LXXV.

[316] Es war einmal ein Reicher, der pflegte Brantwein zu trinken und mit Würfeln zu spielen; so vergeudete er seine Habe, bis ihm nichts mehr übrig blieb. Seine Frau verliess ihn aus Aerger darüber und ging zu ihrem Vater zurück; er blieb allein und starb fast Hungers; denn Niemand reichte ihm Brot. Daher verdang er sich als Knecht; da er aber nicht im Stande war, ein Geschäft zu verrichten, trat er wieder aus dem Dienste und ging in's Gebirge, woselbst er sich hinter einer Mauer schlafen legte. Es lebte dort ein Fuchs, und dieser kam und trat an den Mann heran, wärend derselbe noch wach war und nur seine Augen fest geschlossen hatte; der Fuchs beleckte das Gesicht des Mannes, dieser aber packte ihn am Beine und hielt ihn fest. »Lass mich los, bei deinem Heil!« rief dieser. »Nein, warhaftig«, antwortete jener, »ich lasse dich nicht los; denn du bist gekommen und hast mein Gesicht beleckt.« Wie auch der Fuchs sich anstellte, jener liess ihn nicht los, sondern nahm ihn mit nach Nisibis hinunter, um ihn zu verkaufen. Als er an einem Backofen vorbeiging, suchte er ihn dem Bäcker um Brot zu verhandeln. Da war aber auch ein Kaufmann, der sah dem Handel zu; der Bäcker bot jenem ein Pfund Brot dafür, und er wollte ihn ihm eben verkaufen, als der Kaufmann ihm winkte und sagte: »Ich will dir anderthalb Pfund dafür geben.« Hierauf ging der Mann mit dem Kaufmann fort, und sie gelangten auf den Trödelmarkt; die Mäkler nahmen ihm den Fuchs aus der Hand, und die Ladenbesitzer steigerten, bis er auf zwanzig Piaster kam; der Kaufmann aber gab ihm dreissig Piaster dafür, indem er dachte: »Ich will ihn mitnehmen, damit meine Kinder sich an ihm ergötzen.« Er kaufte ihn daher und[316] band ihn in der Herberge bei seinen Warenballen an. Nachdem der Kaufmann sich gerüstet hatte, nach Hause zu ziehen, setzte er den Fuchs auf das Maultier hinauf. Da rief der Fuchs: »Kaufmann, bei deinem Heil, lass mich hinunter, ein Bedürfniss zu verrichten.« »Aber wenn du entfliehst!« versetzte dieser. »Wie soll ich entfliehen?« sagte der Fuchs und schwor ihm, es nicht zu tun. Hierauf setzten sie ihn hinunter, damit er sein Bedürfniss verrichte; der Knecht aber hielt ihn mit der Hand fest; unterdessen begannen die Pferde gegen einander zu schlagen, und der Knecht sah nach denselben; dadurch wurde seine Aufmerksamkeit von dem Fuchs abgelenkt, und er liess denselben los, und dieser entfloh. »Ha Schurke«, rief der Kaufmann; aber der Fuchs entfloh. Da stiegen die Knechte und der Kaufmann zu Pferde und sprengten dem Fuchs nach, indem sie die Maultiere im Stich liessen; unterdessen kam eine Schar Beduinen und nahm die Maultiere nebst den Warenballen weg. Der Kaufmann aber mit seinen Dienern suchte den Fuchs, und als dieser in ein Dorf hineinschlüpfte, gingen auch jene hin; alle Einwohner wurden aufgeboten, alle suchten den Fuchs; endlich nahmen sie ihn fest. Wie sie aber zu ihren Maultieren zurückkehrten, fanden sie dieselben nicht und fragten einander: »Wer hat die Maultiere weggeführt?« »Wir wissen es nicht«, sagten andere. Da schlug der Kaufmann den Fuchs, indem er sagte: »Um deinetwillen hat man die Maultiere mit den Warenballen entführt.« Unterdessen kam eine Bärin und begegnete ihnen. »Was macht ihr?« fragte sie. »Der Fuchs war entflohen«, antworteten jene, »wir aber haben ihn verfolgt und dabei die Maultiere zurückgelassen; nun wissen wir nicht, wer sie entführt hat.« Die Bärin fragte den Kaufmann: »Willst du mir den Fuchs geben, wenn ich dir sage, wer jene entführt hat?« »Ja, ich will ihn dir geben.« »Die Ṭai-Beduinen haben sie weggenommen, geh, du wirst sie bei ihnen finden; gib mir nun den Fuchs!«. Der Kaufmann übergab ihr den Fuchs, dann zog er unter die Beduinen und forderte seine Maultiere zurück; jene aber brachten ihn nebst seinen Dienern um. –

Die Bärin nahm den Fuchs mit fort und ging nach Hause. Sie hatte aber eine Schwester, die war blind und lahm. Da sagte die Bärin: »Fuchs, komm! entweder schwöre mir, dass du nicht entfliehen willst, oder ich tödte dich.« »Ich will's dir schwören«, antwortete der Fuchs und schwor es ihr. Darauf liess sie ihn sich zu ihr legen. – Wenn die Bärin auf die Jagd ging, blieb[317] die Blinde zu Hause; sie band den Fuchs an und setzte sich zu ihm hin; aber der Fuchs sagte kein Wort. Darauf bat die Blinde den Fuchs: »Schlafe bei mir, so will ich dich freilassen.« Er indessen antwortete: »Ich will weder bei dir schlafen, noch will ich entfliehen.« Wie sie's auch anfing, er schlief nicht bei ihr; sie schlug ihn und öffnete ihren Rachen, um ihn zu fressen; da sagte der Fuchs: »Lass mich doch für heute; ich habe geschworen, ich tue es nicht; morgen will ich dir den Willen tun.« Sie liess von ihm ab. Am Abend kam die Bärin zurück und brachte eine Bergziege von der Jagd heim; die kochten und assen sie, dann legten sie sich schlafen. Da rief die Bärin: »Steh auf, Fuchs, lege dich zu mir!« Jener antwortete: »Ich vermag es nicht.« »Warum nicht?« »Deine Schwester lässt das nicht zu!« »Was hat denn meine Schwester getan?« fragte sie. »Sie hat mich von früh an, seitdem du fortgegangen bist, bis jetzt geschlagen, damit ich bei ihr liege!« »Ist das wahr? Blinde«, fragte sie. »Ja«, antwortete diese. »Was? habe ich denn den Fuchs für dich mitgebracht?« Darauf stritten die beiden mit einander, wärend der Fuchs zusah; bis zum andern Abend kämpften sie miteinander und brachten sich gegenseitig blutige Wunden bei; dann ging die Bärin fort, indem sie dachte: »Ich will meine andere Schwester herbeirufen, damit wir die Blinde erwürgen.« Dem Fuchs befal sie: »Bleibe hier!« »Ich bleibe schon hier; wohin sollte ich gehen?« antwortete er. Die Bärin ging hin, rief ihre Schwester – denn sie waren drei Schwestern – und nahm dieselbe mit. Als sie nun mit ihr nach Hause zurück kam und wieder mit der Blinden stritt, wollte jene, die frisch gekommen war, die beiden nicht miteinander kämpfen lassen, sondern fragte sie nach der Ursache ihres Zwistes. Da erzälte jene: »Ich bin blind und lahm und kann nicht ausgehen'; nun hat diese sich den Fuchs geholt, damit er bei ihr liege, darüber bin ich böse geworden.« Die, welche frisch gekommen war, war die älteste Schwester; sie nahm daher jenen beiden den Fuchs weg und liess ihn bei sich schlafen. Jene aber riefen: »Fuchs!« »Ja!« »Gibt es keine andern Füchse, die du uns herbringen könntest, für eine jede einen?« Er antwortete: »Nein, Füchse gibt's nicht, hingegen einen Kater und einen Marder.« »So geh sie uns holen; du wirst dann der Herr unseres Hauswesens.« Der Fuchs erklärte sich bereit, zu gehen, die Blinde aber rief: »Fuchs, sieh zu, schon jetzt trage ich es dir auf, der Marder soll mir zugeteilt werden, der Kater mag meiner Schwester angehören.« »Gut«, versetzte der Fuchs und ging.[318]

Er traf eine Katze. »Katze«, fragte er, »hast du keinen Kater gesehen?« »Freilich.« »Wo ist er denn?« »Er ist da und da!« »Was tut er?« »Er hat mich gepackt«, erzälte die Katze, »nur mit Mühe konnte ich mich seiner erwehren; bin ich doch eine verwitwete Frau; aber er hat mir unehrerbietige Anträge gemacht; darauf haben wir einander ausgeschimpft.« »Ihm hast du's nicht gestattet, so gestatte mir, dass ich bei dir liege«, bat der Fuchs. Sie antwortete: »Du! es sei, komm, lege dich zu mir.« Der Fuchs legte sich zu ihr; dann aber rief er: »Geh zum Teufel, Katze! du gibst vor, eine Witwe zu sein; warhaftig, der Kater hat bei dir gelegen, mögest du bersten ob deiner Lüge.« »Bei Gott«, erwiderte sie, »ich hab's nicht gestattet, aber er hat mir Gewalt angetan.« »Packe dich fort und crepire, du Teufelin; sie gibt vor, eine Witwe zu sein, und tut, als ob sie eine Büsserin sei.« – Darauf ging der Fuchs weiter und fand den Kater. »Bruder!« rief er. »Ja!« »Was treibst du hier?« »Ach, Bruder« antwortete jener, »meine Geschichte ist lang.« »Was ist's denn?« fragte der Fuchs. »Nun, ich bin Mönch gewesen und pflegte im Kloster Gott zu dienen; da kam die Katze und raubte mir den Verstand, indem sie mich aufforderte, bei ihr zu liegen, ich tat es und habe gesündigt.« »Geh zum Teufel!« antwortete der Fuchs; »er sagt, er habe gesündigt; in unser Land ist Botschaft vom Himmel gekommen;« »Wer Weibern beiwohnt, soll in's Himmelreich kommen.« »Ist das wahr?« fragte der Kater. »Ja.« »Oweh, ich Blinder, dass sich die Katze wieder von mir losgemacht hat.« »Komm, ich weiss dir eine, die besser ist, als die Katze.« »Wo denn?« »Komm nur mit mir!« Da ging der Kater mit dem Fuchs. – Unterwegs trafen sie den Marder. »Was treibst du, Marder?« fragte der Fuchs. »Gerade eben bin ich von der Wallfahrt zurückgekommen und will nun ein Bethaus bauen«, antwortete er. »Geh zum Teufel«, versetzte der Fuchs; »vom Sultan ist Botschaft gekommen«, des Inhalts: »Wo auch immer ein Bethaus steht, da zerstört es und tödtet diejenigen, welche in den Bethäusern sind.« »Ist das wahr?« fragte jener. »Ich werde doch nicht lügen!« versetzte der Fuchs. »O weh«, rief jener, »ich Blinder, da ist die Katze zu mir gekommen und hat mich aufgefordert ihr beizuwohnen, und ich habe es nicht getan; nur einmal habe ich es getan.« Der Kater aber sagte: »Auch ich habe ihr beigewohnt«, und der Fuchs erwiderte: »Auch ich.« »Also wir alle drei«, sagten sie, »haben es getan; aber wir wollen einer vom andern nichts ausschwatzen.« Darauf sprach der Fuchs[319] zum Marder: »Komm! ich weiss dir eine Frau.« »Auf! aber wenn sie nicht schön ist, mag ich sie nicht heiraten.« »Es gibt keine schönere, als sie.« –

So zog der Fuchs mit dem Marder und dem Kater davon, und sie reisten, bis sie die drei Bärinnen fanden, welche auf den Fuchs warteten. Als der Kater in die Höle trat, bekam er Angst; er konnte jedoch nicht mehr umkehren. Die Blinde aber rief: »Fuchs, wo ist der Marder?« »Da ist er.« »So gib mir ihn, und überantworte ihn meinen Händen!« bat sie ihn, und den Marder forderte sie auf: »Setze dich zu mir her!« Da setzte sich der Marder zu ihr und blickte sie an; sie war aber blind und lahm; er wagte indessen nicht, etwas zu sagen. Die andere Bärin erklärte: »Ich mag den Kater nicht haben.« Darüber zankten nun die drei und stürtzten auf einander los, bis der Marder rief: »Ich will euch etwas sagen!« »Sprich!« »Wollt ihr damit zufrieden sein?« fragte er. »Ja.« »Wir wollen das Los werfen.« »Topp«, antworteten sie; nur die Blinde sagte: »Ich tu's nicht.« »Doch, du tust es«, versetzten jene. »Aber wenn mir der Kater zufällt, so mag ich ihn nicht.« »Wer weiss«, sagte der Marder, »wem der Kater zu Teil werden wird.« »Werft das Los!« befalen jene; sie brachten dasselbe herbei und losten. Da fiel der Kater der Blinden zu, der Fuchs der ersten Bärin, welche ihn dorthin gebracht hatte, und der Marder fiel der ältesten zu. »Ich will aber den Kater nicht!« rief die Blinde. »Warum nicht?« fragten jene. »Sein Glied ist zu klein!« antwortete sie. »Nein«, sagte der Fuchs, »dasselbe ist grösser, als das eines jeden von uns beiden; nimm ihn diese Nacht zur Probe!« Damit war sie einverstanden. Dem Kater aber gab der Fuchs einen guten Rat, wie er sich durch eine List der Bärin angenehm machen könne. Er befolgte denselben, und es gelang ihm, die Bärin zu täuschen. So lebten sie einen Monat lang miteinander, da sagten die Bärinnen zu ihren Männern: »Geht doch auf die Jagd!« Daraufhin ging der Fuchs mit dem Kater und dem Marder auf die Jagd. Sie erstiegen einen hohen Berg, auf dessen Gipfel eine Burg stand; dorthin gingen sie und fanden daselbst Ssa'îd-Beg, den Fürsten der Igel, welcher dort wohnte. Sie setzten sich zu ihm, und er fragte sie: »Woher seid ihr?« »Wir kommen von der Wallfahrt«, antworteten sie. »So möge Gott eure Wallfahrt in Gnaden annehmen«, sagte er. – Wärend sie dasassen, kam ein Igel und beklagte sich über einen andern Igel: »Er hat unser Trinkgefäss gestolen.« »Geht, holt ihn«, befal der Fürst, »wir wollen sehen, warum er[320] es gestolen hat.« Da brachte man ihn herbei, und der Fürst fragte ihn: »Warum hast du das Trinkgefäss dieses Mannes gestolen?« »Ich habe daraus getrunken«, entgegnete dieser, »und es aus Versehen in meine Tasche gesteckt.« »So ruft die Scharfrichter herbei!« befal jener. Man rief dieselben, der Fuchs aber bat: »Lass ihn nicht enthaupten, Ssa'îd Beg.« »Aber wie denn?« »Steige auf die Zinne der Burg und stosse ihn von derselben hinunter; wir wollen zuschauen, wenn er fällt.« »So soll es sein«, erwiderte Ssa'îd Beg, stieg auf die Burg hinauf, und man führte den Dieb ebenfalls dorthin. Auch der Fuchs, der Kater, der Marder und der Priester der Igel stiegen hinauf; der Dieb aber trug ein Hemd. Der Fuchs schaute unterdessen von der Spitze der Burg hinunter in das Tal, welches sehr tief war; ein Kamel, welches eben in demselben unterhalb der Burg sich befand, erschien nicht grösser als ein Parastück; als der Fuchs hinab sah, bekam er Angst und sagte: »Stosse ihn hinunter, Ssa'îd Beg.« Wie nun Ssa'îd Beg den Dieb hinunter stiess, zerriss dessen Hemd und wurde wie zwei Flügel, und da zugleich ein Wind kam, wurde der Igel einem Vogel gleich; so kam er bei dem Kamel herunter, ohne dass ihm ein Schaden zustiess. Ssa'îd Beg sagte: »Wir haben ihn hinuntergestossen, damit er in tausend Stücke zerschmettere, aber es ist ihm nichts geschehen: Gott hat ihn gerettet.« Der Priester aber sagte: »Nein, das Hemd hat ihn gerettet, weil es ihm als Flügel gedient hat.« Ssa'îd Beg antwortete: »Warhaftig, wir wollen dich hinunterstossen, lass auch dich das Hemd erretten.« »Gnade, Schutz, o Ssa'îd Beg«, schrie der Priester, aber jener sagte: »Nein, das geht nicht, ich sage, Gott hat ihn errettet; du behauptest: Nein, das Hemd.« Hierauf stiessen sie den Priester hinunter, und derselbe zerschmetterte in tausend Stücke. »Nun sind wir ohne Priester«, jagten sie. Der Fuchs aber erwiderte: »Ich bin Priester, und der Marder ist Gelehrter, und der Kater ist Ascet.« »So bleibt bei uns«, bot ihnen Ssa'îd Beg an. Sie willigten ein, blieben daselbst, wohnten in dem Bethaus und beteten. Ssa'îd Beg aber hatte eine Frau, eine Tochter und eine Schwester, welche alle drei schön waren. Der Fuchs sagte: »Die Tochter soll für mich sein, die Schwester für den Marder und die Frau für den Kater.« »So sei es«, entgegneten jene und stellten dies im Kate fest. Es war aber auch eine alte Igelfrau da, welche beständig an der Thüre des Bethauses sass; sie hatte Krücken und bettelte. Diese rief der Fuchs an: »Alte!« »Ja!« »Kannst du die Weiber der Familie[321] Ssa'îd Beg's herbeirufen?« »Freilich.« »So geh und sage ihnen: der Priester und der Gelehrte lassen euch rufen.« »Gut«, sagte die Frau und richtete den Auftrag aus. Da kamen die Weiber und fragten: »Was verlangst du, Priester?« »Wir wollen euch entführen«, antwortete er, »wollt ihr mit uns kommen?« »Ja; aber wie wollen wir's machen mit Ssa'îd Beg, dem Igel?« »Wir werden euch ganz in der Stille entführen«, versetzten jene. »Gut«, sagten sie und machten sich bereit zu entfliehen; bis zur Nacht blieben sie noch; als es aber Nacht wurde, entführten sie sie. Ssa'îd Beg fragte: »Wo sind die Weiber?« Man hatte sie nicht gesehen. Er benachrichtigte die Igel und fragte sie: »Habt ihr unsre Weiber nicht gesehen?« »Nein«, antworteten jene; nur die Alte von dem Bethause sagte: »Warhaftig, der Priester, der Gelehrte und der Ascet haben sie entführt.« Da verfolgte man sie. – Unterdessen kamen der Fuchs, der Marder und der Kater wieder zu den Bärinnen. »Ha, was sind denn das für Weiber?« fragten diese. Der Fuchs antwortete: »Es sind Sclavinnen; ein jeder von uns hat sich eine Sclavin geholt.« »Gut, schön«, antworteten jene. Aber wärend sie ruhig dasassen, drang Ssa'îd Beg mit seinen Soldaten in die Wohnung der Bärinnen ein und rief: »Der Fuchs und der Marder haben unsre Weiber entführt.« »Ja«, versetzten jene. »Wo sind dieselben?« »Da sind sie!« »Gebt sie uns!« verlangte er. Die Bärinnen aber erhoben sich gegen Ssa'îd Beg und begannen mit ihm zu kämpfen; sie tödteten ihn und viele von seinen Soldaten. Die Blinde hatte eine eiserne Keule; nun geriet die andere Bärin an sie; da dachte jene, es sei einer von den Soldaten, schlug mit der Keule nach ihrer Schwester und tödtete dieselbe. Als nun der Kampf beendigt war, fragte die dritte Bärin: »Warum hast du meine Schwester getödtet?« »Ich tat es unwissentlich«, antwortete jene; der Fuchs hingegen sagte: »Nein, absichtlich hat sie dieselbe getödtet; sie wusste wol, dass es meine Frau war.« Darüber stritten nun jene beiden mit einander; die Blinde aber schlug mit der Keule zu und tödtete ihre Schwester, so dass sie nun allein übrig blieb. »Wie wollen wir's nun anfangen?« fragte der Fuchs, »wir wollen auch diese noch tödten und dann entfliehen.« Die Blinde rief: »Kater!« »Ja!« »Du bist mein Mann!« »Ja.« »Nimm daher die Keule; aber gib sie Niemand!« »Topp«, sagte der Kater und nahm die Keule. Der Fuchs indessen nahm dem Kater mit List die Keule ab und schlug der blinden Bärin, wärend sie schlief, damit auf den Kopf, wodurch er sie verwundete, jedoch nicht[322] tödtete; dann gab er dem Kater die Keule zurück. »Ai, Ai«, schrie die Bärin, so dass von ihrem Geschrei die Höle erbebte, packte den Kater und zerquetschte ihn wie ein Ei: »Hast du gesehen«, fragte der Fuchs: »was der Kater dir getan hat?« Sie antwortete: »Ich will nun den Marder zum Mann nehmen«, legte die Keule unter ihren Kopf und schlief ein. Da holte der Fuchs einen Stein, schmiss ihn ihr auf den Kopf und legte sich hin. Sie aber sprang auf, schrie und ergriff den Marder; in einem Bissen verschlang sie ihn, so dass er wolbehalten in ihren Bauch hinunterging. »Wo ist der Fuchs?« fragte sie. »Er schläft hier«, antworteten die Weiber. Da rief sie: »Fuchs!« »Ja!« »Steh auf und schwöre mir, dass, wenn ich schlafe, du mich nicht erschlagen willst, so will ich dich nicht fressen.« Der Fuchs schwor ihr, und sie legte sich schlafen; denn sie sagte: »Nachdem du mir geschworen hast, bin ich vor dir sicher; nimm die Keule.« Er nahm sie, und sie legte sich schlafen. Da führte er mit derselben einen Schlag auf ihre Zähne, indem er dachte: »Wenn ich sie auch nicht tödte, so kann sie mich wenigstens nicht mehr fressen; denn ihr Maul tut ihr weh; mit den Tatzen mag sie mich immerhin schlagen!« So versetzte er ihr einen Schlag auf die Schnauze und zerbrach ihr die Zähne. Sie aber erhob sich und wollte den Fuchs packen; dieser ging hinten um sie herum, und sie konnte ihn nicht finden; dann versetzte er ihr noch einen Schlag mit der Keule und warf sie zu Boden, stürzte sich auf sie und tödtete sie. Nun rief er: »Auf, ihr Weiber, wir wollen gehen«; aber der Marder schrie aus dem Bauch der Bärin: »Wohin? Bruder!« Der Fuchs kehrte wieder um; als er aber Niemand erblickte, fragte er: »Wo bist du denn, Marder?« »Ich bin in ihrem Bauch; zieh mich hinaus.« Da holte der Fuchs ein Messer, stach es der Bärin in den Bauch und schlitzte denselben auf, aber die Spitze des Messers fuhr dem Marder in die Augen und stach sie ihm aus. Als der Marder nun wieder hervorgekommen war, machten sie sich auf den Weg. Da sagte der Marder: »Meine Frau gehört doch noch mir.« Sie aber antwortete: »Ich mag dich nicht mehr, du bist ja blind.« Darüber stritt der Marder mit dem Fuchse, bis der Affe dazu kam und fragte: »Warum macht ihr solchen Lärm?« »Darum«, antworteten sie. Da tödtete sie der Affe, führte die Weiber mit sich fort und liess sie sich selber antrauen.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 316-323.
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