8.

[23] Es war einmal einer, der gab seinen Kindern und seiner Frau nichts anderes zu essen als Zwiebeln. Zwiebeln aßen sie am Abend zur Nacht, am Morgen frühstückten sie Zwiebeln, und Mittags aßen sie Zwiebeln. Seiner Frau aber rief er: »Frau, heute Abend bringe eine große Henne!« und am Morgen: »Bringe einen Hahn!« und Mittags: »Bringe ein Küchlein.« Eine große Zwiebel nannte er eine große Henne, und eine Zwiebel, die etwas kleiner war, nannte er einen Hahn, und eine sehr kleine Zwiebel nannte er ein Küchlein. Da fragte einst eine Nachbarin die Frau: »Liebe Nachbarin, eßt ihr denn immer Hennen und Hahnen und Küchlein?« »Wie sollte[23] ich, Nachbarin?« antwortete sie. »Laß mich in Ruh, woher ist mein ganzes Unglück? Ich soll Hühner und Hennen essen?« »Du lügst,« sagte sie, »höre ich nicht am Abend deinen Mann dir zurufen: ›Bringe eine große Henne!‹ und am Morgen ruft er: ›Bringe ein Küchlein!‹ und Mittags: ›Bringe ein Huhn!‹« »Das sind Zwiebeln,« entgegnete sie, »eine große Zwiebel nennt er eine Henne, eine kleinere Zwiebel einen Hahn, und eine sehr kleine ein Küchlein.« »So, nur in dieser Weise eßt ihr?« »Dies ist unser Essen,« erwiderte sie, »rate mir, wie ich es machen soll.« »Hab keine Sorge,« entgegnete sie, »heute Abend werde ich ihn1 schon besorgen.«

Damit ging die Nachbarin weg und holte drei bis vier geriebene Männer und besprach sich mit ihnen. Als es Abend geworden war, rief sie ihre Nachbarin: »Komm, ich habe dir etwas zu sagen!« Diese ging zu ihr, und sie sagte ihr: »Nimm dieses Schlafmittel, und wenn du deinem Mann Kaffee zu trinken gibst, so tue es in den Kaffee hinein.« Die Frau nahm das Schlafmittel an sich und ging nach Hause. Als sie mit dem Abendessen fertig waren, sagte der Mann: »Bring uns ein Täßchen Kaffee, Frau.« Sie brachte ihm den Kaffee und tat das Schlafmittel in den Kaffee in die Tasse. Da verfiel der Mann in einen tiefen Schlaf. Sie aber rief der Nachbarin und sagte: »Der ist wie tot.« »Fürchte nur nicht,« erwiderte diese. Dann kamen jene Männer, welche die Nachbarin geholt hatte, nahmen ihn in die Höhe und trugen ihn auf den Friedhof, wo sie ihn zwischen die Toten legten. Sie zündeten ein Licht an, welches sie mitgenommen hatten, und gaben ihm ein Gegenmittel ein. Da sagte einer zu dem anderen: »Rieche den Geruch jenes Toten, sieh, was er zu essen pflegte.« »Meister,« sagte der andere, »dieser hat Zwiebeln gegessen.« »So prügle ihn ordentlich durch!« Da ergriff er ein Stück Holz und prügelte ihn. Darauf sagte er: »Rieche an dem anderen, siehe, was er zu essen pflegte.« Er antwortete: »Dieser aß Reis und Fleisch.« »So schlage diesen nicht.« Darauf kam er an den Mann, den sie hingebracht hatten, den Mann der Frau. Da sagte er wieder: »Rieche an diesem, was er zu essen pflegte.« Er antwortete: »Dieser ißt am Morgen Zwiebeln und ißt am Mittag Zwiebeln und ißt am Abend Zwiebeln, und Zeit seines Lebens hat er noch kein Fleisch gekostet.« »So prügelt ihn,« befahl er, »und schlagt ihn recht tüchtig.« Da schlugen sie auf ihn los, er aber sagte: »Ich bitte euch, ihr lieben Engel, ich werde keine Zwiebeln mehr essen;« er hielt nämlich jene Männer für die Engel. Da fragten sie: »Wirst du noch Zwiebeln essen?« »Nein,« sagte er, »nie mehr werde ich welche kosten.« Da gab einer von ihnen den Befehl, ihn wieder nach Hause zu tragen. Sie trugen ihn also nach Hause, legten ihn dort hin und gingen weg.

Als es Morgen geworden war, weckte ihn seine Frau aus dem Schlafe, indem sie sagte: »Steh jetzt auf, Mann, du hast sehr lang[24] geschlafen.« »Ich bin zu schwach,« erwiderte er. »Wieso?« fragte sie. »Weil ich soviel Prügel bekommen habe.« »Wer hat dich denn geprügelt?« »Heute Nacht,« erwiderte er, »kamen die Engel Gottes und nahmen mich und trugen mich an den Ort der Vernichtung und legten mich zu den Toten; da war einer, ein Oberster, der sagte zu ihnen: ›Sehet, was dieser Tote zu essen pflegte.‹ Da rochen sie an ihm, was er gegessen hatte, und sagten: ›Der hat Zwiebeln gegessen.‹ Da nahmen sie Stöcke und prügelten ihn. Darauf kamen sie zu einem anderen, der hatte Reis und Fleisch gegessen, den schlugen sie nicht und sagten ihm auch nichts. Dann kamen sie zu mir und rochen an mir den Zwiebelgeruch, da fielen sie mit den Stöcken über mich her und gaben mir eine gehörige Tracht und zerbrachen mir meine Knochen.« Als der Mann seiner Frau dieses erzählt hatte, fragte sie ihn: »Aber was willst du nun machen, Mann?« Er antwortete: »Heute werde ich ein Schaf kaufen.« Da ging sie zu der Nachbarin und sagte: »Er hat mir gesagt, er wolle uns heute ein Schaf kaufen.« »Ja,« erwiderte die, »schön, Nachbarin, da brauchst du dich nicht mehr über das Zwiebelessen zu ärgern.« Der Mann ging also auf den Schafmarkt und kaufte ein Lamm. Zu Haus kamen ihm seine Kinder vergnügt und freudig entgegen, sie liefen zu ihrer Mutter: »Mutter, der Vater hat uns ein Lamm gekauft!« »Das ist schön,« sagte sie. Er band das Schaf im Hause an, und wenn die Kinder fragten: »Vater, wann schlachtest du uns das Schaf?«, so antwortete er: »Mit Weile.« Jeden Tag fragten sie ihn, und er antwortete immer: »Mit Weile.« Endlich sagte die Frau: »Jeden Tag sagst du den Kindern ›mit Weile‹; bis wann ist denn diese Weile?« Da erwiderte er: »Dieses Schaf schlachte ich nicht eher, als bis es Pfeffer macht und Sesamöl läßt.« Wenn nun das Schaf Wasser lassen wollte, so kam die Frau eiligst gelaufen, um es zu beobachten, und ebenso, wenn es etwas machen wollte. So beobachteten es die Kinder und die Mutter. Nachdem sie das Schaf vierzig Tage gefüttert hatten, ging sie zu ihrer Nachbarin; da sagte die Nachbarin: »Seit dem Tage, wo dein Mann das Schaf geholt hat, bis jetzt bist du nicht mehr zu uns gekommen. Gewiß hast du uns wegen der Menge Schaffleisch, das du gegessen hast, vergessen, da du nicht zu uns gekommen bist.« »Laß mich in Ruh,« erwiderte sie, »ich habe kein Fleisch und auch sonst nichts gegessen.« »Aber das Schaf, welches dein Mann gekauft hat?« »Wenn die Kinder ihn fragen,« erwiderte sie, »wann er das Schaf schlachten werde, so antwortet er ihnen: ›Mit Weile.‹ Da habe ich ihm gesagt: ›Wie lange mit Weile?‹, und er antwortete: ›Bis es Pfeffer macht und Sesamöl läßt.‹ Nun tue ich nichts als es beobachten, aber es hat weder Pfeffer gemacht noch Sesamöl.« Als die Frau der Nachbarin dieses erzählt hatte, sagte sie: »Ein Schaf soll Pfeffer machen und Sesamöl lassen!« »Aber was soll ich denn tun?« fragte sie. »Geh zum Gewürzkrämer und hole für 20 Pfennige Pfeffer und geh zum Krämer und hole[25] für 20 Pfennige Sesamöl und lege am Abend den Pfeffer in Wasser und steh am andern Morgen früh auf und tue den Pfeffer in eine Tasse und das Sesamöl in eine Tasse, und ehe dein Mann aus dem Bette aufsteht, stellst du diese Tassen unter das Schaf und sagst deinem Mann: ›Steh auf, denn unser Schaf macht Pfeffer und läßt Sesamöl.‹ Dann nimmst du die Tasse in die Hand und setzest dich neben das Schaf.« Als die Nachbarin sie so unterwiesen hatte, ging die Frau weg, holte Pfeffer und Sesamöl. Am andern Morgen stand sie früh auf und tat so, wie die Nachbarin sie unterwiesen hatte. Sie rief ihrem Manne: »Steh auf, Mann, unser Schaf macht Pfeffer und läßt Sesamöl.« Da holte er den Metzger, dieser schlachtete ihm das Schaf, zog die Haut ab und zerteilte es. Darauf lud der Mann die Leute ein, sie möchten kaufen kommen. Die Leute kamen, und er verkaufte ihnen das Schaffleisch. Da sagten die Kinder: »Laß uns doch etwas Fleisch, Vater.« »Jawohl,« antwortete er, aber er verkaufte das Schaf und das Fleisch ganz und ließ außer den vier Füßen nichts übrig. Seine. Frau fragte ihn: »Wo ist das Fleisch, welches du zurückgelassen hast?« »Eßt!« sagte er, »ich habe die vier Füße zurückbehalten.« »Was sollen wir denn mit ihnen machen?« sagte sie. »Ich will das schon besorgen,« erwiderte er. Da holte er einen starken Faden, band sie fest und hing sie an die Decke. Dann befahl er ihr, Brot zu bringen, und als sie das getan hatte, sagte er: »Wenn ihr nun essen wollt, dann macht so, tupft eben daran und esset.« Die Kinder holten nun vier Tage Brot und aßen unter den Schaffüßen.

Eines Tages nun, als der Mann und die Kinder nicht da waren, nahm die Frau einen Schaffuß von der Decke herunter, briet ihn am Feuer und aß ihn auf. Da kam ihr Mann, betrachtete die Schaffüße, zählte sie und fand, daß es nur drei waren. »Wo ist der andere Fuß?« fragte er die Frau. Sie sagte: »Es sind ja drei.« »Es müssen aber vier sein,« erwiderte er. »Drei,« sagte sie. Da entgegnete er: »Ich werde gleich sterben, waren es drei oder vier?« »Drei,« sagte sie. »Ich sterbe, drei oder vier?« »Drei,« sagte sie. »Entweder bringe den Schaffuß oder das Totenhemd; ich sterbe.« Da versammelten sich die Leute und fanden, daß er gestorben war. »Dieser ist gestorben,« sagten sie, »und braucht ein Totenhemd.« Während sie das Totenhemd holten, trat sie zu ihm und sagte: »O Vater meiner Kinder, sie holen das Totenhemd, um es dir anzulegen.« Leise antwortete er: »Drei Füße oder vier?« »Drei,« sagte sie. »Gut,« erwiderte er, »wenn sie es holen, so mögen sie es holen.« Dann holten sie die Bahre, und sie trat wieder vor ihn: »O Vater meiner Kinder, sie holen die Bahre.« Er erwiderte: »Wieviel Füße, drei oder vier?« »Drei,« sagte sie. »So mögen sie sie holen,« gab er zur Antwort. Da trugen sie ihn auf den Friedhof.

Nun war da eine Frau von den Verwandten des Sultans, die sollte gebären, aber sie konnte nicht gebären, und der Arzt erklärte, sie werde nur über einem frisch gegrabenen Grabe gebären. Da[26] brachten sie sie auf den Friedhof; dort gingen sie zwischen den Gräbern umher, bis sie das Grab jenes Mannes fanden, welches frisch gegraben war. Sie setzten die Frau auf dasselbe, damit sie gebäre. Der Mann war noch lebendig, er grub sich durch die Erde, welche auf dem Grabe war, durch, gerade als die Frau eines Knäbleins genas. Er zog das Kind ins Grab hinein, kam selbst heraus und legte sich an dessen Stelle. Da sagten die Weiber verwundert: »Jene hat einen Mann geboren, und er hat einen Bart, und hat Zähne, und ist groß; wenn der Sultan es hört, so wird er ärgerlich sein und fragen, wie es komme, daß seine Verwandte einen Mann geboren habe.« Da sagte einer der Ärzte: »Zieht ihm die Zähne aus.« Seine Frau wußte, daß er es war, aber sie wagte nicht zu sprechen, sondern sie ging zu ihm und flüsterte ihm leise zu: »O Vater meiner Kinder, sie haben die Zange geholt, um dir die Zähne auszureißen.« Er antwortete: »Wie viele Füße, drei oder vier?« »Drei,« sagte sie. »Nun, so mögen sie sie ausreißen.« Einer sagte: »Wir ziehen ihm die Zähne aus, aber er hat auch einen Bart.« »So schert ihm den Bart ab,« versetzte ein anderer. Da holten sie ein Schermesser und nahmen ihm den Bart ab. Wiederum sagten einige: »Vielleicht kommt der Sultan und will den Sohn seiner Verwandten sehen, dann wird er ihn zu lang finden.« Da befahl der Arzt, ihm die Füße unterhalb der Knie abzuhauen. Als sie dies ausgeführt hatten, sagten sie: »Der Sultan wird auch sehen, daß er große Hoden hat.« Da befahl jener, ihm auch die Hoden abzuschneiden. Während sie das taten, starb er in Wirklichkeit. So hatte er diese Pein um der Schaffüße willen erduldet. Darauf begruben sie ihn. Seine Frau aber ging hin, nahm die Schaffüße von der Decke herunter und verzehrte sie, indem sie sprach: »Sein Lebtag kommt er nicht wieder.« Und damit ist die Geschichte aus.

1

[es].

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 23-27.
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