24.

[81] Es war einmal ein Kaufmann, der hatte drei Söhne und eine Tochter. Der Mann aber wurde alt; da sagte er: »O meine Söhne! ich empfehle euch eure Schwester; behandelt sie nicht ungebührlich, schlagt sie nicht, sondern habt einander lieb.« Hierauf ging das Leben des Mannes zu Ende. Da blieben die jungen Männer bei ihrer Schwester wohnen; jeden Tag gingen sie fort an ihr Geschäft, das Mädchen bereitete ihnen Essen, nähte und wusch für sie und aß mit ihnen zusammen. Jeden Tag aber zur Abendzeit, nachdem das Mädchen seinen Brüdern das Abendessen bereitet und die Betten gerüstet hatte, zog es Männerkleidung an und begab sich ins Kaffeehaus; dort rang es mit den Männern und stellte sich als Mann: sie trat mit dem (betreffenden) Mann in die Mitte des Kaffeehauses und ging mit ihm den Vertrag ein: »Wenn du mich besiegst, so schlage mir den Kopf ab, wenn ich aber dich besiege, so schlage ich dir den Kopf ab.« Sie trug den Sieg davon; dann schlug sie demjenigen, mit welchem sie gerungen hatte, den Kopf ab. Zehn Tage hinter einander trieb sie das Spiel; eines Abends aber sagte der eine ihrer Brüder1: »Ich möchte doch hingehen und sehen, wohin diese sich begibt.« Da ging ihr Bruder ihr nach – er machte, daß sie ihn nicht zu sehen bekam –, er ging und fand sie, wie sie im Kaffeehause um die Wette rang. Da trat ihr Bruder auf, mit ihr zu ringen, sie jedoch besiegte ihn und hieb ihm den Kopf ab. Sie wußte aber nicht, daß es ihr Bruder gewesen war. Zu Hause angelangt fragte sie ihre Brüder: »Wo ist mein Bruder?« Sie antworteten: »Wir wissen nicht, wohin er gegangen ist.« Als es Abend wurde, begab sie sich wiederum ins Kaffeehaus; da lief ihr zweiter Bruder ihr nach und trat auf, mit ihr zu ringen; auch ihn besiegte sie und hieb ihm den Kopf ab, ohne zu wissen, daß es ihr Bruder war und ohne daß sie2 es ihr sagten. Es wurde (wiederum) Abend3; ihre Brüder waren nicht mehr da außer einem einzigen. Sie begab sich wiederum ins Kaffeehaus; da lief ihr dieser ihr jüngster Bruder nach, nahm jedoch in der Entfernung Platz, nicht in der Nähe des Ringkampfes. Da trat einer auf, mit[81] ihr zu ringen; sie aber besiegte ihn und hieb ihm den Kopf ab. Da dachte der Bruder: »Also sie selbst hat meine Brüder umgebracht; nun wird sie auch mich noch töten wollen, aber ich will nicht mehr nach Hause zurückkehren.« Der junge Mann begab sich an sein Geschäft; Abends ging er nicht nach Hause. Sie wartete und wartete; aber es kam niemand. Da zog sie Männerkleidung an und begab sich ins Kaffeehaus; einer trat auf, um mit ihr zu ringen, und besiegte sie. Da wollte er ihr den Kopf abschlagen; sie aber rief: »Halt ein! Ich bin ein Mädchen.« Er erwiderte: »Ein Mädchen! Wozu treibst du denn solches (Spiel)?« »Wer mich besiegt, der ist mir (vom Schicksal) bestimmt.« »Wieso für dich bestimmt?« fragte er. Sie erwiderte: »Ich will ihn heiraten.« Jener fragte: »Wo ist dein Haus?« Sie antwortete: »Schicke mir Leute zur Begleitung mit; ich will ihnen das Haus zeigen.« Da schickte er ihr Leute mit, und sie zeigte es ihnen. Am andern Morgen kam er zu ihr und fragte sie: »Du bist also die, die gestern im Kaffeehause war?« Sie sagte: »Ja.« Da sagte er: »Ich will einen Priester für dich holen lassen.« Sie sagte: »Ich bin Muslimin.« Da erwiderte er: »Also will ich den muslimischen Prediger holen.« »Ja,« sagte sie. »Wie heißt du?« fragte er. »Ich heiße Fatime,« erwiderte sie. Hierauf ließen sie den muslimischen Prediger holen; der segnete sie ein, und jener Mann nahm das Mädchen zur Frau. Er nahm sie nach Hause4 und ließ öffentlich bekannt machen: »Niemand soll (heute) zu Hause speisen; der und der hat ein Bankett veranstaltet, kommt bei ihm schmausen.« So ließ er den Leuten ein Abendessen auftragen; dann vollzog er die Ehe mit dem Mädchen.

Hierauf wurde sie schwanger und gebar einen Sohn. Als dieser groß geworden war, prügelte er jeden Knaben, den er antraf – er hieß Ali Saibak –; wenn er ein Mädchen antraf, so schlug er es blutrünstig. Da kamen (die Leute) zu seinen Eltern: »Ali Saibak hat meine Tochter geschlagen.« Dann drohten ihm seine Angehörigen mit Strafe; aber es ging ihm nicht ans Herz: wenn er wieder jemand antraf, so prügelte er ihn. Da gingen die Leute zum Sultan sich über ihn beklagen; der schickte Berittene, um jenen zu greifen; aber sie waren dazu nicht imstande. Er trug nun Waffen und Säbel; so streifte er Tag und Nacht umher; wenn er irgendwo etwas fand, was ihm gefiel, so nahm er es; er wurde ein Teufelskerl. Die Leute gingen (wiederholt) zum Sultan, um über ihn Klage zu führen; der Sultan aber gab ihnen kein Gehör, sondern sagte: »Das ist ja ein Teufelskerl!« So wurde ihm der Prozeß nicht gemacht.5 Wenn er nachts umher streifte und irgendwo ein Raubtier antraf, schlug er es tot; wenn er Straßenräuber antraf, schlug er sie tot. So erwarb er sich in der Stadt6 einen Ruf,[82] er, Ali Saibak. Einst maß er sich mit jemand; er verwundete ihn und machte, daß er Blut verlor; dann lief, er rasch weg, jener Mann aber lief rasch hinter ihm drein. So gelangte er auf den Bazar der Ellenwaren, wo die Läden mit Kleiderstoffen sind; da lief er durch. Die Leute auf dem Bazar aber riefen: »Was gibt's, was gibt's?« Einer sagte: »Es geht vielleicht eine Razzia zur Soldatenaushebung vor; vielleicht will der Statthalter Soldaten pressen.« Da machten sich die Leute des Bazars auf7, auch alle anderen liefen8 rasch weg; so gelangten sie bis zur Bauwabet Allah9. Da trafen sie jemand, der fragte sie: »O Leute, weshalb lauft ihr so eilig?« Sie erwiderten: »Man will Soldaten pressen.« Da sagte jener: »Habt keine Angst; es handelt sich weder um Soldaten, noch um sonst etwas.« Sie fragten: »Weshalb springen denn jene beiden Leute so?« Jener erwiderte: »Ali Saibak hat jemand eine Wunde beigebracht; nun hat man ihn verfolgt, um ihn zu greifen, aber man hat nichts gegen ihn ausrichten können; daher springen sie. Da kehrten die Leute des Bazars, die Inhaber der Läden, um.«

Ali Saibak aber begab sich zu seiner Mutter; die fragte ihn: »Wo bist du gewesen?« Da erzählte er ihr: »Ich maß mich mit jemand und brachte ihm eine Wunde bei; da verfolgte man mich, um mich zu greifen; man verfolgte mich bis zum Bazar der Ellenwaren; nun glaubten die Ladenbesitzer, es handle sich um Soldaten, und liefen ebenfalls hinterdrein.« Jene erwiderte: »O Sohn, nimm dich in acht! Willst du nicht klug werden? Willst du nicht brav werden? Sonst wird dir einmal jemand einen starken Schlag versetzen, womit er dir eine Wunde beibringt, und dann wirst du siech werden.« Er aber sagte: »Wer wagt es, mir einen Schlag zu versetzen?« Sie erwiderte: »Ja freilich; es kommt noch einmal die Teufelsstunde.« Er aber sagte: »Niemand kann mich besiegen.«

Als es Abend wurde, zog er seine Waffen an und ging weg, in der Stadt umherzustreifen. Er streifte umher, bis kein einziges Licht mehr sichtbar war. Wie er nun um sich schaute, fand er ein Oberstübchen, in welchem noch Licht war; da stieg er dort zu dem Oberstübchen hinauf und traf eine, die nähte. »Was nähst du?« fragte er sie. Sie antwortete: »Einen Bock.« Da sagte er zu ihr: »Probiere ihn dir an; ich will sehen, (wie er dir steht).« Sie erwiderte: »Gut.« Dann hob sie ihn so10 in die Höhe; er aber sagte: »Zieh ihn doch an.« Sie erwiderte: »Wenn ich ihn anziehe, was habe ich davon? Willst du mir ihn (später) holen?« Dann zog sie ihn an; er aber fragte: »Für wen ist er?« Sie antwortete: »Für die Tochter des Sultans.« »Wann wird er fertig?« fragte er. »Morgen,« erwiderte sie. Am folgenden Morgen nähte sie den Rock zu Ende; dann wickelte sie ihn in ein Tuch und ging ihn der Prinzessin abliefern. Als es Abend wurde, legte Ali Saibak seine[83] Waffen an und streifte lange umher, bis alle Leute schliefen; dann stieg er in das Oberstübchen der Prinzessin hinauf, sprengte die Truhe auf und holte den Rock heraus; hierauf begab er sich zu der Näherin, die ihn genäht hatte. Er sagte zu ihr: »Da nimm den Rock, den du mich geheißen hast, dir zu bringen; ich habe ihn dir gebracht. Wie heißt du doch?« »Ich heiße Aische,« erwiderte sie. Als die Prinzessin des andern Morgens früh aufstand, fing sie an zu weinen und geriet in Wut. Man fragte sie: »Was hast du?« »Was ich habe?« rief sie. »Während die Herrschaft meines Vaters zu Recht besteht, kommen Diebe, brechen meine Truhe auf und stehlen mir mein Eigentum!« Da gingen die Leute hin und fanden die Truhe aufgebrochen; bei der Truhe aber lag ein Säbel, und als sie zusahen, waren auf demselben Schriftzüge mit dem Namen des Ali Saibak: als er die Truhe aufgebrochen hatte, hatte er seinen Säbel bei derselben liegen lassen. Da sagte der Sultan: »Da sind Leute zu mir gekommen, um über Ali Saibak Klage zu führen, ich aber sagte ihnen: ›Das ist ein Teufelskerl, dem läßt sich kein Prozeß machen;‹ nun aber kommt er in das Stübchen meiner Tochter und raubt ihre Truhe aus; nun sollt ihr ihn abfassen.« Dann schickte er Berittene aus, um ihn zu greifen; aber sie waren nicht imstande, ihn abzufassen. Drei volle Tage hindurch streiften die Berittenen umher, ohne ihn zu kriegen. Da fragte Aische die Näherin, welcher er den Rock gebracht hatte: »Was wollt ihr mir geben, wenn ich ihn euch fangen helfe?« Die Prinzessin erwiderte: »Wir wollen dir tausend Piaster geben, wenn du ihn uns fangen hilfst.« »So bringt sie mir her!« bat sie. Da gaben sie ihr tausend Piaster. Hierauf kam Ali Saibak zu ihr. »Ich bin heute müde,« sagte er. »Weshalb?« fragte sie. Er antwortete: »Der Sultan hat Berittene ausgeschickt, um mich zu greifen; aber sie haben mich nicht gekriegt.« Da forderte sie ihn auf: »Lege dich doch eine Weile schlafen und ruhe aus.« Als er nun im Begriffe war, sich schlafen zu legen, sprach sie zu ihm: »Lege doch deine Waffen ab zum Schlafen; ich will die Türe zuriegeln, so daß niemand dich hier findet.« Da zog er seine Waffen aus und legte sich schlafen; sie aber trat herzu, nahm die Waffen weg und versteckte sie; dann begab sie sich zur Prinzessin und verkündigte ihr: »Ali Saibak schläft bei mir zu Hause; schicke hundert Berittene nach meinem Hause, damit sie ihn abfassen.« Die Prinzessin ging zu ihrem Vater und verkündete ihm: »Ali Saibak schläft im Hause der Näherin Aische; sie ist gekommen, um mich aufzufordern, ich solle hundert Berittene hinschicken, um ihn abzufassen.« Da schickte der Sultan hundert Berittene, die griffen ihn. Er sagte: »Du hast mich überlistet, Näherin Aische! Es tut aber nichts.«

Hierauf führten sie Ali Saibak vor den Sultan; dieser aber sandte hin und ließ den Minister, den Richter und den Oberrichter holen. Zu dem Minister sprach er: »O Minister! Ali Saibak hat die Truhe meiner Tochter aufgebrochen und ihr Eigentum gestohlen.[84] Die Leute kamen (früher) gegen ihn Klage führen, ich aber wollte ihm nicht den Prozeß machen; aber jetzt, was gebührt ihm?« Der Minister erwiderte: »Es gebührt ihm die Strafe des Verbrennens; laß ihn ins Feuer werfen und verbrennen.« Dann fragte er den Richter: »O Richter, (was meinst) du? Was gebührt sich, daß wir dem Ali Saibak antun?« Er antwortete: »Es gebührt sich, daß du ihm den Kopf abschlagen lassest; während du die Klagen über ihn zurückwiesest, ist er gekommen und hat die Truhe deiner Tochter erbrochen.« Hierauf fragte er: »Und du, Großrichter, was gebührt sich in Wirklichkeit, daß wir dem Ali Saibak antun?« Er antwortete: »Es gebührt sich, daß du ihn henken lassest.« Jener sprach: »Ich will ihn zunächst ins Gefängnis sperren und eine Zeit lang darin körperliche Züchtigungen erdulden lassen; dann will ich ihn herausholen und ihm den Kopf abschneiden lassen.« Da führten sie ihn ab und brachten ihn ins Gefängnis.

Dort blieb er einige Zeit. Einst sagte er zum Gefängniswärter: »Hier gebe ich dir ein Goldstück; geh zum Schmied und hole mir ein Beil aus Eisen!« Der Gefängniswärter ging hin und brachte ihm ein Beil aus Eisen; dann fragte er ihn: »Was willst du mit dem Beil, o Ali Saibak?« Dieser erwiderte: »Wenn ich so im Gefängnis sitze, will ich damit spielen zu meiner Unterhaltung.« Als es Nacht geworden war, begann er damit, in die Mauer des Gefängnisses ein Loch zu machen; er machte eine Öffnung, da ergab sich, daß hinter dem Gefängnis ein Backofen war. Am anderen Morgen kam der betreffende Bäcker und fand, daß eine Öffnung vom Gefängnis in den Ofen eröffnet war; in dem Loche saß Ali Saibak. »Weshalb machst du solche Sachen?« fragte ihn der Bäcker; »wenn nun jemand zum Sultan geht und es ihm berichtet, so schickt er nach mir und läßt mir den Kopf abschlagen.« »Habe keine Angst,« erwiderte Ali Saibak; »heute Abend aber verweile bis zuletzt, laß deine Gesellen weggehen und du bleibe hier; ich möchte ein Wort mit dir reden. Jetzt aber hole etwas Brennholz und decke damit dieses Loch zu, damit deine Gesellen es nicht sehen.« Da holte jener Bäcker Brennstoff und schloß damit das Loch zu; dann buk er.

Als es Abend wurde, schickte der Bäcker seine Gesellen weg; er selbst blieb dort, bis die Leute, die im Gefängnis waren, schliefen; da kam Ali Saibak durch jene Öffnung zum Bäcker. Er fragte ihn: »Bäcker, hast du Mehl?« »Ja freilich,« antwortete er. »Hier sind zwei Goldstücke; mache einen Brotteig aus drei Pfund Mehl; dann schenke ich dir hier noch ein Goldstück, geh zum Schmied11; und hier gebe ich dir noch zwei Piaster, hole mir dafür vier Pfund Kohlen.« Da ging der Bäcker zum Schmied und holte die eiserne Keule; dann holte er vier Pfund[85] Kohlen und kam wieder. Jener bat ihn: »Mache mir nun aus diesem Mehl einen Teig!« Dann zog sich Ali Saibak nackt aus und befahl ihm: »Streiche mir den Teig auf den Rücken und auf meine Arme.« Er legte ihm den Teig an; den ganzen Rücken bestrich er ihm mit dem Teig. Dann befahl jener: »Klebe nun die Kohlen daran fest.« Jener klebte ihm die Kohlen auf den Teig. Dann befahl er: »Zünde ein Bündel Hanfreiser an und setze die Kohlen, die auf meinem Bücken sind, in Flamme.« Da ging der Bäcker ein Bündel Hanfreiser holen und setzte sie in Brand; dann zündete er die Kohlen an, die jener auf dem Bücken trug. Jener sagte: »Gib mir den Schlüssel zum Backofen und geh nach Hause.« Mit diesen Worten nahm er die eiserne Keule in die Hand und begab sich zur Wohnung des Richters; die Haustüre sprengte er auf und trat zum Richter ins Zimmer. Der Richter öffnete seine Augen und sah, daß jemand zu ihm ins Zimmer getreten war mit einem ganz feurigen Bücken; der warf sich auf ihn, um ihn zu schlagen. Da rief er: »Halt ein, wer bist du?« »Ich bin Asrael12!« erwiderte jener; »willst du Ali Saibak noch länger im Gefängnis lassen?« Da fragte der Richter: »Pardon! Wie ist denn Ali Saibak mit dir verwandt?« »Ali Saibak ist mein Vetter,« erwiderte jener und begann, ihn mit der eisernen Keule zu schlagen, (indem er rief): »Weißt du immer noch nichts Besseres als zu sagen, daß Ali Saibak verdiene, verbrannt zu werden?« Jener erwiderte: »Pardon! morgen früh will ich seine Freilassung erwirken.« Da prügelte er ihn beinahe zu Tode; dann ging er weg. Er öffnete die Türe zur Bäckerwerkstätte, befreite sich von dem Teige, zog seine Kleider an und ging sich in seine Zelle setzen. Es wurde Morgen; nachdem nun die Frau und die Söhne des Richters lange gewartet hatten, ob er sich von seinem Lager erheben werde oder nicht, ging endlich die Frau die Türe öffnen und trat zu ihm ins Zimmer. »Was fehlt dir, Richter?« fragte sie ihn. Er aber rief: »Ach mein Bücken! meine Arme! mein Kopf! meine Beine!« Sie fragte: »Weshalb? Bist du heruntergestürzt?« »Nein, nein!« antwortete er. »Aber weshalb tun sie dir denn weh?« fragte sie. Da erzählte er ihr: »Ali Saibak ist der Neffe des Asrael; nun ist Asrael zu mir gekommen, mit feurigem Bücken und mit einer eisernen Keule, und hat mich durchgeprügelt.« Der Richter konnte an jenem Tage nicht zur Sitzung gehen; da sagte seine Frau: »Wenn ich es den Leuten erzähle, so sagen sie: ›Kommt denn Asrael in die Häuser, ohne daß ihn jemand sieht?‹« Er fragte: »Aber wie sollen wirs denn anfangen?« Sie erwiderte: »Lade den Sultan doch für die nächste Nacht ein, daß er bei uns den Abend esse; dann wollen wir das Abendessen spät auftragen lassen und machen, daß er bei uns übernachten muß.« Sie luden also den Sultan ein, bei ihnen zu speisen; er ließ jedoch sagen: »Ich bin heute Abend nicht frei.«[86]

Als es Abend wurde und jener Bäcker mit Backen fertig war, schickte er seine Gesellen fort und blieb in seiner Werkstätte, bis die Leute, die im Gefängnis waren, schliefen. Da kam Ali Saibak wieder und sagte zu ihm: »Hier sind zwei Goldstücke; bereite mir dasselbe, wie du es mir gestern bereitet hast.« Der Bäcker holte hierauf Mehl, machte daraus einen Teig und bereitete alles, wie er es in der vorhergehenden Nacht gemacht hatte. Jener bat ihn dann: »Gib den Schlüssel zur Bäckerei her und geh nach Hause.« Hierauf begab sich Ali Saibak zum Minister; er öffnete die Türe und ging mit der eisernen Keule auf ihn los. Da öffnete der Minister seine Augen und sah, daß ein feuriger Mann da war und ihn schlug. »Wer bist du?« fragte er. Jener erwiderte: »Ich bin Asrael; weißt du immer noch nichts Besseres als zu sagen, Ali Saibak verdiene geköpft zu werden?« Er sagte: »Du bist also Asrael; und in welchem Verhältnis steht denn Ali Saibak zu dir?« Jener antwortete: »Er ist mein Neffe,« und hieb auf ihn ein, indem er rief: »Du sollst Ali Saibak aus dem Gefängnis freilassen.« Er prügelte den Minister beinahe zu Tode; dann begab er sich zur Bäckerei, tat den Teig von sich, zog seine Kleider an und schlüpfte in seine Zelle, um sich schlafen zu legen. Am folgenden Tage war der Minister an Armen und Beinen zerschlagen und am Kopfe verwundet. Seine Frau trat zu ihm ins Zimmer, um ihn zu wecken, und fragte ihn: »Weshalb hast du so in den Tag hineingeschlafen?« Er erwiderte: »Asrael ist zu mir gekommen, ganz mit Feuer bedeckt, mit einer eisernen Keule in der Hand; er hat sich auf mich gestürzt, um mich zu prügeln; die Beine hat er mir entzwei geschlagen und am Kopfe eine Wunde beigebracht.« »Weshalb dies?« fragte sie. »Ali Saibak ist sein Neffe,« antwortete er. »Was hast du denn diesem getan?« fragte sie. Er erwiderte: »Als er der Prinzessin die Sachen aus ihrer Truhe stahl, fragte der Sultan: ›Was wollen wir dem Ali Saibak antun?‹ Ich erwiderte: ›Laß ihn köpfen;‹ denn ich wußte nicht, daß Asrael sein Vetter ist.« Sie erwiderte: »Wer wird den Mut haben, dem Sultan zu sagen, er solle Ali Saibak aus dem Gefängnis freilassen? Vielleicht geht Asrael noch zum Sultan selbst.«

Als es Abend wurde und der Bäcker mit Backen fertig war, schickte er seine Gesellen weg; da kam Ali Saibak wieder zum Vorschein und sagte: »O Bäcker! hier sind zwei Goldstücke; bereite mir dasselbe, wie in einer jeden der früheren Nächte.« Dies tat der Bäcker; da begab sich Ali Saibak zum Großrichter, sprengte die Türe und trat zu ihm ins Zimmer. Er ging auf ihn los, um ihn mit der eisernen Keule zu schlagen, und prügelte ihn heftig durch. Jener rief: »Gnade! Wer bist du?« »Ich bin Asrael,« erwiderte jener; »weißt du noch immer nichts Besseres als zu sagen, Ali Saibak verdiene gehenkt zu werden?« Da fragte er: »Wie ist Ali Saibak denn mit dir verwandt?« Jener erwiderte: »Ali Saibak ist mein Vetter; wenn du nicht morgen früh dafür sorgst, daß er[87] aus dem Gefängnis freigelassen wird, schlage ich dir nächste Nacht den Kopf ab.« Als die Kinder jenes Großrichters am folgenden Morgen früh aufgestanden waren, warteten sie darauf, daß ihr Vater aufstehen würde; aber er stand nicht auf; es wurde Mittag, da war er noch nicht aufgestanden. Nun öffneten sie die Türe; der älteste Sohn trat zu ihm ins Zimmer und fragte ihn: »Was fehlt dir, Vater, daß du nicht aufstehst?« Er antwortete: »Ich bin zu schwach, um gehen zu können.« »Weshalb?« fragte jener. Er antwortete: »Asrael ist gekommen und hat mir die Beine zerschlagen.« »Warum dies, o Vater?« fragte jener. Er erwiderte: »Deswegen, weil ich gesagt habe, Ali Saibak verdiene gehenkt zu werden; Asrael aber ist der Vetter von Ali Saibak.« Dann fuhr er fort: »O Sohn, rufe den Richter und rufe den Minister zu mir.« Da begab sich der Sohn zum Richter und richtete ihm aus: »Komm zu meinem Vater!« »Was will er?« fragte jener. »Er möchte ein Wort mit dir reden,« erwiderte er. Dann ging er zum Minister und richtete ihm aus: »Mein Vater läßt dich bitten, du mögest zu ihm kommen.« »Ich bin krank,« erwiderte jener; »was will er?« »Er möchte ein Wort mit dir reden,« erwiderte er. Nun gingen der Minister und der Richter hin; sie fragten: »Was fehlt dir, Oberrichter, daß du zu Bett liegst?« »Er hat wunde Beine,« sagte seine Frau. »Wovon hast du wunde Beine, Oberrichter?« fragten jene. Er erwiderte: »Ich möchte es euch erzählen, aber ich schäme mich.« »Was gabs denn?« fragte einer. Er antwortete: »Asrael, der Vetter des Ali Saibak, ist bei Nachtzeit zu mir gekommen und hat mich beinahe zu Tode geprügelt.« Da rief der Minister: »Ei, ei! vorgestern war er bei mir; sieh, wie er mir am Kopf Wunden beigebracht und die Arme zerschlagen hat!« Dann sagte der Richter: »Vorvorgestern war er bei mir; ich habe aber nicht den Mut gehabt, es euch zu sagen.« »Aber wie wollen wir's nun anfangen?« sagte der Oberrichter; »wir dürfen doch dem Sultan nicht den Rat geben, er solle ihn freilassen!« Dann fuhr er fort: »Und mir hat er gesagt: ›Wenn du morgen früh nicht dafür sorgst, daß Ali Saibak freigelassen wird, so komme ich und schlage dir den Kopf ab.‹« Da sagte der Minister zu ihm: »Lade uns auf heute Abend ein, mich, den Richter und den Sultan, und lasse den Sultan an deinem gewohnten Platze schlafen.« Als es Abend wurde, schickte der Großrichter seinen Sohn und ließ den Sultan, den Minister und den Richter einladen. Man bereitete im Hause ein Abendessen; dem Koch aber befahl der Großrichter: »Richte das Abendessen nicht zu früh an, sondern verzögere es, damit der Sultan bei uns übernachten muß.« Der Sultan aber sagte: »Großrichter! befiehl deinem Koch, er solle uns das Abendessen anrichten; es wird spät, wir möchten gern nach Hause gehn.« Jener erwiderte: »Nein, nein! heute Nacht sollt ihr bei mir schlafen, du, der Minister und der Richter.« So speisten sie; dann legten sie sich bei ihm schlafen.

Ali Saibak aber begab sich zu dem Bäcker und bat ihn:[88] »Rüste mir alles so zu, wie du es gestern getan hast!« Dieser tat es. Da öffnete jener die Türe und trat zum Sultan ins Zimmer. Erst schlug er den Sultan eine Weile; dann begab er sich zum Minister, dann zum Oberrichter, dann zum Richter, um sie zu schlagen; sie alle aber riefen ihn um Gnade an: »Gnade! genug!« Dann machte er sich wieder an den Sultan, ihn zu schlagen. Der Sultan aber sagte: »Wer kannst du eigentlich sein?« Er erwiderte: »Ich bin Asrael; willst du Ali Saibak noch ferner im Gefängnis belassen?« Da fragte der Sultan: »Wer sagt dir denn, daß Ali Saibak im Gefängnis sitzt?« Jener sagte: »Es ist mein Vetter.« Da sagte er: »Gnade! morgen früh will ich ihn freilassen.« Jener erwiderte: »Wenn ihr aber morgen früh Ali Saibak nicht freilaßt, so hole ich eure Seelen.« Sie jedoch sagten: »Bitte, geh doch jetzt nur weg; wir wollen ihn ja freilassen.« Als er fort war, seufzten der Richter, der Minister und der Oberrichter auf; der Sultan aber sagte: »Ich bin so krank, daß ich nicht aufrecht stehn kann.« Jene sprachen: »Zu dir ist er heute Nacht gekommen, so daß du nun kaum mehr aufrecht stehen kannst; zu uns ist er vor drei Tagen gekommen, und hat uns geschlagen und geschunden; wir wagten jedoch nicht, es dir zu sagen. Der Richter kann nicht aufrecht stehen wegen seines Rückens; dem Minister hat er die Arme, dem Oberrichter die Beine zerschlagen; wir haben aber nicht gewagt, es dir zu sagen, o Sultan!«

Am anderen Morgen früh schickte der Sultan hin und ließ den Gefängniswärter holen. Dieser kam und fragte: »Was wünschest du, Herr?« Jener befahl: »Begib dich ins Gefängnis; den, der Ali Saibak heißt, laß frei.« Da begab sich der Gefängniswärter zu denen, welche Gefangene waren, und fragte: »Welcher von euch heißt Ali Saibak?« »Ich,« sagte einer. Er sprach: »Der Sultan läßt dir sagen, du könntest das Gefängnis verlassen.« Jener aber erwiderte: »Geh, sage ihm: ›Ich verlasse es nicht, wenn nicht der Sultan mit dem Richter, dem Minister und dem Oberrichter hierher kommt.‹« Der Gefängniswärter begab sich nun zum Sultan und richtete ihm aus: »Ali Saibak sagt, er wolle das Gefängnis nicht verlassen, wenn du nicht mit dem Minister, dem Richter und dem Oberrichter selbst dorthin kommst, um ihn freizulassen.« Da machte sich der Sultan mit dem Richter, dem Minister und dem Oberrichter auf, sie begaben sich zum Gefängnis; unter der Türe desselben riefen sie: »Ali Saibak, komm heraus!« Er aber antwortete: »Beim Leben meines Vetters Asrael sei's geschworen: Ich gehe nicht weg, wenn ihr nicht alle Gefangenen freilasset.« Da sagten jene: »Dir und deinem Vetter Asrael zu Gefallen sollen alle, die im Gefängnis sitzen, freigelassen werden.« Da verließ er mit allen Gefangenen das Gefängnis. Hierauf ließ der Sultan ein Ehrengewand aus Tuch holen und trat an Ali Saibak heran, um ihn damit zu bekleiden. Der aber sprach: »Ein Ehrengewand aus Tuch mag ich nicht.« »Was wünschest du denn?« fragte jener. Er[89] antwortete: »Ich verlange, daß du mir die Näherin Aische holen und ihr in meiner Gegenwart den Kopf abschlagen lassest, damit ich eine Handvoll Blut von ihrem Blute nehmen und es trinken kann.« Da schickte der Sultan zur Näherin Aische einen Berittenen; dieser begab sich dorthin und sagte: »Aische, du sollst vor den Sultan treten.« Sie ging hin; dort fragte sie: »Was wünschest du, Gebieter?« Er erwiderte: »Ali Saibak verlangt, ich solle dich köpfen lassen.« »Weshalb?« fragte sie den Ali Saibak. Er antwortete: »Du hast mich verraten; wärest du nicht gewesen – als du der Prinzessin den Rock nähtest und mir sagtest, dieser Rock sei für die Prinzessin bestimmt, da sagte ich zu dir: ›Ziehe ihn doch an; ich möchte gern sehen, ob er dir paßt.‹ Da antwortetest du mir: ›Wenn er mir paßt, willst du ihn mir dann holen?‹ Da ging ich ihn aus der Truhe der Prinzessin holen; der Sultan aber wurde zornig über mich und schickte Soldaten aus, mich zu verfolgen; aber sie konnten mich nicht fangen. Da kam ich zu dir und erzählte dir: ›Der Sultan hat Soldaten ausgeschickt, mich zu verfolgen; aber sie konnten mich nicht fangen.‹ Du fordertest mich auf: ›Lege dich eine Weile schlafen!‹ Als ich mich nun schlafen gelegt hatte, nahmst du mir die Waffen weg und verstecktest sie und begabst dich zum Sultan; bei ihm holtest du hundert Berittene, die faßten mich ab. So wahr aber Asrael mein Vetter lebt, wenn der Sultan dich nicht köpfen läßt, so mache ich, daß heute Nacht Asrael seine Seele holt.« Hierauf sagte der Sultan: »So wahr als du lebst, o Ali Saibak, es soll geschehen, wie du es befiehlst.« Dann ließ er den Scharfrichter kommen und befahl ihm: »Schlage der Schneiderin Aische den Kopf ab!« Dieser köpfte sie; Ali Saibak aber hob eine Handvoll Blut auf und trank es.

Hierauf sprach der Sultan: »Was wünschest du nun noch, Ali Saibak?« Er erwiderte: »Ich wünsche, du mögest mir deine Tochter zur Frau geben.« »Die soll dir werden!« sagte jener. Nun ließ der Sultan ausrufen: »Niemand soll ein Feuer anzünden noch zu Hause speisen, sondern beim Sultan; denn der Sultan will seine Tochter dem Ali Saibak zur Frau geben.« Acht Tage hindurch speiste niemand zu Hause, sondern alle speisten von des Sultans Tisch. Ali Saibak heiratete die Tochter des Sultans; dann ließ er seine Mutter und seinen Vater kommen, und sie wohnten von nun an beim Sultan. Dieser aber sprach: »O Ali Saibak! ich möchte dich statt meiner auf den Thron setzen.« Er antwortete: »O nein, Lieber! Ich mag nicht mehr werden als du und an deiner Stelle auf dem Throne sitzen.« Jener aber sagte: »Ich bin alterschwach und kann's nicht mehr tun; du bist ein geschickter Mann, für dich paßt die Sultanswürde.« Jener erwiderte: »Freilich bin ich schlau; jedoch um der Wohlfahrt deiner Söhne willen, gib ihnen die Herrschaft.« Nun sind wir zu Ende.

1

Wohl ihr ältester Bruder.

2

Wahrscheinlich die Leute.

3

Unsicher. – [»Am Abend kam sie hin (in das Kaffeehaus);« im Folgenden »vorhanden« für »da«.]

4

Im Text: in ihr Haus; sollte sich das Pluralsuffix auf die Brüder beziehen?

5

[Teufelskerl; »gegen ihn läßt sich kein Prozeß erheben.«]

6

Die Erzählerin denkt an Damaskus.

7

[und liefen ebenfalls].

8

[und liefen ebenfalls].

9

Vgl. Bädeker, Syrien und Pal.7 S. 289.

10

Sie hält ihn musternd vor sich in die Höhe. O. Gl.

11

Jedenfalls ist hier ausgelassen, daß er sich beim Schmied eine eiserne Keule holen läßt.

12

Der Todesengel.

Quelle:
Bergsträsser, G[otthelf] (Hg.): Neuaramäische Märchen und andere Texte aus Malula. Leipzig: F.A. Brockhaus, 1915, S. 81-90.
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