10.

[34] Es war einmal einer, der verkaufte Öl, indem er auf den Dörfern umherzog, um es zu verkaufen. So kam er auch einmal in eine entlegene Gegend, ging in das Dorf hinein, um Öl zu verkaufen, und wollte in dem Dorfe übernachten. Da bereiteten sie ihm Abendessen, deckten ihm den Tisch, setzten ihm Brot und warmes Essen vor. Kaum saßen sie da, um zu Nacht zu essen, da kamen alsbald Mäuse, machten sich über das Brot und das Essen her und fraßen in Gegenwart derer, welche sich hingesetzt hatten, um zu essen. »Wie kommt das?« fragte der Ölhändler. Da antworteten sie: »So ist unser Leben. Sie fressen alle unsere Vorräte; wenn wir Essen kochen, so fressen sie es. Vielleicht weißt du einen Rat? So hilf uns gegen sie.« »Was wollt ihr mir denn geben?« fragte er. »Wir geben dir, was du verlangst.« »Nun,« sagte er, »so holt mir den Schulzen und holt mir die Dorfältesten, damit sie mir einen Schein schreiben.« Da holten sie den Schulzen und holten den Dorfältesten und holten Muslime und Christen zusammen. Als sie zu dem Ölhändler kamen, sagte der Mann, bei dem dieser abgestiegen war, zu dem Schulzen: »Dieser Ölhändler hier will uns etwas bringen, was diese Tiere, welche unser Essen und unsere Vorräte auffressen kommen, vertilgen soll.« Da fragte der Schulze den Ölhändler: »Wie nennt man diese in eurer Gegend?« »Sie heißen Mäuse,« antwortete er. »Gibt es denn bei euch etwas, was sie vertilgt?« »Jawohl; was wollt ihr mir geben?« »Du magst verlangen was du willst, ich, der Ortsschulze, werde es dir geben.« Da forderte er 2000 Piaster. Der Schulze erhob sich, ging an[34] den Häusern herum, sammelte für ihn 2000 Piaster. Dann kam er zu ihm und sagte: »Ich habe 2000 Piaster für dich gesammelt. Nun bring es mir!« »Ich werde dir etwas bringen,« antwortete er. »Wenn du siehst, daß es, sobald ich es loslasse, anfängt von diesen Tieren zu fressen, so gib mir die 2000 Piaster; wenn es sie nicht frißt, so brauchst du mir nichts zu geben.« »Gut,« sagte er, »bringe es mir.« Da stieg der Ölhändler auf seinen Gaul und ritt weg. Er zog auf den Dörfern umher, bis er ein Dorf fand, in dem es Katzen gab. Er fing eine Katze, steckte sie in einen Doppelsack, setze sich wieder auf seinen Gaul und zog zu den Leuten jenes Dorfes. Als er zum Schulzen gehen wollte, kam dieser ihm schon entgegen und sagte: »Hast du es uns gebracht?« »Ja, ich habe es euch gebracht. Aber,« fuhr er fort, »ich bin hungrig; laß mir ein Frühstück bereiten.« Der Schulze befahl seiner Frau, Frühstück zu bringen und es zurecht zu machen. Als die Schulzenfrau dem Ölhändler das Frühstück gebracht hatte, versammelten sich die Mäuse bei dem Essen; da nahm er die Katze aus dem Sack und ließ sie gegen die Mäuse los. Da fing die Katze an, sie zu packen und zu fressen. »Hast du gesehen, Schulze?« »Heil dir,« sagte der Schulze, »frühstücke, und dann gebe ich dir die 2000 Piaster.« Der Ölhändler frühstückte. Als er fertig war, kam der Schulze, setzte sich vor ihn und zählte ihm 2000 Piaster hin. Dann sagte er: »So, jetzt gehe! Glückliche Reise!« Der Ölhändler nahm die 2000 Piaster und ging in seine Heimat.

Die Katze fing an, in dem Dorfe herumzugehen und die Mäuse zu fressen. Als sie alle Mäuse vertilgt hatte, so daß keine mehr dort waren, da wurde sie groß und stark wie ein Hund. Wenn sie nun einen Vogel sah, so packte sie ihn und fraß ihn; wenn sie Tauben sah, so fing sie sie und und fraß sie. Da sagten die Dorfleute: »Kommt, laßt uns zum Schulzen gehen!« Sie gingen zum Schulzen und sagten: »Als der Ölhändler dir dieses Tier, welches die Mäuse frißt, gab, sagte er dir da nicht, wie es hieß?« »Freilich,« sagte er. »Nun wie heißt es denn?« »Es heißt Katze.« Da sagten sie: »Nun also, für diese Katze, o Schulze, muß Bat geschafft werden.« »Wieso?« fragte er. »Sie hat die Mäuse gefressen, und nun fängt sie Vögel, und gestern hat sie sogar Tauben gefangen. Zuletzt wird sie auch die Menschen packen und sie fressen und auch nicht einen übrig lassen. Was sollen wir mit ihr anfangen?« Der Schulze antwortete: »Auf, laßt uns in das freie Feld ziehen und sie hier lassen; wenn sie im Dorf niemanden findet, so geht sie vielleicht an einen andern Ort.« Da stieg einer auf das Dach und rief aus: »O ihr Dorfleute, jeder soll seine Vorräte aufladen und seine Kinder mitnehmen, und ihr sollt alle herausgehen und im freien Feld euch niederlassen, damit euch die Katze nicht fresse.« Da holten die Leute ihr Vieh heraus, luden ihre Vorräte und ihre Kinder auf und zogen ins Feld. Die Katze ließen sie im Dorfe zurück und zogen weg. Nachdem sie einen Monat dort gewohnt hatten, sagte[35] der Schulze: »Es sollen zwei gehen auskundschaften; sehet zu, ob die Katze noch da oder ob sie weggegangen ist.« Es begaben sich also zwei in das Dorf. Als sie fanden, daß sie noch da war, kehrten sie zum Schulzen zurück und sagten ihm: »Sie ist noch da, Schulze!« Da sagten einige: »Kommt, wir wollen gehen und das Dorf zerstören; wenn wir machen, daß1 die Steine sie treffen, so wird sie wohl sterben.« Sie gingen in das Dorf und zerstörten die Häuser. Die Katze aber ging aus dem Dorfe heraus und kletterte auf die Bäume. Da gingen sie zum Schulzen und sagten: »Wir haben das Dorf zerstört, aber sie ist auf die Bäume gestiegen.« Er aber befahl: »Gehet hin und haut die Bäume ab.« Die Leute gingen hin und hieben die Bäume ab. Da kam aber die Katze von den Bäumen herunter und setzte sich auf die Balken der zerstörten Häuser. Da gingen sie wieder zum Schulzen und klagten ihm: »O Schulze, wir haben die Bäume abgehauen, sie aber hat sich auf die Balken gesetzt, die von den Dächern der Häuser übrig geblieben sind.« Da riet der Schulze: »So geht hin und verbrennt das Dorf.« Sie taten dies; da lief die Katze aus dem Dorfe heraus und setzte sich in die Gärten. Als sie zum Schulzen zurückkehrten, fragte dieser: »Ist die Katze mit verbrannt, als ihr das Dorf verbranntet?« Sie antworteten: »Wir verbrannten das Dorf, aber sie ist zum Dorfe herausgelaufen und hat sich in den Gärten niedergelassen.« »Wenn sie in die Gärten gegangen ist,« erwiderte er, »so geht sie vielleicht anderswohin. Bleibet ruhig zehn Tage hier, dann wird sie sich ärgern und weggehen.« Nach zehn Tagen sagte der Schulze: »Geht einmal sehen, ob sie weggegangen ist.« Als sie in das Dorf kamen, fanden sie, daß sie noch da war; sie saß grade da und putzte sich. Da sagte einer: »Sie legt ihre Pfote an ihr Maul und wischt über ihr Maul; was mag sie wohl sagen?« Da erwiderte ein anderer: »Diese sagt dir: ›Hab nur Geduld, morgen fresse ich eure Großen und eure Kleinen2!‹ Jetzt wird sie uns nachlaufen und uns fressen; kommt, laßt uns eilen!« Eilig liefen sie zum Schulzen zurück, und als dieser sagte: »Ist sie gegangen?«, antworteten sie; »Wohin soll sie gegangen sein? Sie hat ihre Pfote an ihr Maul gelegt und hat über ihr Gesicht gewischt und hat gesagt: ›Morgen werde ich eure Großen und eure Kleinen fressen!‹« »So hat sie zu euch gesagt? Nun dann bleibet ruhig hier und geht nicht hin.« So blieben sie also im freien Felde wohnen.

Nach einiger Zeit kam der Ölhändler wieder in jene Gegend, fand das Dorf zerstört und verbrannt und die Bäume abgehauen. Da sagte er: »Was ist denn diesem Dorfe geschehn?« Er ging heraus und gelangte zu dem Orte, wo die Leute waren. Da dachte er: »Halt, ich will zu diesen Leuten gehen und sie fragen, warum sie auf dem freien Felde wohnen.« Er ging also zu ihnen und fragte: »Weshalb wohnt ihr auf dem Felde?« Da antworteten sie[36] ihm: »Uns hat schweres Unglück getroffen.« Er fragte weiter: »Warum ist dieses Dorf dort zerstört?« Sie erwiderten: »Das ist unser Dorf.« »Weshalb habt ihr es denn zerstört und verbrannt?« Da erzählten sie: »Zu uns kam ein Ölhändler, so wie du, der saß da und wollte essen. Da hatten wir Tiere bei uns, deren Namen wir nicht kannten, die kamen und machten sich an das Essen und fraßen es. Da fragte er, wie das komme; wir antworteten ihm: ›Diese Tiere kommen zu uns heraus und fressen uns unser Essen weg.‹ Dann fragten wir ihn, ob er ihren Kamen kennte, und er sagte uns: ›Ja, ich kenne ihn, sie heißen Mäuse.‹ Da haben wir ihm 2000 Piaster gegeben, und da hat er uns ein Tier gebracht, das hieß Katze, das fraß die Mäuse und fraß die Vögel und fing an, die Tauben zu fangen, und wollte gar die Menschen fressen. Da zogen wir aus dem Dorfe, aber sie ging nicht fort. Wir zerstörten die Häuser, damit die Steine sie treffen möchten und sie sterbe; aber kein Stein traf sie, und sie starb auch nicht. Da verbrannten wir die Häuser und sagten: ›Vielleicht fällt sie in das Feuer und verbrennt.‹ [Aber sie fiel nicht hinein.] Dann hieben wir die Bäume ab, damit sie aus dem Dorfe weggehe, aber sie ging nicht. Dann blieben wir zehn Tage ruhig sitzen; dann schickten wir Leute, die sollten auskundschaften, ob sie noch da wäre oder ob sie gegangen wäre. Diese Leute fanden, daß sie noch da war; sie legte ihre Pfote an ihr Maul und wischte über ihr Gesicht und sagte zu den Leuten: ›Morgen fresse ich eure Großen und eure Kleinen.‹« So erzählten die Dorfleute dem Ölhändler. Da fing der Ölhändler an zu lachen und sagte: »Ich bin der, welcher sie euch gebracht hat.« »Ach, bitte,« sagten sie, »so nimm doch die Katze, die du uns gebracht hast, wieder weg.« »Soll ich sie denn ohne Lohn wegnehmen?« fragte er. »Als du sie uns brachtest,« versetzten sie, »haben wir dir 2000 Piaster gegeben; und nun nimm sie weg, so wollen wir dir wieder 2000 Piaster geben.« »Gut,« sagte er, »bringt 2000 Piaster, dann will ich ins Dorf gehen und sie nehmen.« Sie gaben ihm also 2000 Piaster, er ging ins Dorf und fand die Katze und rief: »Komm, Mietze, Mietze!« Da kam sie zu ihm, er hob sie mit der Hand in die Höhe und steckte sie in den Sack. Der Schulze sagte: »Geht hinter ihm her, aber so, daß er euch nicht sieht, damit sie nicht an euch kommt und euch frißt, und sehet, ob er es wagt, sie zu nehmen.« Da folgten sie dem Ölhändler und fanden, daß er die Katze schon genommen hatte und weggegangen war. Sie kehrten zum Schulzen zurück und erzählten ihm, daß er sie genommen habe und weggegangen sei. Da sagte er: »Jetzt macht euch auf, packt eure Sachen und eure Vorräte auf und geht und laßt euch in den Gärten nieder.« Sie zogen also in die Gärten und wohnten dort und fingen an, ihr Dorf wieder aufzubauen; jeder Mann baute sich ein Haus und wohnte darin. Sie sagten zum Schulzen: »Nun werden diese kleinen Tiere wieder unsere Vorräte fressen, aber das ist besser[37] als jenes große Tier, welches die Mäuse gefressen hat und uns fressen wollte.«

Als der Ölhändler wieder in seine Heimat gelangt war, ließ er die Katze wieder aus dem Sacke. Da versammelten sich die Leute bei ihm und betrachteten die Katze. Dann sagten sie: »Das ist eine große Katze, woher bringst du sie?« »Kommt,« sagte er, »das will ich euch erzählen. In jener Gegend wissen die Leute auch nichts.« »Wieso?« fragten sie. »Ich ging in jene Gegend.« »Ist sie weit?« unterbrachen sie ihn. »Ein Mann muß wohl einen Monat gehen, bis er dorthin gelangt.« »Schön,« sagten sie. Dann fuhr er fort: »Ich kam also in ein Dorf, sie bereiteten mir ein Abendessen, da kamen Mäuse, die fraßen mir das Brot und das Essen und gingen dann wieder in ihre Löcher hinein. Ich sagte zu den Leuten: ›Wie kommt das?‹ Da antworteten sie: ›So ist es! Sie fressen unsere Vorräte, sie fressen unser Essen, und sie lassen uns nichts übrig.‹ Da fragte ich sie: ›Was wollt ihr mir geben, wenn ich euch etwas bringe, was sie frißt und euch auch nicht eine von ihnen übrig läßt?‹ Sie sagten: ›Wir geben dir 2000 Piaster.‹ Da kam ich in diese Gegend und holte ihnen eine Katze. Sie gaben mir 2000 Piaster und ich kam zurück. Nachdem ich zwei Monate weggeblieben war, ging ich wieder zu ihnen; da fand ich sie auf dem freien Felde sitzen, und sie hatten ihr Dorf zerstört und die Bäume abgehauen und ihr Dorf verbrannt und fürchteten sich vor der Katze. Diese hatte die Mäuse gefressen, als sie aber sahen, wie sie Vögel und Tauben fraß, da fürchteten sie sich, die Katze würde sie fressen. Da gaben sie mir 2000 Piaster, und ich nahm die Katze wieder mit.« »Gott möge ihnen helfen,« erwiderten jene, »die Leute haben keinen Verstand.« So erzählte der Ölhändler den Leuten seines Dorfes von jenem Dorfe, und behielt die Katze bei sich. Und nun ists aus.

1

[zu streichen].

2

d.h. euch alle.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 34-38.
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