LXVII.

[274] Man erzält: Es war einmal – was aber auch immer war, besser als Gott im Himmel war nichts – es war einmal ein Bär,[274] der hatte einen Sohn; diesem Sohne führte er eine Frau heim. Da rief er dem Wolf, dem Fachs und dem Hund und lud dieselben zum Hochzeitsschmause seines Sohnes ein. Der Bär besass aber einen Stein in einem Siegelring, das war der Stein des Reichtums und des Besitzes. Nun hatte er auch eine Sclavin, und zu dieser sagte der Wolf: »Kannst du jenen Stein mir nicht stehlen?« »Freilich«, antwortete jene. »Wo ist er?« fragte er. »Er steckt in der Nase der Bärin«, antwortete sie. Als die Bärin schlief, ging die Sclavin hin und zog ihr den Ring aus der Nase, kam zurück und rief: »Wolf!« »Ja!« »Da nimm ihn.« Der Wolf nahm ihn mit und ging nach Hause; dort rieb erden Stein und sprach: »O Herr, gib mir Goldstücke.« Da gab er ihm Goldstücke. Dann rieb er ihn wieder und sagte: »O Herr, gib mir alle Reichtümer des Bären, und seine Frau und seine Schwiegertochter mögen zu mir kommen, und der Bär mit seinem Sohne möge in eine Cisterne fallen und nicht heraus kommen können, bis ich sie daraus befreie.« Da geschah es, wie er gewünscht hatte, und der Wolf wurde reich. Darauf kam der Fuchs zum Wolf und klagte ihm: »Bruder! wir sterben fast vor Hunger, ich und meine Kleinen.« »Was willst du denn?« fragte jener. »So gib uns doch etwas Geld«, bat dieser. Da versetzte der Wolf dem Fuchs einen Schlag und verfolgte ihn. Der Fuchs aber rief: »Gott möge dich schlagen; warum schlägst du mich?« Der Fuchs lief nach Hause. Als er zur Wohnung des Bären kam, fand er diesen in der Cisterne. »Fuchs«, rief er aus der Cisterne heraus, »ziehe mich doch aus der Cisterne.« »Bruder«, antwortete dieser, »ich kann dich nicht herausziehen; aber wir wollen eine Beratung anstellen, ich und der Hund und die Katze und der Hase und wollen den Ring suchen.« Da rief der Fuchs dem Hund, dem Hasen und der Katze; der Fuchs aber war das Oberhaupt des Rates, daher sprach er: »Hund, gehe du in Begleitung des Hasen und der Katze den Ring suchen; wenn ihr ihn bringt, können wir den Bären aus der Cisterne herausziehen, und er wird uns dafür reichliches Fressen geben.« Der Hund erwiderte: »Ich will mit der Katze gehen, bis wir an's Wasser kommen; dann mag die Katze auf mich steigen, dass ich sie hinübertrage; aber dann soll die Katze gehen und unter der Thüre durchschlüpfen und nach dem Ringe suchen, wärend ich auf sie warten will, bis sie ihn herausgebracht hat; dann soll sie wiederum auf mich steigen, und ich will sie über das Wasser zurücktragen.« Die Katze erklärte sich damit einverstanden. Da zogen der Hund und die Katze zum Hause des[275] Wolfes. Die Katze ging hinein, die Leute des Wolfes erblickten sie aber und sagten: »Diese Katze ist eine Fremde.« Als die Sonne untergegangen war, legten sich die Angehörigen des Wolfes zur Kühe; der Wolf aber sprach zu seinem Weibe: »Nimm den Ring zu dir.« Die Frau des Wolfes jedoch entgegnete: »Behalte ihn nur selber.« Da steckte ihn der Wolf in sein Maul und schlief ein. Hierauf suchte die Katze nach Tabak, sie fand welchen, machte daraus eine Prise Schnupftabak und streute dieselbe in die Nase des Wolfes. Der Wolf nieste, und dabei flog der Ring ihm aus dem Maule. Die Katze raffte schnell den Stein auf, doch der Wolf lief hinter ihr her. Sie schlüpfte unter die Thüre; aber der Wolf packte sie am Schwanze, da kam auch der Hund und zog an der Katze, wärend der Wolf sie am Schwanze zerrte; auf diese Weise rissen sie ihr den Schwanz aus; aber sie machte sich mit dem Hunde davon. Als sie an's Wasser gelangten, setzte sie sich dem Hunde auf den Rücken. Da sagte der Hund: »Zeige mir doch den King, Katze!« »Nein«, entgegnete diese, »ich habe ihn ja bei mir; nur vorwärts; du lassest ihn fallen!« Sie setzten an das jenseitige Ufer über. Da schlug der Hund vor: »Katze, wir wollen hier uns etwas schlafen legen und ausruhen.« »Nein«, sagte jene, »komm lass uns gehen!« »Nein, wir wollen schlafen; denn wir sind müde geworden.« Da legten sich der Hund und die Katze schlafen. Unterdessen kam der Fuchs und rief der Katze leise; sie ging zum Fuchs. »Habt ihr den King mitgebracht?« fragte dieser. »Ja.« »So gib ihn mir.« »Nein, ich gebe ihn nicht her«, erwiderte sie. Da warf der Fuchs sie zu Boden und entriss ihr den Ring. »Gib mir den Ring zurück«, sagte die Katze. »Ich habe ihn gar nicht gesehen«, log der Fuchs. Die Katze aber kam zum Hunde zurück und rief: »Hund!« »Ja!« »Ich bin mit dem Fuchs in Streit geraten; dabei ist mir der Ring zum Maul heraus gefallen, und ich weiss nicht, wohin er geraten ist, ich forderte ihn vom Fuchs zurück, aber der behauptete, ihn gar nicht gesehen zu haben.« Der Hund erwiderte: »Ich will eine Grube machen und in dieselbe hineinschlüpfen; dann decke mich mit Heu zu, nur meine Augen lass draussen!« (so befiehlt er der Katze) »und rufe den Fuchs herbei, sage ihm: Komm, schwöre bei dem Wallfahrtsort Blauaugen.« Sie machten eine Grube, dann deckte die Katze den Hund mit Heu zu und liess nur seine Augen frei. Diese aber funkelten zwischen dem Heu. Dann ging die Katze den Fuchs suchen; der Fuchs und der Hase waren beisammen, die Katze rief ihm: »Fuchs!« »Ja!« »Gib mir den Ring zurück.«[276] »Ich habe ihn nicht gesehen!« »So komm und beschwöre dies bei dem Wallfahrtsort.« Der Fuchs erklärte sich dazu bereit. Darauf machten sich der Hase, der Fuchs und die Katze auf zum Wallfahrtsort. Der Hase aber schaute hin, bekam Furcht und sprach »Nein, bei meiner Treu, ich habe Kinder«, und entfloh. Der Fuchs hingegen kam, trat an den Wallfahrtsort heran, und sprach: »Bei diesem Wallfahrtsort schwöre ich, ich habe den Ring nicht gesehen.« Noch war das Wort im Munde des Fuchses, als der Hund ihn niederwarf und mit dem Rufe: »Da ist er, da ist er«, ihm den Ring abnahm. Nun brachte er denselben zu der Wohnung des Bären; sie traten an die Oeffnung der Cisterne, worin der Bär sass. »Bär«, rief der Hund, »ich habe den Ring mitgebracht.« »So gib ihn der Katze, damit sie ihn mir in die Cisterne hinunterbringe.« Da brachte die Katze den Ring hinunter; der Bär rieb ihn und sprach: »Schnell, mögen wir aus der Cisterne hinauskommen!« Sie wurden befreit und setzten sich in's Zimmer, der Bär, sein Sohn, der Hund und die Katze. »Katze«, fragte er, »sind unsre Weiber im Hause des Wolfes?« »Ja.« Da rieb der Bär den Ring wieder und sprach: »Es soll all mein Reichtum, meine Weiber und die Frau des Wolfes hierherkommen.« Da kamen sie alle. »Hund!« rief der Bär. »Ja!« »Ich will den Schakal, die Frau des Wolfes, dir antrauen.« »Gut«, antwortete dieser, und jener traute sie ihm an; der Hund aber blieb als Diener im Hause des Bären.

Unterdessen machte sich der Wolf auf, ergriff ein Gewehr und kam heimlich heran; wie er den Hund erblickte, legte er das Gewehr auf ihn an und erschoss ihn; er selbst machte sich davon. Hierauf schickte der Bär den Fuchs mit dem Befehl: »Geh suche den Wolf, und sieh, wo er ist; wenn du ihn gefunden hast, so komm, sage mir's.« Der Fuchs ging und suchte den Wolf; da sah er einen Vogel. »O Vogel!« rief er. »Ja!« »Hast du den Wolf hier nicht vorübergehen sehen?« »Freilich habe ich ihn hier gesehen!« »Wohin ist er gegangen?« »Er ist wie auf der Flucht weitergegangen.« Da kam der Fuchs zu einer Ebene, wie die des Hawaii. Er sah, dass alle Leute am Pflügen waren; daher legte er sich im Gebirge schlafen. Aber die Leute liessen ihre Pflughölzer auf den Feldern liegen, und der Fuchs ging hin und frass die Riemen der Pflughölzer auf. Als die Bauern kamen, um zu pflügen, fanden sie die Pflughölzer von einander gelöst und fragten: »Wer hat das getan an den Pflughölzern?« »Der Fuchs«, hiess es. Hierauf fiel Regen; die Bauern sammelten Asche und[277] streuten dieselbe auf den Boden; als der Fuchs herauskam, drückten sich die Spuren seiner Füsse ab, und jene erkannten, dass der Fuchs die Riemen gefressen hatte. Der Fuchs schlüpfte in sein Loch, aber auch die Bauern kamen dorthin, doch konnten sie ihn nicht herausholen. Da kam der Esel und fragte: »Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch den Fuchs fange.« Sie versprachen ihm einen Futtersack voll Gerste. Hierauf legte sich der Esel vor das Loch hin, hob sein Bein in die Höhe und liess seine Hoden herabhängen. Der Fuchs kam, trat aus dem Loch hinaus und betastete den Kopf des Esels; dieser aber stellte sich todt; da streckte er seine Pfote in das Ohr des Esels hinein; der Esel verhielt sich ruhig; jener streckte seine Pfote in die Nase des Esels; der Esel sagte kein Wort. Da griff er nach den Hoden des Esels; nun presste dieser seine Kniee um den Kopf des Fuchses; der Fuchs aber rief: »Pardon, Esel, ich habe einen Festschmaus veranstaltet und bin gekommen dich dazu einzuladen; da du nicht erwachtest, packte ich dich an den Hoden, um dich zu wecken.« »Das ist nicht wahr«, sagte der Esel, und rief die Bauern; diese kamen und packten den Fuchs; sie zogen ihm die Haut ab und wickelten dieselbe um die Pflughölzer, darauf liessen sie ihn laufen.

Weiter ging der Fuchs und heulte kläglich, weil ihn der Wind traf; er kam zum Bären, und dieser fragte ihn: »Wie bist du in diesen Zustand geraten, Fuchs?« »Man hat mir die Haut abgezogen«, antwortete dieser. »Wer das?« »Die Bauern.« »Da hast du jedenfalls einen schlechten Streich gemacht.« »Ich war hungrig«, erzälte er, »und frass desshalb etwas von den Riemen.« »Warum hast du sie gefressen?« »Es ist nun geschehen, ich habe gefehlt.« – Die Maus aber sagte zum Bären: »Bei meiner Treu, der Kater hat dem Wolfe den Aufenthaltsort des Hundes verraten; darauf ist der Wolf gekommen und hat ihn getödtet.« In Folge dessen zog der Bär dem Kater die Haut ab, indem er sagte: »Du also hast durch dein Plaudern den Tod des Hundes veranlagst!« Ohne Haut ging der Kater hin, rief den Mäusen und sagte: »Kommt, schliesst Frieden mit mir! ich will auf die Wallfahrt gehen«; dabei band er sich eine weisse Binde um den Kopf. Die Mäuse fragten; »Wo wollen wir mit einander Frieden schliessen?« »Im Backofen«, entgegnete der Kater. Der Kater schlüpfte in den Backofen, und alle Mäuse versammelten sich dort bei ihm; er sprach: »So schliesst, denn Frieden mit mir!« Sie antworteten: »Mache du Friedensvorschläge, da du doch unsre Väter getödtet hast.« Plötzlich zog der Kater seine Binde ab und steckte sie[278] in die Oeffnung des Backofens; dann stürzte er sich auf die Mäuse; da diese nicht im Stande waren zu entfliehen, frass er sie alle, indem er sprach: »Das ist meine Rache dafür, dass die Maus beim Bären gegen mich Zeugniss abgelegt hat.« Darauf bekam der Kater eine neue Haut. Er ging weiter, traf den Fuchs an, der rief: »Bruder!« »Ja!« antwortete der Kater. »Woher hast du dieses Fell?« »Oho, geh zum Henker«, entgegnete dieser; »ich bin die Mäuse fressen gegangen; davon ist mir ein neues Fell gewachsen.« »Warte!« sagte der Fuchs, »auch ich will gehen und mich mit dem Wolfe befreunden; dann wollen wir den Esel tödten, damit mir ein neues Fell wachse.« Der Fuchs ging hin und fand den Wolf; »Wolf!« rief er. »Ja!« »Bist du hungrig, oder bist du satt?« »Warhaftig ich sterbe fast vor Hunger«, antwortete dieser. »So wollen wir hingehen, den Esel holen und ihn tödten; willst du mich mitfressen lassen?« »Ja.« Der Fuchs ging hin und erblickte den Esel. »O Esel!« rief er, »man hat meinem Vetter eine Frau heimgeführt, und es ist eine so grosse Malzeit hergerichtet, dass Niemand es aufessen kann.« Der Esel fragte: »Werden wol auch Eselinnen zu dem Hochzeitsschmaus kommen?« »Ja freilich«, antwortete der Fuchs. »So lass uns gehen.« Da ging der Esel mit dem Fuchs. Unterwegs sprach der Fuchs zu ihm: »Lege dich hierhin, ich will gehen und dir eine Eselin herschicken!« »So geh«, antwortete jener, »aber halte dich nicht auf!« »Nein, nein.« »Und schicke mir eine junge und keine alte!« »Habe keine Furcht!« Der Fuchs indessen ging hin und rief dem Wolfe; dieser kam herzu, erblickte den Esel, wie er da lag, da biss er sich in den Bauch des Esels hinein und tödtete ihn. Dann frass der Wolf, aber als der Fuchs sich näherte, um zu fressen, liess es der Wolf nicht zu. Da wurde der Fuchs böse.

So traf ihn ein Vogel, der rief ihn an: »Wie bist du in diesen Zustand geraten, Fuchs?« »Ach«, antwortete dieser, »ich habe den Esel herbeigerufen; dann hat der Wolf denselben getödtet und lässt mich nun nicht von ihm fressen.« »Schmeckt dir denn das Eselsfleisch?« fragte jener. »Ja, ja, sehr!« »So komm und werde Priester bei uns, Priester der Vögel; dann kannst du jeden Tag Eselsfleisch fressen.« »Ist das wahr?« fragte der Fuchs. »Ja, bei Gott.« Da liess der Vogel den Fuchs aufsitzen und flog mit ihm davon; und wärend der Fuchs auf dem Rücken des Vogels: »Gott ausser Gott, und Muḥammed ist der Gesandte Gottes« declamirte, trug ihn der Vogel hoch in die Höhe. »Mein Gebet«, sagte der Fuchs, »ist ein vollkommen richtiges Gebet, und ich bin in den[279] Augen Gottes wol angesehen.« Da trug ihn der Vogel noch höher empor; dann warf er ihn ab, so dass er auf die Erde herunter fiel und seinen Rücken brach; »das fehlte noch«, sagte er, »dass ich Priester bei den Vögeln werden wollte«, und starb.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 274-280.
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