[37] 10. Wie die Blumen wieder in die Welt kamen

Als Byamee die Erde verlassen hatte und nun hoch oben auf dem Oobi-Oobi-Berge im fern-fernen Bullimah-Land wohnte, da welkten alle Blumen, die auf den Ebenen, Abhängen und Bäumen wuchsen, und gingen ein. Keine einzige kam wieder. Und als keine Blumen mehr zu sehen waren, war die Erde wüst und leer. Daß es jemals welche gegeben hatte, wurde zum Märchen, das die Alten im Stamm den Jungen erzählten.

Mit den Blumen verschwanden auch die Bienen. Wenn die Frauen Honig holen wollten, nahmen sie ihre Sammelkörbe vergeblich mit; sie kehrten stets ohne welchen heim. Es gab im ganzen Land nur noch drei Bäume, wo die Bienen lebten und arbeiteten; doch die Leute wagten nicht, sie zu berühren, denn Byamee hatte sein mäh, sein Zeichen, hineingeschnitten und sie so für immer als sein Eigentum gekennzeichnet.

Die Kinder schrien nach Honig, und die Mütter murrten, weil die Zauberer ihnen nicht erlaubten, die Bäume des Byamee zu berühren; sie waren für immer geheiligt.

Als nun der Alles-sehende Große Geist merkte, wie die Menschen nach Honig hungerten und doch nicht die Bäume des Byamee berührten, da erzählte er ihm, wie gehorsam sie wären.

Byamee freute sich darüber und sagte, dann würde er ihnen etwas senden, was, wenn das Land infolge der Dürre fast verkäme, an den Bibbil- und Goolabah-Bäumen erscheinen [37] und so süß sein solle, daß es den Kindern wie Honig schmecke.

Bald darauf sah man weiße zuckerige Flecke auf den Blättern des Bibbil. Die Eingeborenen nennen sie goonbean. Und an den Stämmen lief die klare wahlerh oder Manna wie Honig herunter; in den Zweigen und Ästen ballte sie sich zu Klumpen zusammen und wurden hart; zuweilen fiel sie zu Boden; dann sammelten die Kinder, welche noch nicht an die Zweige reichen konnten, sie auf und aßen sie.

Da freuten sich die Menschen und verzehrten dankbar die süßen Geschenke. Doch die Zauberer sehnten sich noch immer nach dem Blumenflor, der die Erde vor Byamees Fortgang bedeckt hatte. Ihre Sehnsucht wurde schließlich so groß, daß sie beschlossen, zu ihm zu gehen und ihn zu bitten, er möge die Erde doch wieder so schön machen wie früher. Sie sagten den Stämmen nichts von ihrem Vorhaben und begaben sich in nordöstlicher Richtung fort. Sie reisten weiter und immer weiter und gelangten endlich an den Fuß des großen Oobi-Oobi-Berges, der sich zu schwindelnder Höhe in den Himmel erhob und dort verschwand. Als sie daran entlang wanderten, erschien er ihnen mit seinen senkrecht abfallenden, steilen, kahlen Felswänden gänzlich unersteigbar.

Nach einigem Suchen entdeckten sie jedoch einen Fußhalt, der in den Fels gehauen war, dann noch einen und einen weiteren, und als sie in die Höhe sahen, erblickten sie eine richtige Treppe, die sich, so weit das Auge nur blicken konnte, höher und immer höher hinaufzog. Da wollten sie hinaufsteigen.

Sie gingen los; und als sie einen Tag lang geklettert waren, schien die Spitze des Berges noch ebenso weit entfernt zu sein wie anfangs; am zweiten und dritten Tag war es auch nicht viel anders; doch am vierten Tag erreichten sie den Gipfel. Dort sahen sie im Stein eine Vertiefung, aus welcher eine Quelle hervorsprudelte; durstig tranken sie von dem Wasser; sie waren nun wie neubelebt, und alle Müdigkeit und Schwäche, die sie beinahe völlig erschöpft hatten, waren verschwunden und vergessen. Ein klein wenig entfernt[38] davon bemerkten sie Kreise, die aus Steinen errichtet waren. Sie traten in einen hinein; sogleich vernahmen sie die Töne eines Schwirrholzes, aus denen Wallahgooroonbooan, der Geisterbote Byamees, redete. Er fragte die Zauberer, was sie denn hier wollten, wo den Wissensdurstigen die heiligen Worte Byamees verkündet würden. Sie erzählten ihm, wie traurig und öde die Erde wäre, seitdem Byamee sie verlassen hatte, wie die Blumen alle eingegangen und keine wiedergekommen wäre. Obschon Byamee die wahlerh oder Manna gesandt hätte, um den lange entbehrten Honig zu ersetzen, so sehnten sie sich doch alle danach, daß die Erde wieder wie früher ihr fröhlich buntes Blumenkleid erhielte.

Da befahl Wallahgooroobooan einigen dienenden Geistern vom heiligen Berge, die Zauberer nach Bullimah emporzutragen, wo nie verwelkende Blumen in ewiger Blüte stehen. Die Zauberer dürften davon so viel pflücken, wie sie in den Händen tragen könnten. Dann sollten die Geister sie wieder in den heiligen Kreis auf dem Oobi-Oobi-Berg zurückbringen; und die Beschenkten müßten alsdann so schnell wie möglich heimgehen.

Als die Stimme ausgeredet hatte, wurden die Zauberer durch eine Öffnung in den Himmel hineingehoben und im Lande der ewigen Schönheit abgesetzt. Dort blühten überall in nie geschauter Fülle und Pracht die herrlichsten Blumen; sie zogen sich in feurigen Streifen hin und leuchteten gleich Hunderten von Regenbogen. O, die Zauberer waren davon so ergriffen, daß sie nur weinen konnten, doch es waren Freudentränen.

Dann fiel ihnen wieder ein warum sie eigentlich gekommen waren; sie blieben stehen und pflückten die Hände voll der verschiedensten schönen Blumen. Und die Geister trugen sie wieder in den Steinkreis auf der Spitze des Oobi-Oobi zurück.

Wieder ertönte das Summen des Schwirrholzes und Wallahgooroobooan sagte: »Nehmt die Blumen mit und sagt den Menschen, daß die Erde nie wieder ohne Blumen sein [39] wird. In allen Jahreszeiten werden die verschiedenen Winde sie bringen; Yarrageh Mayrah1 wird die meisten schicken, dann soll jeder Baum und jeder Strauch seine Blüten bekommen, und zwischen den Gräsern auf den Ebenen und Abhängen sollen sich Blumen wiegen, o, so zahlreich wie die Haare auf dem Felle des Opossum. Allerdings soll Yarrageh Mayrah sie nicht immer so zahlreich bringen, aber doch zuweilen; niemals soll die Erde wieder ganz ohne Blumen sein. Gibt es nur wenige, und bläst ein sanfter Wind nicht erst den Regen herbei und lockt die Blumen, können die Bienen darauf nur wenig Honig für sich einsammeln, dann soll die wahlerh oder Manna wieder von den Bäumen tropfen und den Honig vertreten, bis Yarrageh Mayrah wieder Regen vom Berge herabsendet und den Bienen die Blüten öffnet; dann werden alle wieder Honig haben. Nun eilt, und als Wahrzeichen für das Versprechen nehmt zu euren Leuten die nie welkenden Blumen mit.«

Die Stimme verstummte, und die Zauberer kehrten mit den Blumen aus Bullimah zu ihren Stämmen heim. Sie stiegen wieder die steinerne Treppe hinab, welche die Geister beim Kommen von Byamee gebaut hatten; über Abhänge und Ebenen hinweg wanderten sie wieder in ihre verschiedenen Lager. Die Leute drängten sich um sie herum und bewunderten mit weit aufgerissenen Augen die Blumen, welche die Zauberer bei sich trugen. Die Blumen waren noch so frisch, wie sie in Bullimah gepflückt waren, und erfüllten die Luft mit ihrem Wohlgeruch. Als die Stämme sich die Blumen lange genug angesehen und das Versprechen gehört hatten, das Byamee ihnen durch seinen Boten Wallahgooroonbooan verkündigte, da verstreuten die Zauberer die Blumen aus Bullimah überall hin, weit und breit. Einige fielen auf die Spitzen der Bäume, andere auf Ebenen und Abhänge, und wo sie hinfielen, da wachsen seither die verschiedenen Arten.

Die Stelle, wo die Zauberer die Blumen zuerst zeigten und [40] dann verstreuten, heißt heute noch Ghirraween, der Platz der Blumen. Wenn Byamees Bienen Yarrageh geweckt haben, und er den Regen vom Oobi-Oobi-Berge herabbläst, um den festgefrorenen Boden aufzuweichen, dann sprießen dort hohe saftige Gräser und prächtig blühende Blumen aller Art hervor. Bäume und Sträucher sind dann mit Blüten bedeckt, und die Erde überzieht sich wieder mit Gras und Blumen, so wie einst, als Byamee noch auf ihnen wandelte.

Byamees Bienen wecken Yarrageh Mayrah, den Ostwind; dann schickt er den Regen die Berge hinab, und die Bäume blühen, und die irdischen Bienen sammeln den Honig ein.

In der trockenen Zeit erscheinen die Ameisen als Boten und bringen die süße goonbean auf die Blätter, und die kleinen grauen Dulloorah-Vögel tragen die wahlerh oder Manna herbei.

Wenn sie kommen, sagt der Den: »Jetzt kommt die Trockenzeit und eine große Dürre ins Land. Überall sind nur wenige Blumen, und der Grassamen ist ausgegangen. Doch goonbean und wahlerh gehen vorüber, so geht auch die Trockenheit vorbei; Blumen und Bienen kehren wieder; so ist es stets gehalten worden, seit die Zauberer uns die Blumen aus Bullimah brachten.«

1

Der Ostwind.

Quelle:
Hambruch, Paul: Südseemärchen. Jena: Eugen Diederich, 1916, S. 37-41.
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