21.

[71] Es war einmal einer, der pflegte Frösche zu fangen; während er einmal Frösche aus dem Wasser zog, fand sich darunter auch ein Fisch. Wie er nun den Fisch betrachtete, sah er, daß er auf dem Kucken golden war. Als er am Abend nach Hause kam, fragte ihn seine Frau: »Mann, hast du Frösche gebracht?« »Ja,« erwiderte er, »ich habe aber auch einen Fisch gekriegt; wollt ihr,[71] daß wir diesen Fisch verkaufen oder ihn bei uns behalten?« Sie fragte: »Weshalb? Was ist's mit dem Fisch?« Er antwortete: »Sein Rücken ist mit Gold besetzt.« »Zeige mir ihn!« bat sie. Da zeigte er ihn ihnen; als sie ihn einige Zeit beschaut hatten, sagte seine Tochter: »Lieber Vater, diesen Fisch sollten wir eher dem König bringen, als daß wir ihn verkaufen; wenn wir ihn verkaufen, wieviel Piaster wird er uns eintragen? Der König aber so wird dir ein Geschenk weit über seinen Wert geben.« Der Mann fragte: »Wer will ihn hintragen?« »Ich,« erwiderte sie. Darauf brachte sie ihn dem Könige; als dieser ihn betrachtete, fand er ihn sehr merkwürdig; er rief seinen Kindern und rief seiner Frau: »Kommt und beschaut diesen Fisch; ich habe seinesgleichen noch nie gesehen.« Da kamen sie und beschauten ihn längere Zeit. Hierauf fragte der König: »Was wollen wir dem Mädchen für den Fisch geben?« Sein Sohn sagte: »Die muß fünfhundert Piaster dafür bekommen.« Da gab er ihr fünfhundert Piaster; als sie zu ihrem Vater zurückkam, fragte dieser: »Wieviel hat dir der König zum Geschenk gegeben, meine Tochter?« Sie antwortete: »Fünfhundert Piaster hat er mir gegeben.« »Da gratuliere ich dir,« sagte er.

Jene aber setzten den Fisch in das Bassin ins Wasser; von nun an verweilten sie jeden Morgen früh beim Bassin, um den Fisch zu beschauen und sich an ihm zu freuen. Als sie nach Verlauf von drei Tagen wieder bei dem Wasserbassin verweilten und auch die Königin dabei saß, sprang der Fisch aus dem Bassin heraus; sein Maul nahm er voll Wasser, schwamm zur Königin hin und spritzte ihr das Wasser ins Gesicht. Da wurde die Königin zornig und befahl: »Laßt jenes Mädchen holen, das diesen Fisch gebracht hat!« Man schickte nach dem Mädchen, um es holen zu lassen. Der Vater des Mädchens aber sagte: »Der König will gewiß die fünfhundert Piaster wieder, die er meiner Tochter geschenkt hat; nun habe ich sie aber ausgegeben; woher wohl soll ich fünfhundert Piaster herbeischaffen!« Das Mädchen jedoch begab sich zum Könige; da fuhr die Königin sie an: »Nimm dich in acht, Mädchen! Erkläre mir, warum mir der Fisch ins Gesicht gespuckt hat!« Sie antwortete: »Was liegt daran, daß er dir ins Gesicht gespuckt hat?« »Nein, nein,« sagte jene, »erkläre es mir.« »Ich will es dir erklären,« erwiderte sie; »aber es wird dich gereuen, gerade so wie es den Jäger in betreff seines Falken reute.« Da fragte sie: »Wie war das mit dem Jäger, den es in betreff seines Falken reute?« Jene erzählte:

Es war einmal ein Jäger, der jagte in der Steppe; hierbei wurde er durstig und konnte kein Wasser entdecken. Da fand er eine Höhle und trat in das Innere derselben; dort sah er, daß von derselben Wasser heruntertröpfelte, von Zeit zu Zeit ein bißchen; da stellte er seinen Trinkbecher unter das Wasser, das herabtröpfelte, hin und sammelte so etwas Wasser. Hierauf nahm er[72] den Becher vom Boden, um das Wasser zu trinken; da flog sein Falke gegen den Becher und verschüttete das Wasser. Da legte der Jäger die Flinte an und erschoß seinen Falken. Dann blickte er zur Decke der Höhle empor, um daselbst noch mehr Wasser zu suchen; da erblickte er an dem Platze, wo das Wasser herabtröpfelte, eine Schlange, die aus ihrem Maule Gift herabtropfen ließ; was herabtröpfelte, war kein Wasser, sondern Gift aus dem Maule der Schlange, und der Falke hatte er verschüttet, damit sein Herr nicht jenes Gift trinke. Als nun der Jäger zugeschaut und gefunden hatte, daß es eine Schlange war, da empfand er Reue in betreff seines Falken. – So erzählte das Mädchen der Königin und fügte hinzu: »Ich will dir erklären, warum der Fisch dir in den Mund gespuckt hat; aber es wird dich gereuen, wie es den Jäger in betreff seines Falken reute.« Jene sagte: »Nein, nein; erkläre es mir nur!« »Morgen will ich es dir erklären,« erwiderte sie. Hierauf ging das Mädchen nach Hause. Da fragte sie ihr Vater: »Was ist's mit dem König, liebe Tochter? Will er die fünfhundert Piaster wieder?« »Nein, lieber Vater!« antwortete sie, »habe keine Angst!«

Am folgenden Morgen ließ die Königin sie wieder holen und sagte wiederum: »Du sollst mir erklären, warum der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat.« Jene erwiderte: »Ich will es dir erklären; aber es wird dich gereuen, wie es den Schmied gereute.« Da fragte die Königin: »Heraus damit! Wie war das mit dem Schmied, den es gereute?« Da erzählte das Mädchen:

Es war einmal ein Schmied, der war in seiner Werkstätte an seiner Arbeit; da dachte er: »Was könnte ich zum Frühstück essen? Wart, ich will eine Gans kaufen, sie schlachten und sie hier in der Werkstätte braten; die will ich zum Frühstück essen.« Da ging der Schmied hin, kaufte eine Gans und kehrte damit in seine Werkstätte zurück. Als er aber die Gans geschlachtet hatte, da öffnete sich plötzlich die Erde und es kam einer zu ihm heraus, der sagte zu ihm: »Komm hierher und guck einmal!« Da schaute der Schmied auf die Stelle, wo die Erde sich geöffnet hatte und jener Mann herausgekommen war; es war dort ein Gemach voller Goldstücke. Jener Mann aber sagte zu dem Schmied: »Gib mir diese Gans und hole dir dort dafür Goldstücke, soviel du willst.« Der Schmied aber wollte nicht darauf eingehen; da trat der Mann näher und prügelte den Schmied; die Gans nahm er mit und schlüpfte in jenes Gemach hinein, in welchem das Gold lag; hierauf schloß sich die Erde wieder, und als der Schmied um sich blickte, sah er keine Gans, kein Gold und keinen Mann mehr. Da reute es den Schmied, daß er ihm die Gans nicht gegeben und sich dafür Gold, soviel er wollte, geholt hatte. So wird es auch dich, o Königin, gereuen, wenn ich es dir erkläre.1 – So erzählte das Mädchen der Königin[73] diese aber sagte: »Du mußt mir aber erklären, weshalb der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat.« »Morgen will ich es dir erklären,« erwiderte jene.

Am folgenden Morgen ließ die Königin das Mädchen wiederum holen. »Was willst du, o Königin?« fragte sie. Sie erwiderte: »Du sollst mir sagen, warum der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat.« Sie entgegnete: »Ich will es dir schon sagen; aber es wird dich gereuen, wie es Ali den Gebetsrufer gereute.« Da fragte jene: »Wie war das mit Ali dem Gebetsrufer, den es gereute?« Jene erzählte:

Es war einmal ein Gebetsrufer; als er nun einmal auf das Minarett hinaufgestiegen war, um zum Gebete zu rufen, kam ein Vogel, hieß ihn auf seinen Rücken steigen und flog mit ihm weg. Er brachte ihn an einen Ort, wo fünf Mädchen waren; diese behandelten ihn äußerst aufmerksam, brachten ihm schöne Kleider, und bereiteten ihm gutes Essen. Er aber wollte wieder weggehen; da fragten sie ihn: »Wohin willst du?« Er erwiderte: »Ich habe Familie; ich habe Kinder; ich will an mein Geschäft gehen, um ihnen Nahrung zu verschaffen.« Jene sagten: »Wir wollen ihnen Tag für Tag fünfhundert Piaster schicken.« So sandten jene Mädchen, die Teufelinnen waren, ihm jeden Tag fünfhundert Piaster für seine Kinder. Als er aber acht Tage bei ihnen zugebracht hatte, sagte er zu ihnen: »Ich möchte weggehen, um meine Kinder zu sehen; ich will dann wiederkommen.« Sie erwiderten: »Geh nur, aber verpasse den Mittag nicht; halte dich nicht länger auf als bis um Mittag.« »Nein, nein,« sagte er. Als der Mann nach Hause kam, trat seine Frau an ihn heran und fragte ihn: »Woher hast du das Geld, das du uns geschickt hast?« Er erwiderte: »Fünf Mädchen sind es, die es mir jeden Tag schenken, damit ich es euch schicken kann.« Dann sagte er: »Nun möchte ich aber eine Weile schlafen.« Da brachte sie ihm ein Kopfkissen, und er legte sich nieder; er befahl ihr aber: »Wecke mich vor dem Mittag!« Hierauf schlief der Mann; seine Frau jedoch weckte ihn nicht vor dem Mittag. Er erwachte erst, nachdem der Mittag vorbei war. Da stieg er auf sein Minarett, um zum Gebete zu rufen, aber es kam niemand, ihn zu holen; da reute es ihn, daß er geschlafen hatte. »Und so wird es auch dich reuen, o Königin!« – [So erzählte das Mädchen der Königin.] »Nein, nein,« sagte diese; »erkläre mir, weshalb der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat!« »Morgen will ich es dir erklären,« erwiderte sie.

Am folgenden Morgen sandte sie wiederum hin und ließ das Mädchen holen. Wiederum sagte sie: »Heraus damit, Mädchen! Erkläre mir, warum der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat.« »Es wird dich reuen,« sagte dieses. »Nein, es wird mich nicht reuen,« sagte jene. Da fragte das Mädchen: »Wo ist der König?« »Er ist hier,« sagte sie. »So laß ihm sagen, er möge hierher kommen.« Als der König kam, bat sie ihn, Platz zu nehmen;[74] dann sagte sie zur Königin: »Hole deine Sklavinnen herbei.« Als dies geschehen war, sagte das Mädchen zur Königin: »Befiehl ihnen, sich von Kopf zu Fuß auszuziehen.« Die Königin ließ erst zwei, dann noch zwei andere sich ausziehen, und es blieb nur noch eine übrig. Da sagte die Königin: »Es genügt; ich weiß jetzt, weshalb der Fisch mir ins Gesicht gespuckt hat.« Der König aber rief: »Nein; du sollst die andere sich auch noch ausziehen lassen.« Sie erwiderte: »Nein, es ist genug; was willst du mit ihr?« »Nein, nein,« sagte jener, »du sollst die andere sich ausziehen lassen.« Da ließ sie die andere sich ausziehen, und es kam heraus, daß es ein Sklave war. Das Mädchen aber sagte: »Deswegen hat der Fisch dir ins Gesicht gespuckt; du bist dem König untreu; du hast einen Sklaven unter die Sklavinnen gesteckt und ihm die Kleider von Sklavinnen zum Anziehen gegeben; du bist dem König untreu; deswegen hat der Fisch dir ins Gesicht gespuckt. Ich sagte dir: ›Es wird dich reuen;‹ du aber sagtest: ›Nein, du sollst es mir erklären.‹« Hierauf ließ der König seine Frau hinrichten; auch jenen Sklaven, der unter den Sklavinnen gefunden war, ließ er hinrichten. Dann ließ er den Priester holen, damit er ihm das Mädchen antraue. Hierauf ließ er ihre Angehörigen holen und wies ihnen eine Wohnung im Palaste an. Da lebten sie und die Angehörigen des Mädchens zufrieden mit einander. Und nun ist die Geschichte aus.

1

Vgl. die Geschichte ZDMG. 36, 270 ff.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 71-75.
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