4. Der Tiger bekommt seinen Lohn

[38] Ein Tiger hatte sich in einer Falle gefangen. Ein Mann kam vorbei. Der Tiger bat, ihn herauszulassen. Der Mann sprach zum Tiger: »Wenn ich dich nun befreie, willst du mir vorher versprechen, mich nicht anzufallen?« – »Gewiß!« antwortete der Tiger. Der Mann ließ den Tiger heraus; kaum war er frei, da fiel er auch schon über den Mann her. Der Mann bat den Tiger, von ihm abzulassen und sich erst einmal zu erkundigen, wie das Gesetz sich zu ihrem Vertrage stelle; der Tiger willigte ein. Und Mann und Tiger gingen zusammen weiter. Sie kamen an eine Straße. Der Mann sprach: »Straße, liebe Straße, sag an, entspricht es dem Gesetz, Gutes mit Bösem zu vergelten, oder darf Gutes nur mit Gutem vergolten werden?« Antwortete der Weg: »Ich erweise der Menschheit nur Gutes, aber sie belohnen mich mit Bösem, denn sie trampeln auf meinem Rücken, wenn sie gehen.« Darauf kamen sie an einen Baum; der Mann stellte dieselbe Frage. Der Baum antwortete: »Ich tue der Menschheit Gutes, aber sie vergelten es mit Bösem, denn sie schlagen mir die Äste ab und hauen mich um.« Schließlich gelangten sie zum Zwerghirsch. Der Mann stellte dieselbe Frage. Der Zwerghirsch erwiderte: »Der Frage muß ich wirklich auf den Grund gehen; kommt, wir wollen uns wieder zur Falle begeben.« Als sie da ankamen, forderte er den Tiger auf, hineinzugehen; der [38] Tiger gehorchte. Als er die Falle betreten hatte, ließ der Zwerghirsch die Falle zuschnappen und rief: »Elender Bursche, du wolltest Gutes mit Bösem vergelten, nun sollst du sterben!« Dann holte er die Leute herbei, und die machten ihm den Garaus.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 38-39.
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