LXXXII.

[347] Es war einmal ein Fuchs, der traf eine Eule, die sagte zu ihm: »Fuchs!« »Ja!« »Komm, wir wollen mit einander Freundschaft schliessen.« »Gut!« erwiderte er, und sie schworen sich Freundschaft. Darauf schlug der Fuchs vor: »Komm, lass uns[347] zu mir nach Hause gehen, ich will dich bewirten.« »Gut!« versetzte sie und ging mit dem Fuchse. Dieser bereitete einen süssen Brei, tat ihn auf die Rückseite der Schüssel und setzte ihn vor sich und die Eule. Er leckte und die Eule pickte, so frass er den ganzen Brei, der Eule aber kam nichts in den Schnabel Da sagte sie: »Du hast mir einen Streich gespielt.« »Wie so?« fragte er. Sie antwortete: »Du leckst und ich picke, und das ist Brei, ich bekomme nichts in den Mund.« »Das wusste ich nicht, Schwester«, entschuldigte er sich, »sonst hätte ich etwas anderes bereitet,« Darauf schlug sie ihm vor: »Komm zu mir nach Hause, ich will dich bewirten.« Sie röstete Erbsen und legte sie auf die Erde: der Fuchs leckte und bekam nichts auf die Zunge, die Eule dagegen pickte die Erbsen alle auf. Da sagte er: »Schwester, du hast mir einen Streich gespielt.« »Wie so?« fragte sie. Er antwortete: »Du hast Erbsen geröstet, ich lecke und bekomme nichts auf meine Zunge, du aber pickst sie mit deinem Schnabel alle auf.« – Darauf beredete sie den Fuchs, mit ihr auf die Jagd zu gehen. Sie machten sich auf den Weg und kamen zu einer Cisterne; dort fanden sie einen Hahn und einen Besessenen, der Besessene war in der Cisterne und der; Hahn auf dem Rande derselben; der Hahn krähte und der Besessene betete. Da fragten jene: »Was macht ihr da, Hahn?« »In der Cisterne liegt ein Schatz«, erwiderte er, »den hebe ich und der Besessene.« »An diesem Geschäfte wollen wir uns beteiligen«, erklärten jene. Der Hahn aber wollte nichts davon wissen, jedoch der Besessene liess es zu. Darauf sagte der Fuchs: »Besessener, lass die Eule zu dir hinabsteigen, sie wird dir helfen, und ich und der Hahn, wir bleiben hier und ziehen das, was ihr an den Strick hängt, in die Höhe.« »Gut!« rief jener. Die Eule stieg zu dem Besessenen hinab, aber gerade in diesem Augenblicke wurde dieser verstört, die Teufel fuhren in ihn, und er erschlug die Eule. »Wesshalb hast du meine Schwester erschlagen?« rief der Fuchs. »Ich habe sie erschlagen«, gestand er. Da frass der Fuchs den Hahn und erklärte: »Das ist die Rache für meine Schwester.« Der Besessene entgegnete: »So sind wir quitt: ich habe deine Schwester erschlagen, und du hast meinen Bruder gefressen.« »Gut!« sagte der Fuchs. Darauf hoben sie den Schatz, der Besessene stieg aus der Cisterne hinaus und forderte den Fuchs auf, das Geld zu teilen. Als der Fuchs es aber teilte, legte er immer zwei Goldstücke für sich hin und eines für den Besessenen, »So darfst du nicht teilen«, rief der[348] Besessene. »Wie denn anders?« »Eins für mich und eins für dich«, erwiderte er, und so gerieten sie mit einander in Streit. »Komm«, sagte er, »lass uns zu Jemand gehen, der sie teilt.« Sie gingen und trafen eine von den schnell laufenden Ameisen. Diese baten sie, das Geld zu teilen. Sie erklärte sich dazu bereit, und sie häuften das Geld vor dem Neste der Ameisen auf. Sie aber sprach in ihrer Sprache zu den andern Ameisen: »Wir haben das Geld vor dem Neste aufgehäuft, stehlt es von innen.« Die Ameisen stalen viel, den Rest teilten jene. Der Besessene sah zu und sagte: »Unser Geld ist weniger geworden.« »Liebster«, entgegnete die Ameise, »wie sollte ich etwas unterschlagen haben, sieh, ich habe ja nichts.« Darauf ging der Besessene mit dem Fuchs nach Hause, erschlug den Fuchs und nahm das Geld. Dann kehrte er zu der Ameise zurück und fragte: »Wo ist das Geld?« »Ich habe kein Geld gesehen«, entgegnete diese. »Ich werde dich tödten«, drohte der Besessene, »gib das Geld heraus.« Da sagte sie: »Ich will dir Kaffe kochen, trink, und nachher wollen wir mit einander reden.« Sie kochte ihm Kaffe, tat ihm Gift hinein und liess ihn denselben trinken. Davon starb der Besessene, und die Ameise behielt das Geld.

Quelle:
Prym, E./Socin, A.: Syrische Sagen und Märchen aus dem Volksmunde. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprechts Verlag, 1881, S. 347-349.
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