LXV.

[266] Die Geschichte des Fuchses, welche der Derwisch dem Statthalter von Baghdad erzälte, wofür er ein Kleid und ein Pferd erhielt.

Es war einmal ein Fuchs, der traf einen Hasen und sagte zu ihm: »Komm, wir wollen Brüder werden.« »Es sei«, antwortete dieser. Da gingen sie weiter und trafen einen Wolf an. »Wolf!« riefen sie. »Ja!« »Komm, wir wollen Brüder werden.« »Es sei.« Da gingen sie ihrer drei weiter und erblickten ein Pferd. »Pferd!« riefen sie. »Ja!« »Komm, wir wollen Brüder werden.« »Es sei.« Da gingen sie ihrer viere weiter. Sie wurden durstig und fanden kein Wasser: da stiegen sie zu einer Cisterne hinunter und tranken, konnten aber nicht wieder hinauf kommen. Als sie nun beinahe Hungers starben, sagten sie: »Was wollen wir tun? wir sind hungrig, wir wollen den Hasen schlachten und ihn essen.« Sie schlachteten ihn und frassen ihn auf; dann sagte der Fuchs zum Pferde: »Wir wollen den Wolf schlachten.« Sie taten es und frassen ihn auf. Nun blieb noch der Fuchs und das Pferd, und als das Pferd schlief, erwürgte es der Fuchs, und nun blieb der Fuchs allein übrig. Da kam ein Hirte und wollte Wasser aufziehen für seine Ziegen, der Fuchs aber schwang sich an dem[266] Seile in die Höhe; der Hirte zog ihn hinauf und brachte ihn heraus. Der Fuchs machte sich davon und dachte: »Ich will in der Welt herumstreifen.« Er ging zu einer Höle und legte sich bei der Oeffnung derselben nieder; aber eine Bärin kam heraus und lief hinter dem Fuchs drein; der floh. Da traf die Bärin einen Hirten, ergriff ihn und nahm ihn mit. Darauf liess sie ihn in ihre Höle kriechen und in ihr Zimmer hineingehen. Der Hirte dachte: »O Gott, was will sie mit mir machen? wird sie mich tödten, oder wird sie mich am Leben lassen?« Als es Nacht wurde, setzte sie dem Manne Speise vor, und er ass; wie es aber Schlafenszeit wurde, packte sie den Jüngling und zog ihn zu sich; dann legte sie sich nach Art der Weiber hin und griff nach seinem Gliede; da wohnte er ihr bei. So sassen sie täglich beisammen bis zum Abend, und Nachts wohnte er ihr bei. So blieb der Hirte ein Jahr bei der Affenmutter, und sie bekam eine Tochter von ihm, die war sehr schön. Sieben Jahre blieb der Hirte bei der Affenmutter, ohne hinauszukommen; eines Tages aber ging er hinaus, wärend sie auf die Jagd gegangen war; er floh davon und kam in seine Heimat. Die Leute fragten ihn: »Hirte, wo bist du gewesen?« »Ihr habt das nicht erfahren?« antwortete er; »was über mein Haupt gekommen ist, ist noch über Niemandes Haupt gekommen.« »Wie so denn?« fragte man ihn. »Die Affenmutter hat mich mit sich genommen«, erzälte er, »und hat mich in ihre Höle geführt; dann hat sie mich in ein Zimmer gebracht und mich zu ihrem Manne gemacht, und eine Tochter habe ich von ihr bekommen; sieben Jahre war ich bei ihr, da ist sie auf die Jagd gegangen, und ich bin entflohen; so ist's mir ergangen.« Sie antworteten: »Gott hat dich beschützt.«

Als die Affenmutter nach Hause kam, fand sie ihre Tochter in Thränen. »Warum weinst du?« fragte sie. »Mein Vater ist verschwunden«, antwortete jene; »es sind nun zehn Tage her, seit er nicht mehr nach Hause gekommen ist.« Da nahm sie ihre Tochter bei der Hand, und sie gingen hinaus, um nach dem Hirten zu suchen. Darauf sagte die Tochter: »Mutter, ich bin müde geworden.« »Bleibe hier, mein Töchterchen«, sagte die Affenmutter; »ich will gehen und deinen Vater suchen.« Das Mädchen legte sich schlafen; so fand es ein Fürst, der auf die Jagd gegangen war. »Mädchen!« rief er, »woher bist du?« Sie aber antwortete nicht, denn sie verstand seine Sprache nicht. »Warum bist du hier?« fragte er, aber sie redete nicht. Da nahm er sie mit sich nach Hause und verheiratete sie an seinen Sohn; sie war[267] so schön, dass man sie für eine Gurdsch halten konnte. Sein Sohn heiratete. Ein Jahr war es, dass das Mädchen sich bei dem Sohne des Fürsten befand, ohne die Sprache der Leute zu verstehen, da nahm sie eines Tages den Jüngling am Arm und wollte ihn mit fortziehen; der Fürst sagte: »Folge ihr, damit wir sehen, wohin sie geht.« Da ging der Prinz mit dem Mädchen, und sie führte ihn zu der Höle, worin die Affenmutter sass und weinte. »Mutter«, rief sie, »weine doch nicht,« Nun freute sich ihre Mutter, und das Mädchen ging mit ihrem jungen Manne hinein. Er sah sich um und verlor seine Besinnung, wie ein von Brantwein Trunkener, denn die Affenmutter wollte ihn fressen. Aber das Mädchen sagte: »Mutter, das ist mein Ehemann.« Da sagte sie: »So ist es gut, mein Kind.« Darauf nahm die Affenmutter sie mit und öffnete ein Zimmer unter der Erde, sie traten hinein und kamen wieder heraus in einer andern Welt, einer schönen Welt, die ganz aus Baum- und Fruchtgärten bestand, in der Heimat der Affen. Sie haben die Gewohnheit, dass die Töchter ihre Männer mitnehmen und alle zusammen in einen Garten gehen, um sich zu belustigen, daher nahm auch das Mädchen den Prinzen mit unter sie. Da schaute die Tochter des Affenkönigs auf, erblickte den Prinzen und sagte: »Ich will ihn für mich haben.« Man warf ihr ein: »Du hast ja einen Mann.« »Nein«, sagte sie, »ich will diesen haben, gewiss, ich will ihn haben.« Da führte man ihn zum Affenkönig; dieser beschaute ihn und sagte: »Knabe, woher bist du?« »O König«, antwortete dieser, »ich habe mich verirrt.« »Sprich«, sagte der König, »meine Tochter hat sich in dich verliebt; wenn sie sich nicht in dich verliebt hätte, so hätte ich dir den Kopf abgeschlagen.« »O König«, erwiderte er, »ich bin ganz in deiner Gewalt.« Da kam die Tochter des Königs in das Ratszimmer, fasste den Jüngling beim Arm und sagte: »Komm, was will mein Vater tun?« Sie führte ihn auf ihr Zimmer, dann verriegelten sie die Thüre, setzten sich hin und vergnügten sich; sie heirateten einander, und er blieb zehn Jahre lang bei ihr und bekam von ihr einen Jungen. Eines Tages weinte ihr Mann, der Prinz; da fragte sie ihn: »Warum weinst du?« Er sagte: »Mein Vaterland ist mir in den Sinn gekommen.« »Hast du denn ein Vaterland?« fragte sie ihn. »Ja«, antwortete er, »mein Vater ist König«; (er sagte nicht »Fürst«, weil man dort keine Fürsten kennt). »Aber wie soll's denn werden?« fragte sie. »Du weisst es«, antwortete er. »Warte«, sagte sie. Eines Tages erblickte das Mädchen den Glücksvogel, den Courier ihres Vaters, und rief ihn:[268] »Glücksvogel!« »Was gibts?« »Ich verlange von dir«, antwortete sie, »dass du mich und meinen Mann und meinen Sohn auf die Oberfläche der Menschenwelt tragest.« »Gerne«, antwortete dieser. Da Stiegen sie auf ihn, und er flog hoch empor. Sie gelangten in's Land der Halbmenschen, und stiegen ab, um auszuruhen; aber die Halbmenschen, Männer und Weiber, schrieen und packten sie; darauf führten sie sie zum König der Halbmenschen. Als das Mädchen vor denselben trat, fragte er sie: »Woher seid ihr?« »Ich bin die Tochter des Affenkönigs.« »Und wer ist dieser da?« »Mein Mann«, sagte sie. »Und wer ist der da?« »Mein Sohn«, antwortete sie. »Bleibt hier«, befal er, »bis ich Botschaft an deinen Vater gesandt habe, dann reist wieder weiter.« »So schicke denn hin«, sagte sie. Er rief: »Glücksvogel!« »Ja!« »Geh, hole mir einen Brief vom Affenkönig und komm zurück.« Da schrieb das Mädchen einen Brief, drückte das Siegel ihres Vaters, welches sie bei sich hatte, darauf und gab dem Glücksvogel das Schreiben. Dieser flog davon, kehrte wieder zurück und überbrachte dem König der Halbmenschen das Schreiben. Der las es, besah das Siegel und sagte: »Geh.« Als er ihnen so die Erlaubniss fortzugehen gegeben hatte, stiegen sie wieder auf den Glücksvogel, und der flog hoch empor. Darnach kam er in die Heimat der Nackten, das Land der Hunde; die Tochter des Königs aber sagte: »Glücksvogel!« »Ja!« »Fliege hoch, wir wollen hier nicht absteigen.« Da blickten die Nackten auf und sahen einen Vogel, der flog und hatte einen Menschen bei sich; da schrieen sie, so dass Erde und Himmel erbebten und grosser Staub entstand. Da flog der Vogel nach oben und kam auf die Oberfläche der Menschenwelt hinaus. »O Gott, Dir sei Dank«, sagte der Prinz; »Glücksvogel!« »Ja!« »Kehre zurück, es ist genug.« Da kehrte der Vogel zurück, und sie gingen zu Fuss weiter. –. Dar auftrafen sie einen Kaufmann an, der Prinz rief ihn an: »Kaufmann, lass meine Frau und meinen Sohn bis zur Stadt Baçra reiten; ich werde dir den Lohn dafür zalen.« »Ja«, antwortete dieser, und sie reisten weiter; er brachte sie hin und liess sie in der Herberge absteigen. Der junge Mann, das heisst der Prinz, sagte: »Kaufmann!« »Ja!« »Komm mit mir.« »Wohin?« »In den Palast zu meinem Vater«, antwortete jener. Da nahm ihn der junge Mann mit; sie gingen hin, traten vor den Fürsten und setzten sich. Der Fürst aber schaute ihn an und fragte: »Wer seid ihr?« »Ich bin dein Sohn«, sagte er; da freuten sich alle. »Und wer ist dieser da?« »Dieser ist ein Kaufmann.«[269] »Und wer ist dieser da?« »Das ist mein Sohn.« »Und wer ist diese da?« »Das ist meine Frau.« Darauf gab er dem Kaufmann seinen Lohn, und dieser ging ab. »Mein Sohn«, sagte der Fürst. »Was ist?« fragte dieser. »Erzäle mir deine Geschichte.« »Vater«, antwortete er, »meine Geschichte ist lang, ich will sie dir auf Arabisch erzälen.« –.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 266-270.
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