Bemerkung A.

[360] Die Schlacht bei Kirkee, die das Schicksal der Peishwa-Dynastie entschied, war der Wendepunkt des letzten Maharattenkrieges. Sie brachte Dekan unter englische Herrschaft und alle die in der Gegend wohnenden Inder, welche sich jener Tage noch entsinnen, betrachteten sie als eines der größten Ereignisse der Neuzeit.

Als sich die Sammlerin vorliegender Märchen in Indien befand, überblickte man von dem damals zeitweise durch den Gouverneur von Bombay bewohnten Hause das ehemalige Schlachtfeld und unter denen, die den Gouverneur Geschäfts oder Vergnügungs halber aufsuchten, waren sowohl manche Eingeborne wie auch Europäer, welche die Ereignisse, die sich vor einem halben Jahrhundert zugetragen hatten, frisch im Gedächtniß trugen. Alte Soldaten rühmten die Treue, mit der die eingebornen Seapoys allen Bestechungen und Drohungen des Bajee Row Peishwa, des unumschränkten Brahmanenherrschers von Punah, Widerstand geleistet hatten. Während Peishwa auf diese Weise sein Ziel durch Verrätherei zu erreichen hoffte, sah sich Mr. Mount Stuart Elphinstone in den Stand gesetzt, die offnen Feindseligkeiten einstweilen hinauszuschieben, und das war[360] von unberechenbarer Wichtigkeit für die Operationen des Lord Hastings, der sich auf der anderen Seite Indiens zu einem großen Feldzuge gegen die Pindaren rüstete.

Die Veteranen konnten all' die romantischen Abenteuer des darauffolgenden Kampfes erzählen. Wie die alten Toughs oder die Zähen, (das jetzige 103. Regiment ihrer Majestät der Königin) das einzigste in der Nähe stehende europäische Corps, nach der heimlichen Entfernung aus Panwell, geraden Weges 72 Meilen weit über die Ghauts auf Punah zu marschirten und in dieser ganzen Zeit eine nur dreistündige Rast hielten; wie sich die von der Reise beschmutzten Krieger in Reih und Glied stellten, mit klingendem Spiel und flatternden Fahnen zu den brittischen Regimentern stießen und wie nicht ein einziger Nachzügler dahinten blieb. Wußten doch alle, daß es bald zu einer Schlacht kommen müsse! Ihr Eintreffen gab Peishwa das Zeichen, die angenommene Maske von sich zu werfen, und da sich das brittische Quartier als unhaltbar bewies, setzten sich unsere Truppen in Bewegung, um zu Kirkee, drei Meilen weit von der Stadt Punah, eine mehr gesicherte Stellung einzunehmen. Beim Marschiren sahen sie, wie all' die Wohnungen des Residenten und seines Gefolges durch den aus der Stadt schwärmenden Feind in Brand gesteckt wurden. Während sie sich in Schlachtordnung aufstellten, beobachteten sie besorgten Blickes die aus Eingebornen gebildeten Regimenter, welche von Dapoorie aus zu ihnen stießen. Waren die eingebornen Soldaten untreu, so mußten sie diesen für Verrätherei günstigen Augenblick benutzen. Aber nicht ein Seapoy schwankte, trotzdem die Maharattenreiterei, noch ehe eine Vereinigung gelungen war, einer dichten Wolke gleich, auf sie zustürmte, sich in den noch offnen Raum zwischen die beiden Reihen drängte, die Flanken der kleinen Armee in Verwirrung brachte und das europäische Regiment im Rücken angriff.[361] Da machte als letztes Auskunftsmittel die zweite Reihe desselben Kehrt und unterhielt zugleich von vorn und hinten ein solches Feuern, daß überhaupt nur wenige der muthigsten Reiter bis in die Nähe der Bajonette kamen.

In dieser Zeit des schnellen und weitreichenden Musketenfeuers verspricht ein solches Mannöver die Bildung der Quarrés, die den Reiterangriff abwehren, zu verdrängen. Aber bis auf jenen Tag war es, soweit unsere Kriegsgeschichte berichtet, selbst von der schrecklichen, englischen Infanterie nur zwei Mal mit Erfolg angewandt, und deßhalb waren die Veteranen der »alten Toughs« nicht wenig stolz, eine Bewegung ausgeführt zu haben, die dem 21ten Regiment ihrer Majestät eine Ehre gewann, die einzig in ihrer Art war. Trugen sie doch von nun an auf ihren Mützen nicht nur eine Nummer vorn, sondern auch eine hinten.

Eine der rührendsten Anklänge an jene Zeiten zog noch an einem der letzten Tage, die wir in Kirkee zubrachten, unsre Aufmerksamkeit auf sich. Ein alter Häuptling Jadowrow von Malagaom kam um von dem fortgehenden Gouverneur Abschied zu nehmen. Er war das Haupt einer der ältesten Maharattenfamilien. Ehe die Mohamedaner in Dekan einbrachen, waren seine Ahnen eine sehr alte Königsfamilie. Als der große Herzog 1802 sich vor der Schlacht von Assaye zu Punah befand, befehligte der damals noch jugendliche Greis die Reiterei. Man hatte ihn wegen seiner, in den für seinen Namen so verhängnißvollen Schlacht bei Kirkee bewiesenen Tapferkeit sehr ausgezeichnet. Auch hielt er treu bis zuletzt zu Peishwa. Er verschmähte es, sich um seiner selbst willen, mit dem englischen Eroberer in Unterhandlungen einzulassen und war einer der Wenigen, die mit unbedingter Treue an ihrem Herrscher hingen, – nicht aus Liebe, – denn er liebte Bajee Row nicht, – sondern weil er[362] »sein Salz gegessen hatte«, und deßhalb kehrte er nach der Verdrängung Peishwa's in sein altes Schloß in der Nähe von Punah zurück. Dort lebte er manches Jahr, schoß und jagte auf seinen kleiner gewordenen Besitzungen und genoß als ein Muster eines alten tapferen, ehrenhaften Häuptlings großes Ansehen, doch konnte man ihn nicht überreden, die Maharattenstadt nach ihrer Eroberung durch die Engländer wiederzusehen. Er habe kein Kind, sagte er. Mit ihm sterbe sein Stamm aus. Als ihm aber nach Jahren ein einziger Sohn geboren ward, rührte ihn eine unerwartete, freigebige Handlung der brittischen Regierung, durch welche seine angestammten Besitzthümer dem Kinde seines Alters gesichert werden sollten. Er entschloß sich, nach Punah zu gehen, um den Gouverneur zu besuchen, dessen provisorische Wohnung zufällig das Schlachtfeld von Kirkee überschaute. Er sah lange und nachdenkend aus dem Fenster des Empfangszimmers und sprach: »Der Ort hat sich sehr verändert, seitdem ich ihn zuletzt vor 50 Jahren sah. Hier war es, wo die Schlacht von Kirkee geliefert ward. Nicht weit von eben dieser Stelle aus stürmten wir jenen Abhang hinab auf die sich an dem Bache dort aufstellenden, englischen Truppen. Ich glaubte, diesen Platz nie wiederzusehen!«

Während dem Schreiben dieser Zeilen bringt die Oberlandmail einen Brief, dessen köstliches, goldgepreßtes Papier mit schönen viereckigen Maharatten-Buchstaben beschrieben ist. Er kommt vom alten Häuptling. Der bittet um keine Gunst, – sondern nur um die Photographie eines alten Freundes, den er nie wiedersehen wird. Er sagt in gewählten Ausdrücken, wie gut er ihm ist, und wie herzlich er seiner gedenkt.

Wenige Meilen von Punah auf einer großen Ebene, die nach Osten zu an das Dorf Koreigaom grenzt, erhebt sich ein prachtvoller Obelisk aus schwarzem Basalt. Dort vertheidigte[363] ein paar Wochen nach der Schlacht von Kirkee ein einzelnes Bataillon Seapoys, – es war das 1ste Grenadier-Corps von Bombay – in Gemeinschaft mit einigen brittischen Schützen aus der Artillerie von Madras und Reitern aus der Punah-Cavallerie einen ganzen Tag lang das unbefestigte Dorf gegen die Maharattenarmee, die vom Peishwa selbst angeführt und durch die vorangegangene Niederlage bei Kirkee erbittert worden war.

Von den Helden dieses kleinen Haufens leben allerdings nur noch wenige. Bei unsrem Aufenthalte in Koreigaom zeichnete sich unter den Dorfbewohnern hauptsächlich ein kleiner Knabe aus, der hatte über seine gewöhnliche Kleidung den vor einem halben Jahrhundert üblichen, vollständigen Anzug eines eingebornen Officiers gezogen. Er war der Sohn eines Jemadar (ein Hauptmann eines aus Eingebornen bestehenden Corps). Demselben hatte man von Seiten der alten Regierungsverwaltung eine kleine Besitzung für ewige Zeiten zu Lehen gegeben, um auf diese Weise dem Denkmal einen guten Schutz zu sichern. Der Bursche hatte das Schwert, den Säbel und den Czakko seines Vaters sorgfältig aufbewahrt und dies alles im kleinen Hofraum auf einen Teppich gelegt, damit es uns bei der Besichtigung des Kriegsschauplatzes in die Augen fallen möge. Nur ein paar greise Dorfbewohner wußten noch etwas von dem Tage, an dem sie sich als angstvolle Kinder während der Schlacht versteckt hielten. Doch konnten sie alle die Stellen angeben, wo sich die einzelnen Ereignisse zugetragen hatten. Die Lehmhütten des Dorfes häufen sich jetzt wie damals auf dem Gipfel eines großen Hügels, von dem aus man den Fluß Bheema überblickt, und hier auf der höchsten Spitze befindet sich im Mittelpunkt zweier unregelmäßig gebauten Straßen ein kleiner Platz, wie er sich gewöhnlich in den Maharattendörfern findet. Daselbst versammeln sich unter dem heiligen Baume vor dem Dorftempel[364] und der Choultry, (dem Ruheorte des Reisenden) allabendlich die Aeltesten des Dorfes, um Neuigkeiten zu hören. Die beiden letztgenannten Gebäude sind die beiden einzigen steinernen Häuser im Dorfe. Auf den massiven, viereckigen, schwarzen Basaltsäulen befinden sich Basreliefs aus vergangenen Zeiten, Kampfscenen zwischen Helden und Halbgöttern, die dem Nationalepos entnommen sind. Der kleine, nur wenige Quadratfuß große Tempel war doch seiner Stärke und Lage wegen der Schlüssel der Stellung. Auf der einen Seite beherrschte man von ihm aus die Straße und blickte von der anderen auf den Fluß, und in Folge dessen genügten ein paar Mann, um die auf dem freien Platze aufgestellten Kanonen zu beschützen. Er war der einzigste Zufluchtsort der Verwundeten. Unsre Leute hatten das Dorf, so klein es auch war, nur theilweise inne, denn als sie es am Morgen vor dem Kampfe auf der einen Seite besetzten, drang die Avantgarde des Maharattenheeres, dessen Heranrücken sie erst ein paar Augenblicke zuvor bemerkt hatten, von der Flußgegend aus vor, und der Streit entspann sich, als die Anführer nur einige Schritte von einander standen. Peishwa nahm seine Stellung auf einer wenig entfernten Anhöhe und sandte den ganzen lieben, langen Tag über ein Armeecorps nach dem andern aus, um die Hand voll brittischer Seapoys zu besiegen, und zwar wählte er hierzu seine besten Truppen, – Araber und andere. Der Feind bewegte sich im Schutze der Lehmmauern, und mehr als einmal gelang es ihm, unsere Kanonen zu nehmen. Doch so lange noch ein englischer Officier da war, um sie anzuführen, stürmten die Seapoys mit gezücktem Bajonette vor und schlugen den Feind zurück. Dabei, sagt man, fiel Pattinson, der riesenhafte Adjutant. Er war der Sohn eines Geistlichen in Cumberland und seine Leute liebten ihn sehr.

Früh am Tage ward er durch den Leib geschossen und auch[365] sonst noch schwer verwundet. Man hielt ihn für todt, doch als er hörte, daß die Kanonen in Feindeshand gefallen seien, erhob er sich mühsam, entriß einem gefallenen Seapoy die Muskete, schlug einen Araber zu Boden und stellte sich noch einmal an die Spitze seiner Leute, um die Kanonen wieder zu gewinnen. Schließlich waren dort auf seiner Seite alle europäischen Officiere todt oder kampfunfähig. Da verließen die jungen Assistenzärzte Wylie und Wingate ihre Verwundeten im Tempel, griffen zum Schwert, riefen den fast erschöpften Soldaten zu, ihnen zu folgen, führten sie zweimal zum Angriff, erbeuteten die kostbaren Kanonen wieder und retteten auf diese Weise die Ehre des Tages. Bei einem dieser Angriffe fiel der tödtlich verwundete Wingate. Am meisten wurden die Seapoys vom Durst gequält. Die Dorfbewohner pflegten ihr Wasser aus dem heiligen Bheema zu holen. Die Unsern konnten den klaren Strom in einer Entfernung von 300 Fuß fließen sehen. Allein jeder Trunk war gewisser Tod. Beherrschte doch das Feuer von Peishwa's Armee diese 300 Schritt und keiner konnte lebend den Raum durchkreuzen und zurückkehren.

Schließlich beendete die Nach den ungleichen Kampf. Peishwa, dessen Muth völlig sank, da er sah, daß er nicht einmal die Macht besaß, diese Hand voll brittischer Seapoys zu überwältigen, die noch dazu nicht einmal von Europäern unterstützt wurden, zog sich zurück. Die wenigen noch lebenden Sieger behaupteten sich auf dem Rückzuge und führten ihren tapferen Adjutanten unter den übrigen Verwundeten mit sich, damit er in Seroor sterbe und mit militärischen Ehren begraben werde. Fast an jedem Festungshügel und großem Dorfe, das in der Nähe von Punah liegt, knüpft sich eine derartige Ueberlieferung, nicht nur aus der Zeit von Alumgeer, Sivagee und aus der früheren Maharattengeschichte, sondern auch aus dem Feldzuge[366] von Wellesley 1802 und aus den letzten großen Kämpfen 1817–18 und es giebt manche Erzählungen, gleich der oben beschriebenen, die sich im Munde der noch Lebenden mit Erinnerungen an Elphinstones Weisheit und edlen Großmuth und Malcolm's Freigebigkeit vermischen, und das hört man gern in unserer streng skeptischen Zeit, in der man leicht geneigt ist, die Kraft eines selbständig europäischen Heldensinnes und den Muth, die selbstlose Treue und die wirkliche Dankbarkeit der Seapoys in Frage zu stellen. Zweifelt man doch oft, allen Ernstes an die Möglichkeit, Indien durch dieselben Mittel und denselben Geist, durch die unser Land gedeiht, behaupten und regieren zu können. Verlieren wir nicht zuweilen durch solchen Unglauben die Macht, gleiche Thaten zu leisten, wie sie die letztvergangene Generation erlebte?

Quelle:
Frere, M[ary]: Märchen aus der indischen Vergangenheit. Hinduistische Erzählungen aus dem Süden von Indien, Jena: Hermann Costenoble, 1874, S. 360-367.
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