[378] Muchie Lal.

Seite 279. Die gelegentlichen Beispiele von gewissen Personen, zuweilen Kindern oder Schwachsinnigen, welche die Macht besitzen, das tödtliche Gewürm anzufassen, ohne von ihnen irgend wie gefährdet zu werden, stärken ungemein den Volksglauben an derartige Geschichten, in denen der Cobra der Gefährte der Menschen ist. Wie viel hierbei nun auf Rechnung eines furchtlosen, sanften Anfassens zu setzen ist, und wie viel auf die irgend einer persönlichen, dem Schlangengefühle entsprechenden Eigenthümlichkeit, ist schwer zu sagen, denn die nicht seltenen und durchaus glaubwürdigen Beweise sind doch vereinzelt genug, um von dem Volke als Wunder betrachtet zu werden.

Zum Beispiel konnte ein Brahmanenknabe nicht lange nach der Eroberung von Dekan im Westen von Punah auf dem[378] Lande ohne Hülfe der Musik nur vermittelst seiner eigenen Stimme alle Schlangen, sei es nun aus einem Gebüsche oder einer trocknen Steinmauer, die in jener Gegend ihr liebster Zufluchtsort ist, an sich locken und unbeschadet handhaben. Das Volk im Glauben, er sei ein in Menschengestalt erschienener Gott, gerieth in eine so große Aufregung, daß der Magistrat von Punah von diesem Vergnügen Notiz nahm und in der Besorgniß, die Aufregung über den Knaben möge eine politische Wendung nehmen, regelmäßige Berichte an die Regierung schickte, über die wachsende Volksmenge, die sich beeilte das Wunder zu sehen und dem Kinde und seinen Eltern Geschenke darzubringen. Der arme Knabe wurde indessen von einer Schlange gebissen. Er starb, und das Wunder hatte ein Ende.

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 378-379.
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