14.

[47] Es war einmal eine Frau, die war im Begriff zu sterben; da sagte sie zu ihrem Manne: »[Mir zuliebe,] o Mann!« – sie hatte einen Pantoffel machen lassen – »heirate keine, der dieser Pantoffel nicht an den Fuß paßt!« Er suchte mit vieler Mühe überall herum; aber er fand niemand, dem der Pantoffel an den Fuß paßte; er fand niemand als seine Tochter. Er fragte sie: »O Tochter! der Baum, der im Hof steht, gehört er mir oder meiner Nachbarin?« Sie antwortete: »Dir.« Er sagte: »Also wohlan! ich will dich zur Frau nehmen.« Sie erwiderte: »Gut, Vater! aber laß mir zuerst ein Kämmerchen bauen!« Da begab er sich zum Tischler und forderte ihn auf: »Bringe deine Werkzeuge mit und komm nach meiner Wohnung.« Dort sagte er ihm: »Zimmre mir ein Kämmerchen, das zu meiner Größe paßt!« Aber auch das Mädchen begab sich zu ihm und sagte ihm: »Bitte, Schreiner! mache mir einen Verschlag, der nicht sichtbar ist und in welchem ich mich verstecken kann.« Als jener das Kämmerchen verfertigt hatte, kam der Vater und sagte zu ihr: »Tochter! wir wollen uns jetzt trauen lassen!« Sie aber erwiderte: »Vater! begib dich auf den Markt und mache allerhand Einkäufe!« Da begab er sich auf den Markt, um das und jenes zu kaufen. Als er weg war, verbarg sie sich in dem Verschlag und schloß denselben zu. Wie nun ihr Vater zurückkehrte, suchte er sie überall, konnte sie jedoch nicht finden. Da dachte er: »Was soll ich dieses Kämmerchen da lassen? Ich will es fortschaffen und auf dem Markte verkaufen.« Da schaffte er das Kämmerchen weg und verkaufte es.

Es kam aber ein Königssohn und kaufte es; er schlief zwei bis drei Tage darin. Seine Angehörigen sandten ihm Essen, und er ließ etwas davon übrig; wenn er nun etwas von dem Essen übrig ließ, kam das Mädchen heraus und aß es auf. Wie er am Morgen früh aufstand, fand er, daß die Speisen nicht mehr vorhanden waren; da rief er: »Heda, ihr Leute! wer hat die Speisen gegessen, die von mir übrig gelassen worden sind? Katzen kommen hier nicht hinein; Mäuse kommen nicht hinein; wer ist des Nachts gekommen, diese Speisen aufzuessen?« Hierauf nahm sich der Königssohn vor: »Heute Nacht will ich mich stellen, als ob ich in tiefen Schlaf versunken wäre, und will aufpassen, wer es eigentlich ist, der diese Speisen stets aufgegessen hat.« Als es Abend wurde, brachte man ihm seine Mahlzeit; nachdem er gegessen hatte, legte er sich hin und stellte sich, als ob er in tiefen Schlaf versunken wäre. Nach kurzer Zeit kam das Mädchen aus dem Schranke hervor und setzte sich zu Tisch; sie speiste und wollte, als sie[47] satt geworden war, wieder an ihren Platz, wo sie gewesen war, zurückschlüpfen; der Königssohn aber sprang auf, ergriff sie und rief: »Heda! ich möchte wissen, woher du kommst; also du bist es, die immer die übrig gebliebenen Speisen aufißt.« Sie sagte: »Ich stelle mich unter deinen Schutz!« Er aber erwiderte: »Habe keine Angst! Du gehörst mir und ich gehöre dir.« Er hatte aber vorher um die Tochter des Wesirs angehalten; nun gab er sie auf und besuchte ihr Haus nicht mehr. Seiner Mutter trug er auf: »Mutter! von nun an schicke mir etwas mehr Essen!« Sie erwiderte: »Lieber Sohn! genügt dir denn dein Essen nicht?« Er sagte: »Mutter! es pflegen die Engel Gottes zu kommen und (bei mir) zu speisen.« Sie fragte: »Essen denn die Engel?« Er erwiderte: »Ja freilich.« Daraufhin schickte sie ihm mehr Essen.

Hierauf begab er sich auf die Wallfahrt; vorher aber sagte er zu seiner Mutter: »Sei so gut, den Engeln Essen zu schicken, damit sie für mich beten, bis ich von der Wallfahrt zurückkehre.« Diese schickte nun jede Nacht Essen hinauf. Nach einiger Zeit aber kamen die Frau und die Tochter des Wesirs zu ihr, und die erstere bat sie: »O Herrin! zeige doch der Braut deines Sohnes das Kämmerchen!« Sie erwiderte: »Sie kann ja in den Oberstock der Burg hinaufsteigen, um es zu betrachten.« Jene sagte: »Eine Braut geht nicht in das Zimmer des Bräutigams; laß das Kämmerchen hinunterschaffen.« Da ließ sie es in den Hof hinunterschaffen; aber oben an dem Kämmerchen war eine Glasscheibe angebracht; diese wurde unmittelbar den Sonnenstrahlen ausgesetzt, da warf das Glas (die Strahlen) gerade auf den Metallschmuck, den das Mädchen auf dem Kopfe trug, und brannte sie am Kopfe; daher öffnete sie den Verschlag und trat hinaus. Als sie hinaustrat, begannen die Schwiegermutter und die Braut sie zu schlagen; letztere sagte: »Du bist es also, welche mir meinen Bräutigam entfremdet.« Sie schlugen sie beinah tot. Es war ein Fenster, das auf die Gärten ging; sie hoben sie auf und warfen sie zu diesem Fenster hinaus. Dann ließen sie das Kämmerchen wieder in das Schloß hineinschaffen und begaben sich nach Hause. Der Besitzer jenes Gartens kam herbei und fand das Mädchen, das fortwährend weinte; es sagte: »Ich stelle mich in deinen Schutz, Freund!« Er erwiderte: »Habe keine Angst!« Dann lud er sie auf seinen Rücken und trug sie zu seiner Mutter; dieser trug er auf: »Mutter! gib recht acht zu diesem Mädchen!« Dann ging er einen Arzt holen; der behandelte sie, so daß sie wieder hergestellt wurde.

Nach kurzer Zeit kam der Königssohn von der Wallfahrt zurück; er stieg auf das Schloß hinauf und suchte das Mädchen; aber er fand es nicht. Da fragte er seine Mutter: »Wer ist denn gekommen, um nach dem Kämmerchen zu sehen?« Sie antwortete: »Deine Braut; sie und ihre Mutter sind gekommen, es anzusehen.« Daraufhin wurde der Königssohn krank und die ganze Stadt sprach von ihm; man sagte: »Der Königssohn ist von der Wallfahrt[48] zurückgekommen und darauf erkrankt; er wird sterben, da er weder ißt noch trinkt.« Da sagte das Mädchen zu den Leuten, bei denen sie sich befand: »Was haben die Leute?« (Die Frau) antwortete ihr: »O Mädchen! der Königssohn, der einzige, den seine Angehörigen haben, ist von der Wallfahrt zurückgekehrt und erkrankt«. Sie sagte: »Auf! vergewissere dich über ihn!« Jene antwortete: »O Mädchen, was wollen wir ihm mitbringen?« Sie sagte: »Bereite ihm etwas Weizengrütze auf einem Teller.« Jene fragte: »Ißt er denn Weizengrütze?« Sie antwortete: »Was geht das dich an?« Er hatte ihr aber einen Ring geschenkt; als jene nun die Weizengrütze gekocht und in ein Schüsselchen angerichtet hatte, zog das Mädchen den Ring ab und tat ihn in die Grütze; dann sagte sie: »Auf! bringe es ihm jetzt, Mutter!« Sie ging hin und brachte es ihm. Sobald sie dort angelangt war, tauchte er seinen Finger in die Grütze und fand den Ring; da rief er den Leuten zu: »Holt mir einen Löffel!« Dann aß er die Grütze ganz auf. Hernach legte er fünfhundert Piaster in das Schüsselchen aus Ton; diese nahm die alte Frau mit und ging wieder fort. Er aber schickte ihr einen Berittenen nach, indem er ihm auftrug: »An dem Orte, wo die Frau hineingeht, bezeichne das Haus und komme dann wieder!« Am folgenden Tage ließ er den Sohn (der Frau) holen; man richtete diesem aus: »Auf, [der Königssohn ruft!]« Seine Mutter aber bekam Angst und rief: »Weh mir! man will meinen Sohn hinrichten!« Das Mädchen jedoch sagte zu ihr: »Habe keine Furcht!« Hierauf fragte der Königssohn jenen Mann: »Wie ist der Ring in deinen Besitz gekommen?« Er antwortete: »Ich war damit beschäftigt, den Garten zu bewässern; da fand ich ein Mädchen, welches stöhnte. Sie sagte zu mir: ›Ich rufe deinen Schutz an, Bruder!‹ Ich sagte zu ihr: ›Habe keine Furcht, Schwester!‹ Dann lud ich sie auf meinen Rücken und trug sie zu meiner Mutter; hierauf holte ich ihr einen Arzt und machte sie wieder gesund. Schicke nur nach dem Mädchen und laß es holen.« Der Königssohn erwiderte: »Geh du selbst und bringe es mir her!« Da ging er hin und holte es. Sie kam zu ihm; da fragte er sie: »Wer hat an dir so gehandelt, Mädchen?« Sie antwortete: »Deine Schwiegermutter und deine Braut.« Da schickte er nach ihnen und ließ sie hinrichten; dann ließ er ein Feuer anzünden und sie verbrennen. Hierauf ließ er den Geistlichen holen und den Heiratskontrakt aufsetzen; dann heiratete er sie. Und nun ist die Geschichte aus.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 47-49.
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