LXXIII.

[304] Es war einmal ein Fuchs; der hatte eine Frau und hatte Kinder; er wurde krank, und bald hatte er kein Geld mehr für seinen Lebensunterhalt; aber er besass eine Stute, die verkaufte er nun. Als er auch den Erlös der Stute verzehrt hatte, blieb ihm nichts mehr; daher sagte die Füchsin zu ihm: »Du bist nun gesund geworden; geh, hole uns etwas zu essen.« Der Fuchs machte sich auf, ging in ein Dorf und traf einen Mann; dieser sagte zu ihm: »Fuchs!« »Ja!« »Willst du nicht bei mir bleiben[304] als Hirt bei den Zicklein?« »Gern«, antwortete jener, »aber für wie viel den Monat?« »Den Monat für dreissig Piaster«, sagte der Mann, »also den Tag für einen Piaster.« »So sei es«, erwiderte der Fuchs, setzte sich zu den Zicklein und liess sie weiden, aber gleich an jenem Tage frass er ein Zicklein. Am Abend kam er nach Hause, und man sagte ihm nichts. So weidete der Fuchs einen Monat lang die Zicklein und verzehrte dabei zwanzig derselben; dann sagte er: »Ich will austreten.« »Wie du willst«, antwortete man ihm. »So gebt mir also meinen Lohn«, sagte er. »Wir wollen erst die Zicklein zälen«, antworteten jene. »Zält sie nur!« Als sie dieselben zälten, waren zwanzig zu wenig da. »Wo sind die Zicklein? Fuchs!« fragten sie. »Woher soll ich's wissen? Sie sind verloren gegangen, sind sie doch immer mit den Herden des Dorfes gelaufen.« Da suchten sie dieselben, fanden sie aber nicht; daher weigerten sie sich, dem Fuchs sein Geld zu geben. Weil er aber weinte und beteuerte, er sei ganz unbemittelt und habe Kinder und wisse nichts von den Zicklein, gaben sie ihm seinen Lohn, und der Dorfschulze bot ihm an, als Rinderhirt in Dienst zu treten. »Ja«, antwortete er, »das will ich tun.« »Die Rinder gehen nicht leicht verloren«, sagte der Dorfschulze zu ihm. So führte er nun die Rinder zur Weide und sammelte jeden Abend Brot bei den Eigentümern der Rinder ein; dieses Brot gab er jeden Abend einer alten Frau, daher wurde der Fuchs gleichsam der Sohn der Alten. Wärend er so die Rinder weidete, traf er einen Wolf an; dieser schlug ihm vor: »Gib mir jeden Tag ein Rind.« »Ja.« »Ich will es dann für Geld verkaufen, und das Geld teilen wir hernach unter einander.« »So soll es sein«, sagte der Fuchs und gab dem Wolf täglich ein Rind. Wenn die Eigentümer der Rinder fragten: »Wo bleiben denn unsre Rinder?« so antwortete er: »Der Wolf tödtet sie, und die Spitzbuben stehlen sie.« Darauf ergriffen sie den Fuchs und setzten ihn zehn Tage in's Gefängniss; da verbürgte sich die alte Frau für ihn und sagte: »Lasst ihn bei mir wohnen, bis ihr den Rindern nachgespürt habt.« – Der Fuchs aber traf den Wolf und fragte: »Wo ist das Geld für die Rinder?« »Welches Geld?« antwortete dieser. »Das Geld für die Rinder, welche ich dir gegeben habe.« »Die Rinder habe ich gefressen und nicht verkauft«, sagte dieser. Der Fuchs bat: »Komm doch heute Abend zu uns; ich will dich bewirten.« So brachte er den Wolf in's Haus der Alten, und sie setzten sich dort hin; darauf sagte der Fuchs zur[305] Alten: »Geh, sage dem Dorfschulzen: der Wolf, welcher die Kinder getödţet hat, ist zu uns gekommen; der Fuchs hat ihn dahingebracht.« Die Frau ging dies dem Dorfschulzen sagen; dieser machte sich auf, benachrichtigte die Einwohner des Dorfes, und sie kamen zum Hause der Alten. Daselbst fanden sie den Wolf, packten ihn und fragten: »Wo sind die Binder?« »Ich habe, sie gefressen«, antwortete dieser. »Warum hast du sie gefressen?« »Der Fuchs hat sie mir gegeben«, antwortete der Wolf. »Ist das die Wahrheit? Fuchs!« »Nein, er lügt«, sagte der Fuchs, »sondern er schlug mich immer und nahm sie mir weg.« Da packten sie den Wolf und tödteten ihn.

Der Fuchs aber machte sich des Nachts auf, stal das Geld, welches die alte Frau besass, und entfloh. Vor dem Dorfe aber floss ein Bach; der Fuchs trat in das Wasser hinein; aber dasselbe war zu tief; als er einsah, dass er nicht hinüber gelangen könne, sondern dass das Wasser ihn fortreissen und ersäufen würde, kehrte er um. Da erblickte er einen abgezehrten Esel und rief: »Esel!« »Ja!« »Was treibst du hier?« »Ich weide.« Der Fuchs sagte: »Geh zum Teufel, was für Weide gibt's denn hier!« »Wo denn sonst?« fragte jener. »Es ist dort eine Wiese, wenn du über das Wasser hinübergehst!« Der Esel antwortete: »Ich weiss nicht, wo das ist.« »Ich will dir's zeigen«, antwortete der Fuchs. »Auf denn!« »Komm, lass uns Brüder werden, Esel.« »Gut«, erwiderte dieser. Als der Esel in's Wasser hineintrat, rief der Fuchs: »Langsam, mein Bruder; ich möchte auf dir reiten!« Darauf setzte er sich auf den Esel, und sie gelangten an's jenseitige Ufer. Da trafen sie einen Widder an, der fragte: »Wohin geht ihr?« »Wir gehen auf die Wiese«, antworteten sie. »So will ich mit euch kommen!« »Komm nur!« Darauf trafen sie einen Hasen an und einen Hahn; die fragten ebenfalls: »Wohin?« »Wir gehen auf die Wiese«, antworteten jene. »So wollen wir mit euch kommen.« »Kommt nur!« Darauf zogen sie mit ihnen und gingen auf die Wiese; dort weideten sie, aber der Esel wurde krank und starb. »So kommt, wir wollen den Esel begraben«, sagte der Fuchs, »der Widder soll das Todtenhemd nähen; der Hase soll das Grab offen legen, und der Hahn soll Priester sein und die Leichenceremonien vollziehen.« »So soll es sein«, antworteten jene. Der Widder setzte sich wiederkäuend hin; der Hase scharrte den Boden auf, der Hahn recitirte, und der Fuchs weinte. Indem er weinte, nahm er die Rute des Esels in die Hand und rief aus: »Ach, mein Bruder, in wie viele Eselinnen ist diese Rute hineingegangen!«[306] So sprach der Fuchs unter Thränen. Dann gruben sie das Grab und bestatteten den Esel. –

Hierauf kam ein Wolf herbei, sah den Fuchs mit dem Widder, dem Hahn und dem Hasen und sagte: »Ich will gegen den Widder eine Klage erheben.« »Bei wem denn?« fragte der Fuchs. »Beim Fürsten der Wölfe.« »Aber wir geben ihn nicht her.« Da kämpften sie mit dem Wolf, und der Wolf biss den Fuchs, so dass er verwundet wurde. Der Widder aber war unterdessen so dick und fest wie eine Mauer geworden, so dass Niemand es mit ihm aufnehmen konnte. Der Fuchs ging auf listige Weise um ihn herum, konnte ihm aber nicht beikommen. Daher rief er: »Hahn!« »Ja!« »Wenn der Widder sich niederlegt, so picke ihm mit deinem Schnabel die Augen aus.« »Ja.« Als der Widder sich niederlegte, ging der Hahn zu ihm hin, pickte mit dem Schnabel auf ihn los und riss ihm ein Auge aus. Da erhob sich der Widder gegen ihn und rief: »Warum hast du mir mein Auge ausgerissen?« Der Hahn aber antwortete: »Es hatte sich eine Fliege auf deine Augenbraue niedergesetzt; ich wollte die Fliege mit meinem Schnabel fangen; da geriet dir derselbe in's Auge.« »Es hat nichts zu sagen«, meinte der Fuchs, »du musst nun mit einem Auge leben.« Der Hase aber sagte: »Lege dich nieder, ich will dein Auge heilen.« Als der Widder sich niederlegte, kam der Hahn wieder und pickte ihm das andere Auge aus; da wurde der Widder wütend; aber er war blind und konnte nichts sehen. Darauf ging der Fuchs um ihn herum, packte seinen Fettschwanz und verzehrte ihn; dann warf er den Widder zu Boden. Aber dieser erhob sich, packte den Fuchs, warf ihn unter sich, und stiess ihn mit den Hörnern. Der Fuchs schrie: »Ich bin es, Widder!« »Wer bist du?« »Der Fuchs bin ich!« »Wer hat meinen Fettschwanz gefressen?« fragte jener. »Der Wolf«, antwortete dieser. Da liess der Widder ihn los und kauerte sich nieder; der Fuchs aber packte ihn am Bauch und zerfleischte ihn; zehn Tage frass er an dem Widder, bis er damit fertig wurde. Nun blieb noch der Hase und der Hahn übrig. »Hahn«, rief der Fuchs, »biete dem Hasen an, du wollest ihn lausen; dann wollen wir ihn erwürgen.« »Gut.« Darauf rief der Hahn: »Hase! komm, ich will dich lausen!« »Komm nur!« Wärend aber der Hahn ihn lauste, packte der Fuchs ihn an der Gurgel und erwürgte ihn; dann verzehrte er ihn, und nun blieb nur noch der Hahn übrig. – »Hahn!« rief der Fuchs. »Ja!« »Komm, wir wollen uns schlafen legen!« »Ich mag nicht schlafen«, antwortete der Hahn. »Warum nicht?« »Du willst mich tödten.«[307] »Habe keine Furcht; wir sind ja Brüder«; dann schlug er seinem Begleiter vor, weiter zu gehen. Da gingen sie zu einem Dorfe, bei welchem sich eine Höle befand; dort sagte der Fuchs: »Hahn! komm, lass uns einander schwören, dass wir Brüder sein wollen.« Da schworen sie einander, und der Hahn glaubte daran. »He du!« rief der Fuchs, »hole mir doch zwanzig Hühner aus jenem Dorfe; locke sie durch Krähen, damit sie zu dir kommen, du bist ja ein Hahn.« »Ja, Bruder; habe keine Angst, ich will sie dir herbeibringen«, antwortete dieser. Darauf lockte er zwanzig Hühner durch sein Hufen herbei; der Fuchs aber versteckte sich in der Höle; jene kamen in die Höle hinein, und der Hahn trat sie an ihrem Steisse; der Fuchs lachte dazu. Dann trat der Fuchs an die Oeffnung der Höle und rief: »Hahn!« »Ja!« »Steige auf ihren Rücken und tritt sie an ihrem Steisse, damit sie Eier legen.« Da stieg der Hahn auf den Rücken eines jeden; hierauf aber sagte der Fuchs: »Hebe dich nun weg, Bruder! jetzt kommt die Reihe an mich, dass ich sie Eier legen mache.« Mit diesen Worten stürtzte sich der Fuchs mitten unter sie, tödtete alle und verzehrte sie. – Die Bauern lauerten aber dem Hahn auf; denn sie sagten: »Unsre Hühner sind verschwunden«; und andere meinten: »Gewiss, der wilde Hahn hat sie weggelockt«; daher lauerten sie ihm mit den Flinten auf. Inzwischen schickte der Fuchs den Hahn ein zweites mal aus, ihm Hühner zu holen. Als aber der Hahn hinkam und die Hühner lockte, schössen sie zehn Flintenschüsse auf ihn ab, wovon einer ihn traf; so tödteten sie ihn. Der Fuchs aber ging, sowie er den Schall der Flintenschüsse hörte, aus der Höle hinaus, sah, dass sie den Hahn getödtet hatten, und ergriff die Flucht. –

Hierauf kam er vor das Thor einer Stadt; dort traf er einen Kaufmann an und schlich sich, da es Nacht war, unter die Warenballen desselben; daselbst fand er ein Fass voll Käse, öffnete dasselbe und frass von dem Käse. Die Diener sahen, dass das Fass offen war, und verschlossen es wieder; der Fuchs blieb drinnen im Fasse. Darauf legte man die Fässer in Transportsäcke und lud sie auf, wärend der Fuchs sich noch immer im Innern des Fasses befand. »Nun ist's aus mit mir«, dachte er, »denn man wird mich tödten; nun, wenn sie mich doch tödten, will ich auch allen Käse auffressen.« Der Kaufmann reiste in eine andere Stadt und verkaufte die Fässer mit Käse. Der Käufer beschaute zwei Fässer und sah, dass der Käse gut war; daher öffnete er das Fass mit dem Fuchse nicht; jedes Fass kaufte er für fünfzehnhundert Piaster. Darauf liess[308] er die Fässer in die Warenhalle legen und rief Lastträger herbei, dieselben nach seinem Hause zu schaffen. Die Lastträger wurden mit dem Transport fertig; nur das Fass des Fuchses blieb noch als letztes übrig. Die Lastträger sagten: »Dieses Fass ist leicht!« und als sie damit zur Wohnung des Käufers kamen, öffnete dieser dasselbe. Da kam ein Fuchs heraus; den fingen sie, legten ihm eine Kette um den Hals und banden ihn fest an. Darauf suchten sie den Kaufmann auf, riefen ihn und sagten: »Du hast uns ein leeres Fass verkauft, worin sich ein Fuchs befand.« Der Kaufmann kam herbei, betrachtete das Fass und sah den gefangenen Fuchs. »Ihr lügt«, sagte er, »mein Fass war voll Käse.« Darauf verklagten der Kaufmann und der Käufer einander; aber man sagte zu Letzterem: »Du hast das Fass gekauft; nun ist's vorbei; so spricht das Gesetz; hättest du deine Augen geöffnet und zugesehen!« Hierauf kehrte der Käufer zurück, der Kaufmann reiste ab; der Fuchs aber blieb ein ganzes Jahr gefangen. – Jener Käufer des Käses hatte eine kleine Tochter, welche den Hof kehrte; einmal rief diese: »Fuchs!« »Ja!« »Ich mag nicht kehren; komm, kehre du!« »Komm«, antwortete er, »mach mich los, so will ich kehren.« Sie wollte ihn los machen, er aber sagte: »Geh, suche den Schlüssel zum Schloss meiner Fessel, öffne es und entferne die Fessel von meinem Hals, dann will ich kehren.« »Ja«, antwortete sie und ging den Schlüssel suchen, denn sie war jung. Sie fand denselben unter dem Kopfkissen ihres Vaters und brachte ihn herbei. Der Fuchs sprach: »Stecke ihn hier in das Schloss der Fessel hinein.« Das tat sie; der Fuchs drehte den Schlüssel um und befreite seinen Hals aus der Fessel; dann sagte er zu dem Mädchen: »Ich gehe schnell mein Wasser abschlagen; ich komme gleich wieder, um zu kehren.« »Geh, aber verweile nicht, sondern komm wieder.« »Ja«, antwortete er. Jedoch der Fuchs ging hinaus und ergriff die Flucht; Niemand wusste, wohin er gegangen war. Als der Käufer des Käses hinzukam und den Fuchs nicht mehr erblickte, fragte er: »Wer hat den Fuchs los gemacht?« »Wir wissen es nicht«, antworteten sie; nur das Töchterchen sagte: »Ich; ich habe zu ihm gesagt: ›Komm, kehre‹; und er antwortete: ›Höle erst den Schlüssel‹; da habe ich den Schlüssel geholt, und er hat die Fessel los gemacht; dann sagte er: ›Ich will hinaus gehen, mein Wasser abzuschlagen‹, und hat sich auf und davon gemacht.« – Da tödtete der Mann seine Tochter; denn er sagte: »Ich habe um des Fuchses willen fünfzehnhundert Piaster verloren, und ihr habt ihn frei gelassen!« – Darauf schimpfte[309] seine Frau ihn aus und sagte: »Warum hast du deine Tochter getödtet?« Da tödtete er auch seine Frau. Darauf schimpfte ihn sein Sohn aus und fragte: »Warum hast du meine Mutter getödtet?« Da tödtete er auch seinen Sohn. Darauf kamen seine Verwandten und fragten: »Warum hast du deinen Sohn getödtet?« »Darum«, antwortete er. Da tödteten sie ihn, und sein Haus fiel dem Fiscus anheim. Der Fuchs aber kam unterdessen nach Hause; dort fand er seine Frau und seine Kinder alle todt; da barst er vor Grimm über den Verlust seiner Kinder.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 304-310.
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