II
Die Wette.1

[178] Vgl. TEWFÎK, Schwänke p. 32 ff. Häufiger ist die Abmachung zwischen den Gatten darüber, wer die Thüre schliessen soll; vgl. DUNLLIEBR., Prosadichtt. p. 284 b und BEHRNAUER, 40 Vz. p. 175 f.


Es war einmal ein Mann und eine Frau, die besassen einen Esel. Da sprachen sie zu einander: »Wer spricht, der giebt dem Esel zu trinken.« Sie sassen nun da eine Spanne Zeit und zwei und drei, und keiner von ihnen sprach. Da stand die Frau auf und ging zu ihrem Vater, da sie notwendig reden musste. Der Mann hingegen blieb zu Hause.

Nun kam ein Fremder und bettelte bei dem Manne um ein Stückchen Brod; der Mann sprach aber nicht, damit er nicht den Esel tränken müsse. Und was auch der Fremde sagen mochte: der Mann sprach nicht. Da trat der Fremde ins Haus, packte alles Hausgerät zusammen, legte es in einen Sack und führte auch den Esel aus dem Stalle, und der Mann sagte nichts; er legte den Sack auf den Rücken des Esels und ging weg, und der Mann sagte nichts. Nach einer Weile kam die Frau und sah, dass alles Hausgerät und auch der Esel weg waren. Da sagte sie zu ihrem Manne: »Wo ist das Hausgerät? Wo ist der Esel?« »Du hast zuerst gesprochen!« rief er, »geh, gieb dem Esel zu trinken.« »Ah! ein [für alle]mal«, sagte sie, »wo ist der Esel, dass ich gehe, um ihm zu trinken zu geben? Wenn der Esel nicht da ist, was soll ich da tränken? du Schakal!« Da erzählte er ihr: »Es kam ein Fremder und bat mich um ein Stückchen Brod, aber ich sprach nicht. Und was er auch[179] zu mir sagen mochte, ich sprach nicht. Ich dachte mir nämlich: damit das Tränken des Esels nicht mir zufällt. Als er aber sah, dass ich nicht spreche, trat er ins Haus, nahm alles Hausgerät, packte es in einen Sack, legte es auf den Rücken des Esels und zog ab. Ich sprach aber dennoch nicht, um nicht den Esel tränken zu müssen.« »Wo ist er nun hingegangen?« fragte sie. »Ich weiss nicht«, erwiderte er. »Man kennt dich nicht unter deinen Freunden heraus«,2 meinte sie und machte sich auf, um den Fremden zu suchen.

Sie traf ihn noch unterwegs. »Frau! wohin gehst du?« fragte er sie. »Mein Mann hat mich geschlagen«, erwiderte sie, »daher bin ich böse geworden, und gehe nun, um mir einen andern Mann zu nehmen.« »Wenn du mich willst, nehme ich dich«, meinte er. »Einen besseren als dich«, erwiderte sie, »kenne ich nicht. Gott hat mich für dich bestimmt. Lass uns gehen!« Sie wanderten in der Nacht und kamen nach einem Dorf. Man brachte ihnen Abendbrot, aber sie sagte: »Mein Mann isst nicht, er hat schon gegessen.« Die Leute des Hauses drangen in ihn: »Mach doch, iss!« »Ich esse nicht«, antwortete er. So breiteten sie denn ein Lager aus, damit sie sich hinlegten. Da sprach er zu der Frau: »Was hast du mir angethan? du hast mich ohne Abendbrod gelassen!« »Es ist noch Abendbrod da«, erwiderte sie, »man hat es unter den Korb3 gestellt.« Er stand sogleich auf, ging hin, hob den Korb in die Höhe, trat darunter und begann zu essen. Inzwischen erhob sich die Frau von ihrem Platze, ging in einen Winkel und versteckte sich da.

Durch den Lärm, den das Aufheben des Korbes verursachte, erwachten die Leute des Hauses. Sie dachten, dass[180] vielleicht eine Katze an die gekochten Speisen herangekommen sei, und riefen: Kitta, Kitta. Der Mann war aber inzwischen zum Lager zurückgekehrt, und als er die Frau nicht fand, begann er im Hause herumzusuchen. Die Leute wiederum zündeten ein Licht an, und da sahen sie ihn im Hause herumgehen. Nun fielen sie über ihn her und schlugen ihn. »Wie kommst du zu diesem Manne?« fragten sie die Frau. »Meine Lieben«, sagte sie, »das ist nicht mein Mann, sondern ein Dieb. Gestern kam er und stahl unser Hausgerät und unseren Esel. Da ging ich ihm nach, erreichte ihn noch unterwegs, fürchtete mich aber, etwas zu sagen. Nun [sage ich es]: ›Der Sack und die Sachen, die darin liegen, gehören uns, und auch der Esel gehört uns‹.« Da gaben ihm die Leute des Hauses eine ordentliche Tracht Prügel und liessen ihn dann laufen. Die Frau nahm dann ihren Esel und ihre Sachen und kehrte nach Hause zurück. Da sagte der Mann zu ihr: »Du hast zuerst gesprochen; geh, gieb dem Esel zu trinken.« »Asche auf dein Haupt wegen deines Verstandes«, sagte sie.

1

Im Codex: »Geschichte eines Mannes und einer Frau.« Die Überschriften im Codex sind meistenteils nichtssagend oder unpassend.

2

Der Sinn des Satzes ist mir nicht klar.

3

»Der hier erwähnte Korb ist ein dichtes Rohrgeflecht von der Form einer immensen Käse- oder Fliegenglocke, welches über die Speisevorräte gesetzt wird, um dieselben vor Insekten, Mäusen u. dgl. zu schützen.« PRSOC, ṬAbd. II p. 388 l. 4 ff.

Quelle:
Lidzbarski, Mark (Hg.): Geschichten und Lieder aus den neuaramäischen Handschriften. Weimar: Verlag von Emil Felber, 1896, S. 178-181.
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