17.

[54] Es war einmal ein Fischer, der fing jeden Tag für einen Piaster Fische und brachte dafür seinen Kindern Nahrung. Eines Tages ging er aus auf den Fischfang; aber wie oft er auch sein Netz ins Wasser warf, so fing sich doch nichts in demselben. Den ganzen Tag fing er nichts; als er aber endlich einen Fisch gefangen hatte, dachte er: »Wart, ich will den Fisch ins Wasser werfen: denn das Sprichwort besagt: ›Tue das Gute und wirf es ins Meer;‹ ich will doch sehen, wenn ich ihn hineinwerfe, was daraus entsteht.« Hierauf ging er nach Hause, ohne für diesen Abend etwas mitzubringen. Am folgenden Tage ging er fischen und warf das Netz ins Wasser: da kam mit demselben eine Kiste voll Perlen heraus, die lud er auf und ging nach Hause. Sein Sohn fragte ihn: »Vater, was ist in der Kiste?« Er antwortete: »Es sind Perlen darin.« Jener schlug vor: »Wir wollen nach Stambul ziehen, um sie zu verkaufen.« »Gut, mein Sohn,« erwiderte er: dann holte er Tiervermieter, für sich ein Maultier und für seinen Sohn ein Maultier; die Kiste mit Perlen luden sie auf und reisten nach Stambul. Kaum waren sie in der Stadt Stambul angelangt, da kam jemand zu ihnen und fragte sie: »Was führt ihr mit euch?« Sie antworteten: »Wir führen eine Kiste voll Perlen mit uns; lassen sich die in dieser Stadt verkaufen?« »Ja freilich lassen sie sich verkaufen,« sagte jener. Da boten sie ihm an: »Du sollst unser Teilhaber sein; wir wollen uns mit dir assozieren.« Er erwiderte: »Gut, ich will mich mit euch assozieren.« Da mieteten sie einen Laden und verkauften nun den Inhalt der Kiste, bis sie nichts mehr zu verkaufen hatten; dann hielten sie sich noch drei bis vier Tage auf. Ihren Teilhaber aber baten sie: »Du solltest noch mit uns herumgehen und uns die Stadt zeigen, damit wir die Sehenswürdigkeiten derselben betrachten können.« »Sehr gerne,« erwiderte jener, »ich will sie euch zeigen.« Da zeigte er ihnen fünf Tage lang die Sehenswürdigkeiten.

Es war aber daselbst ein König, der hatte eine Tochter, die sehr schön war; auch meldeten sich Leute, die sie zur Ehe begehrten; wenn sie ihr Vater aber einem gegeben und der Bräutigam sich ihr genaht hatte, so war er am andern Morgen tot; wenn man am andern Morgen aufstand, fand man den Bräutigam tot. So waren es ihrer schon zehn gewesen, die sie zur Ehe begehrt hatten: wenn sie aber sich ihr hatten nahen wollen, waren sie des andern Morgens tot gewesen. Hierauf bekamen jene Leute, welche in der Stadt umherwanderten, die Prinzessin zu Gesiebt, und der Sohn sagte: »Vater, du solltest um dieses Mädchen für mich anhalten.« Da sagte der Teilhaber: »Wir wollen gemeinschaftlich um sie anhalten; wie wir uns assoziert haben für das Geld, das wir gewonnen haben, wollen wir uns in betreff der Braut assozieren.«[55] »Wie du willst,« erwiderte dieser. Da gingen sie hin, um bei ihrem Vater um sie anzuhalten. Dieser aber sagte: »Ich will sie euch geben, ohne Stolz gegen euch; jedoch, ihr jungen Leute, ich muß euch sagen, ich gebe sie euch nicht gerne. Dieser junge Mann ist fremd und schön, und ich habe Angst um ihn, da ich nicht weiß, wie es mit dem Mädchen steht; wenn ein Bräutigam kommt, sich ihr zu nahen, so ist er am folgenden Tage tot. Daher gebe ich sie euch nicht gerne und will euch nicht betrügen.« Einen solchen Bericht gab der Vater des Mädchens den jungen Leuten, die kamen, sie zur Ehe zu begehren. Sie aber erwiderten: »Wir vertrauen auf Gott.« »Gut,« sprach jener. Darauf nahmen sie das Mädchen in Empfang, und der junge Mann wollte sich ihr nahen.1 Da sprach er zum Teilhaber: »Willst du dich ihr zuerst nahen, oder soll ich es tun?« Er antwortete: »Nein, du;« der Sohn des Fischers vor seinem Teilhaber. In der folgenden Nacht wollte sich nun der junge Mann dem Mädchen nahen; sobald er sich jedoch mit ihr zu Bette legte, kam eine Schlange aus ihrem Munde hervor, wand sich dem jungen Manne um den Hals und wollte ihn erwürgen. Der Teilhaber jedoch, der zu ihren Häuptern saß, zog sein Schwert und schlug jene Schlange; er tötete sie, hob sie auf und warf sie weg; dann ging er seiner Wege und verließ sie. Am folgenden Tage stand der junge Mann wohl und gesund auf; da brachte man dem König die frohe Botschaft: »Ich habe frohe Kunde: dein Schwiegersohn ist wohlauf.« Darüber freute sich der König; denn vorher war er betrübt gewesen, weil jeder, der seine Tochter hatte heiraten wollen, am folgenden Tage tot dagelegen hatte; darüber war er bekümmert und betrübt, weil man nicht wußte, wie es mit dem Mädchen stand2. Das Mädchen aber hatte eine Schlange im Leibe; sobald nun jemand kam, bei ihr zu schlafen, kam die Schlange aus ihrem Munde hervor und erwürgte ihn. Bei dem jungen Manne jedoch hatte der Teilhaber gewacht und die Schlange, als sie zu ihrem Munde herauskam, totgeschlagen. Daher traten nun die Leute vor den König, um ihn zu beglückwünschen.

Jener junge Mann und sein Vater blieben ungefähr ein Jahr dort; hierauf sagten sie zum Könige: »Wir haben Sehnsucht nach unsrer Heimat.« »Schön, mein Sohn,« erwiderte er, »ich will dich nicht davon abhalten, daß du in deine Heimat ziehst; vielleicht hat deine Mutter Sehnsucht nach dir.« Hierauf schickte sich der König an, seiner Tochter eine Mitgift leichten Gewichtes aber hohen Wertes mitzugeben; dann zogen sie ab, er, sein Vater und ihr Teilhaber. Als sie nahe daran waren, in ihrer Heimat anzulangen, sagte ihr Teilhaber: »O meine Gefährten! wir wollen nun teilen; wir wollen das Kompaniegeschäft auflösen und das Geld, das wir gewonnen haben, teilen.« »Gut,« sagten sie, »wie du willst.« Darauf[56] teilten sie das Geld, das gemeinsam war; dann fragten sie: »Was bleibt nun noch, Teilhaber?« Er erwiderte: »Es bleibt noch die junge Frau.« Sie sagten: »Wie können wir die junge Frau teilen?« Da schlug er vor: »Wir wollen sie in zwei Hälften schneiden; nehmt ihr dann den Teil, den ihr wünscht.« Hierauf zog er das Schwert, um sie zu zerschneiden; aus Angst machte sie so3: sie machte den Mund auf; da kamen aus ihrem Munde junge Schlangen heraus. Hierauf sagte ihr Teilhaber: »Nehmt das Schwert weg, und nehmt das Geld und nehmt die junge Frau; ich habe so gehandelt, damit die junge Frau Angst kriege und die jungen Schlangen aus ihrem Munde herauskämen. Dies ist der Lohn für die Wohltat, die du getan und die du ins Meer geworfen hast. Nimm deinen Sohn, dein Kaufmannsgut und die junge Frau deines Sohnes und zieh in Frieden deines Weges.« Da zogen sie in ihre Heimat; dort kam dem jungen Manne seine Mutter entgegen und fragte: »Was bringst du, lieber Sohn?« Er antwortete: »Liebe Mutter! ich und mein Vater, wir bringen Geld und Hab und Gut und eine junge Frau.« »Ist das wirklich wahr, Mann?« fragte sie. »Ja freilich, Frau!« antwortete er, »die Wohltat, die ich ins Meer geworfen habe, haben wir auf unserer Reise in Stambul getroffen; er hat uns die Kiste voll Perlen verkauft und gemacht, daß wir dafür viel Geld gewannen; er hat für deinen Sohn angehalten und ihn heiraten machen, und er ist mit uns gegangen bis halbwegs; da hat er uns alles zusammen geschenkt und ist seiner Wege gegangen.« Nun ist die Geschichte aus.

1

Dieser Satz ist wohl als Prolepsis auszumerzen.

2

[werden sollte].

3

Geste des Schreckens.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 54-57.
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