4. Wie die Muhamedaner sie erzählen

[75] Als der Mensch noch nicht erschaffen war, wohnte Allah in Sawarega, im siebenten Himmel, und eine Schar Djins und Djims, die männlichen und weiblichen Engel der Djabanu-Djans, weilte stets um ihn. Die Höchsten von ihnen waren Eblis, der als Gesandter Allahs Asasil hieß, Djabarail, der ebenfalls ein Gesandter Allahs war und Idjadjil, der auch Idjadjilanat von Djadjalanat genannt wurde. Er war der Gebieter in der Hölle, Naraka, und gehörte auch zu den Gesandten Allahs.

Jeden Morgen mußten die Gesandten der Engel zu Allah kommen und ihm huldigen. Das Beisammensein wurde dann alleweil dazu benutzt, jedem seine Arbeit für den Tag und die Nacht anzuweisen.

Eblis war die rechte Hand Allahs und stand bei ihm in hoher Gunst.

Als eines Morgens alle Gesandten der Engel wieder einmal bei Allah versammelt waren, sagte Allah zu Eblis: »Begib dich auf die Erde, und nach deiner Rückkehr erzähle mir, was du dort alles gesehen hast.«

Am Nachmittag kam Eblis zurück und sagte zu Allah: »Ich habe mir die Erde angeschaut, sie ist schön; ich sah dort Berge, Seen, Bäume und auch strömend' Wasser.«

»Das schenke ich dir alles,« sagte Allah, »fortan sollst du nächst mir der Herrscher auf Erden sein.«

Da glaubte Eblis, daß er nun unabhängig und selbständig geworden wäre; seit jenem Tage erschien er nicht mehr, um Allah zu huldigen. Als Allah das gewahr wurde, entsandte er Djabarail, um Eblis zu fragen, weshalb er nicht mehr in den Sawarega käme.

Eblis antwortete: »Allah ist Gebieter des Sawarega, und ich herrsche auf Erden; so hat jeder sein eigenes Tätigkeitsfeld.«

Allah, der bis dahin weder Ungehorsam noch Undankbarkeit kennen gelernt hatte, betrübte sich über Eblis, den ersten Bewohner [76] der Erde. Er nahm Eblis von der Erde fort und beschloß, sie mit Wesen zu bevölkern, die er nach seinem Ebenbilde schaffen wollte. So schuf er Adam. Und Adam war der erste Mensch auf Erden.

Allah setzte Adam in einen schönen Garten unter den Schatten eines Baums und nahm sich vor, dann und wann einmal nach ihm zu sehen.

Nach einiger Zeit erinnerte sich denn auch Allah des von ihm erschaffenen Wesens. Er begab sich auf die Erde und fand dort den Mann, den er erschaffen hatte, noch immer unter dem Baume sitzend. Da begriff Allah, daß Adam allein war und sich sehr langweilen mußte; er sah auch ein, daß ein Mensch nicht für die Erde genug war. So schuf er denn eine Frau und trug ihr auf, die Erde zu bevölkern. Er nannte sie Eva und brachte sie zu Adam.

Inzwischen hatte Eblis vernommen, daß die Erde sterblichen Wesen geschenkt war, und trotz des Verbots Allahs, nie wieder auf Erden zu erscheinen, beschloß er, doch die Erdbewohner zu besuchen und sie zu töten.

Als er auf die Erde kam, fand er Adam noch immer unter demselben Baume schlafend, unter den ihn Allah gesetzt hatte. Er vergaß ganz sein Vorhaben, Adam zu töten, und ließ ihn ruhig schlafen. Da erblickte er Eva, die war munterer als Adam und pflückte Blumen und jagte hinter Schmetterlingen her. Eblis war ob der Lieblichkeit Evas ganz entzückt und nahm menschliche Gestalt an. Er rief eine große Schlange herbei, gab ihr einen schönen Apfel ins Maul, stieg auf ihren Rücken und stellte sich so der Eva vor.

»Ihr seid ein schönes sterbliches Wesen,« sagte er zu Eva, »doch noch zu dumm, um wirklich als Erdenmensch zu leben. Geht mit mir, und ich will Euch zeigen und lehren, wie man sich vermehrt.«

Eva, die sich bei dem stets schlafenden Adam tötlich langweilte und daran erinnerte, daß Allah ihr befohlen hatte, sich zu vermehren, was sie bis dahin noch nicht recht verstanden hatte, ließ sich leicht bereden, mit Eblis zu gehen. Mit kindlicher [77] Freude nahm sie den schönen Apfel an, den ihr die Schlange anbot, und setzte sich hinter Eblis auf den Rücken der Schlange. Die Schlange trug sie in die Berge. Eva blieb dort eine geraume Zeit bei Eblis und bekam Geschmack an der Liebeslust, die ihr bisher noch unbekannt gewesen war. Allmählich begann sie aber sich unbehaglich zu fühlen; das war die Folge des neuerlernten Genusses; sie sollte Mutter werden. Als Eblis noch dazu sich immer weniger um sie bekümmerte, überkam sie bittere Reue, den guten Adam verlassen zu haben; und eines guten Tages, als Eblis gerade fort war, nahm sie die Gelegenheit wahr, zu Adam zurückzukehren. Sie fand ihn noch immer unter demselben Baume schlafend liegen. Sie ließ sich bei ihm nieder und gebar einen Sohn, den sie Kain nannte.

Eva lehrte dann auch Adam die Art, wie die Menschen sich vermehren sollen, und nach einiger Zeit bekam sie einen zweiten Sohn, den sie Abel nannte. Seit der Zeit mochte Eva den gutmütigen Adam noch lieber leiden und freute sich ihrer Reue, Adam verlassen zu haben. Fortan blieb sie ihm treu und schlug Eblis alle Bitten, ihn doch noch einmal in den Bergen zu besuchen, ab.

Eblis ärgerte sich über diese Abweisung und verleitete seinen Sohn Kain, Abel, den Sohn Adams, zu erschlagen. Kain erfüllte seinen Wunsch und erschlug seinen Bruder Abel.

Als die Seele Abels sich nun bei Allah meldete und ihm erzählte, daß Kain ihn erschlagen hätte, wurde Allah sehr böse. Er begab sich auf die Erde, stellte eine Untersuchung an und verjagte Adam, Eva und Kain aus dem schönen Garten; er befahl ihnen, fortan selber durch ihrer Hände Arbeit für ihr Fortkommen zu sorgen.

Adam war sich keiner Schuld bewußt und hegte, als ihm klar geworden war, daß Kain nicht sein leiblicher Sohn war, einen gewaltigen Zorn gegen Eblis. Er beklagte sich bei Allah und sagte dem Allmächtigen, daß Eblis an allem schuld wäre. Eva wurde befragt, und sie bekannte, daß Eblis sie verleitet hätte. Allah ließ Eblis vor sich kommen und befahl ihm, Adam um [78] Verzeihung zu bitten; doch Eblis weigerte sich und sagte, er wäre aus dem Feuer erschaffen, Adam dagegen bloß aus Erde, er stünde also höher als Adam. Darauf sprach Allah zu Eblis:

»Zur Strafe sollst du von jetzt ab ein Hund sein; von den Abfällen, die die Menschen fortwerfen, sollst du dich nähren; und hinter dem Menschen sollst du herlaufen, ihm folgen und gehorchen.«

Als Allah den Fluch ausgesprochen hatte, verwandelte sich Eblis in einen schwarzen Hund. Damit war Allah aber noch nicht zufrieden; er war böse, daß die bösen Taten des Eblis ihm nicht zu Ohren gekommen waren und die Engel die von ihm erschaffenen Wesen nicht beschirmt und beschützt hatten. Er kehrte nach Sawarega zurück, versammelte alle Engel um sich und sagte:

»Ihr habt alle ernstlich gesündigt und eure Pflichten vergessen. Von heute ab sollt ihr Buße tun, ihr sollt auf die Erde niederfahren und dort umherschweifen. Du, Idjadjil, sollst zu einem menschlichen Ungeheuer werden und dafür sorgen, daß nie eine Frau wieder verführt wird. Und ihr, Djins und Djims, eure Füße sollen zu Pferdehufen werden, damit der Mensch euch erkennt; und weil ihr ihn durch eure Pflichtvergessenheit habt sündig werden lassen, soll er das Recht haben, euch zu steinigen, wo er euch je begegnet.«

Als Allah die Engel so bestraft hatte, jagte er sie aus Sawarega hinaus. Und seitdem werden die Menschen aus Rache von den gefallenen Gesandten und Engeln, die jetzt zu Teufeln geworden waren, geplagt und gequält. Djabarail, der während all' dieser Geschehnisse nicht dagewesen war, weil er einen Auftrag Allahs auszuführen hatte, blieb der treue Diener Allahs. An die Stelle der verbannten Gesandten und Engel setzte Allah andere Gesandte und Engel. Er nannte sie Malekat und Nabi. Seinen getreuen Diener Djabarail machte er ebenso wie Mikail, Asrael und Israpil zu seinen Gesandten. Jeder von ihnen erhielt einen besonderen Wirkungskreis.

Quelle:
Hambruch, Paul: Malaiische Märchen aus Madagaskar und Insulinde. Jena: Eugen Diederich, 1922, S. 75-79.
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