vogel dort. Das Mädchen nahm er mit, und als er mit ihr nach Hause gekommen war, schickte er das Goldstück durch den Esel. Aber dieser liess es unterwegs fallen und verlor es. Wärend er darnach suchte, kam der Fuchs und fragte ihn: »Was machst du, Esel?« »Ich habe das Goldstück fallen lassen und verloren.« Da suchte der Fuchs mit ihm und fand es. »Gib mir es, Fuchs«, bat der Esel. »Ich gebe es dir nicht, wenn du mich nicht auf dir reiten lassest«, erwiderte jener. Der Esel bekam nun das Goldstück vom Fuchs, und dieser stieg auf den Esel. Aber dem Esel näherte sich eine Fliege, er fing an zu laufen und warf den Fuchs hinunter. Er selbst kam zu den Kranichen, gab dem Osmar das Goldstück, nahm[257] den Vogel mit und kehrte mit demselben nach Hause zurück. Unterwegs trafen sie den Fuchs. »Wie, bist du noch hier?« fragte der Esel. »Ja, du hast mich herunter geworfen und mir dadurch meine Beine zerbrochen, hebe mich auf deinen Rücken, ich kann nicht zu Fusse gehen.« Als sie zum Minister kamen, verklagten sie einer den andern bei diesem. Da hiess es: »Macht euch darum keinen Kummer, werdet Diener bei uns, esset und trinket.« Sie waren damit einverstanden, und so wurden der Fuchs und der Esel und der Vogel Diener bei ihnen. Der Sohn des Ministers heiratete die Tochter Osmar's.

Der Minister hatte auch noch einen andern Diener, der hiess der Derwisch. Stärker als dieser war Niemand, im Ringkampfe vermochte Keiner ihn hinzuwerfen. –. In dem Orte, in welchem der Minister wohnte, waren Märkte und Läden. Nun hatte sich aus einem Hause desselben ein Ochse verlaufen, und man suchte nach ihm. Auch die Frau, die Herrin jenes Hauses, lief hinaus und suchte im Gebirge nach dem Ochsen. Da erblickte sie der Bär, packte sie und nahm sie mit. Er hatte erkannt dass sie eine Frau war. Er nahm sie mit zu seiner Höle und liess sie in dieselbe hineingehen. Dort wohnte er ihr bei, wie wenn er ein Mann wäre, und sie wagte nichts zu sagen. Wenn er hinausging, legte er einen grossen Stein in die Oeffnung der Höle, damit sie nicht entfliehen könnte. Sie gebar dem Bären zwei Töchter; als sie wieder schwanger wurde, war der Bär sicher geworden, denn er dachte: »Sie entflieht nicht mehr, sie hat ja Kinder von mir.« Er ging hinaus auf die Jagd. Da machte die Frau sich auf und entfloh; die Töchter wollten aber nicht mit ihr gehen, wie sie sie auch zu bereden suchte. Sie kam in die Stadt ihres Mannes. Als die Strassenjungen sie nackt umherlaufen sahen, fürchteten sie sich vor ihr und warfen sie mit Steinen. Sie aber rief: »Ich bin die Frau des und des, werft mich nicht.« Da gingen sie es ihrem Manne melden; dieser brachte Kleider, zog sie ihr an und führte sie nach Hause. Dort erzälte sie ihnen, was sich zugetragen hatte. Der Bär aber kam in die Stadt wie der böse Feind und tödtete das Vieh. Er schlief nun bei der Tochter an Stelle der Mutter. Als er aber gar einen Mann aus der Stadt tödtete, da griffen sie zu den Flinten und begaben sich zu seiner Höle. Er kam heraus, und sie schössen ihn todt. Die Höle zerstörten sie und nahmen die Mädchen mit nach Hause. –. Die Frau gebar einen Sohn, halb Mensch halb Bär. Als er herangewachsen war, war ihm Niemand an Stärke überlegen. Der Diener des Ministers war sehr[258] stark, im Ringkampfe vermochte Niemand ihn hinzuwerfen. Da hiess es: »Geht, holt den Sohn des Bären.« Sie brachten ihn zum Minister, und dieser befal: »Ringt mit einander.« Als aber der Sohn des Bären jenen zu Boden warf, sagte der Minister: »Ich werde dem Diener den Kopf abschlagen lassen, warum hat der Sohn des Bären ihn zu Boden geworfen?« Aber der Sohn des Bären bat für ihn und liess nicht zu, dass er ihm den Kopf abhieb. Da fragte der Minister ihn: »Wie kommt es, dass du meinen Diener hingeworfen hast?« »Meine Kraft stammt vom Bären«, antwortete er. »Wirklich?« sagte der Minister, »so bleibe du als Diener bei mir.« Er war damit einverstanden.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 255-259.
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